Heute mal etwas leichtere Kost, nachdem ich gestern den ganzen Tag unterwegs war und gleich schon wieder los will... ich werde auf die Frage eingehen, die mir waehrend meines Aufenthalts hier via PM, E-Mail oder ICQ wohl am haeufigsten gestellt wurde: wie vertraegst du eigentlich die duenne Luft?
Kurz gesagt: ueberraschend gut. Nachdem mir von wohlmeinender Seite vor meiner Abfahrt bereits in den detailliertesten Farben ausgemalt wurde, was mir alles graeuliches drohen koennte, schwebten mir Begriffe wie "ploetzlicher Bergsteigertod", anatomische Beschreibungen von Hirnoedemen oder unguenstigen Wasseransammlungen in lebenswichtigen Organen durch den Kopf - die Luft hier in Tibet ist, wie der Spitzname "Dach der Welt" schon suggeriert, deutlich duenner als anderswo. Lhasa, die Hauptstadt der Autonomen Region, liegt mit 3.600 Hoehenmetern noch relativ niedrig; andere Orte in dieser Gegend knacken locker die 5000er-Marke oder sind, wenn im Himalaya beheimatet, noch hoeher. Der Sauerstoffgehalt und der Luftdruck sinken damit. Fuer den Menschen kann dies durchaus unangenehme Folgen haben.
Lhasa selbst habe ich erstaunlich gut verkraftet. Der erste Einkauf betraf zwei Druckflaschen mit Sauerstoff, die hier ueberall verhoekert werden und wohl neben tibetischem Religiosn-Klimbim den besten Absatz machen, doch schon nach zwei Tagen waren die Nebenwirkungen, die eine erhoehte Produktion roter Blutkoerperchen mit sich bringt, auch ohne Sauerstoffhilfe ueberwunden: Schlaflosigkeit, Mattigkeit, Kopfschmerzen und Appetitlosigkeit zaehlen dazu. Von Letzterem habe zumindest ich nicht das Geringste verspuert: noch am ersten Tag in Lhasa habe ich ein halbes Kilo Yakfleisch verdrueckt, und bei dieser Menge und Sorte bin ich eigentlich auch geblieben. Die duenne Luft scheint mich hungrig gemacht zu haben...
Gestern nun habe ich den See Nam-Tso, auf einer Hoehe von 4.900 Metern gelegen, besucht - bei der Fahrt dorthin ueberquerten wir einen Pass, der meinen beisherigen Hoehenrekord in Tibet dastellt: 5.190 Meter ueber Normal-Null. Dort hatten wir die Gelegenheit zum Aussteigen, und der geringe Sauerstoffgehalt der Luft (die Haelfte des Normalen) machte sich zuegig bemerkbar: bereits nach wenigen schnell gegangenen Schritten war man ausser Puste. Ansonsten ereilte mich keines der schrecklichen Schicksale, die Pathologielehrbuecher so gerne farbenfroh bebildern: alles etwas anstrengender, aber halb so wild.
Der See Nam-Tso ist der hoechste See der Welt. Und gleichzeitig ist er auch Chinas groesster Salzwassersee, ein Muss also fuer Touristen, die sich in der Naehe befinden. Baden darf man dort nicht, denn den Tibetern ist dieser See (wie fast alles) heilig. Ob ich viel verpasst habe, sei dahingestellt: bei nur wenigen Grad Wassertemperatur und der schnellen Erschoepfung bei so duenner Luft halte ich es eher mit Churchills "sport kills". Da macht man wenigstens nichts falsch!
Der Besuch des Sees hat sich dennoch gelohnt: eingereiht in Mehrtausender, mit dem Tangula-Pass, der die Provinzgrenze zwischen Tibet und Qinghai markiert, in Blickweite, war der Hochsee ein im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubendes Erlebnis: tiefblaues Wasser, durch den beinahe wolkenfreien Himmel (die Wolken waren irgendwo unter uns oder am Horizont...) eingefaerbt, so weit das Auge reicht - und dazu die tibetischen Gebetsfaehnchen, virtuos von Berggipfel zu Berggipfel gespannt: auch frei von saemtlichen religioesen Gefuehlen kann man sich der Erfahrung solcher natuerlicher Schoenheit nicht verschliessen: der See hat in seiner Stille und Tiefe etwas magisches.
