Vor dem Gesetz seien alle gleich, heißt es. Justitia, die "Göttin der Gerechtigkeit" und Sinnbild vieler deutscher Justizpaläste, wird deshalb gerne mit Waage und Augenbinde dargestellt: blind soll sie urteilen und sich nicht vom Ansehen und Gewicht einer Person beeinflussen lassen. Das ist das Ideal, sagt man.
Was ist die Wirklichkeit? Justitias Augenbinde ist eher eine Augenklappe. Man kann viele Geschichten erzählen über die deutsche Justiz, alte und neue. Ein Leitmotiv bleibt immer gleich: die Tendenziosität.
Unser Staat, die "wehrhafte Demokratie", wie sie in der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" definiert wird, soll die Fehler der Vergangenheit, in der sich die Demokratie selbst zugunsten einer faschistischen Diktatur eliminierte, nicht wiederholen. Dazu soll die harte Hand gehören, die "antidemokratische" Bestrebungen, von links wie von rechts, verhindert.
Die "wehrhafte Demokratie", mitbegründet von alten Faschisten, legte sich schon früh darauf fest, dass von links weitaus schlimmeres drohe als von rechts. Und ganz in diesem Sinne übt sich unsere Justiz in bewundernswerter Milde und Tolerenz, wenn es um alte und neue Nazis geht - es müssen erst Bomben fliegen und Deutschlands Ansehen in aller Welt gefährdet sein, bis sich die Herren Staatsanwälte bequemen, den Sachbestand "zu untersuchen" - bis es soweit kommt, werden den rechten Kohorten geradezu Rosen auf den Weg gestreut.
Links, dort wo der wahre "antidemokratische" Feind zu lauern scheint, wird präventiv zugeschlagen. Auf das erst gar nichts entstehe, was gefährlich werden könne, wurden in den fünfziger Jahren schon wieder Antifaschisten eingesperrt, wurden in den sechziger Jahren Studenten, die den Muff der Restauration nicht hinnehmen wollten, einer regelrechten Pogromstimmung ausgeliefert, wurden in der siebziger Jahren linke und kritische angehende Beamte und Staatsangestellte durch die "Berufsverbote" - ein Wort übrigens, dass auf deutsch in viele europäische Sprachen übernommen wurde, weil es kein eigenes dafür gab - zu zigtausenden ins berufliche Aus gedrängt, werden auch heute unvermindert Antifaschisten kriminalisiert, bespitzelt und verfolgt. Dazu reichen in der Regel die falschen Flugblätter oder Plakate.
Man kann viel erzählen. Von den Nazidemonstrationen mit einigen hundert Teilnehmern zum Beispiel, die von tausenden Polizisten vor zehntausenden Gegendemonstranten geschützt werden, damit sie unbehelligt ihren dumpfen Hass herausbrüllen können. Oder vom kläglichen Versuch, eine Partei zu verbieten, die ganz eindeutig kriminell ist - dies kann man erkennen, ohne so viele Spitzel einzuschleusen, bis jedes siebte Mitglied vom Verfassungsschutz gestellt wird.
Oder auch diese beiden wahren Geschichten aus der Bundesrepublik Deutschland:
Im Jahr 1946 wurde die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes", kurz VVN, gegründet. Im Komitee saßen zwei Vertreter der KPD, zwei Vertreter der SPD, ein Verteter für die CDU,das Zentrum, die FDP und die jüdische Gemeinde. Ziel der Organisation sollten neben dem Gedenken an die Opfer und Verbrechen des gerade überwundenen Faschismus auch die Aufgabe sein, derartiges in Zukunft zu verhindern.
So war es nur konsequent, dass die VVN schnell in der neuen Bundesrepublik aneckte und für Unmut sorgte: mitten in der Phase der Restauration, in der viele alte hochrangige Nazis ihre Karriere nahezu nahtlos fotsetzen konnten, durchbrachen die Antifaschisten den lähmenden Konsens des Schweigens und enttarnten alte Faschisten in neuen Ämtern. Den ehemaligen Kommentator der "Nürnberger Rassegesetze" Globke zum Beispiel, der längst als Adenauers Staatssekretär in neuen Würden war.
Mit dem Vorwurf, "kommunistisch unterwandert" zu sein, sollte die mißliebigen Organisation zum Schweigen gebracht werden; 1962 begann ein in aller Welt beachteter Verbotsprozeß. Die demokratische Bundesrepublik stellte einen Antrag auf Verbot einer antifaschistischen Organisation, die sich mehrheitlich aus ehemaligen KZ-Häftlingen, Opfern von Deportationen, Folterungen und anderen Verbrechen der Nazis zusammensetzte.
