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•NEUES THEMA30.10.2020, 17:43 Uhr
EDIT: arktika
30.10.2020, 22:43 Uhr
30.10.2020, 22:43 Uhr
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• Polen: ReaktionärInnen verschärfen Kampf gg Frauenrechte
Die Bande von reaktionären PolitikerInnen, JuristInnen und ebensolchem Klerus, die das Land beherrscht, verstärkt noch einmal ihren Feldzug gegen Frauenrechte. Legale Abtreibungen sind noch weniger möglich als zuvor. Betroffen sind davon besonders proletarische Frauen, denen das Geld fehlt, mal eben nach Tschechien oder sonstwohin fahren zu können. Sie müssen unter gruseligen Bedingungen illegal abtreiben mit den üblichen gesundheitlichen Schäden bis zum Tode.
Dazu ein Artikel von Jens Mattern am 24. Oktober auf Telepolis:
Polen: "Faktisch totales Abtreibungsverbot"
Verfassungsgericht erklärt das bisherige Gesetz, das eine Abtreibung bei einer schweren Fehlbildung erlaubt, als verfassungswidrig
Die Wut der Frauen entlud sich in der Nacht auf Freitag vor dem Wohnsitz des Vizepremiers Jaroslaw Kaczynski. Es flogen Steine und Eier. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm mehrere Personen fest. Auch vor dem Parteisitz der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und dem Verfassungsgericht kam es zu Protesten.
Denn dieses Gericht in Polen hatte am Donnerstag das bisherige Gesetz, das eine Abtreibung bei einer schweren Fehlbildung erlaubt, als verfassungswidrig eingestuft. Nun dürfen Abtreibungen allein bei Vergewaltigung, Inzest sowie Lebensgefahr für die Schwangere vorgenommen werden.
"Damit ist es faktisch ein totales Abtreibungsverbot. Bei einer Vergewaltigung traut sich kaum eine Frau, dies zu melden" so Anna Karaszewska, Vorsitzende des Interessenverbands "Kongress der Frauen" auf Anfrage. Karaszewska sieht die grundlegenden Rechte in Polen gefährdet. "Frauen werden nicht wie Menschen behandelt."
Denn 1.074 von den 1110 offiziellen Abbrüchen in Polen im vergangenen Jahr wurden wegen fehlgebildeten Föten vollzogen.Mit Fehlbildung ist auch das Down Syndrom gemeint, Frauen können jedoch nun auch gezwungen werden, sterbende oder tote Kinder zu gebären. Borys Budka, Vorsitzender der Oppositionspartei "Bürgerplattform" (PO) warf Kaczynski vor, "den Frauen eine Hölle zu bereiten". Staatspräsident Andrzej Duda begrüßte, dass "das Verfassungsgericht auf Seiten des Lebens steht".
Die Verschärfung des Abtreibungsrechts war ein Wahlversprechen, dass die PiS unter ihrem Chef Jaroslaw Kaczynski dem rechten Flügel seiner Wählerschaft, rechtskatholischen Laienvereinigungen sowie dem Klerus selbst machte. Dieser gab darauf 2015 eindeutige Wahlempfehlungen von der Kanzel. Doch der erste Anlauf scheiterte.
"Ordo luris", die treibende Kraft
Im Sommer 2016 forderte eine Initiative der internationalen Stiftung "Pro Life" ein Totalverbot, das auch den Abbruch nach einer Vergewaltigung und Gefährdung der Mutter unter Strafe stellen lassen wollte. Darauf demonstrierten an einem "schwarzen Dienstag" im Oktober knapp 100.000 Personen landesweit.
Der einflussreiche Jaroslaw Kaczynski, der den Druck der Straße generell fürchtete, ließ gegen die Novelle abstimmen. Er selbst befürwortet ein Abtreibungsverbot auch bei Fehlbildung, jedoch nicht bei einer Vergewaltigung. Daraufhin wurde ein Abtreibungsverbot bei Fehlentwicklung des Fötus entworfen, aber auch hier ließen Proteste im Frühjahr 2018 die PiS zögern, darüber abzustimmen.
