Seit ueber fuenf Wochen bin ich nunmehr in der Volksrepublik China: Am 11.09. bin ich in Hongkong angekommen, nach Guangzhou weitergefahren, habe anschliessend die neue Eisenbahn auf das "Dach der Welt" ausprobiert und die Autonome Region Tibet bereist, bin quer durchs Land zurueckgeflogen und habe dabei einige Zwischenstopps eingelegt... die letzten zwei Wochen habe ich wieder in Guangzhou verbracht, von wo ich auch gestartet bin; nun geht meine Reise unerbittlich dem Ende entgegen...
Junge Pioniere haben Schulschluss: gegen Mittag in einer Garkueche essen zu wollen, ist wegen des enormen Andrangs von Schuelern in Guangzhou keine sonderlich schlaue Idee...
Natuerlich wieder viel zu kurz war die Zeit, die ich in diesem riesigen Land verbringen konnte - das war mir schon vorher klar und wuerde sich auch nicht aendern, wenn ich doppelt so lange hier gewesen waere. Zu gross, zu vielseitig, und zu reich an Kultur und Menschen ist China, um auch nur Teile davon in einigen Wochen oder Monaten erschoepfend bereisen zu koennen. Nachdem ich vor zwei Jahren bereits eine zweimonatige Reise durch Zentral- und Suedchina unternommen hatte, war die Autonome Region Tibet schon damals mein avisiertes Ziel fuer den naechsten Aufenthalt in diesem Lande. Lange kaum zu betreten, und danach aufgrund technischer Schwierigkeiten beim Anstieg auf diese Hoehen ebenfalls schwer zugaenglich, hat die im letzten Jahr fertiggestellte Eisenbahn dies nun grundlegend geaendert: Tibet, das "Dach der Welt", ist ein wirklicher Bestandteil dieser Welt geworden. Reisen dorthin sind kein Problem mehr, und dies wird Tibet, aber auch ganz China veraendern. Dabei zu sein bei einer der ersten Fahrten hinauf auf das tibetische Hochplateau, mit einer Eisenbahn, die saemtliche technischen Rekorde bricht, das war mein Traum. Er ist in Erfuellung gegangen.
Schnell war die Reise, anstrengend manchmal, und viel zu voll gestopft fuer so kurze Zeit. Alleine fuer Tibet haette man deutlich laenger benoetigt; viele Gebiete der Provinz, die alleine groesser ist als Deutschland und Frankreich zusammen, konnte ich nicht sehen. Das ist Ansporn genug, um diese Reise nicht zur letzten Reise dorthin werden zu lassen: ich konnte schnuppern, und ich werde sicherlich wiederkommen.
Nach meiner ersten Fahrt in die Volksrepublik China war mir vieles nicht mehr fremd, als ich im September hier ankam - ich wusste in etwa, was mich erwartet; kannte die ueberfuellten chinesischen Bahnhoefe und Flughaefen; kannte die Schwierigkeiten, die einem des Chinesischen nicht maechtigen Auslaender beispielsweise beim Versuch, ein Bahnticket zu erwerben, im Wege stehen; und hatte einen Eindruck gewonnen von Land und Leuten. Dementsprechend konnte ich gelassener an die Dinge gehen, und habe vielleicht auch manchmal den Blick fuer das verloren, was mir beim ersten Mal viel praegnanter auffiel: das Alltagsleben, die kleinen Unterschiede in Kultur und Denkweise, das feeling des Lebens hier. Die gewisse Vertrautheit im Umgang mit den chinesischen Realitaeten erlaubt es andererseits aber auch, selbstverstaendlicher an die Dinge zu gehen. Die vollgestopften Zuege, die Draengeleien in den obligatorischen Schlangen vor jeder Bank und jedem Geschaeft - vor zwei Jahren habe ich das mit Interesse fotographiert, von einer Art Beobachterstandpunkt aus betrachtet. Diesmal war ich Teil der Wartenden, habe mitgedraengelt, das mich mancher Chinese beinahe fuer seinesgleichen haette halten koennen. Man kommt schnell an, wenn man sich auf das Land und seine Menschen einlaesst.
