Es war pünktlich um 10 Uhr an jenem 2. Mai 1933, als in ganz Deutschland die Büros des ADGB (Allgemeiner deutscher Gewerkschaftsbund) und der ihm angeschlossenen Gewerkschaften durch die SA besetzt wurden. Funktionäre der NSDAP und der NSBO (NS-Betriebszellen-Organisation) übernahmen kommissarisch die Leitung - und nicht zuletzt die Kassen - der Freien Gewerkschaften. Die Sekretäre und Angestellten wurden verhaftet, ihre Wohnungen durchsucht, viele wurden brutal misshandelt und in einigen Fällen, z. B. in Duisburg, noch während der Bürobesetzung ermordet. Die meisten Angestellten wurden danach aufgefordert, ihre laufende Arbeit unter der Leitung der eingesetzten NS-Kommissare fortzusetzen, sich jedoch jeder politischen Arbeit zu enthalten.
Die Büros der im DGB zusammengeschlossenen christlichen Gewerkschaften und der Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine wurden wenige Tage später und weniger demonstrativ ebenfalls von der NSBO übernommen. Andere, wie z. B. der Deutsche Handlungsgehilfen-Verein, hatten sich schon früher zur NS-Politik bekannt. Auch jetzt noch bei führenden Gewerkschaftern vorhandene Träume, die NSDAP werde nach vollzogener Gleichschaltung zumindest die Strukturen der Gewerkschaften erhalten, fanden mit der Bildung der DAF (Deutsche Arbeitsfront) als Zwangsorganisation aller Beschäftigten, der Aufhebung des Tarifrechts und der Einsetzung der NS-Treuhänder für Arbeit ein rasches Ende.
Die Aktionen gegen die Gewerkschaften, in denen auch jetzt noch etwa vier Millionen Arbeiter und Angestellte organisiert waren, trafen auf wenig Widerstand und mäßiges öffentliches Interesse. Das lag nicht nur daran, dass der Naziterror mit der Verfolgung der Kommunisten nach dem Reichstagsbrand zur alltäglichen Normalität gehörte und viele einschüchterte. Wichtiger war, dass die Gewerkschaften selbst nicht bereit waren, zum Kampf gegen die Hitler-Regierung zu mobilisieren, ja, seit dem 30. Januar Schritt für Schritt immer wieder anboten sich in die nationale Bewegung einzuordnen.
Kapitulation auf RatenErklärung der VVN-BdA zum 10. Mai 2008 "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen" (Heinrich Heine) - Gegen die Zerstörung der Kultur
Die Errichtung der faschistischen Herrschaft vor 75 Jahren war nicht allein mit Straßenterror, Verhaftungen und der Beseitigung demokratischer Rechte verbunden. Es ging den Nazis gleichermaßen um eine ideologische Gleichschaltung.
Viele demokratische Schriftsteller und Künstler flohen vor dem faschistischen Terror ins Exil. Mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" schufen die Nazis Anfang April 1933 eine formaljuristische Legitimation, um antifaschistische und jüdische Wissenschaftler und Lehrkräfte aus Universitäten und Schulen zu vertreiben.
Auch deren Gedanken und die von ihnen vertretenen Ideen sollten aus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit eliminiert werden. Dazu inszenierten faschistische Studenten des NSDStB am 10. Mai 1933 in den Universitätsstädten des Deutschen Reiches Bücherverbrennungen. In aller Öffentlichkeit, unter Beteiligung der Professoren und der Studentenschaft wurden Werke marxistischer und jüdischer Wissenschaftler, demokratischer und pazifistischer Schriftsteller und Künstler als "undeutsche Literatur" vernichtet. In den folgenden Wochen fanden ähnliche Veranstaltungen in anderen Orten des Reichs statt.
Vernichtet wurden die Werke von Ernst Barlach, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Franz Kafka, Erich Kästner, Carl von Ossietzky, Erich Maria Remarque, Anna Seghers, Stefan Zweig und Carl Zuckmayer, um nur einige wenige zu nennen. Auf den Listen der "undeutschen Literatur" standen die Werke der besten deutschen Dichter und Wissenschaftler.
Der "Kampf um die Köpfe" wurde von dem faschistischen Terrorregime mit aller Vehemenz fortgesetzt. Es folgten Berufsverbote, Vertreibungen, Ausbürgerungen und andere Terrormaßnahmen. Grausam bestätigte sich, was Heinrich Heine knapp 100 Jahre zuvor formulierte:
"Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen."
