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Der "Volkstrauertag" wurde 1919 auf Initiative des " Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge" eingeführt - gemahnt werden sollte den (deutschen) Toten des Ersten Weltkrieges. Den Faschisten war die "Trauer" zu defätistisch; sterben für's Vaterland ist ja schließlich lieblich, also wurde der Volksttrauertag zum "Heldengedenktag". 1952 reaktivierte die BRD den staatlichen Feiertag; nun wieder als Trauertag - er wird zwei Sonntage vor dem Ersten Advent begangen und erinnert an die Kriegstoten und "Opfer der Gewaltherrschaft aller Nationen"...
In diesem Jahr macht die Geschichte eine erneute Kehrtwende: der Volks-Trauertag wird wieder zum Volksgemeinschafts-Heldengedenktag.



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"Die Deutschen müssen das Töten lernen"? Töten konnten sie schon immer gut.
Eine offizielle Umbenennung ist dafür nicht nötig: Bei der zentralen Gedenkkundgebung im Reichstag schlagen sich die neuen Realitäten in den Reden der höchsten Staatsvertreter nieder. "Wir trauern um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren haben", so Bundespräsident Horst Köhler. Und Angela Merkel erdreistet sich, die Opfer vergangener (von Deutschland angezettelter) Weltkriege und historisch einmaliger (von Deutschen verbrochener) Massenmorde als Legitimation für die Kriegseinsätze der deutschen Armee in aller Welt zu mißbrauchen: Deutschland stünde durch das "Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik" und der "daraus erwachsenden besonderen, immer währenden historischen Verantwortung" in der Pflicht, tausende Soldaten in alle Welt zu entsenden - um sich, man höre und staune, "immer wieder für Frieden einzusetzen und entschieden gegen Unfreiheit, Krieg, Gewalt und Terror vorzugehen". Mit Krieg und Gewalt, versteht sich. Für die Freiheit des deutschen Kapitals in aller Welt.

Trauerreden für gefallene deutsche Helden - diese Töne sind neu. Und doch ist es nur konsequent, mit Worten den Taten zu folgen. Mit der Notwendigkeit, ein "zweites Auschwitz" zu verhindern, rechtfertigte der damalige Außenminister Joseph Fischer den dritten Einmarsch deutscher Truppen in Serbien innerhalb eines Jahrhunderts. Mit der "Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" lieferte der ehemalige Kriegsminister Scharping einen bleibenden Sprachzynismus, um den Einmarsch deutscher Truppen in Afghanistan zu begründen. Und mit (Deutschlands) Weltkriegen und (Deutschlands) Holocaust wird nun dem Staatsvolk beim kollektiven Heldengedenken der Triumphzug der schimmernden Wehr um den halben Erdball erklärt. Das ist kein semantischer Ausrutscher. Das ist Deutsche Logik.

Die Umfunktionierung des "Volkstrauertages" ist nur ein kleines Highlight aus einer ganzen Reihe von Innovationen. Kriegsminister Jung macht derzeit von sich reden, indem er ein neues zentrales Denkmal für die gefallenen Bundeswehrhelden fordert: "Ein Besuch im Feldlager der Bundeswehr in Kabul Ende vergangenen Jahres hat mir gezeigt, dass unsere Soldaten ganz unbefangen den Wunsch verspüren, die ums Leben gekommenen Kameraden vor dem Vergessen zu bewahren". Ja, so unbefangen sind sie, die deutschen Botschafter im Waffenrock. Und als Kriegsminister verfolgt Jung das Ansinnen seiner bewaffneten Truppe, dem Vergessen zu entrinnen, mit Wohlwollen: "In eigener Initiative haben sie dort ein Ehrenmal errichtet. »Den Toten zu Ehren« steht auf einem großen Gedenkstein, und nicht nur der Kommandeur versicherte mir wiederholt: 'Das Ehrenmal liegt uns besonders am Herzen'."1.
Es ist wieder soweit: deutscher Humandünger in der Erde aller Herren Länder: von den Toten des ersten Weltkrieges im belgischen Spa über die Toten des zweiten Weltkrieges im sowjetischen Stalingrad bis zu den Toten des dritten Anlaufs im afghanischen Kabul.