Somit wurde die Entscheidung dem Verfassungsgericht zugeschoben, das zu einem großen Teil aus regierungsnahen Richtern besteht. Die treibende Kraft in Sachen Verbot war und ist Ordo Iuris, eine rechtskatholische Laienorganisation, welche sich auch dem Kampf gegen die sexuelle Minderheiten verschrieben hat. Die regierungskritische Zeitung Gazeta Wyborcza glaubt, dass diese Vereinigung weiter Druck machen wird, bis die noch bestehenden Ausnahmefälle, die eine Abtreibung erlauben, auch aufgehoben werden.
Da die Corona-Fallzahlen in Polen durch die Decke gehen, in dem Land mit vierzig Millionen Einwohnern wurden am Freitag über 13.000 Neuinfizierten gemeldet, soll das Urteil von den Schwierigkeiten der Regierung ablenken, die Epidemie einzudämmen, glauben Kritiker. Auch ist nun das Demonstrationsrecht eingeschränkt, das Land steht vor einem Lockdown.
Jährlich 200.000 illegale Abtreibungen
Umfrageergebnisse widersprechen sich zumeist deutlich nach Auftraggeber, jedoch scheint die größte Gruppe diejenige zu sein, die das Abtreibungsrecht beibehalten will, das 1993 als Kompromiss verabschiedet wurde. Für die kommenden Tage sind weitere Proteste in Warschau geplant, so erneut vor Kaczynskis Wohnhaus und der PiS-Zentrale aber auch in vielen weiteren Städten.
Langfristig will der "Kongress der Frauen", die größte Frauenorganisation Polens, für mehr staatsbürgerliches Bewusstsein sorgen, damit die "fundamentalistische Regierung abgewählt wird", wie sich deren Vorsitzende Anna Karaszewska ausdrückt. Auf internationalen Druck wie etwa ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zählt sie nicht, dies würde die Regierung nicht beeindrucken.
In Polen werden nach Angaben von Frauenorganisationen jährlich 200.000 illegale Abtreibungen vorgenommen, mittellose Frauen nutzen dazu Kleiderbügel aus Draht, die bei Demonstrationen gegen das Abtreibungsverbot als Protest in die Höhe gehoben werden. Wohlhabendere Polinnen fahren ins säkulär geprägte Tschechien, wo ein liberales Abtreibungsrecht herrscht.
Nach dem im September berufenen Erziehungsminister Przemyslaw Czarnek, ein ehemaliger Dozent der katholischen Universität Lublin, seien Frauen von Gott vor allem zum Kinderbekommen berufen und dies möglichst früh, damit es viele werden. Dabei entspricht dieses konservative Rollenverhalten kaum der Realität - in Polen werden 28 Prozent der Unternehmungen von Frauen geführt, womit das Land auf Platz 5 in Europa steht.
Die Entscheidung des Gerichts wird nun zu weiteren Verwerfungen in der polnischen Gesellschaft führen.
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In leicht gekürzter und z. T. umgestellter Form findet sich der Text auch am 26.10. in der ZdA als Polen: Faktisches Abtreibungsverbot unter
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#polen
#abtreibung
#abtreibungsverbot
#frauenrechte
Dazu ein Artikel von Jens Mattern am 24. Oktober auf Telepolis:
Polen: "Faktisch totales Abtreibungsverbot"
Verfassungsgericht erklärt das bisherige Gesetz, das eine Abtreibung bei einer schweren Fehlbildung erlaubt, als verfassungswidrig
Die Wut der Frauen entlud sich in der Nacht auf Freitag vor dem Wohnsitz des Vizepremiers Jaroslaw Kaczynski. Es flogen Steine und Eier. Die Polizei setzte Tränengas ein und nahm mehrere Personen fest. Auch vor dem Parteisitz der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) und dem Verfassungsgericht kam es zu Protesten.
Denn dieses Gericht in Polen hatte am Donnerstag das bisherige Gesetz, das eine Abtreibung bei einer schweren Fehlbildung erlaubt, als verfassungswidrig eingestuft. Nun dürfen Abtreibungen allein bei Vergewaltigung, Inzest sowie Lebensgefahr für die Schwangere vorgenommen werden.
