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Wenn Zeitzeugen für geschichtsträchtige Ereignisse im Oktober 1949 gesucht werden, dann darf ich mich ohne jede Anmaßung melden. Mein Vater, Prof. Peter Alfons Steiniger, hat als Sekretär des von Otto Grotewohl geleiteten Verfassungsausschusses des Deutschen Volksrates, der aus allgemeinen Wahlen zum III. Deutschen Volkskongress hervorgegangen war, den Text der ersten Verfassung der DDR weitgehend in unserer Westberliner Wohnung am Botanischen Garten geschrieben. Er gehörte auch zu den 400 Mitgliedern der Provisorischen Volkskammer der DDR, die sich im Oktober 1949 konstituierte. Es handelte sich um das Gründungsparlament des ersten und einzigen Friedensstaates in der deutschen Geschichte.

Ich selbst saß am 11. Oktober, als der Kommunist Wilhelm Pieck — ein untadeliger Arbeiterführer — zum Präsidenten der DDR gewählt wurde, als Gymnasiast und junges Mitglied der SED, der ich im Jahr zuvor an meinem 16. Geburtstag in Westberlin beigetreten war, im Zuschauerraum des großen Saales. Dieser befand sich im späteren Haus der Ministerien. Das von einer wechselvollen Geschichte zeugende Gebäude hatte bis 1945 Görings Reichsluftfahrtministerium gedient. Seit dem Anschluss der DDR an die BRD ist nun der größte Defizitverwalter den man sich vorstellen kann der Hausherr: das Bundesfinanzministerium.

Größte Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse

[file-periodicals#75]Als ich damals die Reden der Sprecher aller Volkskammerfraktionen — mein Vater gehörte zu der des Kulturbunds — vernahm, war ich zwar emotional aufgeladen, jedoch mir der Größe des historischen Augenblicks noch nicht bewusst. Im Oktober 1949 entstand jener Staat, der dem Kapital für 40 Jahre in einem Drittel Deutschlands die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum entziehen sollte. Darauf beruht der von uns MarxistenLeninisten vertretene Anspruch, dass die DDR — trotz ihrer unleugbaren Defizite und ungeachtet des Debakels am Ende — die größte Errungenschaft in der Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, ja sogar in der nationalen Gesamtbilanz darstellt. Allein darauf gründet sich auch der Hass ihrer Feinde.

Ich weiß: Nicht jeder der links steht, teilt aufgrund fehlenden Überblicks oder ungenügender Sachkenntnis diesen glasklaren Standpunkt. Ich verstehe das natürlich. Wenn aber Leute, die sich als Kommunisten betrachten, in dieser Frage einknicken, dann ist das ein echter Mangel. Ich erinnere mich an die Worte eines Genossen — er gehörte damals sogar dem Sekretariat des PV der DKP an und trägt auch heute noch Verantwortung — der 1994 auf einer Ostberliner Parteiversammlung zur allgemeinen Verblüffung erklärte, er rechne sich zu jenen, die nicht wegen sondern trotz der DDR in die DKP eingetreten seien. Und ein anderer noch bekannterer Funktionär sagte damals, es sei in der DDR „ja nicht alles schlecht gewesen". Er denke zum Beispiel an die billigen Mieten und die gut ausgestatteten Kindergärten. An Macht und Eigentum dachte er wohl weniger. Der Fairness halber sei gesagt: Vielleicht ist ja der inzwischen eingetretene Erkenntniszugewinn beider Genossen beträchtlich, so dass sich die Sache erledigt hat.

Bedeutung für das westdeutsche Proletariat

Doch was vermochte die DDR — im Bunde mit den zunächst intakten anderen Staaten des Warschauer Vertrages und des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, besonders aber der Sowjetunion — tatsächlich zu bewirken?

Als die Phalanx der sozialistischen Staaten noch politisch und militärisch für Frieden in Europa zu sorgen vermochte, war auch die BRD in keinerlei aggressive Abenteuer verwickelt. Selbst ein so geschworener Reaktionär wie Helmut Kohl wagte es nicht, an diesem Grundsatz damaliger bundesdeutscher Außenpolitik zu rütteln. Es blieb dem Konzerngewährsmann mit SPD-Parteibuch Gerhard Schröder und seinem ehemals grünen Außenminister Joseph Fischer vorbehalten, mit der Beteiligung am Überfall auf Jugoslawien, die auch zwischen DDR und BRD vereinbarte Maxime „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen" aufzukündigen und damit jene Ära einzuleiten, in der die Bundesrepublik trotz Jungscher und Merkelscher Friedensheuchelei längst zu einer kriegerische Gewalt exportierenden, aggressiven Macht geworden ist.

