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Die Beschäftigten und die Gewerkschaft ver.di protestierten mit Kundgebungen gegen die Entlassungs- und Lohnklau-Pläne des Quelle-Konzerns. Der Quelle-Konzern will im Bereich Kundenservice ca. 800 Beschäftigte entlassen und nur noch zur Hälfte des bisherigen Lohns und mit längerer Arbeitszeit - an einem noch zu erwerbenden Standort in der Region - in die selben Tätigkeiten wieder einstellen. Andernfalls droht der Konzern, die Stellen nach Osten zu verlegen.

Die Gründe für die Schließung des Betriebsteils erklärt der Quelle-Konzernchef Middelhoff kurz und knapp: "Weil Logistik nicht zum Kernbereich von Quelle zählt und von anderen billiger erledigt werden kann." Dieser Bereich wurde erst vor einem Jahr ausgegliedert und es besteht die Gefahr, dass anderen "Betriebstöchtern" schon Mitte Mai das gleiche Schicksal droht. Viele hatten es geahnt, aber auch gehofft, dass dieser Kelch wieder einmal an ihnen vorbeigeht. Doch der Karstadt-Quelle-Neckermann-Konzern, der größte europäische Warenhaus-, Versandhandel- und Touristikkonzern, setzt weiterhin seine radikalen "Sparziele" durch.

Nach Jahren des massiven Arbeitsplatzabbaus im Konzern, der ohne großen Widerstand durchgezogen wurde, sind diese Pläne eine neue Qualität. Für die Beschäftigten lesen sich die Pläne des Konzerns wie ein "Katalog der Grausamkeiten". In Berlin lief es schon einmal genauso ab: Der Konzern hatte 300 Mitarbeitern des Call-Centers in Berlin-Friedrichshain betriebsbedingt gekündigt und das Center geschlossen. Den Gekündigten wurden über gesellschaftsrechtliche Umwege ohne formalen Betriebsübergang in einem neuen Call-Center in Berlin-Kreuzberg neue Arbeitsplätze angeboten. Aber wie jetzt in Nürnberg zu Armutslöhnen.

Davon kann der Mensch nicht leben

Daran, dass zum Ende des Jahres der Konzern Quelle die über 800 Beschäftigte im ausgegliederten Logistikbereich kündigt, besteht nun kein Zweifel mehr. Die Mietverträge sind schon bis Jahresende gekündigt. Nach Aussagen des Quelle-Pressesprechers Manfred Gawlas werden die Beschäftigten zwischen 1 100 (ca. 680 Euro netto) und 1 450 Euro künftig verdienen, zusätzlich individueller Bonuszahlungen und Jahresprämien (heute ist der Lohn 1 900 bis 2 300 Euro Brutto). Das Durchschnittsgehalt wird dann bei 1 340 Euro liegen. Bislang sind es 2 300 Euro. Und das bei einer 42-Stunden-Woche (bisher 37,5-Stunden-Woche) und der Urlaub von sechs auf vier Wochen gekürzt. Natürlich ohne Urlaubsgeld. ver.di-Mittelfranken hat ausgerechnet: "Alles zusammen entspricht dies 12 000 Euro weniger im Jahr. Das ist soviel wie der Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff am Tag verdient." Und Quelle-Betriebsrat Wolfgang Staudt erklärt erzürnt: "Das ist sozialer Kahlschlag und eine Verhöhnung unserer Arbeitskraft, die wir der Quelle jahrzehntelang zur Verfügung gestellt haben. Wir werden bewusst in die Arbeitslosigkeit geschickt."

"Die Mitarbeiter können sich bei der neuen Gesellschaft bewerben, wir wollen sie nicht verlieren", erklärte Hanns R. Rech, Geschäftsführer der Versandhandelsgruppe der Karstadt-Quelle, der das geplante Zentrum ein "Bekenntnis zur Region" nannte. Die Einschnitte begründete er mit starkem Kostendruck und die neue Gehaltsstruktur sei "branchenüblich". "Wir wissen, was wir unseren Mitarbeitern zumuten. Aber nur auf diesem Weg können wir die Arbeitsplätze in der Region halten. Wir müssen dringend die Kosten senken, um mit den Call-Centern wettbewerbsfähig zu bleiben." Mehr Effizienz will das Unternehmen mit dem Umzug an einen neuen Standort erreichen: Im Raum Nürnberg/Fürth soll ein hochmodernes Kundenzentrum entstehen, inklusive zahlreicher Ruhe- und Sozialräume, "die für die Mitarbeiter eine motivierende Arbeitsatmosphäre schaffen".