"Damit ist es faktisch ein totales Abtreibungsverbot. Bei einer Vergewaltigung traut sich kaum eine Frau, dies zu melden" so Anna Karaszewska, Vorsitzende des Interessenverbands "Kongress der Frauen" auf Anfrage. Karaszewska sieht die grundlegenden Rechte in Polen gefährdet. "Frauen werden nicht wie Menschen behandelt."
Denn 1.074 von den 1110 offiziellen Abbrüchen in Polen im vergangenen Jahr wurden wegen fehlgebildeten Föten vollzogen.Mit Fehlbildung ist auch das Down Syndrom gemeint, Frauen können jedoch nun auch gezwungen werden, sterbende oder tote Kinder zu gebären. Borys Budka, Vorsitzender der Oppositionspartei "Bürgerplattform" (PO) warf Kaczynski vor, "den Frauen eine Hölle zu bereiten". Staatspräsident Andrzej Duda begrüßte, dass "das Verfassungsgericht auf Seiten des Lebens steht".
Die Verschärfung des Abtreibungsrechts war ein Wahlversprechen, dass die PiS unter ihrem Chef Jaroslaw Kaczynski dem rechten Flügel seiner Wählerschaft, rechtskatholischen Laienvereinigungen sowie dem Klerus selbst machte. Dieser gab darauf 2015 eindeutige Wahlempfehlungen von der Kanzel. Doch der erste Anlauf scheiterte.
"Ordo luris", die treibende Kraft
Im Sommer 2016 forderte eine Initiative der internationalen Stiftung "Pro Life" ein Totalverbot, das auch den Abbruch nach einer Vergewaltigung und Gefährdung der Mutter unter Strafe stellen lassen wollte. Darauf demonstrierten an einem "schwarzen Dienstag" im Oktober knapp 100.000 Personen landesweit.
Der einflussreiche Jaroslaw Kaczynski, der den Druck der Straße generell fürchtete, ließ gegen die Novelle abstimmen. Er selbst befürwortet ein Abtreibungsverbot auch bei Fehlbildung, jedoch nicht bei einer Vergewaltigung. Daraufhin wurde ein Abtreibungsverbot bei Fehlentwicklung des Fötus entworfen, aber auch hier ließen Proteste im Frühjahr 2018 die PiS zögern, darüber abzustimmen.
Somit wurde die Entscheidung dem Verfassungsgericht zugeschoben, das zu einem großen Teil aus regierungsnahen Richtern besteht. Die treibende Kraft in Sachen Verbot war und ist Ordo Iuris, eine rechtskatholische Laienorganisation, welche sich auch dem Kampf gegen die sexuelle Minderheiten verschrieben hat. Die regierungskritische Zeitung Gazeta Wyborcza glaubt, dass diese Vereinigung weiter Druck machen wird, bis die noch bestehenden Ausnahmefälle, die eine Abtreibung erlauben, auch aufgehoben werden.
Da die Corona-Fallzahlen in Polen durch die Decke gehen, in dem Land mit vierzig Millionen Einwohnern wurden am Freitag über 13.000 Neuinfizierten gemeldet, soll das Urteil von den Schwierigkeiten der Regierung ablenken, die Epidemie einzudämmen, glauben Kritiker. Auch ist nun das Demonstrationsrecht eingeschränkt, das Land steht vor einem Lockdown.
Jährlich 200.000 illegale Abtreibungen
Umfrageergebnisse widersprechen sich zumeist deutlich nach Auftraggeber, jedoch scheint die größte Gruppe diejenige zu sein, die das Abtreibungsrecht beibehalten will, das 1993 als Kompromiss verabschiedet wurde. Für die kommenden Tage sind weitere Proteste in Warschau geplant, so erneut vor Kaczynskis Wohnhaus und der PiS-Zentrale aber auch in vielen weiteren Städten.
Langfristig will der "Kongress der Frauen", die größte Frauenorganisation Polens, für mehr staatsbürgerliches Bewusstsein sorgen, damit die "fundamentalistische Regierung abgewählt wird", wie sich deren Vorsitzende Anna Karaszewska ausdrückt. Auf internationalen Druck wie etwa ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zählt sie nicht, dies würde die Regierung nicht beeindrucken.
