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Von secarts

Alljährlich sind die Wagner-Festspiele das Ereignis, auf dem sich Deutschlands politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche High-Society zusammenfindet und ihrem Meister huldigt.
Das ist schon lange so; seit Kaisers Tagen gehört es zum guten Ton, sich in Bayreuth blicken zu lassen, wenn man etwas zu sagen hat. Alle die nichts zu sagen haben, aber dennoch mal so tun wollen, müssen mehrjährige Wartezeiten für ein Ticket akzeptieren. Scheinbar gibt es genug Leute, die das tun.
Adolf Hitler hielt die gute Tradition aus alten Tagen aufrecht und beehrte Wagners Villa "Wahnfried" und das Festspielhaus ebenfalls regelmäßig; freilich nicht ganz uneigennützig: seine antisemitischen Inspirationen hatte er nicht unwesentlich Wagners rassistischen Plattitüden zu verdanken, auch völkisches Getue und Blut-und-Boden-Blödsinn stand beim Alten vom Hügel hoch im Kurs.
In seiner Offenbarungsschrift "der Jude und die Musik" öffnete der Meister sein Herz; "der Jude" sei "der plastische Dämon des Verfalls", im Gegensatz dazu stünde natürlich die wahre germanische, also seine, Musik und Oper. "Oper" heißt denn bei Wagner auch "Bühnenweihefestspiel".
Und genauso germanisch, wie man sich das vorstellt, ist es auch. Eine miefige Klamotte aus kleinbürgerlichen Wahnvorstellungen; dralle blonde Germanias, finstere Könige, Hafenkneipenballette und ein krudes Wirrwarr aus christlichen, heidnischen und buddhistischen Versatzstücken, zusammengerührt mit einer Musik, bei der bestenfalls noch der Taktstock des Dirigenten an eventuell vorhandene, aber weit verfehlte klassische Vorbilder gemahnt.
Ein sperriger Klotz von Musik, der auch lediglich im eigens für sie errichteten Gebäude auf dem "grünen Hügel" zur Geltung kommt. Brechts Stücke z.B. wirken überall; selbst in einer Bahnhofunterführung aufgeführt könnte man ihnen Größe abgewinnen. Wagner braucht seinen gemauerten Größenwahn, um die Faszination völkischer Großmachtsphantasien ausspielen zu können.
Dort, und nun schließt sich der Traditionskreis, finden sich heute wieder Wirtschaftsbosse einträchtig neben politischen Granden ein, wird der Soundtrack zum neuen Selbstbewußtsein in der Welt geliefert. Der Beat zum dritten Anlauf um den Platz an der Sonne.
Auch das Engagement eines Regisseurs wie Christoph Schlingensief, den ich, mit Verlaub!, schon immer für einen pathologischen Fall gehalten habe, vermag den menschenverachtenden und spießig-elitären Charakter der Weltanschauung hinter Wagners Musiksurrogat nicht zu übertünchen.
Doch zwei Schlußfolgerungen bleiben: Schlingensief desavouriert sich endgültig als klinisch hoffnungslos verloren. Und Wagner ist - leider - immer noch nicht auf dem Kehrichthaufen der Geschichte verschwunden.

 
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  Kommentar zum Artikel von secarts:
Donnerstag, 14.10.2004 - 18:14

Ohne Kommentar: ein Artikel aus der Bild-"Zeitung":

»CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel (47) und Grünen-Chefin Claudia Roth (46) – so bezaubernd, so hübsch, wie wir sie noch nie gesehen haben! Angelas Schultern zart umspielt von flauschigem Marabu, sogar etwas Rot hat sie auf die Lippen getupft. Und Claudia erst! Passend zum Kleid die Haare in Cyclan, die Federkorsage in Violett, die Stola in pink-›grün‹, die Ohrringe: Links ein Herz, rechts ein Keil (wir ahnen: Voll die Absage ans Perlenketten-Establishment). Zu sehen gab’s das Ganze gestern anläßlich der Eröffnung der 90. Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth.« (Bild, 26.7..2001)


  Kommentar zum Artikel von secarts:
Dienstag, 24.08.2004 - 01:07

Zu Wagner und Konsorten, seinen (ideologischen, weil schon tot) Einfluß auf Hitler und den deutschen Faschismus, aber auch zu seiner Rolle als deutschem Nationalstaats-Identitätsstifter, sollte man tatsächlich noch mal eingehender was recherchieren...
Ich habe unlängst das Buch von Gottfried Wagner, Urenkel des ollen Richard, gelesen... Und das war wirklich sehr drastisch. Der Mann räumt schonungslos auf mit allen Verklärungen, die Möglicherweise noch über den "Grünen Hügel" bestehen könnten... Eine durch und durch faschistisch verblendete Sippschaft - Der Alte Wagner selbst, fanatischer Antisemit, seine Schwiegertochter und Hitler-Freundin Winifred, etc etc... Sehr zu empfehlen!

("Wer nicht mit dem Wolf heult - autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels" von Gottfried Wagner. Verlag Kiepenheuer & Witsch)


  Kommentar zum Artikel von Stephan:
Freitag, 30.07.2004 - 08:27

Bezeichnend ist nunmehr das heuchlerische Bedauern über das Ausbleiben eines Skandals. Offensichtlich hat Schlingensief nicht so publikumsverachtend inszeniert, wie das satte Bayern-Society-Geschmeiß es prickelnd gefunden hätte - so dient ein an den Haaren heibeigezogener Rassismusvorwurf, der seine Wurzeln in der Bühnenpositionierung eines Schwarzafrikaners (außerhalb der Scheinwerferbeleuchtung) hat, um für ein wenig Aufmerksamkeit zu sorgen.

Fazit des Beobachters: Mit Bayreuth und seinen Festspielen muß es dramatisch abgehen, wenn man schon auf solche Winkelzüge Wert legt - angesichts des obigen Kommentars wohl keine schlechte Nachricht.

Über die Musik Wagners und seine Rolle in der Musikwelt ds vorletzten Jahrhunderts sowie die Selbstinszenierung im eigenen Hause könnten wir ein anderes Mal diskutieren.