Der vorsitzende Richter des Prozesses ist ausgerechnet ein ehemaliges SA- und NSDAP-Mitglied; er saß schon während des Faschismus über Antifaschisten zu Gericht. Dieser öffentlichkeitswirksam enthüllte Skandal und die breite Solidarität aus der Bevölkerung und der internationalen Öffentlichkeit erreicht schließlich den Stopp des Prozesses; die VVN kann weiter offen auftreten. Der Prozeß wird "vertagt" - und "vertagt" ist er bis heute, über 40 Jahre später.
Die VVN, heute, nach dem Zusammenschluß mit dem "Bund der Antifaschisten" aus der ehemaligen DDR "VVN-BdA", ist bis heute nicht rechtskräftig verurteilt. Dennoch wird sie kriminalisiert, wird nach wie vor vom Verfassungsschutz bespitzelt und wird in jedem Verfassungsschutzbericht aufgeführt, als "linksradikal" und als eine "kommunistische Vorfeldorganisation".
Ganz anders ergeht es einem Blatt nahmens "Junge Freiheit", untertitelt mit "Wochenzeitung für Politik und Kultur aus Berlin". Die Postille wurde 1986 gegründet und machte sich zügig bemerkbar durch eine unverfrorene, aber äußerst geschickte Laviererei am rechtesten Rand zwischen Nationalkonservativen und offenen Faschisten. Anfangs ein DIN-A-5-Heftchen, dass alle zwei Monate erschien, liegt die Auflage der Zeitung heute nach eigenen Angaben bei über 30.000 und hat eine wöchentliche Erscheinungsweise.
Ein Überblick der regelmäßigen Autoren der "JF" ließt sich wie das who's who des deutschen Rechtsxtremismus, Vertreter beinahe aller bekannten Organisationen des faschistischen Lagers sind dort anzutreffen.
Andererseits konnte die "JF" immer auch "seriöse" Politiker des rechtesten Spektrums bürgerlicher Parteien für sich gewinnen, so zum Beispiel den ehemaligen Bundesstaatsanwalt Alexander von Stahl aus dem nationalliberalen Flügel der FDP oder den CDU-Rechtsaußen Lummer, früher Berliner Innensenator. Diese bunte Mischung aus offenen Faschisten und "honorigen" Personen des bürgerlichen Spektrums ermöglichte es der "JF", sich als Theorieorgan in der Schnittstelle der "Neuen Rechten", Vermittler und Vordenker zwischen alten Nazis und neuen Rechtskonservativen, durchzusetzen.
Im Blatt finden sich neben ausführlichen Darstellungen z.B. des "Leuchter-Reports", in dem offen der Charakter des KZ Auschwitz als Vernichtungslager geleugnet wird, muntere "wir-sind-wieder-wer"-Artikel über Deutschlands neue Gloria und Diskurse über die Theoreme alter Nazi-Wegbereiter aus der Weimarer Republik; Faschisten wie Alain de Benoist sind feste Mitarbeiter und publizieren ihre Bücher in der "Edition Junge Freiheit".
Dies brachte die "Junge Freiheit" zehn Jahre lang in den Verfassungsschutzbericht. Eine Episode nur in der Geschichte der Zeitung, denn laut einem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (!) darf diese Zeitung nicht mehr "rechtsextrem" genannt werden und auch nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Begründung:
Potenzielle Leser könnten davon abgehalten werden, die Zeitung zu erwerben. Es sei auch "nicht unwahrscheinlich", dass Inserenten, Journalisten oder Leserbriefschreiber deshalb die Zeitung boykottieren.Man kann sich ein Nachwort dazu sparen, diese beiden Geschichten sprechen für sich. Strafbar macht sich hierzulande der Antifaschist, der den Faschisten einen "Faschisten" nennt.
Nun denn.
Die "Junge Freiheit" ist RECHTSEXTREM, daran ändern auch die höchsten deutschen Gerichte nichts. Und wer aufhört, Nazis auch als solche zu titulieren und zu bekämpfen, weil eine willfährige Justiz ihnen den Weg freimacht, wird eines Tages böse erwachen.
Ich habe gerade gegen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstoßen. Verurteilt mich. Hierzulande ist es eine Auszeichnung.