In Polen werden nach Angaben von Frauenorganisationen jährlich 200.000 illegale Abtreibungen vorgenommen, mittellose Frauen nutzen dazu Kleiderbügel aus Draht, die bei Demonstrationen gegen das Abtreibungsverbot als Protest in die Höhe gehoben werden. Wohlhabendere Polinnen fahren ins säkulär geprägte Tschechien, wo ein liberales Abtreibungsrecht herrscht.
Nach dem im September berufenen Erziehungsminister Przemyslaw Czarnek, ein ehemaliger Dozent der katholischen Universität Lublin, seien Frauen von Gott vor allem zum Kinderbekommen berufen und dies möglichst früh, damit es viele werden. Dabei entspricht dieses konservative Rollenverhalten kaum der Realität - in Polen werden 28 Prozent der Unternehmungen von Frauen geführt, womit das Land auf Platz 5 in Europa steht.
Die Entscheidung des Gerichts wird nun zu weiteren Verwerfungen in der polnischen Gesellschaft führen.
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#frauenrechte
•NEUER BEITRAG16.11.2020, 20:23 Uhr
EDIT: arktika
16.11.2020, 20:24 Uhr
16.11.2020, 20:24 Uhr
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Polen: ReaktionärInnen verschärfen Kampf gg Frauenrechte
Am 15.11. dazu eine Solierklärung von ver.di:
Abtreibungsrecht in Polen: ver.di mit protestierenden Frauen solidarisch
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) unterstützt die Frauen in Polen in ihrem Kampf gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts und fordert die politischen Akteure auf, sich für die Achtung und Einhaltung von Menschenrechten und für die Selbstbestimmung der Frauen einzusetzen.
Polen habe bereits das strengste Abtreibungsrecht in Europa. Nun solle es den Frauen verboten werden, sogar bei schweren Fehlbildungen des Embryos einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Eine legale Abtreibung werde damit praktisch ausgeschlossen. „Wir appellieren eindringlich an Sie und Ihre Regierung, diesen tiefgreifenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen… abzuwenden“, heißt es unter anderem in einem Brief des ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke an den polnischen Botschafter in Deutschland. Und: „Die polnische Regierung fordern wir auf, das Abtreibungsrecht an die Regelungen der EU-Länder anzugleichen.“
Flankiert wird der Protest von einem Brief an Helena Dalli, EU-Kommissarin für Gleichstellung, die aufgefordert wird, „sich offensiv gegenüber dem Mitgliedsstaat… für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen in Polen einzusetzen“. Ein weiteres Schreiben geht an Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mit der Bitte, im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands die Frauen in Polen zu unterstützen und auf die polnische Regierung einzuwirken.
An die Frauen des „strajk kobiet“ in Polen ist zudem eine Solidaritätserklärung gerichtet: „Wir, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der ver.di stehen solidarisch an eurer Seite“, heißt es dort. „Euer Protest wird in Deutschland gehört und stößt bei uns auf uneingeschränkte Zustimmung… Wir wünschen euch viel Ausdauer und Kraft, um einen erfolgreichen Kampf zu führen!“
bei ver.di unter Link ...jetzt anmelden!
und bei redglobe unter Link ...jetzt anmelden!
Abtreibungsrecht in Polen: ver.di mit protestierenden Frauen solidarisch
Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) unterstützt die Frauen in Polen in ihrem Kampf gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts und fordert die politischen Akteure auf, sich für die Achtung und Einhaltung von Menschenrechten und für die Selbstbestimmung der Frauen einzusetzen.
Polen habe bereits das strengste Abtreibungsrecht in Europa. Nun solle es den Frauen verboten werden, sogar bei schweren Fehlbildungen des Embryos einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen. Eine legale Abtreibung werde damit praktisch ausgeschlossen. „Wir appellieren eindringlich an Sie und Ihre Regierung, diesen tiefgreifenden Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Frauen… abzuwenden“, heißt es unter anderem in einem Brief des ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke an den polnischen Botschafter in Deutschland. Und: „Die polnische Regierung fordern wir auf, das Abtreibungsrecht an die Regelungen der EU-Länder anzugleichen.“
Flankiert wird der Protest von einem Brief an Helena Dalli, EU-Kommissarin für Gleichstellung, die aufgefordert wird, „sich offensiv gegenüber dem Mitgliedsstaat… für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Frauen in Polen einzusetzen“. Ein weiteres Schreiben geht an Bundesfamilienministerin Franziska Giffey mit der Bitte, im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands die Frauen in Polen zu unterstützen und auf die polnische Regierung einzuwirken.
