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Roman Herzog, der ehemalige Bundespräsident und Chef des Bundesverfassungsgerichts außer Diensten, hat seine Memoiren geschrieben: »Jahre der Politik«. Untertitel: »Die Erinnerungen«. Doch an das, was er genau weiß, erinnert er, ein guter Deutscher, sich besser nicht. Von seinem Lehrmeister, dem er seine »schönsten und freiesten Jahre« und seine Karriere verdankt, erfährt man kaum mehr als dies: »Ich war Assistent bei Theodor Maunz, der just zu dieser Zeit bayerischer Kultusminister war und für sein Institut daher kaum Zeit hatte.« Das war vor einem halben Jahrhundert. Ich war damals Student in Würzburg und hatte mit diesem Assistenten zu tun und er mit mir.

[file-ebooks#10]Ich wollte nicht einsehen, daß über meine Universität als Kultusminister ein Nazi bestimmt, der mit allen Konsequenzen für seine Abart von Rechtswissenschaft gelehrt hatte: »Der oberste Plan des Führers ist oberstes Rechtsgebot.« Deshalb stellte ich in der Vollversammlung einen Mißtrauensantrag, der die Abberufung dieses Kultusministers forderte.
Zunächst war es nicht so sicher, daß die Mehrheit der studentischen Vollversammlung meinen Mißtrauensantrag gegen den Minister ablehnen würde. Burschenschafter waren es, die Dauerreden hielten, bis – das erfuhr ich später – das Auto aus München mit Entlastungsmaterial eingetroffen war: Juden hätten sich für seine Hilfe bedankt, und der Kronjurist der SPD, Adolf Arndt habe, ihm zu seiner Amtsübernahme gratuliert. Daraufhin wurde der Antrag abgelehnt.

Zusammengestellt hatte das Entlastungsmaterial der Assistent von Theodor Maunz: Roman Herzog.

Erst fünf Jahre später, als auch die SPD endlich seinen Rücktritt forderte, mußte »des Teufels Jurist« ( Abendzeitung ) gehen. Noch 1958 hatte Arndt mir geschrieben, daß Maunz »demokratische Auffassungen« vertrete, und er hatte sich bei Maunz – damals war ich SPD-Mitglied – für den »leidigen Zwischenfall« entschuldigt.

Maunz starb 1993 im Alter von 92 Jahren. Schon zum 90. Geburtstag hatte ihn die Süddeutsche Zeitung gewürdigt: »Seine verfassungsrechtliche Arbeit in den fünfziger und sechziger Jahren hat dazu beigetragen, die Grundlagen für ein demokratisches Deutschland zu schaffen.«

Doch kurz nach seinem Tod platzte die Bombe. Es war die rechtsextremistische Deutsche Nationalzeitung , die sehr bewußt den Irrtum über Maunz und über das demokratische Deutschland aufklärte. »Deutschland verlor seinen größten Rechtsgelehrten«, titelte sie und fuhr unmittelbar fort, »Dr. Frey seinen wunderbaren Wegbegleiter.« Bis ins 91. Lebensjahr hatte Maunz der von dem National-Zeitung -Herausgeber angeführten »Deutschen Volksunion« mit juristischen Gutachten geholfen, jahrzehntelang traf er sich einmal in der Woche mit Frey »zu einer stundenlangen Besprechung aller zentralen politischen und juristischen Fragen«. Ohne seine juristische Beihilfe hätte die Neonazi-Partei nicht so viele Prozesse gewonnen. Etwa gegen Bundespost und Rundfunk, die sich weigerten, die ausländerfeindlichen Parolen der DVU zu verbreiten.

Denn Maunz war nach seinem erzwungenen Rücktritt zur Verkörperung unserer Verfassung geworden. Er brachte zusammen mit Roman Herzog, den »Maunz« heraus, den herrschenden Kommentar zum Grundgesetz.

Dort gab es – und gibt es eigentlich noch immer – einen Artikel 139, der die Fortgeltung des Verbots der NSDAP betrifft. Dieses Artikels nahm sich Roman Herzog an: »Bei seinem Inkrafttreten fand das GG eine beträchtliche Anzahl von alliierten und deutschen Rechtsvorschriften vor, die sich mit der sog. Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus, kurz mit der sog. Entnazifizierung befaßten.« Damit mußte nun Schluß sein. Herzog verfügte im Grundgesetzkommentar: »Mit dem Abschluß der sog. Entnazifizierung ist Art. 139 obsolet geworden.«

1982 wurde dieser Liquidator der »sog. Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus« Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Die Deutsche Nationalzeitung konnte sich da – Wissen aus erster Hand – »an der Spitze des höchsten deutschen Gerichts keinen geeigneteren Fachmann als Prof. Herzog« vorstellen.

Als nach dem Tod von Maunz dessen enge Zusammenarbeit mit den Neonazis bekannt wurde, zeigte sich Roman Herzog »tief betroffen« von der Enthüllung.

Wie betroffen er ist, wie gut er mit Theodor Maunz – der hielt den Artikel 139 für unvereinbar mit der Menschenwürde des Artikels 1 – bei der Befreiung des deutschen Volkes von allen Entnazifizierungsvorschriften kooperierte, dazu hätte ich gern in Roman Herzogs Memoiren etwas gelesen. Doch so weit reichen seine Erinnerungen nicht.


Roman Herzog: »Jahre der Politik. Die Erinnerungen«, Siedler Verlag, 416 Seiten, 22,95 €

 
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