Wir gedenken dieses Datums, da es - wie kein zweites - faschistischen Ungeist und die Zerstörung der demokratischen Kultur belegt.
Wer sich an dieses Datum erinnert, sollte sich den humanistischen Gehalt der Werke der "verbrannten Dichter" und Wissenschaftler aneignen. Viele von ihnen haben in deutlichen Worten die sozialen Probleme der damaligen Zeit angeprangert und zugleich vor der faschistischen Bedrohung gewarnt. Bewahren wir dieses demokratische und humanistische kulturelle Erbe für heute und morgen.
Aber dieses Datum ist nicht nur historisch zu verstehen. Die Strategie der NPD heute zielt ebenfalls auf den "Kampf um die Köpfe". In der Konsequenz werden linke Künstler angegriffen, ihre Auftritte behindert, wie in Halberstadt oder in Wernigerode.
Auch dagegen richtet sich unser politisches Gedenken zur Bücherverbrennung. |
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Offenbar sah die Führung des ADGB in der Bildung der Hitler-Regierung keine grundlegend neue Qualität. Sie hatte viel Sympathien für die Versuche der Schleicher-Regierung gezeigt, als Alternative zu Hitler ein Bündnis zwischen Militär, rechten Gewerkschaften und "linken Nazis" (Strasser ) zu schaffen. Nach dessen Scheitern wandte sie sich noch am 28.1.1933 an Hindenburg mit der Bitte, er möge kein sozialreaktionäres Kabinett ernennen.
Doch die Weichen dazu waren längst gestellt. Im Papen-Kabinett sah der ADGB eine Neuauflage der Harzburger Front, die 1931 schon einmal Nazis und Konservative aller Richtungen zusammengeführt hatte, aber bald an inneren Führungsquerelen scheiterte. So gab man auch diesem Kabinett keine große Chance, hoffte nicht zuletzt auf die schon wieder angesetzten Reichstagswahlen. Die Vorschläge der KPD zur gemeinsamen Mobilisierung gegen Hitlers Machtantritt, ihre Aufrufe zu Demonstrationen und zum Generalstreik wurden strikt abgelehnt. "Kühler Kopf und Besonnenheit" sei notwendig, um die erwarteten Angriffe auf die Verfassung, die Volksrechte und die sozialen Rechte abwehren zu können. "Organisation - nicht Demonstration: das ist die Parole der Stunde" stellte die Führung des ADGB als Aufgabe der nächsten Monate am 31. Januar 1933.
Schon im Februar hatte es in ganz Deutschland Überfälle der SA auf gewerkschaftliche Büros und Einrichtungen gegeben. In manchen Städten kam es auch zur bewaffneten Verteidigung durch das Reichbanner. Die Gewerkschaftsführung listete die Fülle der Meldungen aus dem Reich auf, forderte höflich mal von Hindenburg, mal von Göring oder anderen Ministern die Aufklärung dieser lokalen Übergriffe. Das nutzte wenig, die Polizei wurde, wenn überhaupt, eher gegen das Reichsbanner als gegen die SA aktiv. Nach dem Reichstagsbrand und den Massenverhaftungen von Kommunisten und anderen aktiven Nazigegnern verstärkten sich schon im März wieder die Angriffe auch auf die Gewerkschaftszentren.
Organisation als Selbstzweck?Auch jetzt noch waren die Führungen von ADGB, DGB und Gewerkvereinen davon überzeugt, die Nazis würden die Gewerkschaften als Organisation erhalten, wenn sie bereit wären, sich in den Dienst des neuen Staates zu stellen. Zwei Wochen nach den Märzwahlen war der ADGB-Vorstand bereit, das Recht des Staates in Auseinandersetzungen zwischen Unternehmern und Gewerkschaften einzugreifen, anzuerkennen. Am 9. April 1933 erklärte er, die Selbstverwaltungsorganisation der Arbeiterschaft in den Dienst des neuen Staates zu stellen. Das gipfelte in dem Vorschlag, die Gewerkschaftsbewegung einem Reichskommissar zu unterstellen. Schließlich gab es offizielle Verhandlungen zwischen den leitenden ADGB Führern mit der Führung der NSBO, um über die zukünftige Organisationsform der Gewerkschaften zu beraten. Erst als die NSBO forderte, der ADGB-Vorsitzende Leipart solle zurücktreten und seinen Posten einem NSDAP-Vertreter übergeben, scheiterten diese Beratungen.
