Ich melde mich aus Lhasa, Hauptstadt der Autonomen Region Tibet, aus 3600 Metern Hoehe - und es geht mir sehr gut... die beruechtigte "Hoehenkrankheit" scheint mich entweder nicht, oder zumindest noch nicht in dieser Hoehe, erwischt zu haben... Tuechtig essen (Yakfleisch!), ordentlich trinken (das Bier hier heisst, ganz passend, "Lhasa-Bier") und ausschlafen helfen halt gegen alle Wehwehchen...
Aus der Stadt Lhasa schreibe ich spaeter mehr, zunaechst geht es um die Art der Reise hierher, denn alleine ueber die Qinghai-Tibet-Bahn ("Qizhang-Bahn") koennte man einige Buecher schreiben. Von Xining aus sind wir vorgestern gestartet und gestern Abend angekommen, also rund 25 Stunden unterwegs gewesen. Die ganze Route waere von Beijing Westbahnhof aus bis nach Lhasa gegangen und haette 48 Stunden gedauert; die erste Haelfte haben wir uns geschenkt, da ich die Strecke bereits von meiner letzten Reise her kannte. Die Tibet-Bahn ist eine Bahn der Superlative, alleine der Bau der gesamten Strecke hat 50 Jahre lang gedauert. Das letzte und komplizierteste Teilstueck ist erst im letzten Jahr fertiggestellt und eingeweiht worden. Mit der Tibet-Bahn wurde die unzugaenglichste chinesische Provinz, Tibet, endlich ans Eisenbahnnetz des Landes angeschlossen. Vorher war die Anreise lediglich ueber die gefaehrliche Autobahn oder den - rein gesundheitlich nicht weniger gefaehrlichen - Flug moeglich.
Die Tibet-Bahn ist schon deswegen eine Fahrt wert, weil sie die technisch komplizierteste Eisenbahnstrecke der Welt ist - sie liegt auf durchschnittlich rund 4000 Hoehenmetern, ihre hoechste Stelle, der Tangula-Pass, gar ueber 5000 Metern ueber Normal-Null. Auch den hoechsten Eisenbahntunnel kann die Strecke ihr Eigen nennen, hunderte Kilometer sind zudem auf kuenstlichem Permafrostboden errichtet, um ein "Schwimmen" der Gleise beim jaehrlichen Abtauen zu verhindern: unter den Gleisen sind Kuehlstaebe angebracht, die den Boden gleichsam einer unterirdischen Gefriertruhe in kuenstlichen Frost versetzen. Um den Passagieren die enormen koerperlichen Anstrengungen der extremen Hoehe zu erleichtern, sind die Bahnwaggons mit aus dem Flugzeugbau bekannten Druckausgleichskabinen ausgestattet; in den Abteilen angebrachte Sauerstoffduesen erleichtern die Atmung. All das ist fuer sich genommen bereits ein Erlebnis...
...Doch erst die atemberaubende Landschaft macht die Fahrt mit der Tibetbahn zu einer einmaligen Erfahrung: ueber 24 Stunden geht es durch die tibetische Hochebene, und die Unberuehrtheit der Landschaft kann sicherlich hoechstens mit den verschneiten Landschaften, die man aus der beruehmten "Trans-Sib" sehen kann, verglichen werden. Eingerahmt von Mehrtausendern gleitet der Zug durch Taeler und Ebenen, die wie ein ausgerolltes Gemaelde hoechster Perfektion wirken: durch die duenne Luft bedingt waechst hier hoechstens Gras, eher nur Moos - ueber hunderte von Kilometern kein Baum, keine menschliche Siedelung. Erst nahe Lhasa wird die Landschaft gruener, Yakherden grasen, Krueppelbirken wachsen, und auch die ersten Doerfer und Gehoefte sind zu sehen - dazwischen schlaengeln sich immer wieder kristallklare, tiefblaue Baeche und Fluesse, die sich streckenweise zu reissenden Stroemen auswachsen.