An die Frauen des „strajk kobiet“ in Polen ist zudem eine Solidaritätserklärung gerichtet: „Wir, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter der ver.di stehen solidarisch an eurer Seite“, heißt es dort. „Euer Protest wird in Deutschland gehört und stößt bei uns auf uneingeschränkte Zustimmung… Wir wünschen euch viel Ausdauer und Kraft, um einen erfolgreichen Kampf zu führen!“
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•NEUER BEITRAG08.02.2021, 21:50 Uhr
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Polen: ReaktionärInnen verschärfen Kampf gg Frauenrechte
Das Drecksgesetz ist jetzt am 27. Jan. inkraftgetreten.
Dazu ein Artikel am 30. Jan. von Toni Koch und Bent Bosker im Lower Class Magazine mit dem Titel:
Abtreibungsverbot in Polen: Zwischen Resignation und Wut
Am 27. Januar entschied das Verfassungsgericht über ein neues Abtreibungsgesetz aus dem Oktober letzten Jahres welches Schwangerschaftsabbrüche weitestgehend illegalisiert. Es formierte sich noch am Abend Protest. Was bedeutet das Gesetz für Pol*innen und welche Perspektive bleibt? Aus Warschau von Toni Koch und Bent Bosker.
Am 27. Januar trat in Polen ein Gesetz in Kraft, das Schwangerschaftabbrüche weitestegehnd illegalisiert. Bisher war es möglich einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund triftiger Gründe durchführen zu lassen.Bereits im Herbst 2020 hatte das Verfassungsgericht ein Urteil gefällt, sich aber mit der Urteilsbegründung ungewöhnlich lange Zeit gelassen. Deswegen tritt das neue Gesetz erst jetzt in Kraft. Es illegalisiert und kriminalisert Abtreibungen von nicht lebensfähigen Föten und bereitet mit seiner Begründung ein totales Abtreibungsverbot vor. Viele Pol*Innen, die unter den sowieso schon schwierigen Umständen einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch bekommen haben, werden diesen nicht durchführen dürfen. Die Termine werden gecancelt. Ärzt*Innen die Beihilfe dazu leisten, wie Medikamente verschreiben oder den Abbruch durchführen, machen sich strafbar.
Polen hatte ohnehin schon eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in der EU.
Bisher war ein Schwangerschaftsabbruch nur in seltenen Fällen möglich, so etwa nach einer Vergewaltigung oder wenn das Leben der Mutter akut bedroht war.Bereits 2016 lehnte das Parlament eine weitere Verschärfung der Schwangerschaftsabbrüche nach heftigen Protesten ab, wohl auch wegen des prognostizierten Einbruchs der Wählerstimmen für die rechtskonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS. Doch nach den Neuwahlen 2019 initiierte diese das neue Gesetz. Frauenrechtsorganisationen schätzen die Anzahl von illegalen Schwangerschaftsabbrüchen in Polen und von Menschen, die diese im Ausland durchführen, auf bis zu 200.000 jährlich. Dahingegen werden weniger als 2.000 Abbrüche legal vorgenommen. Mit der seit heute geltenden Gesetzeslage drohen Ärtz*innen die trotz des Verbots Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder durchführen, mehrere Jahre Haft.