10.09. bis 19.10.2007: eine Reise durch die VR China
Vom 10. September bis zum 19. Oktober bereise ich die Volksrepublik China - und auch über die zweite große China-Reise werde ich (nach technischen Möglichkeiten), ähnlich wie vor zwei Jahren, auf secarts.org multimedial berichten: mit regelmäßigen Artikeln, Bildern und Impressionen aus diesem großen Land, vom Aufbauwerk seiner Menschen und dem Eintritt in eine - selbstbestimmte - Moderne für 1,4 Milliarden Menschen. Ein besonderes Reiseziel innerhalb Chinas ist die Autonome Region Tibet, die mit der vor einem Jahr neu eröffneten Eisenbahn bereist werden wird: Dieses technische Wunderwerk, auf Permafrost und eine Höhe von ~ rund 4000 bis 5000 Höhenmetern erbaut, macht erstmals in der Geschichte Tibets einen regelmäßigen Austausch von Menschen, Industrie und Konsumgütern mit dem restlichen China möglich, und wird so die Modernisierung des dünn besiedelten und früher schwer erreichbaren Gebietes beschleunigen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten, Internet und digitale Medien, ist eine "Live"-Berichterstattung möglich geworden - und so hoffe ich, meine Freunde und Leser mit auf die Reise nehmen zu können!
Die Qinghai-Tibet-Bahn (Qingzang-Bahn, chin. qing zà ng tielù), ist eine Eisenbahnstrecke in der Volksrepublik China. Sie verbindet die Provinz Qinghai mit der Hauptstadt Lhasa des Autonomen Gebietes Tibet. Mit einem Scheitelpunkt von 5.072 Metern ist sie die höchstgelegene Bahnstrecke der Erde und hat auf 5.068 Metern mit Tanggula auch den höchsten Bahnhof der Welt. In Höhen von mehr als 4.000 Metern verlaufen rund 960 der 1.956 Streckenkilometer. Die Reise von Golmud in der Provinz Qinghai nach Lhasa dauert zwölf, von Beijing aus 48 Stunden.
Damit ist die Lhasa-Bahn, deren bautechnische Fertigstellung im Oktober 2005 verkündet wurde, das bisher größte Eisenbahnbauprojekt des 21. Jahrhunderts. Der technische Probebetrieb begann Anfang Februar 2006, der offizielle Eröffnungszug verließ Peking am 1. Juli 2006, dem 85. Gründungstag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), und erreichte Lhasa am 3. Juli 2006. Im August 2006 ist die Strecke in den Regelbetrieb übergegangen.
Die Strecke beginnt in Golmud, Endpunkt der in den 1980er Jahren fertiggestellten, 814 Kilometer langen Strecke aus Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai. Sie führt über die kleinen Orte Budongquan, Wudaoliang, Tuotuoheyan (Gemeinde Tanggulashan) zum 5.220 Meter hohen Tanggula-Pass. An dieser Stelle befindet sich ein Tunnel auf einer Höhe von 5.072 Metern, der den Scheitelpunkt der Strecke und den Übergang ins Autonome Gebiet Tibet darstellt. Wie schon zuvor führt die Strecke zunächst weiter durch die tibetische Hochebene, bis sie nach Damxung ins Tal des Flusses Doilung Qu absteigt und schließlich in Lhasa endet.