Hart ist das Leben der Menschen hier, unmenschlich muessen die Anstrengungen sein, dem kargen Boden das zum Leben Noetige abzutrotzen - die Jenseitigkeit, die religioese Inbrunst der Menschen aus Tibet erklaert sich sicherlich aus den Unbilden des taeglichen Ueberlebens - in Ebenen, in denen es ausser Sand, Sand und nochmals Sand nichts gibt, wurden Tempel und buddhistische Heiligtuemer in ihrer typischen Kegelform errichtet, an den unerklimmbar wirkenden Gebirgshaengen flattern Gebetsfahnen im Winde - das "Dach der Welt" ist, trotz paradiesischer Landschaft, ganz sicher kein Paradies. Es forderte - und fordert immer noch - das Aeussertse an Energie, um dort zu ueberleben. Und der Bau der Bahn, der rund 40 Milliarden Yuan verschlang, war nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern selbst ein Kraftakt sonder Gleichen.
Deutsche Eisenbahn-"Experten" (Experten fuer was? Konzertierten Eisenbahn-Rueckbau?) haben vor einigen Monaten berechnet, dass die Tibetbahn sich erst in 150 Jahren amortisieren wird, also bis dahin nur "Miese" einbringt, und insofern eine "Fehlinvestition" gewesen sei. Es mag stimmen, dass sich auf die naechsten Jahre oder Jahrzehnte berechnet nicht viel verdienen lassen wird mit dieser Eisenbahn. Die "Experten" koennen allerdings wohl kaum erkennen, dass diese Bahn viel mehr leistet als blosse Bilanzarbeit. Neben dem Austausch von Rohstoffen und Produktionsmitteln wird sie ganz andere Dinge vollbringen:
Der Zug, der nun eine Verbindung nach Lhasa hergestellt hat, wird das Land veraendern. Meine Fahrt, ein Jahr nach Eroeffnung der Strecke, wuerde mir ein ganz anderes Tibet zeigen, wenn ich sie in zehn Jahren widerholen wuerde. Mit der Eisenbahn wird das Leben einfacher, mit ihr kommen Lebensmittel, Industrieanlagen und Konsumgueter. Und mit ihr wird der menschliche Austausch zwischen dieser unwegsamen Provinz und dem Rest der Volksrepublik China erleichtet. Mit mir im Abteil reisten 3 tibetische Frauen, die ihre Soehne in Xi'an, wo sie studieren, besucht haben, und die nun zurueck nach Lhasa fahren. In den entgegenkommenden Zuegen: tibetische Studenten auf der Fahrt in ihre Universitaeten, die in ganz China liegen. Diese Eisenbahn wird nicht nur China nach Tibet bringen, wie manche Kritiker immer wieder lautstark bedauern - sie bringt auch Tibet nach China, und in die weite Welt.
10.09. bis 19.10.2007: eine Reise durch die VR China
Vom 10. September bis zum 19. Oktober bereise ich die Volksrepublik China - und auch über die zweite große China-Reise werde ich (nach technischen Möglichkeiten), ähnlich wie vor zwei Jahren, auf secarts.org multimedial berichten: mit regelmäßigen Artikeln, Bildern und Impressionen aus diesem großen Land, vom Aufbauwerk seiner Menschen und dem Eintritt in eine - selbstbestimmte - Moderne für 1,4 Milliarden Menschen. Ein besonderes Reiseziel innerhalb Chinas ist die Autonome Region Tibet, die mit der vor einem Jahr neu eröffneten Eisenbahn bereist werden wird: Dieses technische Wunderwerk, auf Permafrost und eine Höhe von ~ rund 4000 bis 5000 Höhenmetern erbaut, macht erstmals in der Geschichte Tibets einen regelmäßigen Austausch von Menschen, Industrie und Konsumgütern mit dem restlichen China möglich, und wird so die Modernisierung des dünn besiedelten und früher schwer erreichbaren Gebietes beschleunigen. Durch die neuen technischen Möglichkeiten, Internet und digitale Medien, ist eine "Live"-Berichterstattung möglich geworden - und so hoffe ich, meine Freunde und Leser mit auf die Reise nehmen zu können!
Die Qinghai-Tibet-Bahn (Qingzang-Bahn, chin. qing zà ng tielù), ist eine Eisenbahnstrecke in der Volksrepublik China. Sie verbindet die Provinz Qinghai mit der Hauptstadt Lhasa des Autonomen Gebietes Tibet. Mit einem Scheitelpunkt von 5.072 Metern ist sie die höchstgelegene Bahnstrecke der Erde und hat auf 5.068 Metern mit Tanggula auch den höchsten Bahnhof der Welt. In Höhen von mehr als 4.000 Metern verlaufen rund 960 der 1.956 Streckenkilometer. Die Reise von Golmud in der Provinz Qinghai nach Lhasa dauert zwölf, von Beijing aus 48 Stunden.
