Das Gesellenstück der Großen Koalition in Berlin liegt vor, es werden letzte Feinschliffe getätigt und baldmöglichst zügig durch die Instanzen gepeitscht. Trotzdem sind selbst die Erschaffer des Kompromisses nicht damit zufrieden und erwirken nur allzu glaubhaft den Eindruck, dass ihre Kritik daran ebenfalls vernichtend wäre, wenn sie dieses missratene Stück Politik nicht selbst erschaffen hätten.
Doch ist die Gesundheitspolitik im Lande wirklich am Ende? Können die wenigen jungen, gesunden Beitragszahler einfach die Last der teuren Geräte, die die Rentenempfänger der Republik am Leben erhalten, nicht weiter finanzieren? Soylent Green, etwa doch eine Lösung?
Im Folgenden will ich mehrere Ansätze zeigen, wie sich mittels effizienterer Umorganisation einige wesentliche Einsparungen erzielen lassen; bewusst ohne den Überschlag, ob es dann reichen könnte und ohne auch nur einen Hauch an Aktionsplan, wie diese Umstellungen erreicht werden sollen.
Der erste Schritt betrifft die Beitragszahler. Wer in diesem Lande gut verdient oder selbständig ist, darf sich aus der Solidargemeinschaft ausklinken und eine private Kasse wählen. Diese nehmen, weil reich und gesund lukrativer zu versichern ist, einen geringeren Beitragssatz, bieten aber dafür mehr oder minder attraktive Zusatzleistungen, wie die Chefarztbehandlung oder das Einzelzimmer. Da sie zudem die Ärzte besser entlohnen, sichern sie ihren Klienten dadurch automatisch eine Vorzugsbehandlung. Wer privat könnte, aber zu krank ist, muß Risikozuschläge berappen und flieht in die Arme der Gesetzlichen. Fair ist dies nicht. Eine Reduktion der Privaten auf ebendiese Zusatzleistungen (wie es derzeit auch schon dem Kassenpatienten angeboten wird), wäre ein Schritt in die seriösere Finanzierung. Kopfpauschalen, wie sie die Union vorschlägt (das in der Schweiz dicht vor dem Scheitern stehende Modell) wären allerdings auch sozial fair – schließlich kostet eine Flasche Hustensaft im ganzen Lande gleich viel. Die gesellschaftlich notwendige Umverteilung der Lasten auf die schwachen Schultern müsste dann unabhängig vom Krankenkassenbeitrag eine gerechte Steuergesetzgebung liefern. Soweit der originär sozialdemokratische Ansatz.
Doch es gibt einen weiteren Grund, warum die privaten Kassen günstigere Leistungen anbieten können - und dieser hat nichts mit der Mitgliederstruktur zu tun: Der Arzt schickt dem Privatpatienten (über die PVS) seine Rechnung ins Haus, dieser zahlt und holt sich das Geld von Kasse und ggf. Beihilfe zurück. Der Kassenpatient läßt seine Karte beim Doktor einlesen und weiß, seine Behandlung wird finanziert. Was der Arzt im Einzelnen der Kasse berechnet, weiß er nicht, obwohl er die einzige Kontrollinstanz wäre; die Kassen können allenfalls bei einem Arztwechsel etwaitigem, groben Missbrauch auf die Spur kommen, die durchaus profitablen „Aufrundungen“, die ein Kassenarzt machen könnte, bleiben unentdeckt. Vielleicht gibt es sie auch gar nicht und jeder Arzt überlegt genau, welche seiner Leistungen er der AOK und Co in Rechnung stellen will, ohne das Gemeinsystem zu sehr zu belasten. Nachzuweisen ist beiden nichts.
Bleiben wir bei den Ärzten: Die Arztpraxen sind nach einem Technologieschub in den 70ern teils trotzdem noch bis zur Patientengefährdung rückständig oder technisch überdimensioniert. Im letzteren Falle, der natürlich das kleinere Übel darstellt, muß der ganze Kram natürlich refinanziert werden. Nur ganz allmählich gibt es Schritte in die richtige Richtung: Über Praxisgemeinschaften hat man zumindest geteiltes Gerät und kurze Wege bei der Behandlung – die Polikliniken der DDR sind in der Beziehung natürlich unerreicht. Zumindest in dichter besiedelten Gebieten sollte dies das Modell der Zukunft sein, dem einsamen Landarzt in der Uckermark, in Ostfriesland oder der Oberpfalz eine vernünftige Praxisausstattunng zu finanzieren, sollte unserem Gemeinwesen möglich sein.
