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Deutsche Geheimdienste haben mit der Ausbildung von Spionage- und Staatsschutzorganisationen im Kosovo begonnen. Dies geht aus Berichten der serbischen Presse hervor. Damit scheint der deutsche Einfluss in den kosovarischen Protektoratsverwaltungen weiter zuzunehmen. Auch auf wirtschaftlichem Sektor sorgt die Bundesrepublik für eigene Netzwerke und hat sich weit reichenden Einfluss auf Enteignung und Neuverteilung des jugoslawischen Staatsbesitzes im Kosovo gesichert. Für den zukünftigen völkerrechtlichen Status der im Jugoslawien-Krieg abgetrennten Provinz hält Berlin unterschiedliche Optionen bereit. Neben einer formalen Sezession von Beograd werden Spielformen kolonialer Treuhänderschaft diskutiert. Eine von der deutschen Robert-Bosch-Stiftung initiierte "Internationale Balkan Kommission" schlägt den schrittweisen Anschluss des Kosovo an die EU vor, wobei dem Gebiet keine volle Souveränität gewährt werden soll. Auch die übrigen Kleinstaaten auf dem Balkan könnten durch EU-"Erweiterung" aufgesogen werden oder in ein "Imperium" eingehen, heißt es bei der "Bosch-Stiftung".

Ausbildungshilfe

Wie aus der serbischen Hauptstadt verlautet, soll der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) die Schulung von kosovarischen Agenten für einen eigenständigen Geheimapparat in Pristina übernommen haben, während das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) künftige Inlandsspione instruiert. Der BND und seine Vorläuferorganisationen verfügen im Kosovo über herrvorragende Verbindungen, die sie 1999 in den Dienst des NATO-Überfalls auf die Bundesrepublik Jugoslawien stellten.1 Dabei kam es zu vielfach dokumentierten engen Verbindungen zwischen deutschen Regierungsstellen und Vertretern der verbotenen Untergrundarmee UCK.2 Als vor wenigen Tagen der Präsident der serbischen Provinz Kosovo, Ibrahim Rugova, in Pristina beigesetzt wurde, war auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier zugegen - und sah zu, wie Bewaffnete in illegalen UCK-Uniformen den Sarg des Verstorbenen begleiteten und an dessen Grab Salutschüsse abfeuerten.

Illegale Privatisierung

Die deutsche Netzwerkbildung im Sicherheitsapparat des kosovarischen Protektorats wird durch massive Einflussarbeit auf dem Gebiet der Wirtschaftsverwaltung ergänzt. Mit dem Posten des Abteilungsleiters für "Wirtschaftsentwicklung" innerhalb der UN-Verwaltung UNMIK ist der Deutsche Joachim Rücker betraut. Rücker, langjähriger Oberbürgermeister im baden-württembergischen Sindelfingen, kümmert sich vornehmlich um die von Beograd nicht genehmigte und daher völkerrechtlich illegale "Privatisierung" jugoslawischen Staatseigentums im Kosovo. In dieser Funktion entscheidet er über den Verkauf von Industriebetrieben und Bodenschätzen an ausländische Investoren. Wie Safet Gerxhaliu, Beauftragter für Auslandsbeziehungen bei der kosovarischen Handelskammer, kürzlich erfreut feststellte, habe der deutsche UNMIK-Mann den "Privatisierungsprozess" (bei dem es sich um die Enteignung gesellschaftlich gebildeter Vermögensfonds handelt) auf den "richtigen Weg" gebracht.3

Erste Erfolge

Rückers Arbeit weist auf Perspektivenunterschiede zwischen außenpolitischen Vorstellungen der EU und der USA hin. Während Washington einem zukünftigen Anschluss des Kosovo an Albanien nicht prinzipiell abgeneigt ist, will Berlin den Balkan eher zersplittert halten. Wirtschaftspolitisch muss aus EU-Sicht dafür gesorgt werden, dass die USA mit ihrem albanischen Anhang von größeren Übernahmen im Kosovo fern gehalten werden. In dieses Tableau passt eine jüngste Aktion Rückers: Nachdem er rigoros von seinen Eingriffsrechten als UNMIK-Beauftragter Gebrauch gemacht hatte, wurde das ehemals jugoslawische Nickelwerk "Ferronikeli" im Dezember für 33 Millionen Euro an die britische Firma "Alferon" verkauft - ein US-amerikanisch-albanisches Unternehmen hatte 50 Millionen Euro geboten und ging leer aus.4

