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Auf die Frage, was Leben ist und woher es kommt, gab und gibt es unterschiedliche Antworten. Die Religionen haben ihre Schöpfungsgeschichte, frühe Gelehrte spekulierten auf eine „Urzeugung”. So zweifelte z.B. Aristoteles nicht daran, dass sich Frösche, Mäuse sowie kleinere Tiere und Pflanzen spontan durch Urzeugung bildeten. Der im 17. Jahrhundert lebende holländische Gelehrte Johann Baptist von Helmont entwickelte ein „Rezept”, nach dem man aus Weizenkörnern und schweißverschmutzter Wäsche Mäuse erhält. Ein Umbruch der Anschauungen zeichnete sich ab, als der Toscaner Arzt Francesco Redi 1668 nachweisen konnte, dass die weißen Würmer im verwesenden Fleisch nichts anderes als Fliegenmaden sind. Nochmals 100 Jahre später brachte der französiche Gelehrte Louis Pasteur das Lehrgebäude von der spontanen Urzeugung endgültig zum Einsturz. Von ihm stammt der Satz: „Alles Leben kommt vom Leben”. Aber was ist das Leben und von woher kommt es?
Friedrich Engels hat da eine kurze Antwort:
„Leben ist die Daseinsweise der Eiweißkörper, deren wesentliches Moment im fortwährenden Stoffwechsel mit der äußeren sie umgebenden Natur besteht und die mit dem Aufhören dieses Stoffwechsels auch aufhört und die Zersetzung des Eiweißes herbeiführt.”1
Damit ist „die Negation des Lebens als wesentlich im Leben selbst enthalten, so dass das Leben stets gedacht wird mit Beziehung auf sein notwendiges Resultat, das stets im Keim mit ihm liegt, den Tod. Weiter ist die dialektische Auffassung des Lebens nichts. Aber wer dies einmal verstanden, für den ist alles Gerede von der Unsterblichkeit der Seele beseitigt. Der Tod ist entweder Auflösung des organischen Körpers, der nichts zurücklässt als die chemischen Bestandteile, die seine Substanz bildeten, oder er hinterlässt ein Lebensprinzip, mehr oder weniger Seele, das alle lebenden Organismen überdauert, nicht bloß den Menschen. Hier also einfaches Sichklarwerden vermittelst der Dialektik über die Natur von Leben und Tod hinreichend, einen uralten Aberglauben zu beseitigen. Leben heißt Sterben.”

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"Ursuppe"
Als Materialist ging Engels natürlich nicht davon aus, dass hinter dem Leben ein unveränderliches „Lebensprinzip” steht, das von irgendwoher „eingeflogen” werden muss. Dieser Ansicht waren berühmte Naturwissenschaftler, wie z.B. der Physiker Helmholtz und der Chemiker Liebig. Sie spekulierten, „ob das Leben je entstanden, oder nicht ebenso alt wie die Materie sei, ob nicht seine Keime, von einem Weltenkörper zum anderen herübergetragen sich überall entwickelt hätten, wo sie günstigen Boden gefunden?”
Ein Argument dafür war, „dass all unsere Bemühungen scheitern, Organismen aus lebloser Substanz sich erzeugen zu lassen”. Engels hält dagegen: „Solange wir von der chemischen Zusammensetzung des Eiweißes nicht mehr wissen als jetzt, also an künstliche Darstellung wahrscheinlich auf 100 Jahre noch nicht zu denken können, ist es lächerlich zu klagen; dass alle unsere Bemühungen etc. ,gescheitert sind’!”
Die 100 Jahre sind gut um, was hat sich seitdem getan, erscheint die Grenze zwischen belebter und unbelebter Natur noch immer so unüberwindlich?
Von wissenschaftlicher Seite her heißt die Antwort heute klar: Nein.

Ein wichtiger Baustein für diese Ansicht waren Arbeiten des russischen Wissenschaftlers Alexander Oparin, der bereits 1930 feststellte, dass die heutige Atmosphäre (und damit auch die die Erdoberfläche ereichende Sonnenstrahlung) mit der Uratmosphäre vor ca. 3,8 Milliarden Jahren nicht übereinstimmt (Sie enthielt kaum Sauerstoff, die UV-Einstrahlung war höher).
1953 rekonstruierten die Wissenschaftler L. Miller und Harold C. Urvey an der Universität von Chicago diese Uratmosphäre und ließen sie auf eine den damaligen Ozeanen entsprechende Lösung anorganischer Stoffe (z.B. Methan, Ammoniak) einwirken. Nach nur einer Woche fanden sich in der Lösung Zucker, Aminosäuren und stickstoffhaltige Basen, alle Bausteine der biologisch wichtigen Eiweiße (s.o.), Nukleinsäuren (s.u.) und Fette.
Der Miller Versuch wurde in der ganzen Welt in zahlreichen Abwandlungen wiederholt. Mit welchen Mitteln auch immer man die Bedingungen der Ur- Erde zu kopieren versuchte, in praktisch jedem Fall entstanden die komplizierten Moleküle, deren „abiotische Genese” deren Entstehung ohne die Anwesenheit von Lebewesen so vielen vorangegangenen Forschergenerationen bis dahin so geheimnisvoll erschienen war. Sich in der „Ursuppe” formierende Eiweiße, die in der Lage sind sich zu „vermehren” (indem sie Bausteine aus der Ursuppe an sich anlagern) und zu „sterben”, (z.B. Zerfall unter UV-Einstrahlung) standen so mit großer Wahrscheinlichkeit am Beginn des Lebens. Auf jeden Fall vermitteln Eiweiße alle wichtigen Lebensfunktionen, Engels hatte wieder mal einen ganz guten „Riecher” auch für naturwissenschaftliche Sachverhalte.

