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NAIROBI/BERLIN (04.01.2008) - Mit intensivem diplomatischem Druck sucht Berlin die blutigen Unruhen in Kenia zu ersticken. Die Ausschreitungen drohen das Land an den Rand eines Bürgerkriegs zu bringen und gefährden damit die jahrzehntelange deutsche Einflussarbeit in Nairobi. Kenia gehört zu den wichtigsten Stützpunkten der deutschen Afrikapolitik. Besonders die Regierung des amtierenden Staatspräsidenten Mwai Kibaki, der umfangreicher Wahlfälschungen beschuldigt wird, kooperiert eng mit der Bundesrepublik. Kibaki kam dank langjähriger Unterstützung deutscher Parteienstiftungen an die Macht. In Berlin hört man seit geraumer Zeit jedoch auch skeptische Äußerungen, weil Kibaki in zunehmendem Maße mit der Volksrepublik China kooperiert. Nairobi hat sich in den vergangenen Jahren als Vermittler mehrerer internationaler Übereinkünfte hervorgetan, die den deutsch-amerikanischen Einfluss in Ostafrika ausbauen sollen: das Friedensabkommen für den Südsudan und die Einigung auf eine Übergangsregierung in Somalia. Auch die prowestliche Kriegführung Äthiopiens in Somalia wird von Kenia unterstützt. Das Land beherbergt ein Schulungszentrum für ostafrikanische Militärs, das mit Geldern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit ("Entwicklungshilfe") errichtet wird.

Erste Erfolge

Einen ersten Erfolg ihrer Bemühungen, die kenianischen Unruhen unter Kontrolle zu bekommen, konnte die Bundesregierung am gestrigen Donnerstag verzeichnen. Oppositionsführer Raila Odinga, der in Umfragen lange Zeit einen deutlichen Vorsprung vor Amtsinhaber Mwai Kibaki hielt und mutmaßt, durch Wahlfälschung um den Sieg gebracht worden zu sein, verschob nach Telefonaten mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Durchführung einer Protestdemonstration; sie soll voraussichtlich am heutigen Freitag stattfinden. Die Veranstaltung war bereits für gestern geplant gewesen. Mit gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Oppositionsanhängern und den Sicherheitsbehörden war gerechnet worden. Wie Steinmeier erklärt, gibt es nach den blutigen Kämpfen der letzten Tage (mehr als 300 Tote, 100.000 Flüchtlinge) jetzt eine "Atempause" für "einen friedlichen Ausweg aus der gegenwärtigen Krise".1 Berlin befürwortet eine Neuauszählung aller Stimmzettel unter internationaler Aufsicht. Staatspräsident Kibaki ist inzwischen zu Gesprächen mit Oppositionsführer Odinga bereit. Odinga hatte Berlin bereits am Mittwoch zu Interventionen animiert.2 Es gilt als sicher, dass diese öffentlichen Einladungen nach Rücksprache mit dem deutschen Botschafter in der kenianischen Hauptstadt erfolgten.

Umfassende Kooperation

Die deutsche Krisenarbeit soll ein Abgleiten des Landes den Bürgerkrieg verhindern, der die Berliner Einflussarbeit der vergangenen Jahrzehnte zunichte machen könnte. Die Beziehungen zwischen Berlin und Nairobi sind eng. "Deutschland war der erste Staat, der Kenia nach der Unabhängigkeit (12. Dezember 1963) völkerrechtlich anerkannt hat", heißt es im Auswärtigen Amt: "Es besteht seit der Staatsgründung eine umfassende Kooperation".3 Dies betrifft vor allem die sogenannte deutsche Entwicklungshilfe, zu deren Schwerpunktpartnern das ostafrikanische Land gehört, aber auch die Aktivitäten der parteinahen Stiftungen. Vier von ihnen (Konrad-Adenauer-Stiftung, Hanns-Seidel-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung, Heinrich-Böll-Stiftung) verfügen - zum Teil schon seit den 1960er Jahren - über eine Filiale in Nairobi. Vor allem die Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) unterhält exklusive Beziehungen zum gegenwärtigen Staatspräsidenten Kibaki, dessen Amtsübernahme (2002) sie wegen Differenzen mit seinem Vorgänger Daniel arap Moi bereits seit den 1990er Jahren maßgeblich vorbereitet hatte (german-foreign-policy.com berichtete 4).

China

Inzwischen ist Kibaki nicht mehr der unumstrittene Favorit Berlins. Wie die Friedrich-Ebert-Stiftung beobachtet, öffnet sich seine Regierung zunehmend gegenüber der Volksrepublik China. Die Anlehnung an Ostasien sei "eine fundamentale, pragmatische und alternativlose Entscheidung", hatte Außenminister Raphael Tuju bereits im April 2006 erklärt 5; seitdem boomt der kenianisch-chinesische Handel und verringert die wirtschaftlichen Druckmittel des Westens gegenüber Nairobi. Politisch kenntlich wurde diese Entwicklung, als der antichinesische Sezessionist und Gottkönig Dalai Lama im Januar 2007 in die kenianische Hauptstadt einreisen wollte, aber kein Visum erhielt 6 - ein Vorgang, der kaum vorstellbar wäre, hätten Berlin und Washington das ostafrikanische Land weiterhin unter strikter Kontrolle. Die aktuellen Unruhen bieten den westlichen Mächten jetzt die Gelegenheit, als neutrale "Mittler" zwischen den Konfliktparteien aufzutreten - und dabei ihren eigenen Einfluss in Kenia wieder zu konsolidieren.