In den Krankenhäusern wird das meiste Geld verbraucht: Auch hier öffnet sich die Schere zwischen den hochtechnisierten Häusern der Maximalversorgung (Unikliniken, Charite,...) und den einfachen Landkrankenhäusern (Uslar-Lambarene), die derzeit dicht vor der Schließung stehen. Gewinn erwirtschaften sie alle nicht – aber müssen sie das? Immerhin stellt die Nähe eines kompetenten Krankenhauses eine nicht zu unterschätzende soziale Leistung dar, die die Gesellschaft auch honorieren sollte. Innerhalb der hochtechnisierten Häuser ist sicherlich über effizienteres Arbeiten einiges Geld zu sparen – noch mehr spart der medizinische Fortschritt, der oft zu einer Verkürzung der Liegezeiten geführt hat. So wird beispielsweise beim Oberschenkelhalsbruch fast immer operiert, statt die Patienten wie früher zu einem halbjährigen, oft tödlichen Siechtum im Streckverband zu verurteilen. Kürzere Liegezeiten bedeuten allerdings auch weniger Bettennachfrage, prinzipiell keine schlechte Konsequenz. Mit einer vernünftigen Personaldecke in den Kliniken kann vielleicht sogar erreicht werden, dass sich die Leute am spitzen und am stumpfen Enden der Spritzen (Patienten und Beschäftigte) wohlfühlen.
In den Häusern auf dem Lande sollte mehr Wert auf die kurzzeitige und die dauerhafte Versorgung pflegebedürftiger Menschen gelegt werden, die Zustände in einigen Privathäusern bei der Pflege gerade demenzkranker Patienten sind menschenunwürdig und geprägt von der Überlastung der pflegenden Angehörigen. Die Familie als soziales Auffangbecken bei staatlicher Zurückhaltung sollte eigentlich ein Auslaufmodell sein. Auch eine kompetente Sterbebegleitung (Schmerztherapie!) in Heimatnähe sollte gesellschaftliche Unterstützung erfahren und genug Beschäftigung für den Erhalt der kleinen Häuser auf dem Lande sichern.
Der gegenteilige Weg wird derzeit beschritten: Mit der Privatisierung der Krankenhäuser bzw. der Schließung einiger Kliniken geht ein umfassender Leistungsabbau sowie massive Lohnkürzungen der Beschäftigten einher. Der Verkaufserlös für die Häuser, der kurzzeitig die Finanzminister erstrahlen läßt, dürfte dahinschmelzen wie Schnee an der Sonne, denn er wird schon durch geringere direkte und indirekte Steuerleistungen der Beschäftigten binnen kurzem aufgebraucht werden - die jetzt schon in den Privatkliniken zu beobachtende Minderversorgung gar nicht berücksichtigt.
Geht man ins große Feld der Arzneimittelfabrikanten, so könnte man auch dort einiges optimieren. Es seien hier nur schlagwortartig Punkte des aktuellen Status quo aufgezeigt, da eine umfassende Veränderung unter kapitalistischen Bedingungen kaum denkbar erscheint:
- Deutschland hat die höchsten Medikamentenpreise
- Populäre Mittel, deren Patentschutz ausgelaufen ist, werden von anderen Firmen (z.B. Ratiophanrm, Hexal, Stada, ...) nachgebaut (Generika). Bei einzelnen Medikamenten gibt es an die 30 verschiedene Generika, die allesamt einen Zulassungsprozeß durchlaufen müssen.
- Der Werbeetat der Pharmazie macht daher einen enorm hohen Anteil am Verkaufspreis aus (genaue Zahlen sind da schwierig zu beschaffen), meist Zuwendungen an Ärzte und Apotheker (Kugelschreiber, Blöcke), die Produkte der entsprechenden Firma verschreiben sollen.
- Studien, die von Pharmafirmen gefördert werden, entdecken oft einen erhöhte Behandlungsbedarf, etwa bei der Berechnung des zu empfehlenden Cholesterinspiegels. Je tiefer dieser angesetzt wird, desto mehr Umsatz machen die Firmen. Kann natürlich auch sein, dass die erforschten Ergebnisse richtig sind.
Die Möglichkeiten der Verbesserung dieser Situation zu entdecken, seien dem geneigten Leser zur Übung überlassen.
Fazit: Ein Gesundheitssystem kostet Geld, das ist vollkommen klar und wird von jedem eingesehen. Der Knackpunkt: Wieviel Geld für welche Leistung? Die Rechenspielchen der neuen Gesundheitsreform sehen einen
überproportionalen Leistungsabbau gegenüber den Aufwendungen vor, die so umverteilt werden, daß der Kranke mehr zur Kasse gebeten wird. Dabei wäre eine humane und umfassende medizinische Versorgung selbst für die kapitalistische Bundesrepublik finanzierbar - in einem sozialistischen Wirtschaftssystem sollte der Gesundheitssektor, so er denn vernünftig verwaltet wird, keine Probleme bereiten.