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•NEUES THEMA13.11.2020, 16:41 Uhr
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• Herta Kuhrig - Pionierin der Frauenforschung
Am 2. November starb im Alter von 90 Jahren Herta Kuhrig, die "Pionierin der Frauenforschung" in der DDR.
Dazu ein Nachruf von Florence Hervé in der jW vom 13. November:
Zum Tod von Herta Kuhrig
Pionierin der Frauenforschung
Wirtschaftliche Unabhängigkeit als Voraussetzung für Emanzipation: Zum Tod der DDR-Wissenschaftlerin Herta Kuhrig
Was wird bleiben von 40 Jahren frauenpolitischer Erfahrungen aus dem DDR-Experiment fragte die »Grande Dame« der Frauenforschung wenige Jahre nach dem Anschluss des anderen deutschen Staates an die Bundesrepublik. Ohne eine Antwort darauf geben zu können, hielt sie fest, dass durch Kleinbeigeben und Resignation kein Rollback verhindert werden könne. Ein Grundsatz, den sie bis zum Ende ihres bewegten Lebens beherzigte.
Geboren 1930 in Thierbach nahe Karlsbad, dem heutigen Karlovy Vary, wuchs sie in einer kommunistischen Arbeiterfamilie auf. Auf die Befreiung vom Faschismus folgten für sie Jahre des Frauenaufbruchs – sie konnte Gesellschaftswissenschaften studieren und wurde danach Assistentin an der Berliner Hochschule für Ökonomie und Planung in Berlin. Ihre Dissertation schrieb sie über »Probleme der Entwicklung sozialistischer Familienbeziehungen in der DDR«. Ein Thema, das die Familiensoziologin ihr Leben lang begleitete. Es folgte eine beachtliche Karriere: ab 1964 zunächst als Verantwortliche für die Informationen – die »grünen Hefte« – der Forschungsgruppe »Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft«, und von 1968 bis 1977 als deren Leiterin. Ab 1981 war sie Vorsitzende des gleichnamigen Wissenschaftsrats bei der Akademie der Wissenschaften und Mitglied der Frauenkommission beim Politbüro des Zentralkomitees der SED. 1978 gab sie den Sammelband »Zur gesellschaftlichen Stellung der Frau in der DDR« mit heraus.
Als Pionierin der DDR-Frauenforschung schob Herta Kuhrig bereits in den 1960er Jahren Projekte an, von denen Feministinnen der damaligen BRD nur hätten träumen können. So war sie an der Ausarbeitung des bemerkenswerten Familiengesetzbuches von 1965 beteiligt, das sich am Gleichberechtigungsprinzip orientierte und in dem es in Paragraph 10 explizit hieß: »Beide Ehegatten tragen ihren Anteil bei der Erziehung und Pflege der Kinder und der Führung des Haushalts. Die Beziehungen der Ehegatten zueinander sind so zu gestalten, dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann.« Das Recht der Frau auf ökonomische Unabhängigkeit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – auch für den Mann – lagen der Professorin am Herzen, die selbst als Mutter ihr Leben lang erwerbstätig war.
Die Akademie der Wissenschaften initiierte 1966 auch die Arbeitsgruppe »Geschichte der proletarischen Frauenbewegung« an der Pädagogischen Hochschule »Clara Zetkin« in Leipzig. Viele Jahre später, auf einem Symposium der Clara-Zetkin-Gedenkstätte in Birkenwerder 2011, hinterfragte Herta Kuhrig »Gewissheiten«: Zetkin sei in der DDR ziemlich »vereinseitigt« worden. Es gelte aber weiterhin deren Erkenntnis, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen eine Voraussetzung für ihre Emanzipation, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie auch die Veränderung der traditionellen Rolle des Mannes eine Herausforderung und die eigenständige Organisierung von Frauen eine Notwendigkeit ist.
1990 im Alter von 60 Jahren in den Ruhestand versetzt, hatte sie nicht resigniert. Sie engagierte sich weiter, trotz der Enttäuschung über die Wiederherstellung der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse: zunächst im Unabhängigen Frauenverband, den sie mitgründete, in der Hoffnung auf eine Erneuerung des Sozialismus, dann in der autonomen Frauenarbeitsgemeinschaft der Partei Die Linke, »Lisa«. Als kluge Diskussionspartnerin blickte sie auf die DDR-Frauenpolitik kritisch und selbstkritisch zurück. So seien bei der »Lösung der Frauenfrage« die Dimension der Geschlechterfrage und die Patriarchatskritik praktisch nicht berücksichtigt worden.
Ab 1991 engagierte sie sich auch als Vorsitzende der Seniorenvertretung Treptow-Köpenick und erhielt 2013 die Bürgermedaille für besonderes Engagement. Der Berliner Bezirk würdigte sie in einem Nachruf vom Dienstag als »eine mutige, gestaltungsfreudige Persönlichkeit«.
Herta Kuhrig ist am 2. November gestorben, wenige Wochen nach ihrem 90. Geburtstag. Ein Anlass, sich mit den Schriften der streitbaren Denkerin und feministischen Aktivistin wieder auseinanderzusetzen und manche spannenden Denkanstöße und Erfahrungen der DDR-Frauenforschung neu zu entdecken.
