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Frankreich 2007: die Eisenbahner, Bus- und Metrofahrer streiken gegen Sarkozy, es ging gegen die Heraufsetzung des Rentenalters, also um einen politischen Streik. Keine Aufregung in Frankreich. Schon 1995 hatten die Kollegen wochenlang den Verkehr lahm gelegt, die Öffentlichkeit trug’s mit Fassung und überwiegend mit Sympathie.

Deutschland 2007: die Arbeitsgerichte in Chemnitz und Nürnberg erklären im August, ein Streik der GDL sei „unverhältnismäßig“ und wegen „immenser wirtschaftlicher Schäden“ „der gesamten Volkswirtschaft“ zu verbieten. Das Arbeitsgericht Chemnitz entscheidet in zweiter Instanz, im Nahverkehr, aber nicht im Fern- und Güterverkehr dürfe gestreikt werden. Erst im Berufungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht wird das Urteil revidiert. Die GDL akzeptiert – wenn auch zähneknirschend – die Urteile der Klassenjustiz. (In Großbritannien haben sich die Briefträger ihren Streik nicht verbieten lassen, sie streikten trotz Verbot!) Und kein Aufschrei geht durch die Gewerkschaften, eher gemäßigte Proteste werden laut - aber sie bleiben bloßes Papier. So lernen die Unternehmer, dass sie nichts zu befürchten haben von uns, wenn das Streikrecht weiter demontiert wird.

Verstümmeltes Streikrecht fürs Kapital zu weitgehend

[file-periodicals#42]Das zeigt, wo wir stehen mit unseren Rechten. Wir haben nur ein kastriertes Streikrecht, lediglich auf tarifliche Auseinandersetzungen der Gewerkschaften bezogen, kein uneingeschränktes demokratisches Streikrecht wie in Frankreich oder Italien. Und auch dieses reduzierte „Arbeitskampfrecht“ wird noch massiv angegriffen. Mehdorn hetzt: „Lokführerstreik ist Krieg“ (SZ, 10.10.07) – das schreit nach entsprechenden Maßnahmen. Präsident Kannegießer vom Kapitalverband Gesamtmetall greift die Steilvorlage der Justiz auf: „Die Frage ist, bis zu welchen Punkten und ab wann sollen Streiks zulässig sein“. Es müsse „das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein“, sonst müsse „eine Art Zwangsschlichtung kommen“. „Tatsache ist, wenn dieser Blutstrang sozusagen abgebunden wird, sind weite Bereiche der Wirtschaft betroffen, werden stillgelegt…“ (Interview im Deutschlandfunk, 02.11.07). D. h. wenn ein Streik seinen Zweck erfüllt, nämlich dass er Folgen hat, dass mit ihm Druck ausgeübt werden kann, soll er nicht mehr zulässig sein. Das Profitinteresse der Unternehmer geht über das Menschenrecht auf Streik. Auch die Gerichtsurteile zu sog. Sympathiestreiks oder zu Streiks für Sozialpläne stellt er in Frage. Während uns zurzeit ein Grundrecht nach dem andern weggenommen wird, will uns das Kapital gleichzeitig die schärfste Waffe wegnehmen, die wir im Kampf um soziale und demokratische Rechte haben!

Das Vorgehen zeigt aber auch, dass das Kapital unter Druck steht in dieser Frage: nicht nur wege der GDL, sondern auch wegen der Forderung der Partei „Die Linke“ nach dem Recht auf politischen Streik. Und schließlich wegen der imperialistischen Konkurrenz, die den Vorteil des deutschen Imperialismus durch ein eingeschränktes Streikrecht nicht mehr hinnehmen will und die Übernahme der europäischen Sozialcharta anmahnt. Das Kapital verfährt nach der Devise: Angriff ist die beste Verteidigung.

Durch Solidarität zur Einheit

Dass die kleine GDL nur mühsam standhält, ist nicht verwunderlich angesichts der geringen Solidarität, die sie erfährt. Statt die Chance zu sehen, die mit dem Kampf der GDL für das Streikrecht eröffnet wird, wird ihr Kampf als Spaltung verleumdet. Transnet-Chef Hansen (der auch Vize-Chef des Aufsichtsrats der Bahn ist) natürlich vorne dran. Er predigt offen Standortdenken: Die Wettbewerbschancen der DB seien für die Arbeitsplatzsicherung genauso relevant wie die Sicherung bestehender Tarifverträge (Papier von Transnet zur Bahnprivatisierung). Aber auch der DGB-Vorsitzende Sommer: „Wir haben eine andere Tradition. Wir sagen, wir streiken, aber wir sabotieren nicht.“ (Interview im Deutschlandradio) Er mahnt die Tarifeinheit an, die es doch bei der Bahn schon lange nicht mehr gibt. Auf der gleichen Welle schwimmen die IG Metall- und ver.di-Vorsitzenden Huber und Bsirske mit. Einzig der ehemalige Vorsitzende der IG Medien, Detlef Hensche, findet das richtige Wort: „Wenn Beschäftigte streiken – egal welcher Organisation sie angehören – verdient das zunächst einmal Unterstützung. Streikenden fällt man nicht in den Rücken.“ (junge Welt, 22.11.07).

