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David R. L. Litchfield verfasste ein Werk über die Familie Thyssen von Gründung des Thyssen-Konzerns bis zur Zerschlagung desselben. Litchfield hat viele interessante Informationen über die Thyssens und damit über das deutsche Kapital zusammengetragen.

Schon bei der Gründung des ersten Thyssen-Werks 1870 verband August Thyssen Geldgier, Raffinesse, Austricksen seines ersten Geschäftspartners und Schwagers und Ausschaltung der Konkurrenz mit Geldbeschaffung durch Heirat. So verschwieg er seinem Schwager, dass er ein eigenes Walzwerk gründen wollte. Die Firma Bechem & Keetman in Duisburg musste Maschinen für ihn exklusiv produzieren. In der Umgebung von Duisburg erhielt außer August Thyssen niemand mehr Maschinen für ein Walzwerk.

Für die Arbeiter des Thyssenwerks galt die Regel Zuckerbrot und Peitsche. "Augusts Erwartungen an seine Arbeiter waren ebenso schlicht wie direkt. Sie sollten sich an die Vorschriften halten, hart arbeiten, weder Zeit noch Material vergeuden und so viel wie möglich produzieren ... Die Meister sollten sich eher als Subunternehmer denn als Aufseher oder Abteilungsleiter verstehen."

"Die Arbeiter ... steckten in der Falle der Thyssenpolitik: Ihnen wurde alles vom Arbeitgeber vor Ort zur Verfügung gestellt - Geschäfte, Badehäuser, Kantine und Wohnung. Für andere Bedürfnisse blieb keine Zeit." (Zitat aus: David Litchfield, "Die Thyssen-Dynastie") Entlassungen gab es wegen Kleinigkeiten. 1928 sperrten die Thyssen-Brüder Fritz und Heinrich 225 000 Arbeiter einen Monat lang aus. Über 67 000 Werkswohnungen wurde Druck auf die Arbeiter ausgeübt, die Regierung erpresst mit der Drohung von Entlassungen.

Die Thyssen-Bilanz für 1912 bezifferte den Konzernwert auf 562.153.182 Reichsmark. Vor und während des 1. Weltkriegs gab es enge Zusammenarbeit zwischen Thyssen und der Kaiserregierung. Zu August Thyssens Freunden gehörte Hjalmar Schacht, der spätere Wirtschaftsminister Hitlers. Thyssens Rüstungsproduktion für Deutschland nahm zu, 1918 produzierte praktisch der gesamte Konzern für den Krieg. Firmengründungen in den Niederlanden sicherten Thyssen-Vermögen, falls der Krieg verloren ginge. Außerdem wurde mit Trick über die Thyssen eigene Bank voor Handel en Scheepvaart NV Vermögen gerettet. Unter zu Hilfenahme der ungarischen Staatsbürgerschaft des Thyssen-Sohns Heinrich Thyssen-Bornemisza mit Wohnsitz in den Niederlanden, wurde das Thyssen-Vermögen vor der Beschlagnahmung durch die Alliierten gerettet, auch nach 1945. Heinrich Thyssen hatte die Tochter des ungarischen Barons Bornemisza geheiratet und sich gleichzeitig von ihm adoptieren lassen, um den Barontitel zu erhalten.

1923 kam es zum ersten Kontakt zu Hitler, Fritz Thyssen wurde in die Putschpläne eingeweiht. Fritz spendete hunderttausend Goldmark für die NSDAP. Ihm gefiel, dass Hitler mit der Arbeiterbewegung Schluss machen wollte. Anfang der 40er Jahre gab Fritz Thyssen zu, der Nazi-Partei in zwölf Jahren 62 Millionen Reichsmark gespendet zu haben. Göring gehörte zu seinen Freunden. 1933 trat Fritz Thyssen in die NSDAP ein, seine Frau Amelie schon vorher.

