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BERLIN/ANTANANARIVO (12.06.2007) - Nach dem G8-Gipfel setzt die deutsche Regierung ihre bekannte Afrika-Politik unverändert fort. Neues Ziel ist Madagaskar, auf dessen pflanzengenetische Ressourcen Berlin verstärkten Zugriff erhalten will. Die Insellage Madagaskars hat eine einmalige Flora hervorgebracht, die für die Pharma- und Agrarindustrie unverzichtbare Materialien liefert. Die Artenvielfalt gilt als außergewöhnlich. Deutschland gehört zu den weltweit größten Importeuren von Heilpflanzen, die in den Anbaugebieten zu billigen Preisen erworben werden und deren Weiterverarbeitung hohe Gewinne abwirft. Bereits in den vergangenen Jahren hat Berlin den Zugriff auf die Pflanzen des afrikanischen Inselstaates durch so genannte Entwicklungsprojekte und eine ausgefeilte Beratertätigkeit begünstigt. Inzwischen verfügt die deutsche Seite über weitreichenden Einfluss auf die Regierung von Madagaskar. Die deutsche Rohstoffausbeute in Madagaskar steht in der Tradition einer seit Jahrhunderten anhaltenden Enteignung des afrikanischen Kontinents.

Kapital

Experten schreiben der natürlichen Artenvielfalt ("Biodiversität") wachsende Bedeutung für die künftige Entwicklung insbesondere der Pharma- und Agrarindustrie zu. Die westlichen Industrienationen sehen im "Erhalt der biologischen Vielfalt" eines ihrer "zentrale(n) Handlungsfelder des kommenden Jahrhunderts", erklärt die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Astrid Klug.1 Bundesumweltminister Sigmar Gabriel hält den Artenreichtum gar für das "Kapital unseres Planeten", das künftig "die Grundlage unseres Lebens und unserer Wirtschaft" bildet.2 Das jährliche internationale Handelsvolumen mit getrockneter Heilpflanzen-Rohware wird bereits jetzt auf annähernd 400.000 Tonnen geschätzt; dies entspricht einem Wert von etwa 1,4 Milliarden US-Dollar.3 Hinzu kommt die Bedeutung der Biodiversität als Gen-Reservoir für die agrarindustrielle Sortenzüchtung.

Wirkstofflieferanten

Die Bundesrepublik greift gezielt auf den biologischen Artenreichtum fremder Staaten zurück. Deutschland gehört zu den vier größten Heilpflanzenimporteuren der Welt; jährlich werden etwa 45.000 Tonnen Rohware im Wert von mehr als 100 Millionen US-Dollar eingeführt.4 Die Profite, die allein mit der Produktion pflanzlicher Arzneimittel erzielt werden können, sind enorm: Der Umsatz der deutschen Hersteller von Phytopharmaka lag 2006 bei 815 Millionen Euro.5 Die Herstellung pflanzlicher Arzneimittel basiert nach einer Studie des Kieler Instituts für Weltwirtschaft vollständig auf der Verfügung über pflanzengenetische Ressourcen. Dabei wurden der Untersuchung zufolge schon 1997 in Deutschland 1.543 Pflanzenarten als Wirkstofflieferanten genutzt; 70 bis 90 Prozent der gehandelten Menge entfielen dabei auf Materialien, die in der Wildnis gesammelt worden waren, darunter auch Pflanzen aus Madagaskar.6

Unverzichtbar

Die Bedeutung, die Berlin dem Artenreichtum der afrikanischen Insel beimisst, ist hoch. Erst kürzlich hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Madagaskar wegen seiner "endemischen Artenvielfalt" als "Schatzinsel" bezeichnet.7 80 bis 90 Prozent der dort vorkommenden Arten sind in keinem anderen Land zu finden ("endemische Arten"). Sie bilden oftmals die Grundlage für industrielle Produktionsprozesse in den westlichen Metropolen. Auf Madagaskar wachsen etwa Afrikanisches Stinkholz (Prunus africana), Tigergras (Centella asiatica) und Madagaskar-Immergrün (Catharanthus roseus) - Pflanzen, die für die Pharma- und Kosmetikindustrie unverzichtbar sind. Das auf Madagaskar vorkommende Afrikanische Stinkholz (Prunus africana) wird von den Unternehmen Merz und Schwarz Pharma genutzt.

Artenschutz

Den Zugriff auf die genetischen Ressourcen Madagaskars hat sich Berlin durch eine ausgeklügelte Politik gesichert. Bereits im Jahr 2000 unterstellte ein bilaterales deutsch-madagassisches Schuldenabkommen weite Teile der natürlichen Insel-Umwelt deutscher Verfügungsgewalt: Schulden in Höhe von 13,5 Millionen Euro wurden in deutsche Eigentumstitel an naturbelassenen Flächen umgewandelt ("dept-to-nature-swap").8 Auf den übereigneten Territorien fördert die so genannte deutsche Entwicklungshilfe den Schutz der gewinnträchtigen Artenvielfalt und hält sich billige örtliche Fachkräfte. Aus den Hilfsmitteln wird die staatliche Nationalparkverwaltung Madagaskars (ANGAP) ko-finanziert. In den "Schutzgebieten" deutschen Interesses sind "privatwirtschaftliche Ansätze im Naturschutz" besonders förderungswürdig. An dem "nachhaltigen Management dieser Gebiete" beteiligt sich unter anderem der World Wildlife Fund for Nature (WWF).9

