Wie begründet ist die neuerliche Stasi-Hysterie tatsächlich? Ober besser, mit Cicero auf den Grund der Aufregung eingehend gefragt: Cui bono? Wobei, wem sie nützen soll, darüber gibt es keine Zweifel. Man braucht nur die Brandenburger CDU-Abgeordnete Barbara Richstein zu zitieren, die von der "rot-roten Pest" sprach, die es "aus dem Landtag zu treiben" gelte. Das ist Hetzjagd von der übelsten Art. Und die ist gedanklich nah am faschistoiden Kummer eines einst führenden sächsischen CDU-lers, der, ich zitiere frei, vor vielen Jahren schon gemeint hatte, dass ein paar an Laternen Aufgeknüpfte möglicherweise geholfen hätten, das ganze Theater mit den SED-Nachfolgern zu verhindern.
Nun sind sie aber da. Und wie. In Thüringen und im Saarland von der CDU zwar gerade noch einmal vom Regierungstisch verdrängt - mit Hilfe einer SPD, die sich für nichts mehr zu schade ist. Nun der Brandenburger Platzeck ließ sich auch mit den süßesten Versprechungen nicht von der CDU locken (Erinnerungen an Manfred Stolpes Probleme wirken da gewiss nach). Brauchte er allerdings auch nicht, der Ministerpräsidentenposten war ihm und der SPD eh sicher. Und die Partei "Die Linke" war so was von gierig nach Regierungsbeteiligung, dass sie sogar einen Koalitionsvertrag mit der SPD unterzeichnete, dessen Kernpunkt der Abbau jedes fünften Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst ist. Ob sich eine CDU-Regierung, die auf weniger Rücksicht der Gewerkschaftsbosse rechnen kann, das gewagt hätte?
Dennoch kam aus den Reihen der CDU-FDP-Opposition fix mal der Ruf nach Neuwahlen, weil das Land mit sieben "stasibelasteten" linken Fraktionsmitgliedern nicht regierbar sei! Lassen wir den populistischen Firlefanz beiseite, auch das mit den Neuwahlen dürfte sich für die Schreihälse als Eigentor entpuppen. Einer Meinungsumfrage von Infratest dimap zufolge hätte die SPD/Linke-Koalition mit 54 Prozent weiterhin eine deutliche Mehrheit. Neuwahlen nützen der Brandenburgischen Opposition also nicht. Worum geht es dann? Vor allem um Ablenkung vom furiosen Fehlstart der neuen schwarz-gelben Bundesregierung, die nicht einmal ihre eigenen Ministerpräsidenten von ihrer Steuerpolitik überzeugen kann, die - kriegsversessen - schon den ersten Minister auswechseln musste. Und und und.
Solange die Partei "Die Linke" über jedes Stöckchen springt ...War es in den zurückliegenden 20 Jahren nicht immer so, dass, wenn etwas schief lief im Staate, die Stasi-Keule geschwungen wurde? Auf das ostdeutsche Protektorat ist da Verlass, vor allem solange es Gaucks und Birthlers gibt - und eine LINKE, die getreulich über jedes ihr hingehaltene Stöckchen springt. Ihre Entschuldigungsorgien, ihre opportunistische, ja antikommunistisch ausufernde Distanziererei von der DDR-Vergangenheit hat die peinlichsten Blüten getrieben. Schlimmer, bei diesem Thema übernimmt sie mitunter schamlos die Argumentation der Gegenseite. Das erste namhafte Opfer der MfS-Aufarbeitungswütigen war ihr Berliner PDS-Landesvorsitzender Wolfram Adolphi, er musste auf Geheiß seiner Genossen zudem sein Abgeordnetenmandat niederlegen. Als Fernost-Korrespondent hatte er Kontakt zur Auslandsaufklärung der DDR - so wie Westkorrespondenten mit ihren Diensten zusammenarbeiteten; ich kenne einige konkrete Fälle. Natürlich kommt niemand auf die Idee, denen Bürgerrechte abzusprechen. Außerdem, wo ist eigentlich die frühe Forderung der PDS nach einer repressionsarmen Gesellschaft, einer Gesellschaft ohne Geheimdienste und Spitzelsysteme geblieben? Noch ein Opfer auf dem Altar von möglichen Machtbeteiligungen?
Höhepunkt, oder besser Tiefpunkt, war dann die Forderung an Christel Wegner, sie solle ihr Landtags-Mandat niederlegen. Pardon, aber mir fällt kein anderes Wort ein, rotzfrech quatschten führende Funktionäre der Linkspartei unkontrolliert nach, die DKP-Frau hätte sich in jenem inkriminierenden Fernsehinterview die Stasi zurückgewünscht. Was ja nachweislich nicht einmal geschehen ist. Die Stimmen der DKP-Wähler sind der Linkspartei natürlich willkommen, ebenso wie die von IM oder ehemaliger MfS-Mitarbeiter. Dafür gibt es manchmal sogar ein nettes Wort. Ansonsten aber haben sie sich zu verkriechen.
