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BERLIN/STRAUSBERG/STOCKHOLM (19.08.2009) - Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr gesteht gravierende Probleme bei der Rekrutierung militärischen Personals ein. Einer bislang unveröffentlichten "Jugendstudie" des Think-Tanks zufolge sind nur 17 Prozent der befragten jungen Männer definitiv bereit, für die deutschen Streitkräfte tätig zu werden. Die Rede ist von "signifikanten Imagedefiziten". Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr, das in diesem Jahr sein 35-jähriges Jubiläum begeht, betreibt neben der Ausforschung der inländischen Bevölkerung wie im Falle der "Jugendstudie" auch militärpolitische Propaganda. Zu deren Zielobjekten zählen sowohl die großen christlichen Kirchen als auch die politischen Stiftungen der im Bundestag vertretenen Parteien; gemeinsam mit der Universität Potsdam wurde ein eigener Studiengang ("Military Studies") eingerichtet. Das Institut kooperiert darüber hinaus eng mit der bundeswehreigenen "Akademie für Information und Kommunikation", der vormaligen "Schule für psychologische Verteidigung".

Niederschmetternd

In einer Ende Juni anlässlich einer militärpolitischen Konferenz in Stockholm präsentierten "Jugendstudie" kommt das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWi) zu Ergebnissen, die für die Personalwerbung der deutschen Streitkräfte niederschmetternd sind. Demnach sind lediglich 17 Prozent der befragten Männer im Alter zwischen 15 und 32 Jahren definitiv bereit, sich bei der Bundeswehr als Soldat oder Zivilangestellter zu verdingen. Gerade einmal 20 Prozent halten die deutsche Armee für einen "attraktiven Arbeitgeber".1

Imagedefizite

Vor diesem Hintergrund sieht das SoWi ernsthafte Probleme auf die Bundeswehr zukommen. Da der "jährliche Rekrutierungsbedarf" von 26.000 Anwerbungen nicht erfüllt werden könne, fehlten den deutschen Streitkräften zunehmend Spezialisten für Informationstechnologie und ABC-Waffen sowie Ingenieure und Mediziner, heißt es. Die Gründe hierfür sieht die Forschungseinrichtung zum einen in "signifikanten Imagedefiziten" des Militärs im Vergleich zu anderen Arbeitgebern ("significant image deficits"), zum anderen in den durch Kriegseinsätze im Ausland bedingten "Belastungen" und "Risiken" für Soldaten ("burdens and risks of missions abroad").2

Karrieretruck

Die aktuelle "Jugendstudie" des SoWi wurde von Mitarbeitern des Forschungsbereichs "Personalgewinnung und Personalbindung" durchgeführt. Dessen vorrangiges Ziel besteht darin, mittels demoskopischer Erhebungen herauszufinden, wie Jugendliche die "personalwerblichen Kommunikationsangebote" der Bundeswehr wahrnehmen und bewerten.3 Besondere Beachtung findet hierbei das "Zentrale Messe- und Eventmarketing" der Truppe: Personalwerber ("Wehrdienstberater") und auf "sicherheitspolitische" Propaganda spezialisierte Jugendoffiziere treten jährlich bei zahlreichen Sport- und Bildungsveranstaltungen auf; an Schulen ist regelmäßig ein "Karrieretruck" unterwegs. Da das SoWi für die kommenden Jahre mit einem starken Rückgang bei den Schulabgängern rechnet, geraten zunehmend auch Jugendliche mit "Migrationshintergrund" in den Focus der Werbestrategen und Demoskopen (german-foreign-policy.com berichtete4).

