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DRESDEN/SCHWERIN (15.07.2008) - Nach dem Kommunalwahlerfolg der NPD in Sachsen befürchten Experten ein weiteres parlamentarisches Erstarken der rechtsextremen Partei. In den nächsten zwölf Monaten finden Urnengänge in sämtlichen Schwerpunktregionen der NPD statt. In Brandenburg, wo sie sich die Kandidaturen mit der konkurrierenden DVU teilt, steht bereits im September die Kommunalwahl bevor. Die NPD habe sich mittlerweile in einigen Gebieten "fest verankern" können und versuche, "von diesen Satelliten aus andere Regionen langsam für sich zu erobern", berichtet der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Der Aufstieg der Partei beruht nicht zuletzt auf gelungenen Bemühungen, sich als "Sammlungsbewegung" der extremen Rechten zu etablieren; dazu gehören auch gewaltbereite Milieus ("Kameradschaften"). Mit den Wahlerfolgen der NPD erstarken rassistische und antisemitische Haltungen in der deutschen Bevölkerung, aber auch Großmachtfantasien, die Deutschland als Weltmacht in Rivalität zu den Vereinigten Staaten stärken wollen. "Europa" mit "Deutschland als europäischem Zentrum" müsse "ein wirkliches politisches und wirtschaftliches Gegengewicht zu den USA" werden, fordert die NPD.

Stammwähler

Nach dem Einzug der NPD in sämtliche Kreistage Sachsens bei den Kommunalwahlen Anfang Juni befürchten Experten weitere rechtsextreme Wahlerfolge in diesem und im kommenden Jahr. In Sachsen konnte die NPD ihre Strukturen ausbauen und zum ersten Mal flächendeckend kandidieren; damit steigerte sie ihr Ergebnis von 1,3 Prozent im Jahr 2004 auf 5,1 Prozent. In einigen Regionen übertraf sie die SPD und kam auf Werte bis zu 25 Prozent. Umfragen zufolge wird sie bei den Landtagswahlen 2009 erneut mit rund neun Prozent in das Dresdner Landesparlament einziehen können. Ähnliche Prognosen werden auch aus Mecklenburg-Vorpommern bekannt. Nach Einschätzung des Greifswalder Politologen Hubertus Buchstein umfasst die Stammwählerschaft der NPD dort "über fünf Prozent" der Bevölkerung.1 2009 finden außer in Mecklenburg-Vorpommern auch in Thüringen, in Sachsen-Anhalt und im Saarland Kommunalwahlen statt; im Saarland hatte die NPD zuletzt mehr als vier Prozent erzielt, Thüringen und Sachsen-Anhalt sind durch eine starke rechtsextreme Szene geprägt. Dasselbe trifft auf Brandenburg zu; dort finden schon im September Kommunalwahlen statt. Weil die NPD bislang nur in einem Teil Brandenburgs eigene Strukturen aufbauen konnte, überlässt sie dort einige Kandidaturen der rechtsextremen DVU, die im brandenburgischen Landtag vertreten ist.

Wachsende Akzeptanz

Wie der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit im Gespräch mit dieser Redaktion beschreibt, ist es der NPD in den vergangenen Jahren gelungen, sich in mehreren Regionen der Bundesrepublik fest zu verankern. Die Partei ist nicht nur "kommunalpolitisch wesentlich aktiver als früher", sie "packt ihre Ideologie in eine Sprache, die die Menschen in ihren Sorgen und Ängsten erreicht", berichtet Speit.2 Sie profitiert zudem davon, dass rechte Ressentiments Umfragen zufolge in den letzten Jahren zugenommen haben. In ihren Schwerpunktregionen erreicht die NPD inzwischen eine beträchtliche gesellschaftliche Spannweite, die von Präsenz in Sportvereinen und Elternvertretungen über Jugendverbände bis hin zu eigenen mittelständischen Wirtschaftsstrukturen reicht. Die "Verbürgerlichungsstrategie" gehe auf, urteilen besorgte Beobachter in Mecklenburg-Vorpommern: "Die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber rechtsextremen Inhalten wächst stetig."3

Sammlungspartei

Zugleich gelingt es der NPD in zunehmendem Maße, sich als rechtsextreme Sammlungspartei zu etablieren. Sie übt, "besonders in den letzten Jahren, eine Gravitationswirkung auf die gesamte extrem rechte Szene aus", beobachtet Speit.4 Dabei schafft es die NPD nicht nur, zahlreiche gewaltbereite Neonazis, die in sogenannten "Kameradschaften" lokal und regional organisiert sind, in ihre Parteistrukturen einzubinden. "Auch aus dem intellektuellen Milieu der extremen Rechten kommen Personen", berichtet Speit. Diese sind insbesondere in den Landtagsfraktionen sowie in deren Umfeld aktiv. Tatsächlich stellt die NPD mit Hilfe staatlicher Fraktionsgelder akademisch ausgebildete Rechtsextreme für Intellektualisierungsbemühungen in erheblichem Umfang frei. Dabei gelingt es ihr bislang, Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Strömungen zu entschärfen und die Eskalation innerer Kämpfe zu vermeiden - eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg: Unter anderem wegen solcher Kämpfe hatte die NPD zu Beginn der 1970er Jahre ihren kurz zuvor gewonnenen parlamentarischen Einfluss verloren.

