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POTSDAM (31.10.2004) - Die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung (FNSt) und die tibetische Exilregierung werden ihre Zusammenarbeit in der ,,Tibetfrage"intensivieren. Dies ist das Ergebnis von Gesprächen, die der ,,Ministerpräsident"der Exilregierung, Samdhong Rinpoche, am vergangenen Dienstag mit mehreren FNSt-Vorstandsmitgliedern führte. Die FNSt verfügt über langjährige exklusive Sonderbeziehungen zu tibetischen Exilkreisen, die sie für Positionsgewinne Berlins im Machtkampf mit dem künftigen Weltmachtkonkurrenten China nutzt. Tibet war bereits während der NS-Ostexpansion Gegenstand deutscher Zentralasien-Strategien und galt damals als möglicher Bündnispartner gegen Großbritannien.

Wie die FNSt mitteilt, hat ,,Ministerpräsident"Rinpoche mehrere FNSt-Vorstandsmitglieder, darunter den ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und die ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt Irmgard Schwaetzer, über den Fortgang der Verhandlungen zwischen der tibetischen Exilregierung und der Volksrepublik China informiert.1 Lambsdorff und Rinpoche sprachen sich gegen eine militärische Stärkung Beijings aus und plädierten für eine Beibehaltung des EU-Waffenembargos gegenüber China. Auch solle der deutsche Druck auf die chinesische Regierung ( ,,Menschenrechte") aufrecht erhalten werden, hieß es.2 Lambsdorff und Rinpoche vereinbarten, ihre Zusammenarbeit ,,zur besseren politischen Kommunikation der Tibetfrage"zu intensivieren.

Weltmachtkonkurrenten

Die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China hat der Deutsche Bundestag jetzt im Anschluss an eine Initiative der FDP von der Erfüllung mehrerer Bedingungen abhängig gemacht. Bundeskanzler Schröder hatte sich kürzlich bereit erklärt, das Embargo zu annullieren und damit eine Rüstungskooperation mit Beijing in Gang zu setzen, die als Bündnisoption gegen die USA verstanden worden war.3 Dies gilt als riskant, zumal die Volksrepublik China selbst als künftiger Weltmachtkonkurrent eingeschätzt wird. Vor einer Aufhebung des Embargos müsse Beijing u.a. angebliche Autonomierechte ethnischer Minderheiten4 anerkennen, beschloss nun der Deutsche Bundestag.

Bündnispartner

Die FDP-Initiative basiert auf langjähriger Einflussarbeit in Tibet, die vor allem über die parteinahe FNSt abgewickelt wird.5 Die FNSt organisierte gemeinsam mit der tibetischen Exilregierung mehrere Internationale Tibet-Konferenzen, die als Plattform für einige hundert Tibet Support Groups weltweit gelten. Die zweite derartige Konferenz, die die FNSt im Juni 1996 in Bonn veranstaltete - Hauptredner waren damals Lambsdorff und Schwaetzer -, führte zu diplomatischen Komplikationen, in deren Folge die chinesische Regierung die Schließung des Stiftungsbüros in Beijing verfügte. Die FNSt ,,berät"das tibetische Exilparlament seit 1991 ,,in allen Fragen der politischen Bildung".6 Am 10. März 2004 - dem 45. Jahrestag eines antichinesischen Aufstands in Tibet - hisste sie vor ihrer Geschäftsstelle die tibetische ,,Nationalflagge". Sollte es zu einer umfassenden Autonomieregelung für Tibet kommen, erhielte Berlin über die tibetischen Bündnispartner der FNSt neuen Einfluss in Zentralasien.

Kriegswichtig

Tibet geriet bereits Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre ins Visier deutscher Expansionsbestrebungen.7 Im Zuge der Vorbereitung der militärischen deutschen Ostexpansion organisierte die SS 1938 eine Tibet-Expedition, die neben völkisch-rassistischen Experimenten auch militärstrategische Erkundungen zum Ziel hatte. Insbesondere widmete sie sich der Suche nach zentralasiatischen Bündnispartnern gegen Großbritannien.8 Zu den Expeditionsteilnehmern gehörte der SS-Obersturmbannführer Bruno Beger, der in Tibet Schädelvermessungen vornahm, während des Zweiten Weltkriegs an Plänen für ein ,,Museum der Untermenschen"in Straßburg arbeitete und dafür sowjetische Kriegsgefangene töten ließ. SS-Reichsführer Heinrich Himmler erklärte auf dem Höhepunkt der deutschen Ostexpansion die ,,Tibet- und gesamte Asienforschung"zur ,,kriegswichtigen Zweckforschung".

Beständig

Die personellen Kontakte ehemaliger SS-Männer zu führenden Persönlichkeiten Tibets sind auch nach 1945 nie abgerissen. Beger, der 1971 wegen während der NS-Zeit begangenen 86fachen gemeinschaftlichen Mordes zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, trat noch 1994 als offizieller Gast des tibetischen Exilpotentaten Dalai Lama auf. Zu dessen Lehrern und Beratern gehörte in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren der aus britischer Gefangenschaft in Indien geflohene frühere SS-Mann Heinrich Harrer. Harrer, dessen autobiographischer Tibet-Bericht ( ,,7 Jahre in Tibet") in Deutschland in Massenauflagen verbreitet wurde, gilt bis in die Gegenwart als enger Freund des Dalai Lama.


Anmerkungen:
1 Wirtschaftliche Zusammenarbeit darf nicht zu einer Ignorierung der Menschenrechte führen; www.fnst.org
2 s. auch Deutsche ,,Elite"
3 s. dazu Strategische Manöver und Waffenbrüder sowie Hintergrundbericht: Strategische Partnerschaft und Eindämmung
4 s. dazu Deutschland unterstützt Separatismus in Westchina und ,,Internationalisierung Tschetscheniens" sowie Hauptsitz
5 s. auch ,,Wirksamste Instrumente der deutschen Außenpolitik"
6 Buchbesprechung: ,,Tibet im Exil"; www.fnst.org
7 Colin Goldner: Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs, Aschaffenburg 1999
8 s. auch Traditionen und Traditionen (II)



 
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