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[mp3]In den letzten Jahren haben sich linke PräsidentInnen und Regierungen in Südamerika breit gemacht. Als SozialistInnen bezeichnen sich sowohl die chilenische Präsidentin Michelle Bachelet, der Argentinier Nestor Kirchner, Brasiliens Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, Uruguays Oberhaupt Tabaré Vazquez, Paraguays Präsident Nicanor Duarte Frutos, Boliviens Indio-Führer Evo Morales und - last but not least – Venezuelas Präsident Hugo Chavéz Frías.

Alle diese PräsidentInnen positionieren sich kritisch zu den Hegemonieansprüchen des US-Imperialismus und zum Teil auch zu den Vorhaben der europäischen imperialistischen Mächte.

Kolumbien – es gibt kein ruhiges Hinterland

Einzig ruhiges Land – von der politischen Führung her betrachtet – ist Kolumbien. Dies unterhält vorzügliche wirtschaftliche wie politische Beziehungen zu den USA und die bürgerlichen Oppositionellen der linksregierten Länder beziehen sich nur zu gern auf den Präsidenten Alvaro Uribe.

Am 28. Mai diesen Jahres erhielt der linke Oppositionskandidat Carlos Govira zwar mit 2 Millionen Stimmen ein Rekordhoch für die Linke, mit 7,8 Millionen Stimmen war die Bestätigung Uribes im Amt jedoch unbestreitbar.

Rückschlag in Peru

Auch die Wahlen in Peru haben nicht zum Erfolg der Linken geführt. Die Präsidentenwahlen am 9. April brachten zwar dem Kandidaten der Linken, Ollanta Humala die meisten Stimmen (30,9%), gefolgt von dem Bürgerlichen Alan García (24,7%) und dem Reaktionär mit ca. 23%, da das peruanische Wahlsystem jedoch einen absoluten Wahlsieg fordert, mußten Humala und García in einem zweiten Wahlgang am 4. Juni in die Stichwahl gehen. Humala erlangte die meisten Stimmen in den Armenvierteln, García gewann jedoch schließlich doch.

In den nächsten Monaten stehen noch Wahlen in Brasilien, Venezuela und Argentinien an.

„politische Börsen haben kurze Beine“ (FAZ)

Doch was bedeutet die linke Präsidentschaft der meisten südamerikanischen Länder? Die Bewertung der Ausrichtungen ist vielfältig. Ein Hugo Chavez ist mit Sicherheit nicht mit einer Michelle Bachelet zu vergleichen, die SchülerInnen niederknüppeln läßt. So konstatiert auch die FAZ vom 6.3.2006, dass Bachelet zwar ungünstig in punkto Sozialpolitik und Umweltschutz sei, aber die allgemeine Richtung der Wirtschaftspolitik unproblematisch. Mit der Losung “politische Börsen haben kurze Beine“ wird der Rahmen der linken Veränderungen festgesteckt.

Da ist ein wahrer Kern dran, denn nicht alles, was sich links nennt, ist revolutionär. So unterhält Chile gute bilaterale Beziehungen mit den USA.

Venezuela als revolutionäre Speerspitze

Nicht ohne Grund warnte Tony Blair anläßlich des Lateinamerika-Gipfels der EU in Brüssel im Mai diesen Jahres vor den „linkspopulitischen Präsidenten Evo Morales und Hugo Chavéz“ und äußerte, sie müssten im Umgang mit Energiegewinnung verantwortlich handeln. [vgl. junge Welt vom 13.5.06]. Dies kommt nicht von ungefähr, ist doch Venezuela ohne Zweifel als Speerspitze antiimperialistischer Politik in Südamerika zu bezeichnen und auch Bolivien scheint diesem guten Vorbild zu folgen. So machte Evo Morales keine 100 Tage nach seinem Wahlsieg sein Wahlversprechen wahr und setzte ein 9-Punkte-Programm zur Renationalisierung der Öl- und Gasindustrie am 1. Mai in Kraft.

ALBA

Einen Tag zuvor unterzeichnete er den Beitritt Boliviens zum Politik- und Wirtschaftsbündnis ALBA (Alternativa Bolivariana para America – Bolivarianische Alternative für Amerika), dass sich den Abbau von Ungleichgewichten, solide Handelsbeziehungen, die Bekämpfung von Armut und Gewährung von Gesundheitsversorgung zum Ziel gesetzt hat.