Allein aktive solidarische Unterstützung würde die Gräben zwischen den Bahngewerkschaften überbrücken und die GDL-Kollegen zur Einsicht bringen können, dass eine Klassenorganisation langfristig mehr bringt als eine Berufsorganisation. Und die Transnet-Kollegen kämen vielleicht zu der Einsicht, dass die Einheit sich nicht durch Verzicht gegenüber dem Kapital herstellen lässt, dass Standortpolitik allein dem Kapital nützt und dass die Privatisierung und der Börsengang ihre Arbeitsplätze nicht sicherer macht – ganz im Gegenteil.

Falsche Kritik

Um so bedauerlicher ist es, dass Genosse Uwe Fritsch als gewerkschaftspolitischer Sprecher der DKP im Interview mit der jungen Welt letztlich die GDL für die Angriffe auf das Streikrecht verantwortlich macht: „Meine Bedenken, die ich beim Streik der GDL habe, verbinden sich nicht mit der Frage nach dem subjektiven Wollen der Kolleginnen und Kollegen oder dem der Gewerkschaftsführung um Schell. Ich finde, aus marxistischer Sicht müssen objektive Ursache und objektive Wirkung betrachtet werden. Und eine objektive Wirkung kann sein, deswegen habe ich das auch in jW gesagt, dass das als Vorwand für weitere Repressalien gegen die arbeitenden Menschen in diesem Land benutzt wird. Niemand von uns kann das ausschließen. Der Versuch ist zwar gescheitert, wurde aber benutzt, das Klima zu verschärfen mit dem Argument: Das geht hier alles kaputt. Darauf muss man achten und das hat nichts damit zu tun, dass man mit den Streikenden Solidarität üben muss. Aber über den Tag hinaus zu sehen, ist auch nötig. Bahn und Mehrheitseigentümer Bundesregierung haben jedenfalls versucht, per Gerichtsentscheidungen das Streikrecht einzuschränken. Andere mögen in bezug auf die Folgen des Streiks sicher sein, ich bin es nicht.“ (uz 30.11.07)

Nach dieser Argumentation müssten wir auch die IG Metall dafür verantwortlich machen, dass die Regierung 1986 den damaligen § 116 Arbeitsförderungsgesetz verschlechterte, weil die IG Metall ihr Streikrecht wahrnahm. Bei dieser Argumentation bleibt trotz anders lautender Beteuerung die Solidarität auf der Strecke: denn in diesem Moment hilft nur praktische Solidarität, d. h. Aktivierung aller Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter für das Streikrecht in diesem Land. Das erfordert der Kampf um Demokratie von uns!

Andere Konsequenzen

Man kann und muss mit der GDL über vieles streiten, aber eins bleibt: ihr Ausbrechen aus dem Verzichtskartell der Bahngewerkschaften hat ein positives Signal gesetzt und ein gutes Ergebnis gebracht. Auch die neue Entgeltstruktur, die Hansen stolz präsentierte, weil sie bis 2010 im Schnitt zehn Prozent mehr für die Eisenbahner vorsieht, wäre ohne den Streik der GDL nicht denkbar gewesen.

Der Ortsvereinsvorsitzende des FB 8 von ver.di München, Jürgen Emmenegger, zog deshalb ganz andere Konsequenzen: „Dort, wo Tarifpolitik sich zunehmend so genannten objektiven Sachzwängen anpasst, dort wo lange nicht gekämpft, sondern gekungelt wurde, dort wo die großen falschen Linien eines Unternehmens ( am Beispiel Bahn, deren Privatisierung und Börsengang) von uns mitgetragen und keine eigenständigen, selbstbewussten Gegenpositionen geschaffen werden, brechen die aus, die sich stärker fühlen als die Masse, und kochen das eigene Süppchen. Da hilft es nicht, dass wir die Suppenkocher beschimpfen, sondern wir müssen unsere eigene Arbeit überprüfen – warum nicht mal 10% fordern, wenn wir 10% brauchen. Wo haben wir selber unserer Klientel zugespielt, wo waren Kompromisse nicht nötig, wo war Druck nötig und möglich, den wir aber nicht entwickelt haben? Zurückholen durch konsequentere Politik ist die Ansage.“

Und er fährt fort zum Angriff auf das Streikrecht: „Mich wundert, wie ruhig sich der DGB verhält, mich wundert, dass dies von den Gewerkschaftsführern nicht zum öffentlichen Thema gemacht wird. Wir müssen es zum Thema machen und in die Betriebe und Verwaltungen tragen, wir müssen den Kolleginnen und Kollegen klar machen, dass wir damit entwaffnet und absolut der Willkür der Unternehmer und Politik ausgeliefert sein sollen.“ (aus „Vor Ort“, ver.di München FB 8, Okt. 2007) Die DGB-Gewerkschaften haben die GDL schmählich im Stich gelassen. Während Mehdorn bereits das Bundesverfassungsgericht bemühte, haben sie gegen die Angriffe auf das Streikrecht nichts getan. Statt massenhaft zu mobilisieren, haben sie ruhig zugeguckt. Wie lange noch wollen sie den Kopf in den Sand stecken, wie lange noch wollen wir das zulassen?


 
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