(...) Nehmen wir die Lage der Frau. Keine einzige demokratische Partei der Welt hat in dieser Beziehung auch nur in einer einzigen der fortgeschrittensten bürgerlichen Republiken in Jahrzehnten auch nur den hundertsten Teil von dem geleistet, was wir gleich im ersten Jahr unserer Herrschaft geleistet haben. Von den niederträchtigen Gesetzen über die Rechtsungleichheit der Frau, über die Beschränkungen der Ehescheidung, die schändlichen Formalitäten, an die sie geknüpft war, über die Nichtanerkennung der unehelichen Kinder, über die Nachforschung nach ihren Vätern usw. - Gesetzen, von denen es in allen zivilisierten Ländern zur Schande der Bourgeoisie und des Kapitalismus so zahlreiche Überreste gibt, haben wir im wahrsten Sinne des Wortes keinen Stein auf dem anderen gelassen. Wir haben tausendmal das Recht, stolz zu sein auf das, was wir auf diesem Gebiet geleistet haben. Aber je mehr wir den Boden von dem Schutt der alten bürgerlichen Gesetze und Einrichtungen gesäubert haben, um so klarer ist es für uns geworden, dass dies nur die Ebnung des Bodens für den Bau, aber noch nicht der Bau selber ist.
Die Frau bleibt nach wie vor Haussklavin, trotz aller Befreiungsgesetze, denn sie wird erdrückt, erstickt, abgestumpft, erniedrigt von der Kleinarbeit der Hauswirtschaft, die sie an die Küche und an das Kinderzimmer fesselt und sie ihre Schaffenskraft durch eine geradezu barbarisch unproduktive, kleinliche, entnervende, niederdrückende Arbeit vergeuden lässt. Die wahre Befreiung der Frau, der wahre Kommunismus wird erst dort und dann beginnen, wo und wann der Massenkampf (unter Führung des am Staatsruder stehenden Proletariats) gegen diese Kleinarbeit der Hauswirtschaft oder, richtiger, ihre massenhafte Umgestaltung zur sozialistischen Großwirtschaft beginnt.
Schenken wir dieser Frage, die theoretisch für jeden Kommunisten unbestritten ist, in der Praxis genügend Aufmerksamkeit? Natürlich nicht. Lassen wir den "Keimen des Kommunismus, die schon jetzt auf diesem Gebiet vorhanden sind, genügend Fürsorge zuteil werden? Nein und abermals nein, öffentliche Speiseanstalten, Krippen, Kindergärten - das sind Musterbeispiele derartiger Keime, das sind jene einfachen, alltäglichen Mittel, die frei sind von allem Schwülstigen, Hochtrabenden, Feierlichen, die aber tatsächlich geeignet sind, die Frau zu befreien, tatsächlich geeignet sind, ihre Ungleichheit gegenüber dem Mann im Hinblick auf ihre Rolle in der gesellschaftlichen Produktion wie im öffentlichen Leben zu verringern und aus der Welt zu schaffen. Diese Mittel sind nicht neu, sie sind (wie überhaupt alle materiellen Voraussetzungen des Sozialismus) vom Großkapitalismus geschaffen worden, aber unter dem Kapitalismus sind sie erstens eine Seltenheit geblieben, zweitens - was besonders wichtig ist - waren sie entweder krämerbafte Unternehmungen, mit allen üblen Seiten der Spekulation, der Bereicherung, des Betrugs, der Fäl-schung, oder aber "Akrobatenstückchen bürgerlicher Wohltätigkeit", die von den besten Arbeitern mit Recht gehasst und verachtet wurde.
Kein Zweifel, dass sich diese Einrichtungen bei uns um vieles vermehrt haben und dass sie beginnen, ihren Charakter zu ändern. Kein Zweifel, dass unter den Arbeiterinnen und Bäuerinnen um ein vielfaches mehr organisatorische Talente vorhanden sind, als wir wissen, Menschen, die ein praktisches Werk in Gang zu bringen verstehen, an dem eine große Zahl von Mitarbeitern und eine noch größere Zahl von Konsumenten teilnimmt und bei dem es ohne jenen Überfluss an Phrasen, Getue, Zank und Geschwätz über Plane, Systeme usw. abgeht, woran die von sich stets so übermäßig eingenommenen "Intellektuellen" oder frisch gebackene "Kommunisten" zu "kranken" pflegen. Aber diese Keime des Neuen werden von uns nicht so gehegt und gepflegt, wie das nötig wäre. Schaut auf die Bourgeoisie. Wie großartig versteht sie es, für das, was sie braucht, Reklame zu machen! Wie werden die in den Augen der Kapitalisten "mustergültigen" Betriebe in Millionen Exemplaren ihrer Zeitungen angepriesen, wie werden die "mustergültigen" bürgerlichen Einrichtungen zum Gegenstand des Nationalstolzes gemacht! Unsere Presse ist gar nicht oder fast gar nicht darum bemüht, die besten Speiseanstalten oder Krippen zu beschreiben, durch tägliches Drängen darauf hinzuarbeiten, dass einige von ihnen zu mustergültigen Einrichtungen ausgebaut werden, für sie Reklame zu machen und ausführlich zu schildern, welche Ersparnis an menschlicher Arbeit, welche Bequemlichkeiten für die Konsumenten, welche Ersparnis an Lebensmitteln, welche Befreiung der Frau von der häuslichen Sklaverei, welche Verbesserung der sanitären Verhältnisse bei einer mustergültigen kommunistischen Arbeit erreicht werden, durchaus möglich sind und auf die gesamte Gesellschaft, auf alle Werktätigen ausgedehnt werden können. (...)
aus: Die Große Initiative, W. I. Lenin, Werke Bd. 29, Seite 418f