ALBA hatte Chavez bereits im Dezember 2001 auf dem III. Gipfeltreffen karibischer Staats- und Regierungschefs verkündet, hatte aber bis dato keine weiteren Verbündeten außerhalb von Kuba gefunden. Mit diesem war es mehr Kooperationsbündnis bzw. strategische Partnerschaft. Mit der Unterzeichnung Boliviens, das reich an Erdgas und Soja ist, tritt ALBA in eine neue Phase. So sollen die Energie- und Bergbaubeziehungen erweitert, eine nationale Fluggesellschaft Boliviens aufgebaut und sich für umfassende Alphabetisierungs-, und Gesundheitsprogramme eingesetzt werden. Ferner werden Venezuela und Kuba nicht unbeträchtliche mengen der nationalen Soja und anderer Exportprodukte aufkaufen.
Der „Handelsvertrag der Völker“ wurde ebenfalls im Rahmen von ALBA zwischen Bolivien, Kuba und Venezuela abgeschlossen. [vgl. www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Lateinamerika/linke.html]

ALCA

ALBA ist eine antiimperialistische Kampfansage gegen das von dem US-Imperialismus forcierte Freihandelsabkommen ALCA, dass nach Scheitern der ökonomischen Annektion durch die NAFTA spätestens mit dem Aufstand der Zapatisten 1994 Plan B der USA wurde. ALCA soll ein klassisch kapitalistisches Wirtschaftsbündnis sein, was komparative Kostenvorteile zur Präsmisse setzt und keine Unterschiede zwischen verschiedenen Wirtschaftsbetrieben macht, wodurch zwangsläufig die Monopole und allen voran die US-imperialistischen profitieren werden.

ALBA hingegen setzt auf kooperative Nutzenvorteile, will keine Subventionen vergeben, aber die Klein- und mittelständischen Betriebe, Genossenschaften und Staatsbetriebe gleichberechtigt teilhaben lassen. ALBA ist einzuordnen in das bolivarianische Konzept der venezuelanischen Regierung, die den Sozialismus des 21. Jahrhunderts aufbauen will.

Mercosur

Ein rein wirtschaftliches Projekt ist der südamerikanische Freihandelsblock Mercosur. Mercosur steht für Mercado Común del Sur und wurde 1991 gegründet. Dieser besteht derzeit aus den Vollmitgliedern Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay. Bolivien soll auch als Vollmitglied aufgenommen werden, ist aber bislang neben Chile und Peru und Venezuelabloß assoziiert. Dieses war als rein wirtschaftliche Absage an die Freinhandelsvorstellungen der USA über ALCA gerichtet und verhinderte auch im November 2005 die Wiederaufnahme der Verhandlungen über das Wirtschaftsprojekt der USA, den Aufbau der panamerikanischen Freihandelsgruppe ALCA.

EU versucht, Machverlust zu kompensieren

Während der US-Imperialismus immer noch an seinem Konzept ALCA festhält, versuchen die europäischen imperialistischen Staaten, von dem Machtverlust des US-Imperialismus in Südamerika zu profitieren. Für den Lateinamerika-Gipfel der EU war die Unterzeichnung eines Abkommen mit dem Block Mercosur geplant. Mercosur wird bis 2010 die größte Freihandelszone der Welt sein. Nicht verwunderlich also, dass sich die EU wie auch die USA gegen Projekte wie ALBA stellen.

Die meisten der linksgerichteten Regierungen Südamerikas wollen jedoch derzeit nicht weiter gehen als das Konzept Mercosur vorsieht. Und dies ist nicht anderes als die Interessensvertretung der einheimischen Bourgeoisie, wovon natürlich auch die Bevölkerung profitieren wird, da die Annexion durch ausländisches Kapital geschwächt wird. So sieht auch sonst die Politik der linkszentralistischen PolitikerInnen Südamerikas aus. Argentiniens Präsident Kirchner und der Brasilianer Lula zum Beispiel zahlten vorzeitig die Schulden an den IWF zurück – als Schachzug, um sich von selbigem abzunabeln und wirtschaftlich unabhängig zu sein. Dabei wird jedoch verkannt, dass eine wirtschaftliche Unabhänigkeit im Rahmen kapitalistischer Verhältnisse nicht möglich ist.

Die fortschrittlichsten Teile der südamerikanischen Regierungen sind zweifelsohne Chavez und nun Morales. Der Sieg der Veränderungen Südamerikas wird davon abhängen, wie die anderen Länder sich zukünftig verhalten werden. Erst kürzlich erklärte Chávez den Austritt Venezuelas aus den G3-Bündnis mit Mexiko und Kolumbien und die Andine Wirtschaftsgemeinschaft CAN für tot.1 Der Rückschlag mit Peru wird den Weg vorerst nicht aufhalten können.

„Venezuela not for sale“ (Chávez, 13. April 2003)

Diese Ausrichtung ist auch in der Verfassung verankert. Wichtige Schlüsselindustrien wie die Erdöl- und Gasbranche dürfen nach der neuen Verfassung nicht privatisiert werden.2

Doch damit nicht genug. Schritt für Schritt wird dem ausländischen Kapital mehr abgestrotzt. So müssen Gewinne aus der Erdölindustrie anteilsmäßig nach Venezuela zurückfließen. Im Herbst erhöhte die Regierung die Abgabe von 1% auf 16%, die Erdölunternehmen für das geförderte Öl an die Staatskasse abführen müssen.3

Plan Flucht Null (Evasión Cero) Eine weitere Kampagne der Regierung richtet sich gegen Steuerflucht. Werden Steuern nicht ordnungsgemäß abgeführt, müssen die betroffenen Unternehmen ihren Betrieb für begrenzte Zeit schließen. Davon war auch Mc-Donalds betroffen.4

Ich selbst habe in Mérida im Westen des Landes einen geschlossenen Laden gesehen. Per öffentlichen Aushang war für jeden ersichtlich, warum dieses Geschäft geschlossen wurde und für welche Zeit (mit der Auflage der Nachzahlung, versteht sich).

