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Wenn es mich nach Kneipe gelüstet, geh ich gern in die Bar Sa Fabrica. Die gestylten Bars in der Fußgängerzone mag ich nicht, und ihre Gäste, die deutschen, englischen, französischen Schnösels noch weniger. An dem Publikum kann für mich eine Freundschaft zerbrechen. So ging es mir mit dem Wirt einer Bar, der diese, die einmal schön und einfach gewesen war, und deren Kundschaft die Nachbarn gewesen waren, so lange aufpeppte, bis die Nachbarn verschwunden waren und die Schickeria sich breit gemacht hatte. "Ach wie authentisch", schwärmten die Schnösel, gerade als das Etablissement gründlich touristisch prostituiert war, "wann kommt denn der Saxofonspieler wieder, der früher bei Pink Floyd gespielt hat?" Der kam wohl ab und zu, ich aber nicht mehr. Ich verstand schon, dass ein Wirt Umsatz machen muss, aber es verdross mich trotzdem, mit wem er ihn machte.

Sa Fabrica ist anders. Da kommen während der Woche die Malocher zum menu del dia und trinken abends ihr Feierabendbier, am Sonntagnachmittag die Arbeiter-Familien, die sich auch einmal einen kleinen Luxus gönnen - eine Tüte Kartoffelchips und Limonade für die Kinder, Bouletten zwischen Gummibrot mit Senf und Ketchup, Pommes und Sobrasada (eine Wurst, die man nicht unbedingt gekostet haben muss) für alle, für die Mama paar Longdrinks und für Papa paar San Miguel, aber grande, weil Sonntag ist. Aus der unvermeidlichen Glotze schreien irgendwelche Popsternchen, verrenken ihre Ärsche in offensichtlicher, aber merkwürdiger, Animationsabsicht. Der Jaume von der Stadtreinigung, den ich vom Grüssen kenn, hofft am Spielautomaten auf die große Serie, die nie kommt. Am Tresen sitzen Singles, weibliche und männliche, jünger noch, aber schon in höchst heiratswürdigem Alter, fesch herausgeputzt, und gucken nach der Frau, dem Mann ihres Lebens, nun ja, mit etwas weniger wären sie wohl auch schon zufrieden. Man sieht den Händen, den Gesichtern, der Art, wie sie sich bewegen an, dass sie schon viel gearbeitet haben. Kaum einer von ihnen wird wissen, was eigentlich in ihnen steckt, was aus ihr und ihm hätte herauskommen können, wenn die Verhältnisse anders wären, wenn nicht der drückende Job, die Demütigungen der subalternen Stellung, die Erosion der Selbsteinschätzung unter der immer wiederkehrenden Mühe, mit den letzten Duros über die letzte Woche im Monat zu kommen, erdrücken würden, was man in der DDR einmal die "allseitige Entwicklung sozialistischer Persönlichkeiten" genannt hat.

Ich bin einer von ihnen. Ich falle nicht auf, ein Deutscher zwar halt, aber ein Malocher, man sieht es ihm an. Ich flunkere zwar ein wenig, hab ja studiert und bin immer zwischen Proletariat und Kleinbürgertum gependelt, hock in meiner Freizeit am PC und hacke Texte in die Maschine, aber meine soziale Heimat ist hier, das ist meinesgleichen, da sind die Leute, die ich mag, und in der Schnöselbar sind die Leute, die ich nicht mag. Eines Tages werden Leute wie wir sich ihre wirkliche Freiheit erkämpfen. Dann warten die Mühen der Ebene. Aber es wird sich freier ausschreiten, mit hocherhobenem Kopf und geradem Rückgrat, und mit der Zeit werden sie allseitig entwickelte sozialistische Persönlichkeiten aus sich machen.

"La cuenta, por favor!"