Die christlichen Gewerkschaften und die Gewerkvereine waren mit ihren Bemühungen um die Einordnung in den Nazi-Staat dem ADGB immer einen Schritt voraus gewesen. So waren auch die Bemühungen der Führungen dieser drei Gewerkschaftsrichtungen zur Vereinigung ihrer Gewerkschaften, die im April als Führerkreis der vereinigten Gewerkschaften auftraten, nur der Versuch, durch eine Gleichschaltung von unten der von oben zuvorzukommen. "Die deutschen Gewerkschaften sind sich bewusst ... dass von ihrer bewussten Einordnung in die Neugestaltung die Zukunft des deutschen Volkes entscheidend beeinflusst wird ... Sie sind getreu ihrer staatspolitischen Tradition zu positiver Mitarbeit am neuen Staat bereit."
Kapitulation vor dem letzten GefechtAls die Hitler-Regierung Mitte April den ersten Mai zum gesetzlichen Feiertag, zum "Tag der nationalen Arbeit", verfälschte, war es nach diesen vorhergehenden Erklärungen kaum noch ein Wunder, dass auch die Gewerkschaftsführer begeistert diese Kröte schluckten, die aus dem internationalen Kampftag der Arbeiterklasse eine Demonstration für nationalistische Parolen, für die Leugnung des Klassenkampfes und das Führerprinzip auch in jedem Betrieb machte.
"Der Bundesausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes begrüßt den 1. Mai 1933 als gesetzlichen Feiertag der nationalen Arbeit und fordert die Mitglieder der Gewerkschaften auf, in vollem Bewusstsein ihrer Pionierdienste für den Maigedanken, für die Ehrung der schaffenden Arbeit und für die vollberechtigte Eingliederung der Arbeiterschaft in den Staat sich allerorts an der von der Regierung veranlassten Feier festlich zu beteiligen."
So hieß es im Beschluss vom 19. April. Die Gewerkschaften verpflichteten also ihre Mitglieder, am 1. Mai Hitlers in alle Kundgebungsorte übertragene Rede zu ertragen. Betriebsappelle - aber öfter auch Maigeld - sorgten für die Massenaufmärsche, die die Kampftraditionen der Arbeiterbewegung verhöhnten.
Ermunterung für die NazisDie kampflose Kapitulation der stärksten Arbeiterorganisation wirkte demoralisierend auf das antifaschistische Handeln. Umso mehr fühlten sich die Terrororganisationen der NSDAP ermuntert, neue Opfer zu suchen und ihre Allmacht zu demonstrieren. Acht Tage nach der Liquidierung der Gewerkschaften, am 10. Mai, demonstrierten die SA und SS, aber auch die Jugend- und Studentenorganisationen der NSDAP ihren Hass auf alles, was ihrem Herrschaftsanspruch, Revanchedenken, Rassenwahn entgegen stand.
Den Triumphfeuern der Bücherverbrennung in allen Universitätsstädten Deutschlands fielen die besten Werke der Aufklärung, des Humanismus, des wissenschaftlichen Denkens und nicht zuletzt der Klassiker des wissenschaftlichen Sozialismus zum Opfer. Marx´ und Engels´, Bebels und Rosa Luxemburgs Werke wurden ebenso verbrannt wie Werke von Brecht, Barbusse, von Feuchtwanger und Heinrich Heine, von Gorki und Jack London, von Ossietzky, Anna Seghers und Tucholsky, um beispielhaft nur einige von vielen Namen zu nennen, die das Ausmaß dieser Kulturbarbarei kennzeichnen. Noch brannten nur die Bücher, doch waren sie schon Feuerzeichen für den Krieg und Völkermord. Mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung und dem Massenterror nach innen waren die wichtigsten Voraussetzungen geschaffen, die nächsten Schritte zum Kampf um die faschistische Weltherrschaft zu beschreiten.
Literatur:
Michael Schneider: Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Bonn 1989. Udo Achten: Illustrierte Geschichte des 1. Mai. Althoff 1979. D. Scheibe und M. Wiegold-Bovermann: Morgen werden wir die Gewerkschaftshäuser besetzen. Essen 2003