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Von RW

Als „Bedingt abwehrbereit“ betitelte der Spiegel seine Ausgabe vom 10. Oktober 1962, angelehnt an die vier Qualifizierungsstufen der alliierten NATO-Streitkräfte: zum Angriff voll geeignet, zum Angriff bedingt geeignet, zur Abwehr voll geeignet und zur Abwehr bedingt geeignet. Unterste Stufe sozusagen. Man unterstellte den damals noch existierenden Truppen des Warschauer Vertrages unter Führung der Sowjetunion Pläne zum Angriff auf die NATO. Der Spiegel-Artikel wertete die Resultate des NATO-Manövers Fallex 62 aus. Dieses Manöver war von der Annahme ausgegangen, der dritte Weltkrieg beginne mit einem sowjetischen Großangriff auf Westeuropa. Der Artikel stellt das damalige Konzept eines atomaren Erstschlags („preemptive strike“) und die entsprechende Rüstungspolitik unter Kriegsminister, pardon Verteidigungsminister, Franz Josef Strauß in Frage: Die Bundeswehr sei aufgrund ihrer mangelhaften Ausstattung zur Vorwärtsverteidigung gegen Truppen des Warschauer Pakts nicht in der Lage, Deutschland zu verteidigen. Eine wirksame Abschreckung bleibe fraglich. Die sogenannte Spiegel-Affaire begann.

[file-periodicals#209]Strauß ließ die Redaktionsräume durch Polizeikräfte besetzen, die verantwortlichen Redakteure wurden in Haft genommen. Landesverrat lautete der Vorwurf. Jahrzehnte später ist es im bundesdeutschen Blätterwald gang und gäbe, den Zustand der Bundeswehr als „bedingt abwehrbereit“ zu beschreiben. „Die Bundeswehr ist am Rande ihrer Handlungsfähigkeit angelangt“, titelte die Stuttgarter Zeitung am 4. April 2018. „Deutschlands Desaster-Armee“ sei „nicht einsetzbar“, jaulte der Stern am 20. Januar 2018 und berief sich auf den Wehrbeauftragten Hans-Peter Bartels, einen Sozialdemokraten.

Kürzlich berichtete die Süddeutsche Zeitung (31. Oktober 2018), dass „nur jeder dritte neue Panzer einsatzbereit“ sei. Angesichts dieses jahrzehntelangen Gejammers ist es schon erstaunlich, wo diese „Desaster-Armee“ sich überall auf der Welt herumtreibt. Von Europa über Asien und den Nahen Osten nach Ost- und Westafrika. Kosovo, Ägäisches Meer, Mittelmeer, Tunesien, Libyen, der Sudan, Djibouti, das Horn von Afrika, Mali, Marokko, Syrien, Libanon, Irak und Afghanistan sind auf der Webseite „einsatz.bundeswehr.de“ stolz präsentierte Einsatzgebiete, geführt vom Einsatzkommando der Bundeswehr.

3.500 Männer und Frauen befinden sich auf fremden Boden. Schon lange gilt nicht mehr das Schlagwort von der Bundeswehr als Verteidigungsarmee. „Bundeswehr im Einsatz“ ist die neue Parole.

Leuchtende Augen bei minus 15 Grad


Die schnelle Eingreiftruppe VJTF soll aus einem multinationalen Landstreitkräftekontingent mit bis zu fünf Bataillonen und 5.000 Soldaten bestehen und zusätzlich aus Komponenten der Luft- und Seestreitkräfte sowie Spezial- und Unterstützungskräften.
Die Bundeswehr wird bis zu 2.700 Soldaten stellen. Das Hauptquartier ist in Szczecin (Stettin/Polen), 125 Kilometer nordnordöstlich von Berlin.
Dies muss geübt werden. Kürzlich kehrten die letzten Bundeswehrtruppen aus Norwegen zurück. „Trident Juncture“ hieß das – gleichzeitig mit dem in der Ostsee und ebenfalls gegen Russland gerichteten Marinemanöver „Northern Coasts“ – stattgefundene Großmanöver, dem größten NATO-Manöver „seit Ende des Kalten Krieges.“ (Augsburger Allgemeine, 11. November 2018) Über vier Wochen hinweg waren 10.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr und mehr als 4.000 Fahrzeuge, darunter 400 gepanzerte Fahrzeuge in Norwegen. Die Desaster-Armee mit ihren bedingt einsatzfähigen Panzern begann im September mit dem Truppentransport zu einem Manöver, bei dem „die Bundeswehr (…) eine besondere Rolle (hat), nicht nur, weil sie (…) nach den USA der zweitgrößte Truppensteller dieser Übung ist, sondern vor allem, weil die NATO-Speerspitze, die Very High Readines Joint Task Force (VJTF), eine Brigade unter deutscher Führung, einen wesentlichen Platz bei diesem Großmanöver hat“, wie der Militaristen-Blog „Augen geradeaus“ zufrieden anmerkt.

Von wegen „Bedingt einsatzbereit“, von wegen „Desaster-Armee“. Schee war´s. Eindrucksvoll demonstrierten die deutschen Militärs ihre Fähigkeiten. „Ich habe überall nur in leuchtende Augen geschaut − selbst bei minus 15 Grad”, berichtete Heeresinspekteur Jörg Vollmer nach einem mehrtägigen Besuch bei deutschen Einheiten. Die Soldaten seien stolz, mit guter Ausrüstung vor Ort zu sein und zeigen zu können, was sie gelernt hätten. In Norwegen sollte der letzte Zweifel über die Fähigkeit Deutschlands ausgeräumt werden, auch auf militärischem Gebiet. Am 1. Januar 2019 ist es dann soweit.

Deutschland übernimmt die Führung der Schnellen Eingreiftruppe der nordatlantischen Allianz. Sollte es also im Jahr 2019 zu einem militärischen Konflikt zwischen NATO und wem auch immer kommen, dann würde Deutschland diese Kampftruppe in Brigadegröße befehligen. Aus diesem Grund stellte die Bundeswehr das zweitgrößte Kontingent an Soldaten bei der Großübung “Trident Juncture” in Norwegen, wohin Deutschland als einziges Land auch eine ganze Brigade, die Panzerlehrbrigade 9 mit 5.000 Frauen und Männern, verlegt hatte.

Diese zwei Monate Kriegsübung sind nicht umsonst. Die Werktätigen haben 90 Millionen Euro aufzubringen. Dieses Geld wird fehlen für Bildung und Gesundheit, für Wohnen, Rente und Arbeit. Den jetzigen und künftigen Opfern deutscher Kriege und Großmachtpläne kostet es allerdings das Leben.


aus: Auf Draht, Betriebszeitung der Gruppe KAZ und DKP München.


 
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