Steuerhinterziehungen waren ein wichtiges Geschäftsprinzip der Thyssens. Von 1919 bis 1939 gab es fortlaufend Ermittlungen der Finanzbehörden. 1939 konnte die Oberfinanzdirektion Düsseldorf Fritz Thyssen Steuerhinterziehung und unerlaubte Devisengeschäfte nachweisen, die Hitler zum Kapitalverbrechen erklärt hatte. Aus Angst setzte sich Fritz am 1. September 1939 in die Schweiz ab, anschließend nach Frankreich. Sein gesamtes Eigentum wurde von Göring unter die Treuhänderschaft des Landes Preußen gestellt und von gemeinsamen Freunden und Geschäftspartnern geleitet. Also nicht Gegnerschaft zu Hitler oder der Judenverfolgung führten zur Verfolgung Fritz Thyssens, sondern das Wirtschaften in den eigenen Geldbeutel. Ab den 30er Jahren verdienten die Thyssens wieder Geld durch Rüstungsproduktion, begannen aber gleichzeitig wie August im Ersten Weltkrieg, ihr Vermögen abzusichern z. B. in den USA und in Südamerika. Die August-Thyssen-Hütte hatte neun Kriegsgefangenenlager, siebzehn Lager für Zwangsarbeiter. Heinrich Thyssen lebte in der Schweiz, steuerte von dort die Geschäfte seiner Firmen, machte Geschäfte mit den Nazis, aber nicht in der Öffentlichkeit. Ab 1941 zog er seinen Sohn Heini zu den Besprechungen in der Schweiz mit den Managern seiner Unternehmen hinzu, an denen manchmal auch Freiherr v. Schröder vom Nazi-Bankhaus Stein in Köln teilnahm, Treuhänder von Fritz´ konfiszierten Industrieaktien.

Die schändlichste Geschichte, in die Angehörige der Thyssenfamilie verwickelt waren, ist die Ermordung von 200 Juden auf Schloss Rechnitz, wo die älteste Tochter Heinrich Thyssens lebte, Margit Batthyany geb. Thyssen-Bornemisza mit ihrem Mann Graf Batthyany, bei ihnen hochrangige Nazis und SS-Offiziere. In der Nacht vom 24. März 1945 ging der Ortsgruppenführer Podezin, Mitarbeiter der Gestapo, im Rahmen einer Party des Paares Batthyany mit Gästen Juden erschießen. 200 halbverhungerte für arbeitsuntauglich erklärte Juden waren die Opfer. Ortsansässige erzählten, dass Podezin häufiger Juden erschoss, die er vorher im Keller des Schlosses einsperrte. Die Gräfin hatte gerne dabei zugesehen. Nach dem Krieg wollten weder Margit noch andere Mitglieder der Thyssen-Familie etwas davon wissen, sie wurden auch nicht zur Rechenschaft gezogen.

Viele Fakten trug Litchfield auch über das Verhalten von Amerikanern und Briten gegenüber den Thyssens zusammen. Aus Furcht vor den Kommunisten wurde den Thyssens innerhalb weniger Jahre gestattet, wieder über ihr gesamtes Vermögen, Fabriken, Aktien, Gold, zu verfügen, trotz ihrer Rolle im Dritten Reich.

Nach 1945 gab Heinrich Thyssen seine Funktion in der Thyssen-Bornemisza-Group in die Hände seines Sohnes Heini Thyssen. Dieser hat sich nur wenig um den Konzern gekümmert. Mehr Zeit verbrachte er mit der Verteilung des Vermögens. Im Übrigen gab er sich mit Frauen der Schickeria ab und mit Alkoholexzessen. Als Vermögensanlage hat er Hunderte von Kunstwerken gekauft, die zunächst in der Villa seines Vaters in der Schweiz ausgestellt und gelagert wurden. August Thyssen hatte mit Werken Rodins die Kunstsammlung als Geldanlage begründet. Heinrich Thyssen setzte den Kauf von Kunstwerken fort unter anderem aus jüdischen Sammlungen. Als Heini merkte, dass der Unterhalt der Sammlung viel Geld kostete, suchte er seine Sammlung anderweitig unterzubringen. Dafür setzte er seinen Geschäftssinn und seine Beziehungen ein und schaffte es, etwa die Hälfte der Kunstwerke an den spanischen Staat erst zu verleihen für fünf Millionen Dollar pro Jahr, zahlbar steuerfrei außerhalb Spaniens, und nach zwei Jahren für 350 Millionen Dollar an Spanien zu verkaufen. Der spanische Staat übernahm alle Kosten für die Nutzung der Thyssen-Bilder als öffentliche Kunstausstellung.

Die hier zusammengefassten Fakten sind nur ein kleiner Ausschnitt der von Litchfield akribisch zusammengetragenen unzähligen Daten, die die Profitgier und die Verkommenheit der Thyssens beweisen. Das über 500 Seiten dicke Buch ist spannend zu lesen, der Teil über Heini Thyssen zieht sich etwas hin.

 
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