Nach Erholung von Eisenbahnfahrt, ungewohnter Hoehenluft und erneutem Klimawechsel hatte ich gestern un heute erste Gelegenheit, die Stadt Lhasa zu erkunden: die Hauptstadt der Autonomen Region Tibet ist mit 300.000 Einwohnern nicht allzu gross, und stellt im duenn besiedelten Tibet doch eine Metropole dar: hier liegt das oekonomische Zentrum des Landes, hier ist die Universitaet fuer die Nationalen Minderheiten beheimatet, hier liegt das Zentrum des religioesen Lebens des tibetischen Buddhismus...
Die Stadt vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck eines Zeitspiegels: in der topmodernen Innenstadt, in der jedes erdenkliche Konsumgut zu erwerben ist, in der sich Internetcafe an Internetcafe reiht und aus deren Modegeschaeften nervige tibetische Popmusik quillt, gehoeren nicht nur Tibeter, Han-Chinesen und westliche Touristen zum Alltagsbild, sondern auch die rotgewandeten Lamas und buddhistischen Pilger... die "haerteren" unter ihnen pilgern von Heiligtum zu Heiligtum, indem sie sich nach jedem Schritt auf den Boden werfen, Mantras murmeln und die Haende zum Gebet heben - die knieenden Pilger vor dem Potala-Palast, den wichtigsyen Kloestern und buddhistischen Heiligtuemern gehoeren hier wie selbstverstaendlich zum Strassenbild. Und direkt daneben laufen knapp bekleidete tibetische Maedchen ueber die Strassen; geschaeftstuechtige Touristenfuehrer, Kartenverkaeufer und Antiquitaetentroedler versuchen ihre Waren an den Mann zu bringen. Die perfekte Symbiose aus Gebetsfaehnchen, Garkuechen, Supermaerkten und buddhistischen Heiligtuemern scheint hier erreicht.
Das selbsternannte "geistige und weltliche Oberhaupt der Tibeter", der 14. Dalai Lama, weilt derzeit, wieder einmal, bei Freunden, in Deutschland. Ueber den 14. Dalai Lama, seine ganz besonderen Beziehungen zu Deutschland und seine separationistische und gefaehrliche Politik habe ich vor einiger Zeit anlaesslich seines Deutschland-Besuches einen dreiteiligen Artikel geschrieben, auf den ich hier verweisen moechte:
Festzuhalten bleibt: Der Dalai Lama, Anfuehrer einer religioesen Gruppe (der "Gelupga"), spricht genausowenig fuer die tibetische Bevoelkerung, wie etwa der Papst fuer alle Laender mit katholischer Mehrheitsbevoelkerung. Mehr zu den Hintergruenden seiner Person und den fragwuerdigen Aspekten seiner Ansichten ist in den drei verlinkten Artikeln zu finden. Hier moechte ich nicht naeher darauf eingehen - das echte Tibet ist spannender, lebendiger und wichtiger.
Die Stadt selbst ist fast durchgehend in tibetischem Stil errichtet - ein Gesetz besagt, dass jeder Neubau in typisch tibetischer Architektur errichtet werden muss. Dies fuehrt zu einer pittoresk anzuschauenden Innenstadt, mit flachen, bunt bemalten und harmonisch aneinandergefuegten Gebaeuden. Dominiert wird das Stadtzentrum vom gigantischen Potala-Palast - der ehemlagie Sitz des Dalai Lama ueberragt die gesamte Stadt und wird des Nachts aus vieltausendfachen Strahlern hell erleuchtet. Potala und die wichtigsten Kloester und Heiligtuemer wurden in den letzten Jahren aufwaendig restauriert und sind - gegen Entgeld auf durchaus westlichem Niveau - teilweise zu besichtigen. Gleichzeitig sind sie immer noch "in Betrieb", der Abgang des 14. Dalai Lama hat dem buddhistischen Leben in dieser Stadt augenscheinlich keinen Abbruch getan. Apropros Dalai Lama: dieser wettert immer wieder wortgewaltig gegen die "ethnische Ueberfremdung", den "ungezuegelten Zuzug" von Han-Chinesen - und jeder tibetische Jugendliche, der in eine der zahlreichen chinesischen Garkuechen geht, muss eine kleine Niederlage fuer ihn sein...
