In den „Arbeitsvorhaben 2008/2009“ des PV [der DKP] wird die Wiederherstellung des nationalen „Sozialstaats“ als aussichtslos bezeichnet. Lafontaines Forderung „Vorwärts, zurück zum Sozialstaat“ wird dementsprechend kritisiert (Leo Mayer, MB 5/07). So weit so gut. Die Begründung allerdings geht völlig daneben: Insbesondere durch die Entstehung von transnationalen Konzernen und deren Weltherrschaft, die die Konkurrenz imperialistischer Staaten ersetzt habe, sei ein Zurück nicht mehr möglich. Die Vertreter dieser Theorie in Teilen der deutschen und internationalen marxistischen Linken (aber auch außerhalb dieser) haben in diesem Zusammenhang entdeckt, das Kämpfe um Reformen nicht mehr im „nationalstaatlichen Rahmen“ stattfinden können, ja unmöglich sind, sondern wenn überhaupt nur noch auf europäischer Ebene möglich wären. Konsequenterweise will die Partei der Europäischen Linken (EL) daher auch ein europäisches Sozial(staats)modell entwickeln – unter Vorsitz von Lothar Bisky! Selbstverständlich stimmt das Marx- (bzw. Hegel-) Wort, Geschichte könne sich nur dergestalt wiederholen, dass sie das erste Mal als Tragödie und das zweite Mal als Farce stattfindet. Kommen wir als erstes zur Tragödie des „nationalen Sozialstaates“.
[file-periodicals#35]Allerdings ist erst einmal etwas Begriffdefinition notwendig. Soziale Gerechtigkeit soll dadurch verwirklicht werden, so Meyers neues Lexikon, indem der Begriff des Sozialstaates in die Verfassung einfügt wird, wie z.B. im Grundgesetz durch den Artikel 20 geschehen. Als ein Beispiel für den „Sozialstaat“ nennt Meyers die „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“.
Gestandene Kommunisten wie der KPD-Vorsitzende Max Reimann stimmten dem Grundgesetz nicht zu, er erklärte jedoch: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, dass wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben.” Reimann und mit ihm Generationen von deutschen Kommunisten gaben sich jedoch nie der Illusion hin, dass der deutsche Imperialismus auf seinem Restterritorium Bestrebungen verfolge, die der sozialen Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen sollten. Das Gegenteil war (und ist) der Fall. Immer wieder erklärten wir Kommunisten, dass der Kapitalismus unvereinbar ist mit sozialer Gerechtigkeit und wir höchstens Brosamen von der Herren Tische erhalten. Jeder kleinste soziale Fortschritt (Reformen, Tariferhöhungen usw.) ist ein Ergebnis des Kräfteverhältnisses der beiden gegeneinander kämpfenden Klassen, Proletariat und Bourgeoisie. Und solange die Bourgeoisie herrscht, wird sie immer wieder diese Reformen selbst in Frage stellen, weil ihr Profitstreben diesen entgegensteht. Das zeigt die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung: Massenverelendung im 1. imperialistischen Weltkrieg, in den Endjahren der Weimarer Republik, im Hitlerfaschismus und im 2. imperialistischen Weltkrieg.
Profitstreben außer Kraft gesetzt?Dass in den „Wirtschaftswunderzeiten“ des deutschen Imperialismus auf einmal das Gesetz des Strebens nach Maximalprofit außer Kraft gesetzt worden wäre, dass stattdessen der Sozialstaat entstanden sei mit ansehnlichen Lohnsteigerungen und einer Fülle von Reformen, dass aber in den letzten 20 bis 30 Jahren dieser Sozialstaat zu Gunsten einer neuen Phase des Kapitalismus geschlachtet worden sei, bedarf einer Erklärung.
Diese sieht dann im Wesentlichen folgendermaßen aus. Im entfesselten Kapitalismus der transnationalen Konzerne sei der Arbeiter, meistens heißt es platt „Mensch“, nur noch Kostenfaktor.
Auf den erstaunten Einwand, dass dies doch schon die Vorläufer von Marx und Engels im 18. Jahrhundert bei ihren Analysen über den aufsteigenden Kapitalismus festgestellt hätten, kommt die Erklärung: Im „nationalen Sozialstaat“ wäre der Arbeiter gleichzeitig ein notwendiger Faktor gewesen, um die Binnennachfrage anzukurbeln bzw. zu gewährleisten. Und diese interessiere heute die transnationalen Konzerne im Zeitalter der „Globalisierung“ nicht mehr. Aha, jetzt sind wir schlauer.