Mit Google EarthT lassen sich einzelne Ziele der Reise via Satellitenbild ansehen: im Folgenden sind einige Städte verlinkt. Vorraussetzung zum Anschauen ist die Installation des Gratis-Programms Google EarthT, welches hier zum Download steht. Es ist für Windows (2000, XP, Vista), Mac OS X (ab 10.3.9) und Linux verfügbar; und mit Linux-Emulation auch unter BSD-Derivaten lauffähig. Die Links sind im KML-Format gespeichert und lassen sich mit Google EarthT öffnen.
Mount Everest (Grenze zwischen der VR China und Nepal)
Viel erdverbundener war die An- und Abfahrt, die wir mit einem lokalen Busunternehen abwickelten: der Start um sieben in der Fruehe gelang problemlos, doch bereits zwei Stunden spaeter, im Doerfchen Qang Xiong, das an der neuen Eisenbahnstrecke entstand und den Charme eines uebergrossen Truckstopps ausstrahlte, war mit der Fahrt Schluss: der Diesel streikte und schaffte den ultimativen Anstieg auf 5200 Meter nicht mehr. Anderthalb Stunden werkelte der Fahrer am Wagen, bis er die Maschine und ihren Anzug wieder flott bekam: das Gelingen seines mechanischen Eingriffs stellte er mit waghalsigen Ueberholmanoevern auf Anstiegsstrecken unter Beweis, auf denen in Deutschland wohl die beruechtigten Schilder mit dem Totenkopf zu sehen waeren. Nichtsdestotrotz: gegen 12 Uhr Mittags waren wir, durchgeschuettelt und heile, da. Nach einigen Stunden begann die Rueckfahrt; auch dort gab es, wie sollte es anders sein, die eine oder andere Verzoegerung: an einer beruehmten "heissen Quelle" wurde ein kleiner Zwischenstopp eingelegt, doch von der Quelle selbst war leider wenig zu sehen: statt dessen hatten sich geschaeftstuechtige Tibeter mit Troedelstaenden breit gemacht, die aus jedem Mitfahrenden wenigstens ein paar Yuan herausquetschen wollten: wer nichts kaufen konnte oder wollte, wurde umso unbarmherziger von Gruppen gestikulierender Menschen beim Gang auf die Toilette abkassiert. Der Spass hat uns wieder eine Stunde (und einige Yuan) gekostet; erst gegen 20 Uhr waren wir zurueck in Lhasa. Trotzdem: der Ausflug hat sich gelohnt!
Die duenne Luft hier, die ich trotz mancher Sorge im Vorhinein ganz gut vertragen habe, bekommt anderen weniger : Eine Chinesin aus Shanghai zum Beispiel, die seit ihrer Ankunft hier 39 Grad Fieber hat und sich nur mit Spritzen, die sie sich taeglich im Krankenhaus abholt, bewegungsfaehig halten kann, ist deutlich mehr gestraft: trotzdem, Urlaubszeit ist knapp in China, will sie die Reise unbedingt fortsetzen: fuer sie soll es nun zum Mount Everest weitergehen. Ob sinnvoll oder nicht: ich wuensche viel Spass... und viel Glueck!
Anmerkung: ich bediene mich sowohl auf der Karte als auch in den Artikeln der offiziellen chinesischen Pinyin-Umschrift, die vielfach von der hierzulande bekannten, allerdings überholten Umschrift abweicht. "Guangzhou" ist gleichbedeutend mit "Canton", "Beijing" mit "Peking" und so weiter. Wenn einmal ein Wort nicht verständlich ist, bitte gleich in den Kommentaren nachfragen!
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wenn Du schon anfängst, wikipedia zu zitieren, ist es ein gutes Zeichen der Akzeptanz des Unvermeidlichen: Der Übernahme des Händis der Allwissenheit und der Disziplin! Vorbildlich!!
• Kommentar zum Artikel von 127712:
Freitag, 28.09.2007 - 18:07
Laut Wikipedia ist der Nam-Tso (dort Nam Co) nur der zweitgrößte Salzwassersee Chinas, trotzdem ein beeindruckender Anblick. Diese riesigen Berge...! Sogar die Wolken wirken größer als hierzulande.