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Demonstranten vor dem Gerichtssaal |
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Ein Mann hat zwei Kinder ermordet. Und dafür steht er vor Gericht. Er wird wegen Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung mit Todesfolge, schwerer sexueller Nötigung und Mordes in zwei Fällen zu lebenslänglicher Haft mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt.
Soweit die Fakten. Dahinter verbirgt sich ein, nein: mehrere menschliche Dramen. Eltern haben ihre Kinder verloren, Kinder ihr Leben. Ein Mann hat sich seine gesamte Zukunft verwirkt. Bleibt nur zu hoffen, dass er lange genug eingesperrt bleibt, damit sich der Volkszorn bis dahin legt und er nicht doch noch der (zwischen den Zeilen vieler Medien stumm gewünschten) Todesstrafe in Form von Lynchjustiz teilhaftig wird.
Die beiden Kinder sind tot, nichts und niemand wird sie wieder lebendig machen können. Weder die Einführung der Todesstrafe noch eine aufgestachelte Öffentlichkeit, die irgendwann mit Bürgerwehren präventiv potentielle Kinderschänder abgreift und an die Laternen knüpft.
Der Prozeß gegen den Kindermörder Marc Hoffmann markiert einen neuen Höhepunkt im Kanon der Vergeltungs-Schreier in unserem Land; regelmäßig wieder zu solchen traurigen Anlässen steigert sich das Crescendo des "gesunden Volksempfindens" in ungeahnte Höhen. Fakt ist aber auch: die Zahlen der Sexualverbrechen an Minderjährigen gehen seit Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Die Medien vermitteln allerdings ein anderes Bild.
Marc Hoffmann hat sich einer schrecklichen Tat schuldig gemacht, daran darf kein Zweifel bestehen. Kein Zweifel sollte allerdings auch daran bestehen, dass dieser Mann krank, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, ist. Ich weiß nicht, warum er diese Taten begangen hat - Machtgefühl gegenüber Schwächeren vielleicht, ein krankhafter Sexualtrieb eventuell. Ganz sicher ist er kein ordinärer, kaltblütig planender Krimineller oder der Träger eines der "Killergene", die die Bild-"Zeitung" regelmäßig ortet.
Mit dieser Erkenntnis einhergehend muss man sich auch die Frage stellen, inwiefern solch ein Täter überhaupt zu bestrafen ist. Die Öffentlichkeit muss vor diesem Mann geschützt werden, der Mann vor sich selbst. Ich weiß nicht, ob er kurierbar ist, niemand kann das vorher sagen. Im Zweifelsfalle sollte er sein Leben lang weggeschlossen werden - auch die allerkleinste Möglichkeit, dass er wieder rückfällig werden könnte, ist zu groß, um sie der Umwelt zuzumuten.
Äußerst fragwürdig ist, ob man mit "Aug' um Aug', Zahn um Zahn" auch nur einen Schritt in die richtige Richtung geht. Die Kinder bekommen ihr Leben nicht zurück, die Eltern ihre Kinder nicht, wenn man den Täter hinrichten, foltern oder büßen lassen würde. Die Tat ist geschehen; wichtig sollte nur noch die Frage sein, wie man in Zukunft Menschen besser schützen kann und gleichzeitig schon vor der finalen Tat eingreifen könnte, denn ein Mord steht meistens am Ende einer (unbehandelten) Sexualstraftäterkarriere.
Vorraussetzung wäre zunächst eine Versachlichung der ganzen Debatte: mit voyeuristischer, aufgehetzter Berichterstattung über "Monster", die sich obendrein noch am Leid der Hinterbliebenen delektiert, schafft man auf lange Sicht vielleicht neue Kategorien möglichst harter Knäste oder die Wiedereinführung der Todesstrafe, nicht aber eine absolut nötige Verbesserung des psychologischen und psychiatrischen Netzes, dass einzig und alleine in der Lage wäre, Kranke zu behandeln, bevor es zu ultimativen Taten kommt.
Niemand, der bei Trost ist, würde auf die Idee kommen, einem AIDS-Kranken zum Beispiel vorzuwerfen, durch die Infektion mit HIV persönlich schuldig geworden zu sein. Bei psychisch Kranken verwischen sich diese Kategorien allerdings beständig: Sei es ein Schizophrener, der im Wahn tötet, oder ein Sexualstraftäter, der mordet. Sofort sind die Medien zur Stelle und präsentieren ein "Monster", stacheln die Öffentlichkeit auf, die wiederum die Gerichte unter Druck setzt, ein möglichst "hartes" Urteil zu fällen. Hier kommt ein mittelalterlicher Racheglaube hoch, der nicht im Geringsten selbst auch nur mit modernen bürgerlichen Justiztheorien begründbar ist.
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© by BILD |
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Bild-Artikel |
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"Die fette Bestie", titelt die Bild-"Zeitung". Sicher, der Mann ist fett. Eine "Bestie" hingegen ist Hoffmann noch lange nicht - wir werden uns mit dem Gedanken abfinden müssen, dass auch er, egal, was er getan hat, zur Gattung Homo Sapiens gehört. Eine "Bestie" allerdings ist kein Mensch, sondern ein ganz besonders abartiges Tier. Der Schritt vom degradieren des Menschen zum Tier bis zur Anwendung un-menschlicher Methoden ist nicht weit: Wer erstmal durchs Raster der gemeinsamen Gattung fällt, braucht auch nicht mehr auf humanen Methoden zu hoffen. Den kann man vertilgen, ausmerzen, ausrotten oder vernichten, wie man dies mit tierischen Schädlingen eben so tut.
Für den "Spiegel" ist Hoffmann der "Täter ohne Reue". Die Strategie von Hoffmanns Verteidigung, ihn als psychisch krank hinzustellen, wird gerügt, denn dieser Mann gehöre nicht in die Psychiatrie: "
Im Vergleich zum ordinären Knast geht es da angenehmer zu". Wer dies schreibt, hat ganz augenscheinlich keine Ahnung. Im Knast wird der Körper weggesperrt. In der Forensik der Körper, und der Geist noch dazu - nicht wenige forensische Patienten, übrigens durchaus wie in regulären Gefängnissen in Zellen untergebracht, landen nach jahrzehntelanger Behandlung mit Medikamenten wie Haldol, die den Menschen zum schlafwandelnden Zombie machen, direkt in der hauseigenen Gerontoabteilung, aus der sie lebendig nicht mehr herauskommen. Eine Chance auf Freiheit, auch nur irgendwann in weiter Ferne, ist in der Psychiatrie keineswegs garantiert, ganz im Gegensatz zum Knast. Und wer dies schreibt, scheint obendrein noch dem Irrglauben anzuhängen, dass es irgendetwas ungeschehen machen könne, wenn es der Täter nur lange genug "unangenehm" hat.
Die Gesellschaft muss sich messen lassen an ihrem Umgang mit Extremfällen. Dies gilt in erster Linie und ganz besonders für Täter, die unverständliche, grausame, verwerfliche Taten begangen haben. Es geht nicht darum, jemanden wie Hoffmann reinzuwaschen oder schnell wieder freizulassen - für manche Menschen mag es das Beste sein, wenn sie lebenslänglich abgesondert werden.
Es geht vielmehr um ein zivilisatorisches Fundament: wer heute Rache und Vergeltung an Kranken fordert oder ihnen gar den Status Mensch abspricht, muss damit leben können, dass dies morgen wieder mit Andersdenkenden und übermorgen mit anders Aussehenden passiert. Wir bewegen uns auf dünnem Eis.