"Unabhängigkeit" ohne Souveränität

Vor dem Hintergrund deutscher Parzellierungsinteressen in Südosteuropa und der Verhinderung eines albanischen Großstaates steht Berlin bei der völkerrechtlichen Absicherung seiner Kosovo-Strategie vor Schwierigkeiten: Eine förmliche Sezession verstieße gegen UN-Beschlüsse, träfe auf Widerstände Moskaus, würde aber vor allem eine unerwünschte großalbanische Eigendynamik entwickeln. Die deutsche Außenpolitik sinnt deswegen zwar auf Abtrennung des Kosovo von Beograd, aber sucht nach Lösungen, die eine institutionelle Kontrolle Pristinas gewähren, ohne die USA allzusehr beteiligen zu müssen. Auf diesem Feld arbeitet eine "Internationale Balkan Kommission" ("International Commission on the Balkans"), die sich die "Integration" des Kosovo in die EU zur Aufgabe gemacht hat. Das von der in Stuttgart (Baden-Württemberg) beheimateten "Robert-Bosch-Stiftung"5 initiierte Gremium ist mit hochrangigen Politikern besetzt - unter ihnen der frühere deutsche Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der frühere italienische Premierminister Giuliano Amato, der frühere schwedische Premierminister Carl Bildt sowie zahlreiche ehemalige Staats- und Regierungschefs der südosteuropäischen Länder. Die Kommission empfiehlt einen mehrstufigen "Übergang" des Kosovo zur "Unabhängigkeit", ohne der Provinz jemals den Status eines souveränen Völkerrechtssubjekts zuzugestehen: In einer ersten Phase solle die UN-Verwaltungshoheit auf die EU übergehen ("independance without full sovereignty"), in einer zweiten Phase werde dann mit Beitrittsverhandlungen zwischen den kosovarischen Behörden und der EU begonnen ("gelenkte Souveränität"/"guided sovereignty"), um schließlich das Kosovo diffus in "Europa" aufgehen zu lassen ("geteilte Souveränität"/"shared sovereignty").6

Empire

Die Empfehlungen der "Internationalen Balkan Kommission" erstrecken sich jedoch nicht nur auf das Kosovo, sondern auch auf Bosnien und Mazedonien. Sollten diese nicht zu "Ghettos" an der europäischen Peripherie verkommen, müsse ihnen die Perspektive eines EU-Beitritts innerhalb der nächsten Dekade eröffnet werden, heißt es. Werde stattdessen die aktuelle "neokoloniale Herrschaft" Europas ("neo-colonial rule") über die genannten Protektorate ("quasi-protectorates") aufrechterhalten, steigere dies einerseits die ökonomische Unzufriedenheit ("economic discontent") der dort lebenden Menschen und setze andererseits die EU erheblichen, aber unnötigen finanziellen und moralischen Belastungen aus ("immense and unnecessary financial and moral burden"). Auf dem Balkan gebe es daher für die EU nur zwei Möglichkeiten, so die Kommission abschließend: die "Erweiterung" um die genannten Territorien oder die Errichtung eines "Imperiums" ("Enlargement or Empire").7

Vollendung

Am weitesten fortgeschritten ist der geplante EU-Anschluss bereits auf dem Energiesektor. In mehreren Vereinbarungen mussten sich die Balkan-Protektorate bereit erklären, ihre Gasmärkte gemäß deutschen und europäischen Vorstellungen umzustrukturieren und den EU-Mitgliedsländern Durchleitungsrechte bei Pipelineprojekten nach Zentralasien und in den Iran zu gewähren.8 Die staatsrechtlichen Überlegungen der selbst ernannten "Balkan Kommission" laufen auf eine temporäre Treuhänderschaft der EU hinaus, die sich zu einem neokolonialen Staatenbund entwickelt hat, um am Ende ihrer "Erweiterungs"-Arbeit eine vollständige Annexion des durch Krieg erworbenen Territoriums vorzusehen - die imperiale Vollendung.


Anmerkungen:
1, 2 Jürgen Elsässer (Hg.): Nie wieder Krieg ohne uns. Das Kosovo und die neue deutsche Geopolitik, Hamburg 1999
3 "Ruecker and his local and international associates have put the privatization process on the right track". Investors discouraged to come to Kosovo; www.eciks.org
4 Jürgen Elsässer: Die Kosovo-Saga; Junge Welt 21.12.2005
5 s. dazu Deutsche Gestaltungskraft
6 International Commission on the Balkans: The Balkans in Europe's Future, April 2005, S. 18ff.
7 ebd., S. 8
8 s. dazu Kriegsrendite

s. auch Neuer Vasall



 
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