Noch am Abend des 27. Januars rief die Bewegung Strajk Kobiet (Frauenstreik), die schon seit 2016 für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts kämpft, zu Demonstrationen auf. Mindestens 2.000 Menschen liefen durch Warschaus Straßen, nach Angaben der Organisator*innen fanden darüber hinaus in insgesamt 46 weiteren Orten in Polen Demonstrationen statt. “Warschau, Tausende. Marschieren zum Sitz allen Übels” twitterte die Initiative abends, als sich der Demozug ausgehend vom Verfassungsgericht in Bewegung setzte. Vor Kirchen versammelten sich spärlich nationalistische Hooligans zusammen mit Polizist*innen, nachdem im letzten Jahr Demonstrant*innen einige Kirchen stürmten. Die Stimmung auf der Demonstration dieses Jahr war gedrückt, sie wirkte trotz Musik und Parolen wie eine Beerdigung.
Das neue Gesetz war bereits im Oktober durch das Verfassungsgericht genehmigt worden, schon damals demonstrierten Zehntausende auf Polens Straßen. Mehrere Hundert Menschen machten sich auf den weg zum Haus des PiS-Parteichefs Jaroslaw Kaczynski, wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.
Das Gesetz wird aber nicht nur wegen seiner offensichtlichen Frauenverachtung kritisiert, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Rechtswissenschaftler Mikołaj Małeckis schrieb noch am selben Abend für sein Magazin “Dogmaty Karnisty”, welches sich rund um das polnische Strafrecht dreht, dass er das Gesetz allein schon durch die Art und Weise der Einführung, also die lange Verschleppung der Begründungsverlesung, für verfassungswidrig hält.
Die Gesetzesbegründung folgt dabei der Leier von selbsterklärten „Lebenschützer*innen“. Der Embryo wird juristisch durch Sprache und Form zu einem vollwertigen Menschen erklärt. Damit erhält ein Embryo von Beginn der Schwangerschaft an Menschenrechte.
In dieser Logik entsteht dann, wenn durch eine Schwangerschaft das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist, ein moralisches Dilemma. Das Gericht vergleicht diese Situation mit der, in der ein Flugzeug von Terroristen gekapert wird und auf die Stadt zufliegt. Es sei nun eine Entscheidung die zwei Leben gegeneinander abwäge. Nicht nur deswegen sehen viele Polen auf dem Weg in ein komplettes Abtreinbungsverbot.
Die fundamentalistischen Annahmen spiegeln sich auch in der verwendeten Sprache wieder: Anstatt “Schwangere” steht dort “Mutter” – Ein klares Zeichen, dass das Gesetz eine schwangere Person nicht mehr als eigenständiges Wesen sieht, sondern ihr eine bestimmte Funktion zukommen lässt und den Embryo sprachlich als volles menschliches, scheinbar schützenswertes Wesen etabliert.
Auch wird der Begriff “Kind” statt “Embryo” in Verbindung mit “ungeborenem Leben” verwendet, was suggeriert, dass ein Embryo bereits ein Lebewesen sei, es also zu dem oben beschriebenen moralischen Dilemma komme, welches Leben zu schützen sei und im Zweifel die schwangere Person ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung verbüße. „Das Gesetz wirkt nicht wie von Richtern – sondern von einem Priester geschrieben.“, erklärt deswegen die polnische Juristin Kamila Ferenc bei OKO.press.
Es wäre aber falsch zu glauben, so reaktionäres Gedankengut finde nur in Polen Eingang in Gesetze. Auch in Deutschland ist diese Ideologie seit eh und je Grundlage juristischer Entscheidungen. So wurde beispielsweise im November 2017 die Ärztin Kristina Hänel vom Amtsgericht Gießen nach § 219a verurteilt. Dieses aus der NS-Zeit stammende Gesetz verbietet es für Schwangerschaftsabbrüche öffentlich zu werben. Das Gericht wertete die Informationen über verschiedene Methoden des Schwangerschaftsabbruchs auf Hänels Homepage als solche „Werbung“. Hänel legte gegen diese Entscheidung zwar Rechtsmittel ein, das zuständige Oberlandesgericht Frankfurt a.M. bestätigte nun aber die Entscheidung des Amtsgerichts. Der Fall landet jetzt beim Bundesverfassungsgericht.