Wie beim letzten Mal auch habe ich diesmal keinerlei Reiseservice in Anspruch genommen oder an einer organisierten Gruppenreise teilgenommen. Das macht manches komplizierter, weil man - vom Flugticket bis zum Travel-Permit - alles selbst besorgen, die Abfahrtszeiten der Zuege und Fluege im Kopf behalten und die Uebernachtungsorte in rasanten Taxifahrten aufsuchen muss, nur um dann moeglicherweise wegen Ueberfuellung weitergeschickt zu werden. Es gibt einem jedoch die Chance, wirklich, und wenn auch nur fuer kurze Zeit, in das Leben einzutauchen - die organisierten Busreisegruppen, die vom Reiseleiter per Megafon ueber genau 10 Minuten Zeit fuer Fotoshooting vor dieser oder jener Sehenswuerdigkeit informiert werden und danach weiterrasen, werden mir immer ein Graeuel, ein Beispiel fuer die schlechten Seiten des Tourismus bleiben. Die Strapazen, die manchmal auf einer selsbtorganisierten Individualreise auftauchen, nehme ich gerne in Kauf, wenn ich dafuer die Moeglichkeit erhalte, frei und selbst zu bestimmen, wann ich wo fuer wie lange sein moechte. Dies geht in China; niemand legt einem Steine in den Weg, verbietet einem Auslaender bestimmte Gebiete oder schicaniert Reisende mit ueberbordender Buerokratie - es ist wahrscheinlich fuer kaum ein Land der Welt so einfach moeglich, ein Visum zu erhalten, und auch in China selbst bewegt man sich absolut frei - ich bin beispielsweise nicht ein einziges Mal von Polizei oder Behoerden kontrolliert worden, konnte meinen Pass in der Tasche lassen und reisen, mit was und wohin ich wollte. Die speziellen Travel-Permits, die fuer Reisen innerhalb Tibets noetig waren, sind ebenfalls schnell besorgt und eher eine Formalitaet als ernsthaft kompliziert - ein fotokopierter Zettel, den natuerlich ebenfalls niemand jemals sehen moechte, fuer 10 Euro hat's getan.
Ohne chinesisch zu koennen ist reisen ausserhalb der chinesischen Grossstaedte nach wie vor problematisch - Englisch hilft einem nur begrenzt, und auch die ueblichen Eselsbruecken - dilletantische Versuche, eine fremde Schrift durch bruchstueckhafte Kenntnis aehnlicher Sprachen zu entziffern, hastig aus Faltblaettern auswendiggelernte Redewendungen ("Ich habe Durchfall. Wo ist die naechste Apotheke?", zum Beispiel...) bringen einen nicht weiter, da chinesische Schriftzeichen und vier moegliche Tonhoehen bei der Aussprache aller Silben (die selbstverstaendlich jedem Wort verschiedenste Bedeutungen verleihen!) effektiv gegen nicht systematisch erworbene Sprachkenntnis wirken. Das betrifft mich auch, denn meine Versuche, des Chinesischen habhaft zu werden, sind kaum weit gediehen. Es ist also klar, dass ich eine solche Reise, wie ich sie vor zwei Jahren und jetzt unternommen habe, so alleine niemals haette machen koennen. Mein besonderer Dank gilt speziell meiner Freundin, die oftmals als Dolmetscherin fungieren musste und mir so die spannendsten Gespraeche, kompliziertesten Transaktionen und verzwicktesten Hotelbuchungen erst ermoeglichte - ohne sie waere dies niemals gegangen, und das hat natuerlich viel Arbeit, und manchmal auch Stress gemacht... Dankeschoen!
10.09. bis 19.10.2007: eine Reise durch die VR China
Vom 10. September bis zum 19. Oktober bereise ich die Volksrepublik China - und auch über die zweite große China-Reise werde ich (nach technischen Möglichkeiten), ähnlich wie vor zwei Jahren, auf secarts.org multimedial berichten: mit regelmäßigen Artikeln, Bildern und Impressionen aus diesem großen Land, vom Aufbauwerk seiner Menschen und dem Eintritt in eine - selbstbestimmte - Moderne für 1,4 Milliarden Menschen. Ein besonderes Reiseziel innerhalb Chinas ist die Autonome Region Tibet, die mit der vor einem Jahr neu eröffneten Eisenbahn bereist werden wird: Dieses technische Wunderwerk, auf Permafrost und eine Höhe von ~ rund 4000 bis 5000 Höhenmetern erbaut, macht erstmals in der Geschichte Tibets einen regelmäßigen Austausch von Menschen, Industrie und Konsumgütern mit dem restlichen China möglich, und wird so die Modernisierung des dünn besiedelten und früher schwer erreichbaren Gebietes beschleunigen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten, Internet und digitale Medien, ist eine "Live"-Berichterstattung möglich geworden - und so hoffe ich, meine Freunde und Leser mit auf die Reise nehmen zu können!
Die Qinghai-Tibet-Bahn (Qingzang-Bahn, chin. qing zà ng tielù), ist eine Eisenbahnstrecke in der Volksrepublik China. Sie verbindet die Provinz Qinghai mit der Hauptstadt Lhasa des Autonomen Gebietes Tibet. Mit einem Scheitelpunkt von 5.072 Metern ist sie die höchstgelegene Bahnstrecke der Erde und hat auf 5.068 Metern mit Tanggula auch den höchsten Bahnhof der Welt. In Höhen von mehr als 4.000 Metern verlaufen rund 960 der 1.956 Streckenkilometer. Die Reise von Golmud in der Provinz Qinghai nach Lhasa dauert zwölf, von Beijing aus 48 Stunden.
Damit ist die Lhasa-Bahn, deren bautechnische Fertigstellung im Oktober 2005 verkündet wurde, das bisher größte Eisenbahnbauprojekt des 21. Jahrhunderts. Der technische Probebetrieb begann Anfang Februar 2006, der offizielle Eröffnungszug verließ Peking am 1. Juli 2006, dem 85. Gründungstag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), und erreichte Lhasa am 3. Juli 2006. Im August 2006 ist die Strecke in den Regelbetrieb übergegangen.
