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BERLIN (18.09.2007) - Mit entschlossenen Forderungen zum Einsatz der Bundeswehr im Inland treibt der Berliner Verteidigungsminister Strategien der deutschen Militärelite ("strategic community") voran. Franz-Josef Jung (CDU) hat am Wochenende angekündigt, entführte Passagierflugzeuge gegebenenfalls unter Bruch der Verfassung durch Kampfflieger der Luftwaffe abschießen zu lassen. Damit entspricht er Überlegungen, die von der Berliner Bundesakademie für Sicherheitspolitik seit langem forciert werden und Änderungen am Grundgesetz "in wesentlichen Teilen" vorsehen. Zur Durchsetzung ihrer Pläne baut die Bundesakademie seit Jahren ein Netzwerk in Ministerialbürokratien, Wirtschaftsunternehmen und Medien aus. Beteiligt ist auch das Bundeskanzleramt. Die Aktivitäten finden den Zuspruch des Bundespräsidenten. Wie Horst Köhler am Freitag vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg erklärte, sollen die militärischen Eliten stärker als bisher in die Debatten über die deutsche Sicherheitspolitik eingreifen und "das Führungspersonal in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tüchtig in die Zange" nehmen. Die Berliner Pläne laufen auf eine tiefgreifende Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens hinaus.

Übergesetzlicher Notstand

Wie Verteidigungsminister Franz-Josef Jung am Wochenende ankündigte, wird er gegebenenfalls auch gegen geltendes Recht den Befehl zum Abschuss eines entführten Passagierflugzeugs erteilen. Wenn "gemeine Gefahr" im Verzug sei, "dann gelten andere Regeln", behauptete Jung und berief sich auf ein angebliches "Recht des übergesetzlichen Notstands".1 Der Verteidigungsminister berichtete, er habe schon während der Fußball-Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr entsprechende Vorkehrungen getroffen und eine Auswahl unter den Soldaten der Luftwaffe vorgenommen: Demnach hielten sich damals Piloten zum Einsatz bereit, die trotz der "schwierigen rechtlichen Frage" 2 gewillt waren, einen Abschussbefehl auszuführen. Es besteht der Verdacht, dass während des diesjährigen G8-Gipfels die über Heiligendamm eingesetzten Tornado-Piloten nach ähnlichen Kriterien ausgesucht wurden.

Umfassend

Die entschlossenen Worte, mit denen Jung die Legalisierung von Inlandseinsätzen der Bundeswehr fordert ("ganz oder gar nicht"), reflektieren das Drängen sogenannter Sicherheitspolitiker in Berlin. So heißt es etwa in einem im Sommer veröffentlichten Rahmenkonzept aus der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), man benötige nun "klare grundgesetzliche Regelungen" für militärische Operationen auf deutschem Territorium.3 Hintergrund sind Konzepte, denen zufolge in den aktuellen globalen Auseinandersetzungen, beispielhaft im sogenannten Anti-Terror-Kampf, "die Grenzen zwischen Innen und Außen, zwischen Militär und Polizei, zwischen Wirtschaft und Politik, ja sogar zwischen Krieg und Frieden verschwimmen".4 "Vor diesem Hintergrund begreifen wir Sicherheit in einem erweiterten Sinn, umfassend und vorbeugend", sagte BAKS-Präsident Rudolf Adam bereits vor drei Jahren.5 Zu der daraus abgeleiteten Expansion staatlicher Kontrolle und Repression in weitgespannte Bereiche des gesellschaftlichen Lebens gehören auch Einsätze militärischer Verbände auf deutschem Territorium.

Netzwerke

Zur politischen Durchsetzung ihrer Forderungen und zur praktischen Umsetzung ihrer Konzepte knüpft die BAKS systematisch Netzwerke in Ministerialbürokratien, Wirtschaftsunternehmen (bevorzugt aus der Rüstungsindustrie) und Medien. Ausgewählte "Multiplikatoren" werden in "Seminaren für Sicherheitspolitik" über einen Zeitraum von sechs Monaten geschult. Wie in der Bundesakademie zu erfahren ist, nahmen am vergangenen "Seminar für Sicherheitspolitik" Beamte aus mehreren Bundesministerien, Vertreter von EADS und Rheinmetall, eine Mitarbeiterin der Entwicklungsagentur InWEnt sowie ein Redakteur aus dem ZDF-Hauptstadtstudio teil. Der BAKS zufolge etablieren die Schulungstreffen "langfristige Beziehungen zwischen Entscheidungsträgern aus Bundes- und Landesministerien in herausgehobener Verantwortung und maßgeblichen Vertretern der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens".6