Das unklare Verhältnis der Linkspartei zum MfS ist allerdings nur eine Folge ihres ebenso unklaren Verhältnisses zur DDR. Bitter, ja todernst wird es, wenn der Name Gerhard Riege fällt. Der PDS-Bundestagsabgeordnete und Nach-Wende-Rektor der Universität in Jena hatte sich am 15. Februar 1992 das Leben genommen. Seine Kontakte zum MfS zwischen 1954 und 1960 hatten zu unwürdigen Angriffen auch aus den eigenen Reihen geführt. Ehe er sich in seiner Laube erhängte schrieb er: "Mir fehlt die Kraft zum Kämpfen und zum Leben. Sie ist mir mit der neuen Freiheit genommen worden. Ich habe Angst vor der Öffentlichkeit, wie sie von Medien geschaffen wird und gegen die ich mich nicht wehren kann. Ich habe Angst vor dem Hass, der mir im Bundestag entgegenschlägt, aus Mündern und Augen und Haltung von Leuten, die vielleicht nicht einmal ahnen, wie unmoralisch und erbarmungslos das System ist, dem sie sich verschrieben haben. Sie werden den Sieg über uns voll auskosten. Nur die vollständige Hinrichtung ihres Gegners gestattet es ihnen, die Geschichte umzuschreiben und von allen braunen und schwarzen Flecken zu reinigen".
Wer daraus die Konsequenz zog und über seine Vergangenheit schwieg, tat Recht. Hetzjagden muss man sich nicht freiwillig ausliefern. Zudem, warum soll eine Schweigeverpflichtung nicht über das Ende der DDR hinaus gelten?
Und die Betroffenen? Defensive überwiegt!Womit wir bei den Betroffenen selber wären, aktuell sieben Mitgliedern der Brandenburger Linksfraktion. Fast alle, die bisher die Kraft aufbrachten, sich in das harte politische Geschäft zu stürzen, verhielten sich jämmerlich, kaum dass ein IM-Vorwurf laut wurde: "Ich hab das nicht freiwillig gemacht." "Ich habe niemandem geschadet". "Ich wurde unwissentlich abgeschöpft". "Die Akten darf man nicht so genau nehmen, die Führungsoffiziere haben manches aufgeschrieben, um sich zu bestätigen". - Letztes "Argument" steuerte doch tatsächlich die Fraktionschefin Kerstin Kaiser selber bei.
Zwei Brandenburger, die ihre MfS-Kontakte nicht freiwillig öffentlich gemacht hatten, wie es ihnen die Partei abverlangt (und es die anderen getan hatten), sorgten für besondere Aufregung. Renate Adolph legte ihr Mandat bereits nieder. Gerd-Rüdiger Hoffmann trat aus der Fraktion aus (das Mandat lässt er sich nicht nehmen), denn: "Das Fehlen von Solidarität und rechtsstaatlicher Toleranz mir gegenüber und die offensichtliche Änderung der Auffassung der Fraktionsführung zum Umgang mit DDR-Lebensläufen unter den Bedingungen der Mitwirkung an einer Landesregierung, zwingen mich zu diesem weitgehenden und für mich persönlich schweren Schritt". Wenigstens einer, der deutlich sagt, wo der Hammer hängt. Aber sonst? Ein bisschen viel Defensive. Sicher, auch das ist menschlich. Schließlich geht es um finanzielle Absicherung, um soziale Sicherheit, bei dem einen oder anderen mag - womöglich gerechtfertigt - schlechtes Gewissen mitspielen. Dennoch, darf diese Pogromstimmung hingenommen werden? Muss sich einer, der helfen wollte, den Sozialismus zu verteidigen, Sauereien wie "bluttriefende Fratze der Vergangenheit"? bieten lassen? SPD-Fraktionschef Woidke immerhin verwahrte sich gegen die von der CDU veranstaltete Treibjagd, sprach von "sozialer Liquidierung". Das ist einerseits kollegial, anderseits geht es natürlich um den Fortbestand der Koalition, die CDU und FDP so gerne gesprengt sähen. Ministerpräsident Platzeck weiß nicht so recht, er verteidigt, verurteilt, spricht vom Recht, sich neu zu bewähren und Schuld abzutragen, von tätiger Reue, vom schweren Schaden für die Linkspartei.
Wer sich zu Kreuze kriechend in die Verbrecher-Schublade stecken lässt, hat womöglich doch nicht genug politische Standfestigkeit, um Volksvertreter zu sein. Um diesem Kaliber auch moralisch gerecht zu werden, müsste man aufrecht bekennen: "Das war mein Staat. Der hat gewiss nicht immer das Beste gemacht. Aber das tut die BRD noch viel weniger. Mein Staat war in seinen Grundzügen sozialistisch, er hat keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zugelassen, er hat uns allen Bildung garantiert, Gesundheit, Arbeit, Antifaschismus und vor allem auch Frieden. Dafür stand ich ein. Und natürlich für einen besseren, gerechteren, tatsächlich demokratischen Sozialismus. Der Kapitalismus mit seiner Barbarei war und ist für mich keine Alternative. In der DDR haben wir gelernt, dass der Stärkere für den Schwächeren da sein muss. Nur darum engagiere ich mich auch heute in diesem ungeliebten System wieder politisch. Kein Mensch hat das Recht, mein Denken und Fühlen in der DDR und für die DDR zu kriminalisieren."
Natürlich wird einer, der sich so couragiert artikuliert, erst recht zur öffentlichen Hinrichtung geführt. Aber er kann wenigstens in den Spiegel schauen.