Ansprache von Dr. Klaus Steiniger, Chefredakteur der Monatszeitschrift „RotFuchs“, auf der Kundgebung zum 64. Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns in Ziegenhals am 24. August 2008 Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freunde!
Heute ehren wir den großen deutschen Arbeiterführer, den Kommunisten Ernst Thälmann, anläßlich des 64. Jahrestages seiner Ermordung. Er war ein charismatischer Volkstribun, mit dessen Wirken sich die Formierung und der Aufstieg einer massengestützten revolutionären Vorhutpartei verbanden, die auf dem Höhepunkt ihres Einflusses sechs Millionen Wähler um sich zu scharen wußte. Anders als manche Funktionäre hier und dort, die eher aus dem Gerangel innerhalb des Apparates hervorgingen, kam Ernst Thälmann – Sohn und Führer seiner Klasse – direkt aus den Kampfreihen des deutschen Proletariats. Wir tragen seinen Namen nicht wie eine Ikone vor uns her, sondern erinnern uns seiner mit Wärme und dem Blick nach vorn. Denn wir sind keine rückwärtsgewandten Nostalgiker, wenn wir auch tief und fest in der Geschichte unserer Bewegung, in unserer marxistischen Lehre und in den eigenen Erfahrungen eines jeden verwurzelt sind.
Im Unterschied zu Abgesprungenen, Abschwörenden oder Angekommenen gehören wir zu jenen, welche der Sache in der Stunde der Not treu geblieben sind. Denn eine Weltanschauung ist nicht von Sieg oder Niederlage abhängig. Man hat sie oder man hat sie nicht. Sich zu kommunistisch-sozialistischen Idealen an schönen und wolkenlosen Tagen zu bekennen, wenn man sich auf die Macht der Arbeiterklasse stützen kann, ist keine Kunst. Ob man tatsächlich Kommunist oder Sozialist ist, zeigt sich bei Machtverlust, Gegenwind und Sturm. Dann gilt es, den Kragen hochzustellen und die Zähne zusammenzubeißen. Ernst Thälmann hat uns das in den langen Jahren seiner Haft vorgelebt. Er beeinflußt auch heute unser Tun und Lassen. Auf Thälmannsche Art sich der Gegenwart zu stellen und der vorerst noch ihren Sieg auskostenden großdeutschen Bourgeoisie mit Würde und Festigkeit zu begegnen – darauf kommt es an. Wir sind zwar ohne die Macht, aber deshalb noch lange nicht ohnmächtig.
Wir vom „RotFuchs“-Förderverein – einer vor zehneinhalb Jahren zunächst als Zeitschrift entstandenen Tribüne für die Zusammenführung von Kommunisten und Sozialisten mit und ohne Parteibuch auf marxistischer Grundlage – empfinden uns als Teil der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung. Unsere Stimme wird inzwischen von nicht wenigen gehört: Jeden Monat lesen Zehntausende die Printausgabe, weitere Tausende laden den RF im Internet herunter. Das Blatt geht von Hand zu Hand.
Wie sehen wir die Dinge?
Mit der wütenden antikommunistischen Verleumdungskampagne des Gegners, mit den inquisitorischen Attacken solcher Haßprediger wie Birthler und Knabe auf die vor fast 18 Jahren untergegangene DDR, mit den schalen Absonderungen der Tiefensees und anderer Leuchten aus der personell aufgestockten politischen Tieffliegerstaffel des bundesdeutschen Imperialismus sind wir durchaus zufrieden: Würden sie nicht ununterbrochen auf uns einprügeln und aus vollem Halse Zeter und Mordio schreien, überschlügen sie sich nicht in immer neuen Erfindungen und Verdrehungen der Wahrheit, hetzten sie das Rudel ihrer erbärmlichen journalistischen Kläffer nicht Tag für Tag auf uns – Genossen, es stünde schlecht um unsere Sache! Dann wären die DDR und unsere sozialistisch-kommunistische Bewegung wirklich mausetot.
Der Umstand aber, daß die Antikommunisten aller Schattierungen – von ultrarechts bis pseudolinks – solchen Aufwand zu treiben gezwungen sind, daß sie ohne Unterlaß ihre ideologische und publizistische Giftgasartillerie gegen uns einsetzen müssen, ist der authentische Beweis dafür, daß es um ihre vermeintliche Stärke schwach bestellt ist.