In Polen kündigten Aktivist*innen derweil ab Donnerstag Blockaden in Warschau an, am Wochenende sollen weitere Demonstrationen stattfinden. Im Anschluss an die Demonstration vom Mittwoche sagte uns eine Aktivistin: “Wenn der Staat solche Grenzüberschreitungen an seiner Bevölkerung vollzieht, dann muss er mit Konsequenzen rechnen. Diese Konsequenz ist entweder Resignation, wie wir sie heute auf der Demo gesehen haben, oder sie verwandelt sich in Wut und Visionen. In Utopien wie eine befreite Gesellschaft aussehen kann. In der keine Macht, kein Staat mehr Zugriff auf die Körper hat die ihn tragen. Diese Entscheidung wird die nächsten Tage fallen müssen.”
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Dazu ein Artikel am 30. Jan. von Toni Koch und Bent Bosker im Lower Class Magazine mit dem Titel:
Abtreibungsverbot in Polen: Zwischen Resignation und Wut
Am 27. Januar entschied das Verfassungsgericht über ein neues Abtreibungsgesetz aus dem Oktober letzten Jahres welches Schwangerschaftsabbrüche weitestgehend illegalisiert. Es formierte sich noch am Abend Protest. Was bedeutet das Gesetz für Pol*innen und welche Perspektive bleibt? Aus Warschau von Toni Koch und Bent Bosker.
Am 27. Januar trat in Polen ein Gesetz in Kraft, das Schwangerschaftabbrüche weitestegehnd illegalisiert. Bisher war es möglich einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund triftiger Gründe durchführen zu lassen.Bereits im Herbst 2020 hatte das Verfassungsgericht ein Urteil gefällt, sich aber mit der Urteilsbegründung ungewöhnlich lange Zeit gelassen. Deswegen tritt das neue Gesetz erst jetzt in Kraft. Es illegalisiert und kriminalisert Abtreibungen von nicht lebensfähigen Föten und bereitet mit seiner Begründung ein totales Abtreibungsverbot vor. Viele Pol*Innen, die unter den sowieso schon schwierigen Umständen einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch bekommen haben, werden diesen nicht durchführen dürfen. Die Termine werden gecancelt. Ärzt*Innen die Beihilfe dazu leisten, wie Medikamente verschreiben oder den Abbruch durchführen, machen sich strafbar.
Polen hatte ohnehin schon eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze in der EU.
Bisher war ein Schwangerschaftsabbruch nur in seltenen Fällen möglich, so etwa nach einer Vergewaltigung oder wenn das Leben der Mutter akut bedroht war.Bereits 2016 lehnte das Parlament eine weitere Verschärfung der Schwangerschaftsabbrüche nach heftigen Protesten ab, wohl auch wegen des prognostizierten Einbruchs der Wählerstimmen für die rechtskonservative Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ PiS. Doch nach den Neuwahlen 2019 initiierte diese das neue Gesetz. Frauenrechtsorganisationen schätzen die Anzahl von illegalen Schwangerschaftsabbrüchen in Polen und von Menschen, die diese im Ausland durchführen, auf bis zu 200.000 jährlich. Dahingegen werden weniger als 2.000 Abbrüche legal vorgenommen. Mit der seit heute geltenden Gesetzeslage drohen Ärtz*innen die trotz des Verbots Schwangerschaftsabbrüche anbieten oder durchführen, mehrere Jahre Haft.
Noch am Abend des 27. Januars rief die Bewegung Strajk Kobiet (Frauenstreik), die schon seit 2016 für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts kämpft, zu Demonstrationen auf. Mindestens 2.000 Menschen liefen durch Warschaus Straßen, nach Angaben der Organisator*innen fanden darüber hinaus in insgesamt 46 weiteren Orten in Polen Demonstrationen statt. “Warschau, Tausende. Marschieren zum Sitz allen Übels” twitterte die Initiative abends, als sich der Demozug ausgehend vom Verfassungsgericht in Bewegung setzte. Vor Kirchen versammelten sich spärlich nationalistische Hooligans zusammen mit Polizist*innen, nachdem im letzten Jahr Demonstrant*innen einige Kirchen stürmten. Die Stimmung auf der Demonstration dieses Jahr war gedrückt, sie wirkte trotz Musik und Parolen wie eine Beerdigung.