Selbst der frühere Siemens-Boss Peter von Siemens war da bereits in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts klüger mit seiner „Kriegskasse“, seiner „Bank mit angeschlossenem Elektrokonzern“ und seinem Motto „Unser Feld ist die Welt“. Marx und Engels haben es im kommunistischen Manifest über 100 Jahre vorher schon festgestellt: „Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt.“ Vergebens wird man in ihren Analysen den Zweck der Ausbeutung darin finden, dass er einerseits Schaffung von Mehrwert und gleichzeitig der Schaffung von Nachfrage, noch dazu Binnennachfrage (bei einem Weltmarkt!) sei. Im Gegenteil stellten sie zu Recht fest, dass die Bourgeoisie immer versucht, die Ware Arbeitskraft (also die Nachfrage) unter ihren Wert (die notwendigen Lebensmittel zum Erhalt ihrer selbst) zu drücken. Gleichzeitig analysierten sie, dass der Staatskredit inklusive des Staatsbankrotts eine Quelle zur Steigerung des Profits ist, und dies seit dem „18. Brumaire des Louis Bonaparte“ und natürlich auch schon vorher.
Bei Keynes und Freunden der bürgerlichen Volkswirtschaftslehre jedoch finden wir den Begriff der Binnennachfrage und ihrer Steigerung durch staatliche Eingriffe, was nebenbei nichts anderes als eine Steigerung des Staatskredits, der Staatsverschuldung, darstellt, wie z.B. in der BRD seit den 50er Jahren geschehen. Nichts anderes steckt in dem Schelmen „Sozialstaat“.
Von den linken Analysten des „Sozialstaates“ wird zur Ehrenrettung dieses Schelmen erklärt, er habe die Teilnahme des Proletariats am Produktionsfortschritt durch entsprechende Lohnerhöhungen gewährleistet. Dass diese Teilnahme zugleich die Teilnahme an den kapitalistischen Krisen mit ihren drastischen Lohnsenkungen beinhaltet, wird dabei nicht thematisiert. Und diese Teilnahme an dem Produktionsfortschritt sagt gar nichts aus über das Verhältnis von Arbeitslohn und Mehrwert, also über die Ausbeutungsrate, die in der alten BRD sich ständig erhöht hat, stärker als bei den imperialistischen Konkurrenten.
Und das ist die Tragödie des „Wirtschaftswunders“ oder des „Sozialstaates“: die ungeheuere Vernichtung von Produktivkräften durch den zweiten Weltkrieg ermöglichte einen Boom, größer als nach jeder anderen Wirtschaftskrise. Doch unweigerlich nach dieser Wiederherstellungsphase musste das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate wieder zur Wirkung kommen, was zu einer Verschärfung der kapitalistischen Krisen, zu einer Verschärfung der imperialistischen Konkurrenz führte. Das allgemeine Streben der Bourgeoisie, die Ware Arbeitskraft unter ihren Wert zu drücken, wurde befeuert. Die spezielle Rolle der sozialistischen Staaten beim Kampf der Arbeiter in den imperialistischen Staaten bei der Festsetzung des Werts der Ware Arbeitskraft soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden.
Soziale Reformen auf europäischer Ebene?Und nachdem der Schelm des Keynesianismus, der „nationale Sozialstaat“, verschwunden ist, weil ja jetzt die Monopole weltweit agieren und als TNK einherschreiten, bar jedweden Zusammenhangs mit den imperialistischen Staaten – den „alten Nationalstaaten“, wie sie falsch genannt werden – setzen die Entdecker des neoliberalen, globalisierten Kapitalismus anderthalb Schelmen oben drauf und entdecken: den europäischen Nationalstaat.
Hier soll auf einmal gehen, was „nationalstaatlich“ nicht mehr geht, ja „unvereinbar“ mit dem „globalisierten Kapitalismus“ sei: „Reformen europaweit durchsetzen“, ist die Losung. Eine Farce. Entsteht jetzt auf einmal ein europäischer Binnenmarkt, den chinesische Mauern abschirmen? Nochmals: „Die große Industrie hat den Weltmarkt hergestellt.“ Selbst andere als chinesische Mauern wurden dadurch in ihrer Wirksamkeit eingeschränkt.
Nein, Reformen, sprich soziale Errungenschaften sind zeitweilige Erfolge der unterdrückten Klasse. Sie stehen ständig unter dem Feuer der herrschenden Klasse. Der Kampf darum kann die Vereinigung der unterdrückten Klasse befördern sowie die Zeitweiligkeit von Reformen und die Notwendigkeit des endgültigen Sturzes der Ausbeuterklasse bewusst machen - in den einzelnen imperialistischen Staaten, in imperialistischen Bündnissen wie der EU, und weltweit.