Gewerkschaften sind Zusammenschlüsse vieler Arbeiter verschiedener Branchen. Ihr Zweck ist, in letzter Instanz, den Preis der Ware Arbeitskraft durch kollektives Auftreten eigentlich konkurrierender Individuen zum Wohl aller Beteiligten zu verteidigen. Aber, munkeln Zweifler, wenn die Arbeiter durch den Einfluss der Gewerkschaften teurer werden, sind dann nicht die Gewerkschaften Schuld an der Massenarbeitslosigkeit, weil die zu teuren Arbeiter ja nicht mehr eingestellt werden? Man ahnt es bestimmt schon: die FAZ erklärt wieder die Welt!Teil IX
Die Frage "
Warum brauchen wir Gewerkschaften?" musste ja irgendwann einmal thematisiert werden. Sprach FAZ.net bisher zwar nur oberflächlich von den sogenannten "Tarifkartellen", will sie uns in vorliegendem Artikel nun erklären, wieso der Hund dort eigentlich begraben liegt. Die Gewerkschaften, fortan als "bürokratische Machtfaktoren im korporatistischen Institutionengeflecht des Spätkapitalismus" betitelt, tragen, so weiß FAZ.net zu berichten, ihren Hauptfehler schon in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung, er macht sich schon am Anfang ihrer Entstehungsgeschichte bemerkbar. Ihr "Motivations- und Handlungshintergrund" ist die "Arbeitersolidarität", "das meint Schulterschluss ohne Klassenkampf." Aha, da wird sofort deutlich, dass es mit den "bürokratischen Machtfaktoren im korporatistischen Institutionengeflecht des Spätkapitalismus" schon im Frühkapitalismus im Argen liegen muss: die eben genannte Arbeitersolidarität kann sich, bei Ausschluss des Klassenkampfs, also bei praktischer Negation überhaupt des Bestehens verschiedener Klassen, ja nur noch darauf beziehen, dass die Arbeiterklasse sich mit der Kapitalistenklasse solidarisiert.
Wie fruchtlos dieses Ziel sein muss wird sofort klar: "Die ökonomische Umwelt wird akzeptiert, die Teilhabe am Gesamtprodukt der kapitalistischen Produktionsweise aber soll durch 'Assoziation', durch Zusammenschluss, gesichert werden." Zusammenschließen, bitte schön, aber fragt bloß nicht nach höheren Löhnen oder gar Arbeitszeitverkürzung!
Der praktische Sinn dieser Aussage wird an der Haltung der Sozialdemokratie, die ihr Fundament in der Gewerkschaftsbewegung hat, während der Weimarer Republik deutlich. Ihre Linie war die Linie der "Arbeitersolidarität" mit den Kapitalisten, zumindest mit einem Teil derer, von denen sie nicht zuletzt auch ein paar finanzielle Bonbons hingeworfen bekamen (Arbeiteraristokratie). Die Sozialdemokratie wollte die vom Zerfall bedrohten gesellschaftlichen Zustände beibehalten; ihr standen die reaktionäre rechte und die revolutionäre linke Alternative gegenüber. Bei den Kommunisten war klar, dass sie die gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse umgekrempelt hätten, was den der Sozialdemokratie alliierten Bourgeois natürlich missfiel, außerdem konkurrierten sie mit der Spezialdemokratie um die gleiche Massenbasis, um den Einfluss bei den Arbeitern. Die damalige SPD entschied sich für eine folgenschwere Verschärfung der Spaltung der deutschen Arbeiterklasse, sie machte die Einheitsfront unmöglich, boykottierte teilweise direkt andere linke Kräfte und lenkte vor allem vom Hauptziel jeglicher politischer Aktivität des Proletariats, der sozialen Revolution, ab. Neben den beiden sich befehdenden Arbeiterparteien konnte, mithilfe schriller populistischer Propaganda und aus deutscher Monopolwirtschaft prall gefüllter Wahlkampfgeldbeutel, die faschistische NSDAP ohne größeren Widerstand im Volk an die Macht gelangen; organisierter Widerstand war aussichtslos, da die SPD an der Losung des "kleineren Übels" festhielt und jegliche Kooperation mit der KPD verweigerte bis es zu spät war. Eine schöne "Teilhabe durch Assoziation" ist das! Sie brachte den deutschen Arbeitern verschärfte Ausbeutung, Zwangsarbeit, wirtschaftlichen Ruin und den zerstörerischsten Krieg der bisherigen Menschheitsgeschichte.
Doch zurück zu obigem Artikel. Selbst FAZ.net muss sich recht bald eingestehen, dass Lohnkampf irgendwie etwas mit Klassenkampf zu tun haben muss, und setzt korrekterweise die Arbeiter den Kapitalisten gegenüber, ja betont sogar, dass die Kapitalisten einen strategischen Bonus in jenem Kampf haben, da sie als Besitzer der Produktionsmittel auch Besitzer der Lebensbedingungen der Arbeiter sind. Darum müssen sich die Arbeiter assoziieren und werden durch ihr geeintes Interesse zur "countervailing power", zur Gegenkraft in der Gesellschaft. Dennoch kann das nicht gut sein, denn "sie sind nicht in der Lage, die Suchleistung des Markts gerade dann zu imitieren, wenn diese Leistung besonders dringend gebraucht wird: in Phasen der produktiven Unruhe durch das Hinzutreten neuer Wettbewerber, in Situationen ökonomisch bedeutsamer Grenzöffnungen, in Schüben des kostensenkenden und des produktinnovativen technischen Fortschritts", kurz, sobald sich das Konkurrenzverhältnis irgendwie verändert, was übrigens pausenlos der Fall ist.