Gewalt

Die politische Nähe der NPD zu neonazistischer Gewalt, die durch die Kooperation mit den Kameradschaften gefestigt wird, symbolisieren nicht nur mehrere wegen Körperverletzung vorbestrafte Parlamentarier und Fraktionsmitarbeiter. Michael Andrejewski, NPD-Landtagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, war 1992 verantwortlich für ein Flugblatt, auf dem eine "Aktion 'Rostock bleibt deutsch'" zu "Widerstand" gegen eine angebliche "Ausländerflut" aufrief. Das Flugblatt wurde im Vorfeld der Rostocker Pogrome vom Sommer 1992 verteilt, in deren Verlauf ein Wohnheim in Brand gesteckt wurde. Mehr als 100 Bewohner konnten sich damals nur mit knapper Not retten. Andrejewski führt heute Sozialberatung in Ostvorpommern durch.5 Die politisch erforderliche Abgrenzung gegenüber rechtsextremer Gewalt ist bei der NPD insgesamt allenfalls verbal vorhanden. In einer Debatte über die pogromartigen Überfälle auf türkische Imbissbuden in Dresden nach einem Halbfinale bei der Fußball-Europameisterschaft beschwerte sich der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Jürgen W. Gansel jetzt über einen Solidaritätsbesuch des Wirtschaftsministers bei den Opfern. Die Landesregierung solle sich nicht zu "Narren der Fremden" machen, verlangte Gansel.6

Europas Zentrum

Mit dem Erstarken der NPD gewinnen nicht nur rassistische und antisemitische Haltungen in der deutschen Bevölkerung an Einfluss, sondern auch Großmachtfantasien, die Deutschland als Weltmacht in Rivalität zu den Vereinigten Staaten konzipieren. "Europa" müsse "ein wirkliches politisches und wirtschaftliches Gegengewicht zu den USA" werden, heißt es im "Europaprogramm" der Partei. Dabei falle "Deutschland als europäischem Zentrum" eine "besondere Rolle" zu.7 Bei der "politischen Neuordnung" des Kontinents sei ein "Interventionsverbot für raumfremde Mächte" zu beachten, verlangt die NPD. Das Schlagwort wurde von Carl Schmitt geprägt, einem Staatsrechtler, der als "Kronjurist des Dritten Reiches" und als "geistiger Quartiermacher" des Nationalsozialismus bezeichnet worden ist, inzwischen allerdings auch in etablierten Kreisen außerhalb der extremen Rechten wieder Beachtung findet.8 Als "raumfremde Mächte" definiert die NPD in alter antisemitischer Tradition Israel und die USA; insbesondere der US-amerikanische Einfluss soll aus Europa zurückgedrängt werden.

Schule der Nation

Um "gemeinsam gegenüber Machtansprüchen anderer Großräume bestehen zu können", fordert die NPD schließlich die Auflösung der EU und die Gründung eines lockeren "Europäischen Bundes". Dieser soll um einen "Europäischen Verteidigungspakt" ergänzt werden, ein Kriegsbündnis, das die Rivalität gegenüber den USA militärisch stützt. Der Armee kommt, wie schon stets zuvor in der deutschen Geschichte, zentrale Bedeutung für die Großmachtfantasien zu. Die "nationalen deutschen Streitkräfte" hätten "in der Funktion einer 'Schule der Nation' die heranwachsenden jungen Menschen zu prägen und ihnen die Werte einer völkischen Neuordnung souveräner Nationalstaaten zu vermitteln", verlangt die NPD.9 Mit antisemitisch sowie rassistisch aufgeladener Weltmachtideologie bündelt sie ein auch nach außen höchst aggressives Potenzial, dessen Wachstum in den kommenden zwölf Monaten anhand von Wahlergebnissen beobachtet werden kann.10

Bitte lesen Sie auch unser Interview mit Andreas Speit sowie unsere Rezension des Buches Neonazis in Nadelstreifen von Andreas Speit und Andrea Röpke.


Anmerkungen:
1 Experte warnt vor NPD-Erfolgen bei Kommunalwahlen 2009; MVregio 09.07.2008
2 s. dazu Fest verankert
3 Andrea Röpke, Andreas Speit (Hg.): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft, Berlin 2008 (Christoph Links Verlag)
4 s. dazu Fest verankert
5 Andrea Röpke, Andreas Speit (Hg.): Neonazis in Nadelstreifen. Die NPD auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft, Berlin 2008 (Christoph Links Verlag)
6 Jürgen Gansel (NPD): "Aufhören, die Narren der Fremden zu sein!"; Pressemitteilung der sächsischen NPD-Landtagsfraktion 11.07.2008
7 Europaprogramm der NPD
8 s. dazu Reichwerdung
9 Europaprogramm der NPD
10 s. auch Flankierender Beitrag, Nicht fremd, 8. Mai: "Morgen ein Sieg", Menschenjäger und Gut geschützt


 
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