Die Strecke beginnt in Golmud, Endpunkt der in den 1980er Jahren fertiggestellten, 814 Kilometer langen Strecke aus Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai. Sie führt über die kleinen Orte Budongquan, Wudaoliang, Tuotuoheyan (Gemeinde Tanggulashan) zum 5.220 Meter hohen Tanggula-Pass. An dieser Stelle befindet sich ein Tunnel auf einer Höhe von 5.072 Metern, der den Scheitelpunkt der Strecke und den Übergang ins Autonome Gebiet Tibet darstellt. Wie schon zuvor führt die Strecke zunächst weiter durch die tibetische Hochebene, bis sie nach Damxung ins Tal des Flusses Doilung Qu absteigt und schließlich in Lhasa endet.
Mit Google EarthT lassen sich einzelne Ziele der Reise via Satellitenbild ansehen: im Folgenden sind einige Städte verlinkt. Vorraussetzung zum Anschauen ist die Installation des Gratis-Programms Google EarthT, welches hier zum Download steht. Es ist für Windows (2000, XP, Vista), Mac OS X (ab 10.3.9) und Linux verfügbar; und mit Linux-Emulation auch unter BSD-Derivaten lauffähig. Die Links sind im KML-Format gespeichert und lassen sich mit Google EarthT öffnen.
Mount Everest (Grenze zwischen der VR China und Nepal)
Und auch wenn China als Reiseland kaum besonders teuer ist, kostet eine solche Reise natuerlich Geld - angefangen bei den Flugtickets, aufgehoert bei all den taeglichen Besorgungen, dem Erwerb von Essen und Trinken und dem Reisen innerhalb des Landes. Mein Dank gilt also insbesondere meiner Familie, die mir auch die zweite China-Reise erst ermoeglicht hat: finanziell, aber auch in vielerlei anderer Hinsicht. Und natuerlich bedanke ich mich auch bei meinen Freunden daheim, die mich zumindest via Internet auf dieser Reise ein wenig begleiten konnten: fuer's mitlesen, fuer's kommentieren, fuer viele kleine Hilfen bei Organisierung und Durchfuehrung der Reise!
In drei Tagen werde ich wieder in Deutschland sein. Und wahrscheinlich mehr als einmal bereuen, schon nach Hause zu muessen - denn Vieles, was ich gerne noch getan haette, war aus Zeitgruenden nicht mehr moeglich. Doch meine letzte Fahrt nach China war dies nicht, und soviel ist sicher: wenn es Geld und Umstaende erlauben, werde ich vielleicht schon in zwei Jahren wiederkommen. Und auch dann natuerlich versuchen, ausfuehrlich zu berichten.
Ich verabschiede mich hier und jetzt von meinen Lesern, und sage bis bald, zu Hause - denn in China werde ich nicht mehr schreiben. Morgen, an meinem letzten kompletten Tag in China, werde ich packen, noch Einkaeufe machen, und zeitig zu Bett gehen: uebermorgen geht mein Flug zurueck. In drei Tagen werde ich in Deutschland sein, und wahrscheinlich einen schrecklichen Klimaschock erleiden - zumindest der Wetterbericht, der fuer Frankfurt 10 Grad meldet, hat mich das Fuerchten gelehrt. Es bleiben mir also nur noch knappe zwei Tage, um den milden subtropischen Herbst hier zu geniessen, der ausgerechnet jetzt, wo es ans heimfahren geht, wirklich angenehm wird... Und das mache ich jetzt auch! Also denn:
Bis bald, daheim, und viele Gruesse! euer secarts
Anmerkung: ich bediene mich sowohl auf der Karte als auch in den Artikeln der offiziellen chinesischen Pinyin-Umschrift, die vielfach von der hierzulande bekannten, allerdings überholten Umschrift abweicht. "Guangzhou" ist gleichbedeutend mit "Canton", "Beijing" mit "Peking" und so weiter. Wenn einmal ein Wort nicht verständlich ist, bitte gleich in den Kommentaren nachfragen!
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eine letzte Meldung aus China; ich werde in ein paar Stunden nach Hongkong aufbrechen, von dort geht heute Nacht unser Flug nach Frankfurt - jetzt wird der Laptop verpackt!
Ich werde mich also erst irgendwann morgen tagsueber wieder melden koennen, wenn ich zurueck in Deutschland bin.
Viele Gruesse, und bis dann! secarts
Kommentar zum Artikel von secarts:
Mittwoch, 17.10.2007 - 10:48
danke fuer die Gruesse, ich ahne temperaturmaessig schon schreckliches...
Naja, werd ich ueberleben! Ich denke, dass wir die Tage mal reinschauen!
Viele Gruesse, und bis dann! secarts
P.S.: wenn du dich erst einloggst, und dann deinen Kommentar schriebst, hast du auch wieder deinen richtigen Namen!
• Kommentar zum Artikel von ico:
Dienstag, 16.10.2007 - 23:38
Hy secarts, schön dich bald wieder in unserer mitte begrüßen zu können, mach dich auf winterliche temp. gefasst - bis denne, und danke für die reiseberichterstattung.... nico