Damit sich die Leicheneinfuhr wenigstens lohnt, kündigt sich die nächste bewaffnete Auseinandersetzung im Sudan an: dort will Berlin die deutsche Armee im Bürgerkriegsgebiet Darfur stationieren. "Wie die deutsche Presse bemerkt, erklärt der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, '(s)eit Wochen', die Bundesregierung könne sich 'möglichen Erwartungen der UN nach einem Bundeswehreinsatz (in Darfur, d.Red.) nicht entziehen'. Der ehemalige Verteidigungsminister erwartet ein 'brisantes Mandat', das 'mit Kampfeinsätzen der Soldaten verbunden sein könnte'. Die im Sudan stationierte Truppe der Afrikanischen Union werde 'nicht ohne Hilfe der westlichen Staaten auskommen', erklärt auch der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Arnold. Die Äußerungen folgen einem Ritual der Berliner Regierung, die ihr Drängen nach bellizistischen Operationen Dritten zuschreibt, denen sie sich nicht verweigern könne. Nach dem Abschluss des Kongo-Einsatzes sei die Entsendung einer EU-Truppe in den Sudan möglich, heißt es in Berlin. Unklar ist bislang, ob die Bundeswehr im Sudan überhaupt willkommen wäre. Stattdessen könnten die UN ein Angebot aus der Volksrepublik China aufgreifen und Unterstützungskräfte von dort anfordern. Beijing ist inzwischen enger Partner des Sudan und größter Ölförderer im Land.
'Ich glaube, wir tun gut daran, das Engagement für Afrika nicht China zu überlassen', erklärte Bundeskanzlerin Merkel kürzlich auf einer Tagung des Bundesverteidigungsministeriums über den strategischen Konkurrenten. Beijing hat Anfang des Monats auf einem China-Afrika-Gipfel angekündigt, den Staaten des Kontinents in den kommenden drei Jahren Kredite im Umfang von rund vier Milliarden Euro zu gewähren und im selben Zeitraum die Entwicklungshilfe zu verdoppeln. Diese Politik zum gegenseitigen Vorteil alarmiert Berlin. Die Bundesregierung plant deswegen einen EU-Afrika-Gipfel, der während der kommenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf den Weg gebracht werden soll. Auch im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft soll Afrika 'ein wesentliches Thema' sein, erwartet die deutsche Bundeskanzlerin. Dabei gehe es 'um handfeste Interessen der Europäer', hob Frau Merkel hervor: 'Nicht um karitative Argumente, wie man es früher manchmal gesehen hat'. Die Entblößung der deutschen Machtpolitik, die ihre humanitären Vorwände für überholt erklärt, schreitet in schnellem Tempo voran."2

Seit 1990 sind 64 Bundeswehrsoldaten bei Kriegseinsätzen im Ausland ums Leben gekommen. Sie alle waren, anders als in den deutschen Vorgängerkriegen, bewußt und freiwillig dabei. Oft wohl aus finanziellen Interessen, einzelne aus falsch verstandener Treue - zu wem?, viele aus bloßer Geschichtsunkenntnis und Dummheit. Der eine oder andere wollte vielleicht auch die Welt am deutschen Wesen genesen lassen. Oder Opas Abenteuer aus Stalingrad nachspielen. Wie dem auch sei: gezwungen wurde keiner. Noch sind Deutschlands neue Kriege so überschaubar, dass sich genügend Freiwillige für die deutschen Kontingente finden lassen. Noch muss kein Deserteur standrechtlich erschossen werden, der sich weigert, für Deutschlands Ruhm und Ehre den Waffenrock zu tragen.

Für wen sind diese Soldaten gefallen? Und warum sollte man um sie trauern? Afghanistan ist, mehr denn je nach dem Einmarsch deutscher Truppen, rechtsfreies Gebiet, in dem sich Drogenbarone und reaktionäre Freischärler austoben. Im "befreiten" Kosovo haben die Bundeswehrsoldaten zwar keine Freiheit im Gepäck gehabt, dafür aber die D-Mark - als neue Währung. Jetzt ist es der Euro; und damit das so bleibt, bleiben die deutschen Soldaten auch. Und im Mittelmeer standen deutsche Marinekräfte scheinbar schon mehrfach kurz vor militärischen Auseinandersetzungen mit Israelis - zum Glück, kann man nur sagen, sind die Juden diesmal ebenfalls bewaffnet, wenn sie bewaffneten Deutschen gegenübertreten.

Schönes, neues deutsches Selbstbewußtsein? Manchmal kann man nicht soviel fressen, wie man kotzen möchte.



Anmerkungen:
1)
http://www.zeit.de/2006/27/Trib-ne
2) http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/56627



 
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  Kommentar zum Artikel von 127712:
Sonntag, 26.11.2006 - 05:58

Die Deutschen müssen das Töten lernen???
Der Tod ist ein Meister aus Deutschland!
'ne ganz große Scheiße läuft da, da fehlen einem echt die Worte!