Was lernen wir daraus? Die bürokratischen Machtfaktoren im korporatistischen Institutionengeflecht des Spätkapitalismus hemmen die kapitalistische Entwicklung, "ihnen fehlt, gemessen an den Möglichkeiten des Wettbewerbs, die Vielfalt der Deutungen, der Hypothesen über die Zukunft, der Reaktionen auf bruchartige Änderungen; ihnen fehlt - gerade wegen der Verteidigung von Kollektivität - die Fähigkeit der Suche nach guten Lösungen durch ein möglichst hohes Maß an Offenheit für Versuche. Ihnen fehlt mithin das, was letztlich die Überlegenheit des Markts ausmacht: der durch keine Kollektivität imitierbare, sich selbst bildende Ausleseprozess, der die richtigen von den falschen Antworten auf neue Herausforderungen trennt." Sie beschränken also die hemmungslose Ausbeutung der Arbeitskräfte, den totalen ökonomischen Darwinismus, den sozialen Krieg aller gegen alle als mal mehr mal weniger offen proklamierten Zweck der Individualistengesellschaft - nur um es mal klar auszudrücken.
Das alles kann der FAZ nicht recht sein, schließlich muss es in jedem Kampf auch Verlierer geben (und ob der Kampf nötig ist fragt sie sich garnicht). Die gewerkschaftlichen Arbeiter sind allerdings schlechte Verlierer; nach FAZ-Logik ist es ihre eigene Schuld, dass ihre Bemühungen um eine bessere Lage der Arbeiter umschlagen in das genaue Gegenteil, dass eventuelle gesetzliche Mindestlöhne auf die Steuerlast zurückwirken (die nach besagter FAZ-Logik natürlich komplett auf die Arbeiter abgewälzt wird, sodass diese sich offenbar selbst bezahlen müssen - mit Zinsen!) und der Effekt verpufft. Zusätzlich schaffen die von ihnen hochgehaltenen Löhne die Massenarbeitslosigkeit, denn die Kapitalisten könnten sich mehr Arbeiter leisten, wenn diese günstiger wären. Das Grandiose an diesem Argument ist, dass, konsequent weitergedacht, die Kapitalisten mit steigender Arbeiterzahl den Lohn gegen 0 zurückschrauben, was bei allen Vorteilen der Vollbeschäftigung nun wirklich nicht sinnvoll sein kann. Kurz und gut, die bürokratischen Machtfaktoren im korporatistischen Institutionengeflecht des Spätkapitalismus, die Gewerkschaften sind Schuld an Arbeitslosigkeit, Stagnation und am besten noch Faschismus, und die FAZ kann sich gemütlich zurückwiegen in den bequemen Sessel der umso bequemeren Ignoranz.
Wer mit offenen Augen durch die Welt geht, wird kaum umhin kommen, die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte der Arbeit zu bemerken. Natürlich ist Sinn und Zweck all dieser Entwicklung Arbeitszeit zu sparen und im Endeffekt den Menschen das Leben zu erleichtern. Für den Kapitalisten stellt sich diese Arbeitszeiterleichterung, diese Entwicklung der Produktivkräfte allerdings als Senkung der Produktionskosten, als Möglichkeit der Rationalisierung und infolgedessen als Sinken der allgemeinen Profitrate dar, was ihn nur noch mehr anheizt seine Produktion zu optimieren um die Profitrate zu erhöhen. Die makroökonomische Folge davon ist eine immer größer werdende Freisetzung von Arbeitskräften, welche immer größere Not leiden, da ihnen in einer auf Privateigentum an Kapital fundierten Gesellschaft zunehmend die Möglichkeit fehlt, ihren täglichen Bedarf zu decken. Das Elend wird allerdings durch verschiedene Schleier verdeckt; sei es ein krebsgleich wucherndes Kreditwesen, das die Menschen nur noch stärker in die Abhängigkeit zieht, seien es die nur als besondere Einzelfälle auffallenden Opfer des Systems: Bettler, Obdachlose, Kriminelle, Drogenopfer oder gar Selbstmörder.
Der Fehler liegt ganz deutlich im System selbst. Kapital muss wachsen, dazu braucht es lebendige Arbeit, deren Früchte es sich selbst zu Gemüte führt um zu wachsen. Damit diese Früchte reifen können, braucht es zahlungskräftige Nachfrage, diese selbst wird durch die Profitlogik immer mehr zurechtgestutzt, sodass gleichzeitig Überproduktion und Unterkomsumtion entstehen. Die Produktmassen und das zu ihnen analog zirkulierende Geld konzentrieren sich immer stärker in den Händen weniger, der Großteil der Menschen verarmt zunehmend, weil sie immer mehr Reichtum produzieren - nur für wen? Die Gesellschaft produziert mehr als sie verbrauchen kann, hat aber dennoch weniger, als sie braucht; ein Widerspruch, der sich nur durch Vergesellschaftung der Produktion lösen kann, indem alle Produkte und alle Arbeitsaufgaben in einen gemeinschaftlichen Topf gepackt und gleichmäßig verteilt werden. Die Arbeiter, die Produzenten allen Warenreichtums, müssen diese Tatsache erkennen, und ihre gewerkschaftliche Organisation ist ein erster, kleiner, aber wichtiger Schritt zu einem höheren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Ziel. Darum brauchen wir Gewerkschaften.
Im Kapitalismus ist der Mensch bloßer Diener der Wirtschaft.
Im Kommunismus wird die Wirtschaft Diener des Menschen sein!
der nächste Artikel der elfteiligen Serie "Verklär' mir die Welt - von Dummies für Dummies: die FAZ erklärt die Wirtschaft" erscheint in Kürze auf www.secarts.org.