Was die DDR innenpolitisch für sie bedeutete, haben die meisten westdeutschen Arbeiter und Normalverdiener trotz des deutlichen Hinweises Durchblick besitzender Gewerkschaftsführer, die schon damals auf den unsichtbaren dritten Verhandlungspartner bei Tarifabschlüssen hinwiesen, in jener Zeit noch nicht begriffen. Die Wirksamkeit umfassender sozialer Absicherungen bei auskömmlichen Löhnen und Abwesenheit von Arbeits- und Obdachlosigkeit — das Markenzeichen der DDR — zwang das deutsche Kapital zu nie zuvor eingeräumten Zugeständnissen. Das auf den Osten gerichtete kapitalistische Schaufenster wurde 1989/90 dicht gemacht. Die den Unternehmern dank der DDR-Existenz oder im harten gewerkschaftlichen Kampf abgetrotzten Rechte der westdeutschen Werktätigen erachtete man nun als überflüssig. Die Rückkehr zur extrem arbeiterfeindlichen Daumenschraubenpolitik, die man unfreiwilligerweise zeitweilig hatte einschränken müssen, stand auf dem Programm. Die Liquidierung der DDRErrungenschaften und der Anschluss des zweiten deutschen Staates an die BRD waren so auch für die Werktätigen im Westen ein schwerer Schlag.

Einverleibung war Konterrevolution

Damals hat auf dem Territorium der DDR eine vom Staat der deutschen Monopole und von den anderen imperialistischen Mächten ausgehende und vorangetriebene Konterrevolution stattgefunden. Obwohl auch Blut — z. B. das zahlreicher in den Freitod getriebener, aufrechter Kommunisten und Sozialisten der DDR — geflossen ist, handelte es sich insgesamt um einen unblutigen und scheinbar gewaltfreien Verlauf. Worin bestand dann aber der konterrevolutionäre Vorgang? Er zeigte sich in der Zerschlagung einer auf dem Volkseigentum und der Volksmacht beruhenden fortschrittlichen Gesellschaftsordnung und deren Ersetzung durch ein auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhendes bereits überlebtes System. Die Ersetzung des Sozialismus durch den schon überwunden gewesenen Kapitalismus ist aus marxistischer Sicht der Rückfall in eine frühere Gesellschaftsformation. Die Beseitigung der Herrschaft von Kapitalisten und Gutsbesitzern sowie die Ausschaltung der politischen Macht sie repräsentierender Parteien, die Vergesellschaftung der entscheidenden Volkswirtschaftszweige war ohne Zweifel ein revolutionärer Akt — die Rückverwandlung des Neuen in das Alte aber eine Konterrevolution.

Dazu gehört auch die entsprechende Ideologie, welche vor allem von den mit der Gehirnwäsche beauftragten Medien — sie bilden selbst eine monopolartige Struktur — umfassend besorgt wird. In den meisten Fällen erfolgt der Austausch von Erkenntnissen durch Wissensvernichtung oder -entzug, aber auch durch systematische Vorenthaltung wesentlicher Informationen. Wenn das Kapital der BRD 20 Jahre nach der konzeptionslos-verräterischen Öffnung der gesicherten DDR-Staatsgrenze durch Schabowski und Co — sie trennte bekanntlich nicht nur zwei gegensätzliche Staaten auf deutschem Boden, sondern auch zwei einander feindlich gegenüberstehende Weltsysteme — und 19 Jahre nach dem Einmarsch der Bundeswehr in den „befreiten" Osten sein hasserfülltes Trommelfeuer auf die angebliche, politische Leiche DDR noch immer nicht eingestellt hat, dann spricht das Bände. Es beweist die zwar verringerte, aber dem Wesen nach ungebrochene Strahlkraft des guten der beiden deutschen Staaten. Dessen Vermächtnis ist heute lebendiger als vor zwei Jahrzehnten. Das Triumphgebrüll der temporären Sieger, die das schlechte Deutschland des nach einer neuen Weltmachtrolle gierenden Imperialismus verkörpern, erinnert an den von Furcht gepackten Mann, der laut singend durch den Wald läuft, um die Wölfe zu verscheuchen.

Vor 60 Jahren wurde die DDR gegründet. Ich hatte das Privileg, in ihrer Geburtsstunde mit dabei zu sein. Seit 1998 leite ich nun eine T&P freundschaftlich verbundene Zeitschrift, den „RotFuchs", der der Sache der DDR — ohne jeden Anflug rückwärtsgewandter Nostalgie, aber voller Stolz auf das Geleistete — die Treue hält.


 
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  Kommentar zum Artikel von Thomas: Webseite
Montag, 02.11.2009 - 13:38

Ein sehr interessanter und wahrer Beitrag, welcher erklärend und nicht verklärend ist. Wobei, die Ursachen des Unterganges der DDR auch eigenen Defizit geschuldet war, welche nicht im Sinne des Sozialismus gelöst werden konnten, weil es schlichtweg keine politische Kraft im Lande gab, welche dazu in der Lage gewesen wäre. So konnte letztendlich berechtigter Widerstand von der gegnerischen Seite vereinnahmt werden und gegen die DDR Instrumentalisiert werden. Meines Erachtens ist dieses noch ein weites Feld, welches in jedem Fall zu bearbeiten ist.