Es gibt noch Glut unter der Asche. Die DDR ist weder scheintot noch tot, sondern lebt im Alltag unserer Kämpfe fort. Ihr Vermächtnis wird – angesichts der von den Medien betriebenen Gleichschaltung und der in den Schulen stattfindenden Gehirnwäsche sicher nur unter großen Schwierigkeiten – auch an die nachfolgenden Generationen weitergegeben. Kämen wir hierbei nicht allmählich voran, dann hätte sich Brandenburgs Polizeiminister Schönbohm – ein Rambo des rechtsextremistischen CDU-Flügels – wohl kaum in der Märkischen Oder-Zeitung so weit aus dem Fenster gelehnt. Offenbar hatte er gute Gründe, sich darüber zu beschweren, daß nicht wenige der Älteren unter den einstigen DDR-Bürgern ihr Wissen und ihre Erfahrungen an Jüngere übermitteln.
Was heißt in diesen Tagen im Thälmannschen Sinne zu urteilen und zu handeln?
Es bedeutet zweierlei: Verteidigung und Gegenangriff.
In erster Linie geht es darum, der immer drohender heraufziehenden faschistischen Gefahr frontal und in geeigneter Weise zu begegnen. Jeder, der in diesem großen imperialistischen Deutschland mit seiner ständig zunehmenden Aggressivität nach innen und außen der Faschisierung Widerstand leistet, jeder, der die neuen Nazis auf der Straße und in den Institutionen bekämpft, ist uns als Bundesgenosse willkommen. Dabei fragen wir weder nach dem Parteibuch noch nach der sozialen Herkunft. Denn Antifaschismus ist ein übergreifendes Gebot humanistischer Gesinnung und Gesittung. Er ist das Erfordernis des Tages.
Wer sich in diesen Kampf einreihen will, muß vor allem eines erkennen: Die Faschisierung in der Merkelschen Bundesrepublik Deutschland – von Berlusconis Italien und Sarkozys Frankreich als Umfeld ganz abgesehen – findet in neuen Formen und in veränderter Maskerade statt. Sie vollzieht sich diesmal nicht in Gestalt uniformierter SS- und SA-Sturmtruppen, auch wenn man die NPD-Horden und die amoklaufenden Kameradschaften der Neonazis keineswegs unterschätzen sollte. Diese Kräfte werden vom Kapital für alle Fälle in Bereitschaft gehalten. Rabiater Ausländerhaß ist ihr Panier, die Linke ihr Todfeind. Doch anders als 1933, als die grandiose Thälmannsche Partei – zu ihrer Zeit die zahlenmäßig stärkste kommunistische Avantgarde im kapitalistischen Teil der Welt – eine unerhörte Herausforderung für das herrschende System darstellte, verläuft der Faschisierungsprozeß diesmal bei Aufrechterhaltung des parlamentarischen Dekors sowie unter Ausnutzung bestehender Einrichtungen und Strukturen. Die Namen und hochrangigen Ämter der Wortführer und Einpeitscher sind bekannt. Sie müssen hier nicht noch einmal genannt werden. Hinzugefügt aber sei: Auch die Goebbels fast noch übertreffende zügellose Hetze gegen China und Rußland liegt auf der gleichen Linie.
In dieser bedrohlichen Situation reichen wir allen die Hand, die mit uns Dämme gegen die Faschisierer und deren Schirmherren errichten wollen. Wir vom „RotFuchs“ vertreten den Standpunkt: Auch in stürmischen und schweren Tagen wollen und werden wir Kommunisten und Sozialisten bleiben – gleich, ob derzeit organisiert oder nicht . Dabei ist unsere Leser- und Mitgliedschaft breit gefächert. Zu ihr zählen nicht wenige Gewerkschafter, frühere Mitglieder sämtlicher Blockparteien der DDR, linke Christen und gegen das kapitalistische System aufbegehrende Sozialdemokraten. Ihnen allen sind wir inzwischen Partner und zum Teil auch politische Heimat geworden.