Das neue Gesetz war bereits im Oktober durch das Verfassungsgericht genehmigt worden, schon damals demonstrierten Zehntausende auf Polens Straßen. Mehrere Hundert Menschen machten sich auf den weg zum Haus des PiS-Parteichefs Jaroslaw Kaczynski, wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam.
Das Gesetz wird aber nicht nur wegen seiner offensichtlichen Frauenverachtung kritisiert, sondern auch aus verfassungsrechtlichen Gründen. Der Rechtswissenschaftler Mikołaj Małeckis schrieb noch am selben Abend für sein Magazin “Dogmaty Karnisty”, welches sich rund um das polnische Strafrecht dreht, dass er das Gesetz allein schon durch die Art und Weise der Einführung, also die lange Verschleppung der Begründungsverlesung, für verfassungswidrig hält.
Die Gesetzesbegründung folgt dabei der Leier von selbsterklärten „Lebenschützer*innen“. Der Embryo wird juristisch durch Sprache und Form zu einem vollwertigen Menschen erklärt. Damit erhält ein Embryo von Beginn der Schwangerschaft an Menschenrechte.
In dieser Logik entsteht dann, wenn durch eine Schwangerschaft das Leben der schwangeren Person in Gefahr ist, ein moralisches Dilemma. Das Gericht vergleicht diese Situation mit der, in der ein Flugzeug von Terroristen gekapert wird und auf die Stadt zufliegt. Es sei nun eine Entscheidung die zwei Leben gegeneinander abwäge. Nicht nur deswegen sehen viele Polen auf dem Weg in ein komplettes Abtreinbungsverbot.
Die fundamentalistischen Annahmen spiegeln sich auch in der verwendeten Sprache wieder: Anstatt “Schwangere” steht dort “Mutter” – Ein klares Zeichen, dass das Gesetz eine schwangere Person nicht mehr als eigenständiges Wesen sieht, sondern ihr eine bestimmte Funktion zukommen lässt und den Embryo sprachlich als volles menschliches, scheinbar schützenswertes Wesen etabliert.
Auch wird der Begriff “Kind” statt “Embryo” in Verbindung mit “ungeborenem Leben” verwendet, was suggeriert, dass ein Embryo bereits ein Lebewesen sei, es also zu dem oben beschriebenen moralischen Dilemma komme, welches Leben zu schützen sei und im Zweifel die schwangere Person ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung verbüße. „Das Gesetz wirkt nicht wie von Richtern – sondern von einem Priester geschrieben.“, erklärt deswegen die polnische Juristin Kamila Ferenc bei OKO.press.
Es wäre aber falsch zu glauben, so reaktionäres Gedankengut finde nur in Polen Eingang in Gesetze. Auch in Deutschland ist diese Ideologie seit eh und je Grundlage juristischer Entscheidungen. So wurde beispielsweise im November 2017 die Ärztin Kristina Hänel vom Amtsgericht Gießen nach § 219a verurteilt. Dieses aus der NS-Zeit stammende Gesetz verbietet es für Schwangerschaftsabbrüche öffentlich zu werben. Das Gericht wertete die Informationen über verschiedene Methoden des Schwangerschaftsabbruchs auf Hänels Homepage als solche „Werbung“. Hänel legte gegen diese Entscheidung zwar Rechtsmittel ein, das zuständige Oberlandesgericht Frankfurt a.M. bestätigte nun aber die Entscheidung des Amtsgerichts. Der Fall landet jetzt beim Bundesverfassungsgericht.
In Polen kündigten Aktivist*innen derweil ab Donnerstag Blockaden in Warschau an, am Wochenende sollen weitere Demonstrationen stattfinden. Im Anschluss an die Demonstration vom Mittwoche sagte uns eine Aktivistin: “Wenn der Staat solche Grenzüberschreitungen an seiner Bevölkerung vollzieht, dann muss er mit Konsequenzen rechnen. Diese Konsequenz ist entweder Resignation, wie wir sie heute auf der Demo gesehen haben, oder sie verwandelt sich in Wut und Visionen. In Utopien wie eine befreite Gesellschaft aussehen kann. In der keine Macht, kein Staat mehr Zugriff auf die Körper hat die ihn tragen. Diese Entscheidung wird die nächsten Tage fallen müssen.”
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