Damit ist die Lhasa-Bahn, deren bautechnische Fertigstellung im Oktober 2005 verkündet wurde, das bisher größte Eisenbahnbauprojekt des 21. Jahrhunderts. Der technische Probebetrieb begann Anfang Februar 2006, der offizielle Eröffnungszug verließ Peking am 1. Juli 2006, dem 85. Gründungstag der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), und erreichte Lhasa am 3. Juli 2006. Im August 2006 ist die Strecke in den Regelbetrieb übergegangen.
Die Strecke beginnt in Golmud, Endpunkt der in den 1980er Jahren fertiggestellten, 814 Kilometer langen Strecke aus Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai. Sie führt über die kleinen Orte Budongquan, Wudaoliang, Tuotuoheyan (Gemeinde Tanggulashan) zum 5.220 Meter hohen Tanggula-Pass. An dieser Stelle befindet sich ein Tunnel auf einer Höhe von 5.072 Metern, der den Scheitelpunkt der Strecke und den Übergang ins Autonome Gebiet Tibet darstellt. Wie schon zuvor führt die Strecke zunächst weiter durch die tibetische Hochebene, bis sie nach Damxung ins Tal des Flusses Doilung Qu absteigt und schließlich in Lhasa endet.
Mit Google EarthT lassen sich einzelne Ziele der Reise via Satellitenbild ansehen: im Folgenden sind einige Städte verlinkt. Vorraussetzung zum Anschauen ist die Installation des Gratis-Programms Google EarthT, welches hier zum Download steht. Es ist für Windows (2000, XP, Vista), Mac OS X (ab 10.3.9) und Linux verfügbar; und mit Linux-Emulation auch unter BSD-Derivaten lauffähig. Die Links sind im KML-Format gespeichert und lassen sich mit Google EarthT öffnen.
Mount Everest (Grenze zwischen der VR China und Nepal)
Denn was aus dem Zugfenster malerisch aussieht, wird bewohnt - von Menschen. Die sich, wie jeder von uns, ein leichtes Leben wuenschen, Zugang zu medizinischer Versorgung, kulturellen Austausch, Konsumgueter und ausreichende Ernaehrung. Die Eisenbahn ermoeglicht dies weit mehr als jemals zuvor. Der Fortschritt wird Tibet zum Positiven veraendern. Um der schoenen Schnappschuesse im Fotoalbum willen, oder um sich die Illusion vom "unberuehrten", "unverdorbenen" buddhistischen Maerchenland zu erhalten dem Land und seinen Menschen Stillstand in archaischen Zustaenden zu wuenschen, ist nicht mehr als Vermessenheit. Die Qinghai-Bahn, das ist Fortschritt auf Schienen. Diese Bahn zeigt ganz plastisch, zu was die Menschheit in der Lage sein kann - und in Teilen dieser Welt bereits in der Lage ist.
Anmerkung: ich bediene mich sowohl auf der Karte als auch in den Artikeln der offiziellen chinesischen Pinyin-Umschrift, die vielfach von der hierzulande bekannten, allerdings überholten Umschrift abweicht. "Guangzhou" ist gleichbedeutend mit "Canton", "Beijing" mit "Peking" und so weiter. Wenn einmal ein Wort nicht verständlich ist, bitte gleich in den Kommentaren nachfragen!
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Entlaengs der strecke sind ueberall Begruenungsanlagen (aif manchen Bildern zu erkennen) angebracht - maag sein, dass das zum System gehoert...
Ansonsten gibt es ueberall Solarzellen, die saemtliche Handymasten (auf der ganzen Strecke ist, wie ueberall in China, 1A Empfang!) mit Strom versorgen... vielleicht sind die auch fuer den "Kuehlschrank" zustaendig.
• Kommentar zum Artikel von 127712:
Freitag, 21.09.2007 - 16:33
Sehr beeindruckend! Ich wette, das wird Maggi dem alten Schienenverkehrsfanatiker gefallen.
Kann man von diesen Kühlanlagen im Boden irgendwas erkennen? Wie werden die mit Strom versorgt, wieviel verbraucht sowas überhaupt? Wenn man sich mal vorstellt, wie viele von diesen ultrakomplizierten Detailproblemen dort gelöst wurden...allerhöchsten Respekt!