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Es ist eine Binsenweisheit, dass dem Aufbau des Sozialismus ausnehmend grössere Schwierigkeiten entstehen, wenn er nicht weltweit, wenigstens in den grossen Industrieländern, gleichzeitig in Angriff genommen werden kann. Er muss sich dann mit einer feindlichen kapitalistischen Umwelt auseinandersetzen, muss Interventionen, Subversionen und Repressionen abwehren, muss – seiner eigenen ökonomischen Systematik zuwider – Rüstung zur Aufrechterhaltung der Abwehrkraft und des internationalen Gleichgewichts betreiben. Er muss sich im Welthandel auf den Kapitalismus einstellen. Die imperialistischen Mächte unterstützen die noch fortbestehenden Teile der Bourgeoisie in ihren Versuchen, den Übergang zum Sozialismus zu verhindern, zu stören, zu verzögern; so werden die Klassenwidersprüche im eigenen Lande geschürt.

[file-periodicals#30]Die Revolution in einem Lande entspricht nicht der idealtypischen Konzeption. Lenin rechnete hoffnungsvoll wenigstens mit der Anschlussrevolution in Deutschland, wenn nicht sogar in den westeuropäischen Staaten. Aber er wartete nicht darauf, als die Zeit in Russland reif war; reif unter den besonderen Bedingungen zaristischer Misswirtschaft und Gewaltherrschaft, eines verlorenen Krieges, zunehmender Unzufriedenheit weiter Teile auch des Kleinbürgertums und vor allem der Bauernschaft, die die drückende Herrschaft der Grossgrundbesitzer abschütteln wollte. Die Kleinbürger wären wohl mit Kerenski einverstanden gewesen; die Bauern waren es nicht (wie auch 30 Jahre später in China), und Lenin erkannte, dass nur eine Interessengemeinschaft der proletarischen Minderheit mit der grossen Mehrheit der Bauern eine Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse würde herbeiführen können. Hätte er warten sollen? Nein! Hätte eine halb- und kleinkapitalistische Agrarstruktur, wie sie zehn Jahre später dem Programm der Kollektivierung der Landwirtschaft entgegengesetzt wurde, den Übergang zum Sozialismus überhaupt zugelassen? Nein! Den Termin des Aufstands zu verpassen, hätte die langfristige Konsolidierung der bürgerlichen Position bedeutet. Es musste in einem Lande gewagt werden. Und die Klassenwidersprüche auf dem Lande nicht zu lösen, hätte den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsstruktur verhindert. Das waren Fragen der politischen Priorität. Eines ergab sich aus dem anderen.

die Große Sozialistische Oktoberrevolution
Auf Grund des Wirkens des Gesetzes der ungleichmäßigen ökonomischen und politischen Entwicklung im Kapitalismus war Rußland um die Jahrhundertwende zum Knotenpunkt aller imperialistischen Widersprüche geworden. Im Ergebnis des ersten Weltkrieges bildete sich in den kriegsführenden Ländern eine revolutionäre Situation heraus. In Rußland wuchs die Krise schneller als in anderen Ländern. Im Februar 1917 erlebte Rußland die zweite bürgerlich-demokratische Revolution (Februarrevolution 1917). Der Zarismus wurde gestürzt. Nach dem Sieg der bürgerlich-demokratischen Februarrevolution 1917 entstand im Lande eine Doppelherrschaft: die bürgerliche Provisorische Regierung und die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten. Eine eigenartige Verschlingung zweier Diktaturen hatte sich herausgebildet: der Diktatur der Bourgeoisie und der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiterklasse und der Bauern. Die Mehrheit in den Sowjets hatten die kleinbürgerlichen Parteien - die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre - an sich gerissen. Das erklärte sich aus der ungenügenden Organisiertheit und der unzureichenden politischen Bewußtheit des Proletariats und der Bauernschaft. Die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre nutzten einerseits die Leichtgläubigkeit der unerfahrenen, vom Sieg über den Zarismus trunkenen Massen und andererseits dieTatsache, daß die bolschewistischen Parteiorganisationen in den Kriegsjahren ausgeblutet und geschwächt waren, daß die aktivsten Funktionäre der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands (Bolschewiki) in Gefängnissen saßen,in der Verbannung oder der Emigration weilten. Die Menschewiki und dieSozialrevolutionäre halfen der Bourgeoisie, ihre Macht in Gestalt der Provisorischen Regierung zu errichten.
[aus: Wörterbuch der Geschichte, Dietz Verlag Berlin/DDR 1984]