Leitbilder

Das heute in Strausberg bei Berlin beheimatete SoWi, das die aktuelle "Jugendstudie" erstellt hat, feiert in diesem Jahr sein 35-jähriges Jubiläum. Es ging 1974 aus dem bereits sechs Jahre zuvor gegründeten "Wissenschaftlichen Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften" hervor. Während hier lediglich die Lehrpläne für die Hochschulen der Bundeswehr und die Truppenausbildung entwickelt worden waren, erhielt das SoWi weit umfassendere Kompetenzen: Auf der Grundlage "systematischer sozialwissenschaftlicher Forschung" sollten der politisch-militärischen Führung "Entscheidungshilfen" an die Hand gegeben werden.5 Seit 1990 befasst sich das Institut nicht mehr nur mit Fragen der Rekrutierung und Meinungsforschung, sondern auch mit den Auslandsoperationen des deutschen Militärs. Ziel hierbei ist es einerseits, ein soldatisches "Leitbild" des "Kämpfers" und "Helfers" zu entwickeln, andererseits aber auch, die soziale "Betreuung" durch Kriegserlebnisse traumatisierter Bundeswehrangehöriger zu verbessern.6

Organisierte Gewalt

Neben der Bereitstellung "militärsoziologischer Expertise" für Verteidigungsministerium und Bundeswehr "informiert" das SoWi nach eigener Aussage auch die "interessierte Öffentlichkeit".7 Laut seinem Jahresbericht waren Mitarbeiter des Instituts 2008 an mehr als 100 wissenschaftlichen Tagungen, Kolloquien, Seminaren und Diskussionsveranstaltungen als Referenten beteiligt; etliche von ihnen nehmen außerdem Lehraufträge an staatlichen Hochschulen wahr. An der Universität Potsdam hat das SoWi unlängst gemeinsam mit dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt den Masterstudiengang "Military Studies" ins Leben gerufen. Das Aufbaustudium liefere alles Wissenswerte über die "Themenfelder Militär, Krieg und organisierte Gewalt", heißt es.8

Propaganda

Besonders enge Beziehungen unterhält das SoWi zur "Akademie für Information und Kommunikation" (AIK) der Bundeswehr, der vormaligen "Schule für psychologische Verteidigung". Gemeinsam bemühen sich die auf dem "Campus Strausberg" des deutschen Militärs untergebrachten Einrichtungen um die Erarbeitung der wissenschaftlichen Grundlagen für die Propaganda gegenüber Bevölkerung und Truppe. Der spätere Kommandeur der AIK, Oberst Rainer Senger, fungierte in den Jahren 2001 und 2002 als Direktor des SoWi. 2005 forderte Senger, die deutsche Bevölkerung darauf "vorzubereiten", dass deutsche Soldaten künftig "in größerer Zahl sterben" und "andere Menschen töten" (german-foreign-policy.com berichtete9).

Gerechter Krieg

Zu den bevorzugten Zielobjekten seiner "Informationsarbeit" zählt das SoWi neben den politischen Stiftungen der im Bundestag vertretenen Parteien und den Angehörigen des öffentlichen Dienstes vor allem die großen christlichen Kirchen. Ihnen wird erheblicher Einfluss auf die Meinungsbildung der Bevölkerung zugeschrieben. Eine geeignete "Multiplikatorin" im Bereich des Klerus hat das SoWi bereits unter Vertrag genommen: Die vormalige Kirchenschulrätin der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Angelika Dörfler-Dierken, lehrt heute als Professorin an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Im Rang einer wissenschaftlichen Direktorin leitet sie das SoWi-Projekt "Gerechter Frieden - Gerechter Krieg".10


Anmerkungen:
1, 2 Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr - Forschungsbereich "Personalgewinnung und Personalbindung": Findings of the Youth Study 2008. Young Germans awareness of the Bundeswehr as a potential employer. Stockholm 24.06.2009
3 Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr: Jahresbericht 2008. Strausberg, Januar 2009
4 s. dazu Migranten an die Front
5 Auftrag; www.sowi.bundeswehr.de
6 Zusammenfassung der Tagung "Identität, Selbstverständnis, Berufsbild - Implikationen der neuen Einsatzrealität für die Bundeswehr"; www.sowi.bundeswehr.de 19.12.2008
7 35 Jahre SOWI; www.sowi.bundeswehr.de
8 www.militarystudies.de
9 s. dazu Neues Steuerungsniveau
10 WissDir'in Prof. Dr. Angelika Dörfler-Dierken; www.sowi.bundeswehr.de



 
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