Ressourcenmanagement

Auch die natürlichen Ressourcen Madagaskars will das deutsche Außenministerium einem "nachhaltige(n) Management" unterwerfen ("strategisches Ziel").10 In diesem Bereich sind insbesondere Vorfeld-Institutionen der deutschen Entwicklungspolitik wie die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) aktiv. So fördert die GTZ nach eigener Aussage "private Unternehmen bei der Bewirtschaftung von Staatswäldern" - eine Vorstufe späterer Aufkäufe.11 Ein Ableger der Organisation, die GTZ International Services (GTZ IS), betätigt sich als Finanzbevollmächtigter ("Fiscal Agent") der "Millennium Challenge Corporation" (MCC), einer Einrichtung der US-Regierung. Investiert werden insgesamt rund 109 Millionen Dollar, heißt es bei der GTZ IS, in "Reformen im Landrecht", in die "Formalisierung der Landvermessung und des Erwerbs von Landtiteln" sowie in die "Modernisierung der nationalen Landregistrierung".12 Dies sind Voraussetzungen für Eigentumsübertragungen und die Abgrenzung von Claims der Pacht- und Kaufaspiranten aus den Industriestaaten.

Berater

Der madagassische Ausverkauf schreitet voran, seit es 2002 zu einem Regierungswechsel kam - unter deutscher Einwirkung. Nach "vierzig Jahre(n) sozialistische(r) Experimente, Korruption und Klientelismus" sei jetzt endlich "(e)rnsthafter Reformwille" erkennbar, umschreibt die GTZ das politische Marktklima auf Madagaskar.13 Die GTZ berät nach eigener Aussage "politische Entscheidungsträger"; der madagassische Präsident Marc Ravalomanana, zu dessen Beratern der Mitarbeiter einer deutschen Entwicklungsorganisation gehört, pflegt seit Jahren engen Kontakt zu Bundespräsident Horst Köhler. Dessen erster Besuch bei Ravalomanana fand bereits 2003 statt; damals war Köhler noch geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und direkt mit Afrika befasst.14

Beratungserfolg

Die engen Kontakte nach Deutschland schlagen sich inzwischen auch in Wirtschaftsentscheidungen nieder. Die staatliche Fluggesellschaft Air Madagascar wird mittlerweile von "Lufthansa Consulting" geführt, das staatliche Elektrizitäts- und Wasserversorgungsunternehmen JIRAMA von Lahmeyer International (Bad Vilbel)15 - sehr zum Ärger Frankreichs, das Madagaskar traditionell als Einflusszone beansprucht. Vergleichbare Erfolge stehen deutschen Unternehmen nun auch beim Zugriff auf die madagassische Biodiversität bevor.


Anmerkungen:
1 Astrid Klug: Biologische Vielfalt und Klimawandel ganz oben auf der politischen Agenda platzieren; Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums 05.06.2007
2 Countdown zur Rettung der biologischen Vielfalt. Prominente Naturallianz unterstützt Kampagne zur UN-Naturschutzkonferenz 2008; Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums 22.05.2007
3; 4 Grünes Gold; www.wwf.de
5 Mit der Kraft der Kräuter; Financial Times Deutschland 24.5.2007
6 Oliver Deke: Der Preis des "Grünen Goldes" - Informationen und Informationsdefizite über den Marktwert genetischer Ressourcen. Kieler Arbeitspapier Nr. 1233, November 2004
7; 8 Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Schatzinsel Madagaskar. Rede zur Eröffnung der Madagaskar-Ausstellung am 19.4.2007 im Zoo Berlin
9; 10 Beziehungen zwischen Madagaskar und Deutschland; www.auswaertiges-amt.de
11 Schwerpunkte in Madagaskar; www.gtz.de
12 Geschäftsbereich International Services in Madagaskar; www.gtz.de
13 Programm Schutz und nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen. Komponente Umwelt- und Forstpolitik und Übertragung von Managementverantwortung; www.gtz.de
14 s. dazu In direkter Konkurrenz
15 Beziehungen zwischen Madagaskar und Deutschland - Wirtschaft; www.auswaertiges-amt.de



 
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  Kommentar zum Artikel von O.Deke: Webseite
Samstag, 22.12.2007 - 18:15

nur kurz zu Fußnote 6:
Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat keine eigene Studie durchgeführt. Ich habe lediglich Informationen aus der Literatur zusammengefasst.
Die zitierten Zahlen kommen aus: D.Lange (1997). Untersuchungen zum Heilpflanzenhandel in Deutschland. Ein Beitrag zum internationalen Artenschutz. Hiltrup.
Die Studie von Lange stellt meiner Erinnerung nach keinen direkten Zusammenhang zu Madagaskar her. Dafür aber u.a.: G.Breton (2001).Trade in Biological Resources in Southern Africa. ICTSD. Geneva.
Der Literaturüberblick war aus 2003/04.Mittlerweile sollte es vielleicht neuere und detailliertere Studien dazu geben.
Mfg. O.Deke