Fabriken in Arbeitermacht

Neben dem Erdölkonzern PdVSA verstaatlichte die Regierung Ende April 2005 den Ventilhersteller Constuctora Nacional de Válvulas, der seitdem Industria Venezolana Edógena de Válvulas heißt und über die PDVSA finanziert wird.

Chávez erklärte, er habe sein Arbeitsministerium angewiesen, nach weiteren Unternehmen zu suchen, die brachliegen und so nach geltendem Recht in Arbeiter- oder Staatshände fließen können.

Der Film „5 Fabriken – Arbeitermacht in Venezuel“ beschreibt anschaulich 5 Fälle der Arbeiterkontrolle in Venezuela (u.a. die Papierfabrik Industria Venezolana Endógena Papelera). Die Organisation ist autonom und partizipativ und die ArbeiterInnen selbst sehen sich als Vorhut der ökonomischen Verwirklichung der Revolution in Venezuela.

Sowohl die Papier- wie die Ventilfabrik gehören zu 51% dem Staat und zu 49% der Kooperative. Insgesamt sind 88 Unternehmen nach diesem 51/49 System organisiert. Die Hotelkette Tamarata ist sogar zu 100% selbstverwaltet.
Derzeit werden 136 Betriebe auf mögliche Stillegung geprüft und 1.149 stillgelegte auf mögliche Enteignung, die Artikel 115 der Verfassung vorsieht.5

Landreform

Ein weiteres wichtiges Feld der Transformation in Venezuela ist die angestrebte Landreform. Das Gesetz sieht vor, dass durch Großgrundbesitzer illegal angeeignetes oder brachliegendes Land zurückgeholt werden kann. In den Bergen nördlich von Maracay sah ich kleine Familienbetriebe, die – so sagten mir die BewohnerInnen – von der Regierung hierher geschickt wurden, da ihnen Land versprochen wurde. Nach wie vor bezieht Venezuela viele Importgüter, die theoretisch auch in Venezuela produziert werden könnten. Über die Mercals werden den Familien die Produkte zu Festpreisen abgenommen.

Heute leben nur noch 10 % der Bevölkerung auf dem Land, denn die ökonomische Struktur ist fast vollständig auf Öl ausgerichtet. Das will die Regierung u.a. mit der Wiederbelegung der Landwirtschaft ändern.

Aber diese Landreform nimmt die oppositionelle Oligarchie nicht tatenlos hin.
In der Region südlich des Maracaibo-Sees wurden in den vergangenen Jahren mehr als 60 Bauern im Auftrag der Großgrundbesitzer ermordet.

[10]

Aufbau von Kooperativen

Breit im ganzen Land unterstützt die Regierung den Aufbau von Kooperativen. Dabei gewährt sie einem Kollektive günstige Staatskredite, die auch erst nach einem Jahr angefangen werden müssen, zurückzuzahlen. Die Kooperativen sind vielfältig. In Barquisiméto besuchte ich eine Bäckerei, in Santa Fé fuhr ich auf einem Motorboot, dass kooperativ genutzt wurde.

Mindestlohn

Die Arbeitssituation hängt sehr davon ab, in welchem Unternehmen man arbeitet. Staatliche Einflußnahme ist die Lohngestaltung. In den letzten Jahren hat die Regierung den Mindestlohn immer weiter ansteigen lassen. Mittlerweile liegt er bei ca. 180 Euro entspricht.

Das hört sich nicht viel an, ist es auch nicht. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass staatliche Wohnungsprogramm einem Großteil ermöglichen, sehr billig zu leben. Die Gesundheitsversorgung ist umsonst, die staatlichen Supermärkte sehr günstig und auch umsonst bei Härtefällen, die Bildung gratis und der öffentliche Transport wird für Auszubildende gefördert.

Einführung des 8-Stunden-Tags

Der 8-Stunden-Tag besteht offiziell in Venezuela.


Anmerkungen:
1
vgl. ND, 13.06.2006
2 vgl. Ingo Niebel, Venezuela not for sale, Kai Homilius Verlag, 2006
3 ebd.
4 ebd.
5 vgl. Freitag 43, 28.10.2005
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Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Organisation "Roter Oktober".


Dieser politische Reisebericht über Venezuela erscheint in acht Teilen im viertägigen Rythmus. Teil VII wird am 25.11.2006 auf www.secarts.org veröffentlicht.


 
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