Verhandlungsort

Dabei steht für den Westen in Kenia Einiges auf dem Spiel. Das Land besitze eine "traditionelle Rolle als Drehscheibe regionaler und internationaler Kommunikation und Diplomatie" 7, es sei nach Kibakis Amtsantritt "als Ausgangspunkt für Friedensinitiativen im Sudan und in Somalia ausgebaut" 8 worden, berichtet die Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen). So wurden etwa in der kenianischen Stadt Naivasha Gespräche zwischen der Regierung des Sudan und südsudanesischen Rebellenverbänden geführt, die im Frühjahr 2005 schließlich in ein Friedensabkommen mündeten ("Naivasha-Prozess"). Das Abkommen sieht für das Jahr 2011 ein Sezessionsreferendum im Südsudan vor, ermöglicht damit die Abspaltung des Gebiets und entspricht Vorstellungen Berlins und Washingtons, die auf eine anhaltende Schwächung der Regierung in Khartum zielen.9 In den Naivasha-Prozess waren deutsche Stellen unmittelbar involviert.

Hilfsleistungen

Westliche Positionen vertritt die kenianische Regierung auch gegenüber Somalia. So wurde in Nairobi etwa die somalische "Übergangsregierung" (Transitional Federal Government, TFG) gebildet, der die westlichen Staaten die Aufgabe zugedacht hatten, schrittweise die Kontrolle über das Land an der ostafrikanischen Küste zu übernehmen. Die kenianischen Behörden begleiteten die ersten Schritte der "Übergangsregierung" 10 und leisteten Beistand, als das TFG vor einem Jahr in Mogadischu installiert werden sollte. "Anfang Januar 2007 wurden mehr als zwei Dutzend Mitglieder des somalischen Übergangsparlaments, von denen viele aus politischen oder Sicherheitsgründen in Nairobi lebten, ausgewiesen" und damit zur Arbeitsaufnahme in Somalia veranlasst, berichtet die Heinrich-Böll-Stiftung.11 "Kenia riegelte seine Grenzen zu Somalia ab", offenkundig "direkt zur Unterstützung des militärischen Vorgehens Äthiopiens und der USA", schreibt die Stiftung weiter. US-Spezialtruppen operierten Presseberichten zufolge auf kenianischem Territorium. Die Abschiebung sogenannter Terrorverdächtiger nach Äthiopien und nach Somalia trotz drohender Folter komplettierte die "Zusammenarbeit gegen den internationalen Terrorismus" (Auswärtiges Amt).12

Militärzentrum

Kenia ist schließlich Standort des Peace Support and Training Centre (PSTC), das mit Geldern der sogenannten deutschen Entwicklungshilfe in Nairobi errichtet wird. Das Militärzentrum soll Soldaten aus ostafrikanischen Staaten für Gewalteinsätze auf dem Kontinent trainieren. Es ist eine von insgesamt fünf Institutionen, die unter dem Einfluss Deutschlands bzw. der EU in verschiedenen Regionen Afrikas aufgebaut werden; die Zentren sind Teil einer kontinentalen Militärstruktur, die unter Anleitung aus Berlin und Brüssel künftig die afrikanischen Ressourcengebiete unter Kontrolle halten soll. Kenia, das im Gegensatz etwa zu Äthiopien nicht aktiv Kriege führt, gilt als geeigneter Standort für die ostafrikanische Trainingszentrale. Unmittelbar mit dem Aufbau des PSTC befasst ist die deutsche Entwicklungsorganisation GTZ ("Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit"). Die Maßnahme, die bis zum Jahr 2010 beendet sein soll, wurde allein in den ersten drei Jahren (2004 bis 2006) mit 1,3 Millionen Euro der sogenannten Entwicklungshilfe finanziert.

Die Bedeutung Kenias für die deutsche Einflusspolitik in Ostafrika ist Ursache der Berliner Bemühungen, die einem wichtigen Stützpunkt ihrer neokolonialen Interventionen auf dem Kontinent gelten.

Über die deutschen Arbeiten an der entstehenden afrikanischen Militärstruktur, zu der auch das PSTC in Nairobi zählt, wird german-foreign-policy.com in den kommenden Wochen in loser Folge informieren.



Anmerkungen:
1 Bundesminister Steinmeier ruft kenianische Politiker zu friedlicher Lösung auf und unterstützt Forderung nach Neuauszählung des Wahlergebnisses; Pressemitteilung des Auswärtigen Amts 03.01.2007
2 "Deutschland soll sich einmischen"; Süddeutsche Zeitung 02.01.2007
3 Kenia: Politische Beziehungen; Länder- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amts
4 s. dazu Infiltration
5 Kontroverse Wahrnehmungen: Chinesische, afrikanische und europäische Perspektiven auf den China-Afrika-Gipfel; Friedrich-Ebert-Stiftung, Dezember 2006
6 Monatsbericht der Hanns-Seidel-Stiftung, Januar 2007
7 Politischer Jahresbericht 2006/2007; Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Ostafrika (Nairobi)
8 Politischer Jahresbericht 2003/2004; Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Ostafrika (Nairobi)
9 s. dazu Heißer Frieden, Sudan: Die Anti-Khartum-Front, Sudan: Das linke Deckmäntelchen, Sudan: Zerfall nicht ausgeschlossen, Mit Rebellen gegen Khartum und Geteilte Menschenrechte
10 s. dazu Sehr gut
11 Politischer Jahresbericht 2003/2004; Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Ostafrika (Nairobi)
12 Kenia: Außenpolitik; Länder- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amts



 
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