Wie wenig haltbar die Argumentation der "kulturellen Ueberfremdung", die wohl Isolation und Autarkie zum hoechsten erstrebenswerten Ziel erklaert, haltbar ist, sieht man in Lhasa auf Schritt und Tritt: die Stadt blueht, wird zum Magnet fuer Tibeter, Chinesen anderer Nationalitaeten und westliche Touristen - ohne deshalb den Buddhismus oder die tibetische Kultur zu vernichten. Man kann die Renaissance des tibetischen Buddhismus, die wachsende Zajl der praktizierenden Glaeubigen und aktiven Lamas (Moenche der Gelbmuetzen-Sekte) sicherlich unterschiedlich beurteilen. Nach einer gelenkten, staatlichen Anti-Religions-Taetigkeit sieht hier allerdings nichts aus.
Die ethnischen Tibeter benehmen sich sicherlich ein wenig mehr wie die Han-Chinesen, und vor allem die tibetische Jugend scheint ihren Geschmack am modernen, oekonomisch immer besser ausgestatteten Lebenswandel ihrer Han-chinesischen Altersgenossen gefunden zu haben: auf Mopeds und Motorrollern knattern sie durch die Stadt, hoeren tibetischen und chinesischen Pop und kleiden sich wie Gleichaltrige in aller Welt. Die Han-Chinesen, die es nach Lhasa zog, gleichen sich hingegen den Tibetern an: wer hier "Business" machen will, muss zuerst mal die Sprache der Hauptzielgruppe lernen, und das sind immer noch die Tibeter. Dazu gehoert ein Bildchen vom verstorbenen, hier hoch verehrten Panchen Erdini (ein anderer, neben dem Dalai Lama wichtiger Religionsfuehrer des tibetischen Buddhismus) ins Schaufenster, um die religioesen Gefuehle der Mehrheitsbevoelkerung zu respektieren. Und bei dem Klima hier oben, auf 3600 Metern ueber Normal Null, wird die Kleidung sowieso nur durch Zweckmaessigkeit bestimmt: kurz gesagt, Tibter und Han-Chinesen sind in aller Regel kaum auseinander zu halten.
10.09. bis 19.10.2007: eine Reise durch die VR China
Vom 10. September bis zum 19. Oktober bereise ich die Volksrepublik China - und auch über die zweite große China-Reise werde ich (nach technischen Möglichkeiten), ähnlich wie vor zwei Jahren, auf secarts.org multimedial berichten: mit regelmäßigen Artikeln, Bildern und Impressionen aus diesem großen Land, vom Aufbauwerk seiner Menschen und dem Eintritt in eine - selbstbestimmte - Moderne für 1,4 Milliarden Menschen. Ein besonderes Reiseziel innerhalb Chinas ist die Autonome Region Tibet, die mit der vor einem Jahr neu eröffneten Eisenbahn bereist werden wird: Dieses technische Wunderwerk, auf Permafrost und eine Höhe von ~ rund 4000 bis 5000 Höhenmetern erbaut, macht erstmals in der Geschichte Tibets einen regelmäßigen Austausch von Menschen, Industrie und Konsumgütern mit dem restlichen China möglich, und wird so die Modernisierung des dünn besiedelten und früher schwer erreichbaren Gebietes beschleunigen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten, Internet und digitale Medien, ist eine "Live"-Berichterstattung möglich geworden - und so hoffe ich, meine Freunde und Leser mit auf die Reise nehmen zu können!