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Lenin und die Elektrifizierung
Aber ist die ideale Situation einer gleichzeitigen sozialistischen Revolution in den Industrieländern überhaupt realmöglich und nicht nur ein Denkmuster, an dem man sich orientiert, von dem die Wirklichkeit aber immer abweicht? Unbestreitbar ist die ungleichmässige Entwicklung der verschiedenen Länder und Regionen, auch innerhalb eines und desselben Gesellschaftstyps. Das ist nicht nur eine Erfahrungstatsache. Der Kapitalismus funktioniert nach dem Prinzip des Wettbewerbs, der Konkurrenz zwischen den Unternehmen auf dem Markt und letztlich der Konkurrenz zwischen den Volkswirtschaften auf dem Weltmarkt. Konkurrenz bedeutet Verdrängung des einen Konkurrenten durch den anderen, der Verdrängte ist der Schwächere. Unter diesen Umständen entstehen jeweils andere soziale Strukturen, Abhängigkeiten, Konflikte; ein Gefälle im allgemeinem Wohlstand, im Bildungsniveau, im Grad der Politisierung. in der Organisationsbereitschaft ist die Folge, und zwar keineswegs so, dass diese Differenzierungen systematisch parallel laufen, sondern auch gegenläufig sein können. So entwickeln sich die innerkapitalistischen Widersprüche nicht einheitlich. Es ist auch nicht notwendig das schwächste Kettenglied, das bricht; das Zusammentreffen vielfältiger Bedingungen muss analysiert werden.

Diese prinzipielle Ungleichmässigkeit der Entwicklung macht es unwahrscheinlich, dass Revolutionen simultan stattfinden; allenfalls kann man unter ähnlichen Voraussetzungen Kettenreaktionen erwarten. Mit Wahrscheinlichkeit wird also ein revolutionärer Umsturz der politischen Herrschaftsverhältnisse zunächst in einem Lande stattfinden. Das ist die eigentliche Revolution im engeren Sinne des Wortes. Daran schliesst sich ein langer Prozess der Umgestaltung der Gesellschaft an, in dem die Veränderung der Produktionsverhältnisse, die Entwicklung neuer Bewusstseinsinhalte und -formen, die Identifikation der Menschen mit der neuen Gesellschaft und ihre aktive Teilnahme an deren Gestaltung zum Teil nebeneinander zum Teil zeitverschoben sich vollziehen. Diese Übergangszeit ist die Periode der Ausbildung neuer Demokratieformen unter Leitung der politischen Avantgarde, die die Aufgabe übernimmt, ihre eigene Rolle überflüssig zu machen.
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Lasst uns die Kulakenklasse abschaffen!
Solange Widerstände der einstigen herrschenden Klasse und Einmischungen von aussen diesen Prozess stören, bedarf es der Sicherung der neuen Ordnung, für die im klassischen Marxismus der Terminus „Diktatur des Proletariats“ gebraucht wird. Es leuchtet ein, dass der Aufbau des Sozialismus in einem Lande eine länger andauernde Phase der Diktatur des Proletariats und strengere Durchsetzungsakte nötig macht, weil ja auch die Gegenkräfte stärker sind. Ein sicheres Kennzeichen für die tendenzielle Richtung auf Abschaffung der eigenen Herrschaftsfunktion ist die Förderung von Bildung und Kulturtätigkeit, in denen die Kompetenz und Bereitschaft zu verantwortlicher Beteiligung am Gesellschaftsgeschehen steigt. Marx hat dieses Problem als das der „Erziehung der Erziehern“ angesprochen (3. Feuerbachthese MEW 3, 5 f.).

Grundsätzlich stellen sich dem Übergang zum Sozialismus die gleichen Probleme, ob er in einem Land oder überall in der Welt erfolgt. Sie verschärfen sich jedoch, wenn ein Land oder eine Ländergruppe diesen Weg zunächst allein gehen muss, weil dann die aussenpolitischen Bedingungen und, beeinflusst von ihnen, die Verhärtung der inneren Klassengegensätze zusätzliche Belastungen mit sich bringen. Davon wird keine revolutionäre Bewegung verschont bleiben; und wenn sie sich nicht nach ihrem Sieg auf die Fortsetzung des Klassenkampfs einstellt verfällt sie in einen selbstzerstörerischen Revisionismus. Lenin hat das schon in den ersten Monaten nach der Oktoberrevolution ausgesprochen; seine ungetreuen Erben haben es nach vierzig Jahren vergessen.


 
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