In einer Frage sollten sich authentische Linke unbedingt einig sein: Es geht darum, unser Pulver trocken zu halten, im gegnerischen Trommelfeuer und unter reformistischen Weichmachern aller Art nicht einzuknicken, unsere Identität und moralische Integrität zu bewahren.
Die Einbürgerung der Ideologie des Klassenfeindes beginnt mit der Übernahme seines Vokabulars. Die neuen Machthaber, deren Gewährsleute sich als „politische Klasse“ der BRD aufspielen, ohne tatsächlich klasse zu sein, haben es z. B. verstanden, einen von ihnen eingeschleusten Begriff auch nicht wenigen Genossen in den Mund zu legen. Ich meine das Wort von der sogenannten Wende, die 1989/90 stattgefunden haben soll. War das in der Tat eine Wende, gar zum Guten, wofür diese fünf Buchstaben eigentlich stehen? Oder war es nicht eine Rückwende, bei der wir wieder unter die kapitalistischen Wölfe gefallen sind? Die Machthaber und deren Medien kultivieren bewußt den Begriff der Wende, wobei sie zugleich behaupten, die Gesellschaft bestehe aus „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“, Vokabeln wie Klassen und Klassenkampf seien überholt.
Wir „RotFüchse“, die wir im Geiste Ernst Thälmanns unseren Klassikern Marx, Engels und Lenin treugeblieben sind – und mit uns Tausende und Abertausende Genossinnen und Genossen aus der Partei Die Linke, aus DKP, KPD und vielen anderen Organisationen und Verbänden – werden entschieden dagegen Front machen, daß man anstelle von Lenin solche Revisionisten wie Eduard Bernstein auf den Schild hebt und deren Pseudotheorien verbreitet. Seit dem Sonderparteitag im Dezember 1989 geschieht das ja ganz ungeniert.
Beim Sturz des Sozialismus in Europa handelte es sich nicht um eine „Wende“, sondern um eine Konterrevolution. Dabei haben sich vom Klassenfeind und seiner Demagogie, seinen Versprechungen und Verlockungen irregeführte, zeitweilig politisch allein gelassene und dadurch orientierungslos gewordene Teile der DDR-Bevölkerung für eine Mitwirkung oder eine Statistenrolle einfangen lassen. Das trug sicher auch zur Wiederherstellung historisch bereits überwundener Macht- und Eigentumsverhältnisse bei. Übrigens haben die meisten der damals auf den D-Mark-Leim Gekrochenen und gegen ihre eigenen Interessen in den Kampf Gezogenen das inzwischen bitter bereut.
Natürlich hatte die Rückwärtswende vielschichtige objektive und subjektive, nationale und internationale Ursachen, auf die ich hier aus Zeitgründen nicht näher eingehen kann. Eines aber steht fest: Die Konterrevolution hat in sämtlichen früher sozialistischen Ländern Europas gesiegt, während der Sozialismus in anderen Teilen der Welt überlebte.
Wir sind hier, um Ernst Thälmanns zu gedenken. Das heißt für die Älteren und Alten aus dem Osten vor allem, die Erinnerung an die DDR bis zur letzten Stunde ihres Lebens zu bewahren. Für die Jüngeren und Jungen bedeutet es, das Werk der Großeltern und Eltern nicht geringzuschätzen und von diesen Geleistetes nicht aus ihrem Gedächtnis zu verlieren. Auch die hier anwesenden Kampfgefährten aus Westberlin und der Alt-BRD stimmen sicher mit uns in der Bewertung überein, wenn wir sagen: Die Deutsche Demokratische Republik war – ungeachtet ihrer Defizite und des Debakels am Ende – die größte Errungenschaft in der Geschichte der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung, ja, das bedeutendste gesellschaftliche Gestaltungswerk in der tausendjährigen Chronik des deutschen Volkes. Das müssen wir immer vor Augen haben, wenn uns der imperialistische Totalitarismus-Nebel von den „zwei gleichzusetzenden deutschen Diktaturen“ – 1933 bis 1945 und 1949 bis 1989 – den Blick trüben soll.