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Dazu ein Nachruf von Florence Hervé in der jW vom 13. November:
Zum Tod von Herta Kuhrig
Pionierin der Frauenforschung
Wirtschaftliche Unabhängigkeit als Voraussetzung für Emanzipation: Zum Tod der DDR-Wissenschaftlerin Herta Kuhrig
Was wird bleiben von 40 Jahren frauenpolitischer Erfahrungen aus dem DDR-Experiment fragte die »Grande Dame« der Frauenforschung wenige Jahre nach dem Anschluss des anderen deutschen Staates an die Bundesrepublik. Ohne eine Antwort darauf geben zu können, hielt sie fest, dass durch Kleinbeigeben und Resignation kein Rollback verhindert werden könne. Ein Grundsatz, den sie bis zum Ende ihres bewegten Lebens beherzigte.
Geboren 1930 in Thierbach nahe Karlsbad, dem heutigen Karlovy Vary, wuchs sie in einer kommunistischen Arbeiterfamilie auf. Auf die Befreiung vom Faschismus folgten für sie Jahre des Frauenaufbruchs – sie konnte Gesellschaftswissenschaften studieren und wurde danach Assistentin an der Berliner Hochschule für Ökonomie und Planung in Berlin. Ihre Dissertation schrieb sie über »Probleme der Entwicklung sozialistischer Familienbeziehungen in der DDR«. Ein Thema, das die Familiensoziologin ihr Leben lang begleitete. Es folgte eine beachtliche Karriere: ab 1964 zunächst als Verantwortliche für die Informationen – die »grünen Hefte« – der Forschungsgruppe »Die Frau in der sozialistischen Gesellschaft«, und von 1968 bis 1977 als deren Leiterin. Ab 1981 war sie Vorsitzende des gleichnamigen Wissenschaftsrats bei der Akademie der Wissenschaften und Mitglied der Frauenkommission beim Politbüro des Zentralkomitees der SED. 1978 gab sie den Sammelband »Zur gesellschaftlichen Stellung der Frau in der DDR« mit heraus.
Als Pionierin der DDR-Frauenforschung schob Herta Kuhrig bereits in den 1960er Jahren Projekte an, von denen Feministinnen der damaligen BRD nur hätten träumen können. So war sie an der Ausarbeitung des bemerkenswerten Familiengesetzbuches von 1965 beteiligt, das sich am Gleichberechtigungsprinzip orientierte und in dem es in Paragraph 10 explizit hieß: »Beide Ehegatten tragen ihren Anteil bei der Erziehung und Pflege der Kinder und der Führung des Haushalts. Die Beziehungen der Ehegatten zueinander sind so zu gestalten, dass die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann.« Das Recht der Frau auf ökonomische Unabhängigkeit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – auch für den Mann – lagen der Professorin am Herzen, die selbst als Mutter ihr Leben lang erwerbstätig war.
Die Akademie der Wissenschaften initiierte 1966 auch die Arbeitsgruppe »Geschichte der proletarischen Frauenbewegung« an der Pädagogischen Hochschule »Clara Zetkin« in Leipzig. Viele Jahre später, auf einem Symposium der Clara-Zetkin-Gedenkstätte in Birkenwerder 2011, hinterfragte Herta Kuhrig »Gewissheiten«: Zetkin sei in der DDR ziemlich »vereinseitigt« worden. Es gelte aber weiterhin deren Erkenntnis, dass die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Frauen eine Voraussetzung für ihre Emanzipation, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wie auch die Veränderung der traditionellen Rolle des Mannes eine Herausforderung und die eigenständige Organisierung von Frauen eine Notwendigkeit ist.
1990 im Alter von 60 Jahren in den Ruhestand versetzt, hatte sie nicht resigniert. Sie engagierte sich weiter, trotz der Enttäuschung über die Wiederherstellung der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse: zunächst im Unabhängigen Frauenverband, den sie mitgründete, in der Hoffnung auf eine Erneuerung des Sozialismus, dann in der autonomen Frauenarbeitsgemeinschaft der Partei Die Linke, »Lisa«. Als kluge Diskussionspartnerin blickte sie auf die DDR-Frauenpolitik kritisch und selbstkritisch zurück. So seien bei der »Lösung der Frauenfrage« die Dimension der Geschlechterfrage und die Patriarchatskritik praktisch nicht berücksichtigt worden.
Ab 1991 engagierte sie sich auch als Vorsitzende der Seniorenvertretung Treptow-Köpenick und erhielt 2013 die Bürgermedaille für besonderes Engagement. Der Berliner Bezirk würdigte sie in einem Nachruf vom Dienstag als »eine mutige, gestaltungsfreudige Persönlichkeit«.
Herta Kuhrig ist am 2. November gestorben, wenige Wochen nach ihrem 90. Geburtstag. Ein Anlass, sich mit den Schriften der streitbaren Denkerin und feministischen Aktivistin wieder auseinanderzusetzen und manche spannenden Denkanstöße und Erfahrungen der DDR-Frauenforschung neu zu entdecken.
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