Zentrale Rolle

Nach den internen Vorgaben der Bundesakademie müssen die "gezielt aufgebauten Kontakte" sorgfältig gepflegt werden, um die Einbindung ehemaliger Seminarteilnehmer in eine selbst ernannte "strategic community" sicherzustellen.7 Prominenteste staatliche Institution des militärischen Elitezirkels ist das Bundeskanzleramt, das mit der Auswahl der Seminarteilnehmer befasst ist. Deutliche Hinweise auf die übrigen Milieus der "strategic community" sind der Laufbahn des BAKS-Präsidenten Rudolf Adam zu entnehmen. Adam kommt ursprünglich aus dem Auswärtigen Dienst und war vor seiner Amtsübernahme Vizepräsident der deutschen Auslandsspionage (BND). Die Repräsentanten dieser Apparate werden in der BAKS mit Vertretern der Bundeswehr zusammengeführt, so dass außenpolitische und geheimdienstliche Belange in einem Einflusspool konzentriert sind - unter militärischer Dominanz. Ziel dieser "community" ist die möglichst direkte Teilnahme an politischen Entscheidungsprozessen durch Lobbyarbeit im Bundeskanzleramt. So wurde das von BAKS-Seminarteilnehmern entwickelte "Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik" kürzlich dem Bundeskanzleramt vorgelegt. Die Vorlage plädiert nicht nur für Einsätze der Bundeswehr im Inland, sondern auch für die Nutzung von Nicht-Regierungsorganisationen und Wissenschaftlern in sogenannten Sicherheitskomplexen (german-foreign-policy.com berichtete 8).

Medien

Der Ausbau der militärischen Einflussarbeit zielt unter anderem auf Journalisten. Neben der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und anderen Einrichtungen des deutschen Militärs wie der Akademie für Infomation und Kommunikation (AIK) in Strausberg 9 richtet auch die BAKS "Foren" für Medienvertreter, Ressortleiter und Chefredakteure ein; die nächste Veranstaltung beginnt am morgigen Mittwoch. Zudem vergibt die Bundesakademie einen "Karl-Carstens-Preis" an "Personen aus dem deutschsprachigen Raum (...), die mit sicherheitspolitischen Themen in einem umfassenden Verständnis eine breite Öffentlichkeit ansprechen". Vor wenigen Tagen hat BAKS-Präsident Adam den diesjährigen Karl-Carstens-Preis an Helmut Markwort verliehen, den Chefredakteur des Nachrichtenmagazins FOCUS. Dessen aktuelle Ausgabe hatte am Wochenende große Aufmerksamkeit hervorgerufen: Sie enthält das Interview mit Franz-Josef Jung, in dem der Bundesverteidigungsminister mit entschiedenen Worten die Legalisierung von Bundeswehreinsätzen im Inland fordert.

Großer Dienst

Vor diesem Hintergrund verdienen Äußerungen des deutschen Bundespräsidenten Beachtung, die auf eine weitere Aufwertung der "strategic community" zielen. Wie Horst Köhler am vergangenen Freitag vor der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg erklärte, wünscht er eine noch stärkere Beteiligung der "hohen Offiziere der Bundeswehr" an der Fortentwicklung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. "Nehmen Sie (...) das Führungspersonal in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft tüchtig in die Zange", forderte Köhler die anwesenden Soldaten auf: "Damit erweisen Sie unserem Land einen großen Dienst."10


Anmerkungen:
1, 2 "Ich würde den Befehl geben"; Focus 17.09.2007
3 s. dazu Strategic Community
4, 5 Rudolf Adam: Ansprache Abschluss 12. Kernseminar 2004, Berlin, 25. Juni 2004
6 Seminar für Sicherheitspolitik 2007: Asymmetrien als Herausforderung. Rahmenkonzept für eine ressortübergreifende Sicherheitspolitik, Berlin, Juni 2007
7, 8 s. dazu Strategic Community
9 s. dazu Neues Steuerungsniveau, Filmrezension: Gesteuerte Demokratie? und Journalisten-Forum
10 Rede beim Festakt aus Anlass des fünfzigjährigen Bestehens der Führungsakademie der Bundeswehr; Hamburg 14.09.2007


 
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