Die Qinghai-Tibet-Bahn (Qingzang-Bahn, chin. qing zàng tielù), ist eine Eisenbahnstrecke in der Volksrepublik China. Sie verbindet die Provinz Qinghai mit der Hauptstadt Lhasa des Autonomen Gebietes Tibet. Mit einem Scheitelpunkt von 5.072 Metern ist sie die höchstgelegene Bahnstrecke der Erde und hat auf 5.068 Metern mit Tanggula auch den höchsten Bahnhof der Welt. In Höhen von mehr als 4.000 Metern verlaufen rund 960 der 1.956 Streckenkilometer. Die Reise von Golmud in der Provinz Qinghai nach Lhasa dauert zwölf, von Beijing aus 48 Stunden.
Damit ist die Lhasa-Bahn, deren bautechnische Fertigstellung im Oktober 2005 verkündet wurde, das bisher größte Eisenbahnbauprojekt des 21. Jahrhunderts. Der technische Probebetrieb begann Anfang Februar 2006, der offizielle Eröffnungszug verließ Peking am 1. Juli 2006, dem 85. Gründungstag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), und erreichte Lhasa am 3. Juli 2006. Im August 2006 ist die Strecke in den Regelbetrieb übergegangen.
Die Strecke beginnt in Golmud, Endpunkt der in den 1980er Jahren fertiggestellten, 814 Kilometer langen Strecke aus Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai. Sie führt über die kleinen Orte Budongquan, Wudaoliang, Tuotuoheyan (Gemeinde Tanggulashan) zum 5.220 Meter hohen Tanggula-Pass. An dieser Stelle befindet sich ein Tunnel auf einer Höhe von 5.072 Metern, der den Scheitelpunkt der Strecke und den Übergang ins Autonome Gebiet Tibet darstellt. Wie schon zuvor führt die Strecke zunächst weiter durch die tibetische Hochebene, bis sie nach Damxung ins Tal des Flusses Doilung Qu absteigt und schließlich in Lhasa endet.
Mit Google EarthT lassen sich einzelne Ziele der Reise via Satellitenbild ansehen: im Folgenden sind einige Städte verlinkt. Vorraussetzung zum Anschauen ist die Installation des Gratis-Programms Google EarthT, welches hier zum Download steht. Es ist für Windows (2000, XP, Vista), Mac OS X (ab 10.3.9) und Linux verfügbar; und mit Linux-Emulation auch unter BSD-Derivaten lauffähig. Die Links sind im KML-Format gespeichert und lassen sich mit Google EarthT öffnen.
Mount Everest (Grenze zwischen der VR China und Nepal)
Der Dalai Lama mag das verwerflich finden. Ich bin mir nach meinen Eindruecken in Lhasa sehr sicher, dass er damit recht isoliert steht. Ein besseres, leichteres Leben, kulturelle Abwechslung, vielfaeltige Kueche und die Freiheit, in anderen Anziehsachen als religioesen Gewaendern herumzulaufen, ueberzeugen staerker als die Weltsicht eines alten Mannes aus seinem indischen Exil-Vatikan. Und das ist, beim Shakyamuni, auch gut so!
Anmerkung: ich bediene mich sowohl auf der Karte als auch in den Artikeln der offiziellen chinesischen Pinyin-Umschrift, die vielfach von der hierzulande bekannten, allerdings überholten Umschrift abweicht. "Guangzhou" ist gleichbedeutend mit "Canton", "Beijing" mit "Peking" und so weiter. Wenn einmal ein Wort nicht verständlich ist, bitte gleich in den Kommentaren nachfragen!
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..mit den Gruessen an alle koennte es etwas dauern... 1,4 Milliarden Leute!
Viele Gruesse an dich, in unsere Stammkneipe und an unseren Stammtisch, natuerlich :) Vielleicht bekomme ich hier ja einen netten Wimpel? Mal kiecken!
Kommentar zum Artikel von nico:
Sonntag, 23.09.2007 - 20:56
hy secarts, sehr gut geschrieben und tolle fotos. nur die knapp gekleideten mädchen, so finde ich, kommen ein wenig zu kurz - vielleicht kannst du mal ein schönes gruppenbild in dieser hinsicht ( natürlich mit dir ) organisieren, und hier rein stellen. würde mich freuen, ansonsten viel FREUDE weiterhin. sei nett gegrüÃt und Gruà an ALLE !!! nico