Gleiche Arbeit - zum halben Gehalt

Als Ende März auf einer Betriebsversammlung die Pläne des Konzerns bekannt wurden und eine Woche später die konkreten Fakten auf dem Tisch lagen, ging die Belegschaft auf die Straße. Von der Quelle-Zentrale in Fürth wurde zum zentralen Platz, die "Fürther Freiheit" demonstriert. Über 800 Beschäftigte, vorwiegend Frauen, mit vielen Transparenten und Trillerpfeifen, kamen um für ihre Arbeitsplätze zu demonstrieren. Auf der Kundgebung sprach Johann Rösch, Gewerkschaftssekretär des ver.di-Bezirk Mittelfranken: "Es ist bemerkenswert, dass in Fürth, der Stadt der Quelle, erstmalig über 800 Kolleginnen und Kollegen den Mut finden gegen diese unsoziale Politik des Vorstandes Flagge zu zeigen und zu demonstrieren. Es ist um so bemerkenswerter, als gestern Nachmittag noch der billige Versuch unternommen wurde, Menschen einzuschüchtern indem man durch Rundschreiben bekannt gegeben hat, wer gegen diese Pläne des Vorstandes demonstriert, muss mit Konsequenzen rechnen. Um so mehr freue ich mich über die breite Solidarität der Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen die Solidarität und diesen Druck, damit der Vorstand begreift, so kann man mit uns nicht umgehen." Und er ist der Auffassung: "Respekt verschaffen wir uns sicherlich nicht dadurch, dass wir uns verhalten wie Lämmer, die sich zur Schlachtbank führen lassen."

Neben lokaler Politprominenz hatte sich auch die IG Metall in Person des Ex-Betriebsratsvorsitzenden der AEG Harald Dix, mit den Beschäftigten solidarisiert und eine Zusammenarbeit angeboten. Die Möglichkeit, dass der lange und kämpferisch geführte Streik der AEG-Belegschaft einen "inspirierenden" Einfluss auf die Kampfbereitschaft der Quelle-Belegschaft hat ist groß. AEG und Quelle haben auch etwas entscheidend Gemeinsames, sie sind von der Kaufentscheidung der Bevölkerung abhängig. In der Lokalzeitung meinte ein Leserbriefschreiber dazu: "Dagegen war ja AEG noch human. Es bleibt nur, sich gegen Unternehmen dieser Art zu wehren. Wie, dass weiß jeder Kunde."

Erpressung und Lohnwucher

Am Rande der Kundgebung gab es viele Meinungs- und Unmutsäußerungen. Betroffene KollegInnen antworteten auf die Frage was sie heute empfinden: "Ja, das ist besonders hart. Ich kann mit dem Geld nicht leben." Ihre Nachbarinnen diskutierten erbost: "Es ist ein glatter Arschtritt! Ich habe 30 Jahre bei Quelle gearbeitet. Wir waren wie eine Familie. Jetzt kommen die Manager und machen alles kaputt." Ein ehemaliger Karstadt-Betriebsrat kommentierte: "Ich denke mir, dies ist ganz einfach Erpressung was hier stattfindet und zweitens sind 50 Prozent unter dem jetzt gültigen Tarif im Grunde genommen Lohnwucher."

In einem Gespräch äußerte sich ver.di-Gewerkschaftssekretär und Geschäftsstellenleiter in Fürth, Gerd Axmann, zu der Frage: Um was geht es der Quelle-Konzernleitung? "Schlichtweg Kohle. Also sprich, mehr Geld, mehr Gewinn. Das heißt die Eigner, die Aktionäre erwarten höhere Dividenden. Das ist das einzige Ziel. Quelle geht es gut. Dies haben die letzten Jahre und Monate immer wieder gezeigt, als ja viele Vorstände mit immensen Millionenbeträgen abgefunden wurden. An Geld haperts nicht!"

Die Auseinandersetzung muss weitergehen. Denn selbst die Minimalforderung von ver.di "Die Anerkennung der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels für die Beschäftigten" werden nur durch breitere Protest- und Solidaritätsaktionen durchzusetzen sein. Auch die Vorstellung von Streik macht auf der Kundgebung die Runde. Die Belegschaft des Quelle-Konzerns ist erst am Anfang des langen Weges.

 
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