HERZOGENAURACH/BERLIN (05.03.2009) - Die NS-Vergangenheit der Firmengruppe Schaeffler ruft ein wachsendes Medienecho im Ausland hervor. Führende Tageszeitungen in mehreren Staaten berichten über die Ursprünge des weltweit tätigen Unternehmens in der Rüstungsproduktion für die Wehrmacht; auf besonderes Interesse stößt der vor wenigen Tagen von polnischen Historikern bestätigte Verdacht, die Firmengründer könnten Geschäftsbeziehungen zum Vernichtungslager Auschwitz unterhalten haben. Der Aufmerksamkeit im Ausland steht ein demonstratives Desinteresse fast aller deutschen Medien gegenüber. Nach ausführlichen Berichten über ein zum Teil entlastendes Gutachten eines deutschen Historikers über Schaeffler schweigt sich die deutsche Presse über die Vorwürfe aus, obwohl die Firma Staatsbeihilfen erbittet und deshalb Gegenstand einer umfangreichen Berichterstattung ist. Die NS-Vergangenheit des Unternehmens spielt in der öffentlichen Debatte keine Rolle.
Im Ausland ruft die NS-Vergangenheit der Firmengruppe Schaeffler ein wachsendes Medienecho hervor. Schon letzte Woche hatten US-Nachrichtenagenturen über ein diesbezügliches Gutachten des deutschen Historikers Gregor Schöllgen berichtet. Schöllgen hatte die Rüstungsproduktion sowie die Nutzung von Zwangsarbeitern in Wilhelm und Georg Schaefflers Unternehmen während des Zweiten Weltkriegs beschrieben und damit Recherchen dieser Redaktion weitestgehend bestätigt. Nicht bestätigen wollte Schöllgen Geschäftskontakte der Firmengründer zum Vernichtungslager Auschwitz. Eindeutige Hinweise auf solche Kontakte besitzen aber polnische Historiker, denen Berichte ehemaliger Schaeffler-Zwangsarbeiter sowie Untersuchungsergebnisse aus der Nachkriegszeit zugänglich sind. Entsprechende Recherchen dieser Redaktion wurden am Sonntag durch Filmaufnahmen eines Nachrichtenmagazins bestärkt.
1BelegtWie der stellvertretende Leiter der Forschungsabteilung im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau, Dr. Jacek Lachendro, vor der Kamera bestätigt, wurden nach dem Abzug der deutschen Truppen in der Tat rund 1,95 Tonnen Menschenhaar am Schaeffler'schen Firmensitz gefunden. Dies geht aus damals protokollierten Aussagen über den Fundort der Haare hervor. Auch für die Lieferung von zwei Waggonladungen Menschenhaar liegen Lachendro Zeugenberichte vor. Aus Sicht des Historikers können die Geschäftsbeziehungen zwischen Schaeffler und dem Vernichtungslager damit als belegt gelten, hieß es am Sonntag in dem Nachrichtenmagazin.
2MedienechoSeitdem nimmt das Interesse im Ausland an der Vergangenheit der Schaeffler-Gruppe kontinuierlich zu. Seit Montag berichten führende Tageszeitungen aus mehreren Staaten über die Recherchen, darunter zuerst britische Tabloids sowie mehrere Qualitätszeitungen (Daily Mail, The Daily Telegraph, The Independent). Ihnen sind inzwischen maßgebliche polnische, spanische und türkische Blätter gefolgt. Auch israelische Medien, etwa Ha'aretz, befassen sich mit dem Fall. Besondere Aufmerksamkeit gilt weithin dem Verdacht, Schaeffler könne Menschenhaar aus Auschwitz bezogen haben. Bei den mutmaßlichen Lieferungen handelt es sich offenbar um Haare, die in der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen sind. Die Gedenkstätte besuchten im vergangenen Jahr mehr als eine Million Menschen, die meisten davon Polen, Briten und US-Amerikaner.
"... hat damit nichts zu tun"In einigen ausländischen Medienberichten scheint die Vermutung durch, die Erkenntnisse über Schaefflers NS-Vergangenheit könnten eventuelle Staatsbeihilfen für die Firma in Frage stellen. "Hat ein polnischer Historiker den deutschen Konzern ruiniert?", fragt etwa eine große polnische Zeitung.
3 Stellungnahmen aus Berlin deuten nicht darauf hin. "Schaeffler muss wahrscheinlich einen Großteil seiner Firmenanteile verkaufen, um sich entschulden zu können", urteilt die stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Christine Scheel, gegenüber dieser Redaktion: "Fragen nach der Firmengeschichte der Firma Schaeffler während des Nationalsozialismus stellen sich in diesem Zusammenhang nicht." "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun", erklärt auch der Pressesprecher der Linksfraktion im Bundestag. Die übrigen Fraktionen sahen sich bis Redaktionsschluss zu Stellungnahmen ebenso wenig in der Lage wie die an den Verhandlungen mit Schaeffler beteiligte IG Metall.
Kein MedienechoDem entspricht ein demonstratives Desinteresse in fast sämtlichen deutschen Medien. Nach ersten Berichten dieser Redaktion Anfang Februar folgte gegen Monatsende die Veröffentlichung eines Gutachtens, dessen Autor, der Historiker Gregor Schöllgen, die Schaeffler'sche NS-Rüstungsproduktion und die Nutzung von Zwangsarbeitern einräumt, das Familienunternehmen jedoch vergleichsweise milde beurteilt. Schöllgen hatte die Firmengeschichte im Auftrag und mit Mitteln der Schaefflers erforscht. Der "Forschungsbericht fällt sehr positiv aus", urteilte eine deutsche Tageszeitung.
4 Schöllgens Einschätzung übernahmen die deutschen Medien, soweit sie überhaupt berichteten - mit einer einzigen Ausnahme: das oben erwähnte Nachrichtenmagazin. Dies gilt besonders für Schöllgens Behauptung, bis heute gebe es keinerlei Hinweise auf eine Zusammenarbeit zwischen den Schaefflers und Auschwitz. Als exemplarisch kann ein Interview mit dem Historiker gelten, in dem dieser auf die Frage, was "dran" sei an einer eventuellen Verarbeitung menschlicher Haare durch das Familienunternehmen in der NS-Zeit, lapidar behauptete: "Nach heutigem Kenntnisstand: Nichts." Trotz der seit Wochen bekannten Hinweise auf ebendiese Verwertung verzichtete die Interviewerin auf jegliche Nachfrage.
5Keine DebatteEine öffentliche Debatte über den jetzt bestätigten Verdacht, Haare aus Auschwitz seien an Schaeffler geliefert worden, findet nicht statt. Die Ursprünge des Konzernvermögens in der NS-Vernichtungspolitik werden, anders als im Ausland, in Deutschland konsequent beschwiegen.
Anmerkungen:
1 s. dazu Vom Ursprung deutschen Reichtums und Vom Ursprung deutschen Reichtums (II)
2 Verarbeitete Schaeffler Haare aus Auschwitz?; einestages.spiegel.de 01.03.2009
3 Polski historyk zrujnuje niemiecki koncern?; Dziennik 03.03.2009
4, 5 "Es gibt keinen Persilschein"; Süddeutsche Zeitung 02.03.2009