Nach 1945 gab es auf deutschem Boden zwei diametral entgegengesetzte Staaten: die fortbestehende und als Demokratie zurechtgeschminkte Diktatur der Ausbeuterklassen in der BRD und die politische Herrschaft der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in der DDR. Marx und Engels bezeichneten diese Staatsform als Diktatur des Proletariats. So unvollkommen die sozialistische Macht auf deutschem Boden auch noch gewesen sein mag – dem Regiment der Hundts und Henkels war sie um eine ganze historische Epoche voraus.
Der pathologische Haß des Gegners hat nur einen wirklichen Grund: Die Tatsache, daß die DDR dem Kapital auf revolutionäre Art vier Jahrzehnte lang in einem Drittel Deutschlands die politische Macht und das ausbeuterische Eigentum entzogen hatte. Das werden ihr die Profitjäger und Couponabschneider nie verzeihen. Doch gerade dafür ist die DDR – wie auch für ihre Friedenspolitik – auf alle Zeiten in das Buch der Geschichte eingetragen worden.
Wenn wir konsequent im Sinne Ernst Thälmanns handeln wollen, dann müssen wir aus seinen sich besonders in der Endphase der Weimarer Republik verstärkenden Bemühungen um die Herstellung der Aktionseinheit aller linken und antifaschistischen Kräfte die notwendigen Lehren ziehen. Auch die heutige Situation gebietet zwingend ein Zusammenrücken und das Zurückstellen zweitrangiger Differenzen.
Derzeit gibt es in Deutschland eine nicht geringe Zahl unterschiedlicher, meist leider getrennt marschierender linker Parteien und Organisationen. Wohin schädliches Auseinanderdriften führen kann, zeigte die infame Rufmordkampagne gegen die niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP und ihres Bekenntnisses zum Schutz neuer Gesellschaftsformen nicht nur von Namenlosen, sondern auch von sehr Prominenten rüde angegriffen und diskriminiert wurde.
Will man Schritt für Schritt über die Aktionseinheit zur Gemeinsamkeit im Denken gelangen, dann müssen derzeit noch zerstrittene oder uneinige Kräfte um ein Minimum ideologischer und praktisch-politischer Annäherung bemüht sein. Dabei sind Takt und Feingefühl auf allen Seiten erforderlich. Ungeduld und ein Anpeitschenwollen des Prozesses der Zusammenführung werden wohl kaum hilfreich sein. Anmaßende Auffassungen, man besitze das Monopol auf die Linke oder das Patent auf die Arbeiterbewegung sind der Sache ebenso abträglich wie scheinradikale Phrasendrescherei. Während die einen schon morgen alle linken Strömungen unter einem Dach versammelt sehen möchten und fünf Schritte auf einmal nehmen wollen, fehlt es anderen an Entschlußkraft und an einer revolutionären Vision. Sie verfahren gewissermaßen nach Bernsteins Devise: „Die Bewegung ist alles, das Ziel ist nichts.“ Wer aber so denkt und handelt, wird am Ende keine Ernte einbringen. Man muß einen langen Atem haben, darf aber das Ziel des Kampfes nie aus den Augen verlieren. Für uns heißt es unverändert und ohne Abstriche: Sozialismus. Es geht dabei nicht um irgendwelche wortreich verbrämten Konzepte, die lediglich einen „Kapitalismus mit menschlicherem Gesicht“ anbieten, wie mir das bei einigen nostalgischen Verehrern des „Prager Frühlings“ der Fall zu sein scheint, sondern – um mit dem linkssozialdemokratischen Politiker Oskar Lafontaine zu sprechen – um Systemüberwindung. Die hat er auf dem Cottbusser Parteitag der PDL klipp und klar gefordert.
Kein Zweifel: In Deutschland wird es dauern, bis die Bourgeoisie als machtausübende Klasse von der Herrschaft verdrängt und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen überwunden ist. Das aber sind – wie Marx und Engels vor 160 Jahren im Kommunistischen Manifest weit in die Zukunft blickend erfaßten – die entscheidenden Vorbedingungen für jene neue Gesellschaft, deren Idee wir uns mit Herz und Verstand verschrieben haben.
Es ist ein gutes Gefühl, hier Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunden aus dem gesamten linken Spektrum zu begegnen. Das macht Mut und gibt Kraft, jenen Kampf konsequent fortzusetzen, in dem Ernst Thälmann vor 64 Jahren als proletarischer Held gefallen ist.