EIWEISSE (PROTEINE)

Die Wissenschaft kennt heute viele Funktionen der Proteine im Lebensprozess: Proteine sind für die Reaktionen der Immunabwehr zuständig, sie bringen als Hämoglobin den Sauerstoff in die Zellen und erlauben dem Muskel sich zu kontrahieren. Insbesondere sind sie für die Stoffwechselreaktionen in allen Zellen notwendig: Die Fähigkeit einer Zelle Tausende verschiedener Stoffe aufzubauen, umzusetzen und zu verarbeiten, hängt von ihrer Ausstattung mit Enzymen ab. Enzyme, auch Biokatalysatoren genannt, sind hochmolekulare (große) Proteine. Sie besitzen eine ganz bestimmte räumliche Struktur mit einer Bindungstelle für ganz bestimmte Stoffe. (Man nennt diese Stoffe die Substrate dieses Enzymes.) Die genannte Bindungsstelle, das aktive Zentrum des Enzymes, ist räumlich so gebaut, dass sich die zugehörigen Substrate exakt einfügen. Das Enzym und sein Substrat passen wie Schlüssel und Schloss zueinander. Manche Enzyme unterstützen die Spaltung des Substrates, andere bewirken den Zusammenschluss von Molekülen. Enzyme werden bei den katalytischen Vorgängen nicht verbraucht. Sie binden das Substrat kurzfristig, gehen aus einer Reaktion aber unverändert hervor, sodass ein Enzym zahlreiche Moleküle umsetzen kann. Häufig bilden mehrere Enzyme eine Reaktionskette, wobei ein Ausgangsstoff durch eine hintereinander gereihte Abfolge von chemischen Reaktionen in ein bestimmtes Endprodukt umgesetzt wird.

So vielfältig das Spektrum der Aufgaben ist, die Proteine abdecken, so einheitlich ist der Grundplan ihres Aufbaues. Proteine sind kettenartig konstruiert und jedes Kettenglied ist jeweils eine Aminosäure. (Von denen es insgesamt 20 Verschiedene gibt.) Die Reihenfolge der Aminosäuren bezeichnet man als Primärstruktur eines Proteines. Man kann die Primärstruktur mit einem Wort vergleichen, das aus einer Reihenfolge von 20 verschiedenen Buchstaben (den Aminosäruren) besteht. So wie man aus den Buchstaben des Alphabetes sehr viele verschiedene Wörter bilden kann, lassen sich aus den 20 Aminosäuren fast unendlich viele verschiedene Proteine bilden.2
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Wie oben geschildert ist für die Funktion des Proteins als Biokatalysator die räumliche Struktur entscheidend. Sie bildet das „Schloss”, in das der „Schlüssel” (das Substrat) passen muss. Die räumliche Gestalt, die so genannte Tertiärstruktur, welche die spezielle Funktion ermöglicht, wird durch die Primärstruktur (die Reihenfolge der Aminosäuren) wesentlich bestimmt, aber nicht eindeutig festgelegt. Die so genannte Faltung, bei der die Aminosäurenkette eine bestimmte räumliche Gestalt annimmt (die ihre Funktion entscheidend bestimmt) erfolgt im wässrigen Milieu und hängt von den dort herrschenden Bedingungen ab.3

Die Faltung der Eiweiße ist ein Beispiel dafür, dass sich das „Proteom” (wie man die Gesamtheit der Proteine eines Lebewesens nennt) nicht in starrer Abhängikeit bewegt vom Genom, der Gesamtzahl der Gene einer Zelle oder eines Organismus.
Es ist heute unbestritten, dass ohne Proteine die chemischen Reaktionen in der Zelle nicht ablaufen könnten, dass ohne ihre unendlich mannigfaltige Tätigkeit keine Zelle wachsen würde oder atmen könnte, also ihr Leben sehr bald zu Ende gehen würde.
Aber hinter den Proteinen, den Werkzeugen der Merkmalsausprägung eines Individuums, steht für die Idealisten und Vulgärmaterialisten „der heilige Gral”, das Genom, nach dessen Plan die Werkzeuge tanzen müssen. Die Faltung der Eiweiße ist ein Beispiel, dass sie bei diesem Tanz nicht nur auf die Musik des Genoms hören.

Die Suche nach dem Gral

Das Genom bzw. die Substanz, aus dem es besteht (die DNA, näheres dazu weiter unten) wird gerne als „autoreplizierend” bezeichnet. Sie produziert also Kopien ihrer selbst für jede neue Zelle und alle Nachkommen (allerdings nur mit Hilfe von Enzymen, also Eiweißen). Zweitens wird gesagt die DNA „mache” alle die Proteine, aus denen Enzyme und Strukturelemente der Zelle bestehen. Insofern passt die Metapher vom Gral4. Auch ihm wird nachgesagt er sei selbsterneuernd (wenn auch nur am Karfreitag) und biete jedem Nahrung, der an ihm „sans serjant et sant senechal”, ohne Diener oder Tafelmeister, teilhabe.
So ein „Gral” ist natürlich ein gefundenes Fressen für alle Idealisten.
Jaques Monod, Rockefeller Stipendiat und Nobelpreisträger für Medizin will damit den dialektischen Materialismus widerlegen5:
„... die Theorie vom Gen als der durch Generationen und sogar durch Kreuzungen unveränderten Erbanlage war in der Tat mit den dialektischen Prinzipien ganz und gar nicht zu versöhnen. Das ist per definitionem eine idealistische Theorie, da sie auf dem Postulat der Invarianz beruht. ...Das ganze System ist folglich total konservativ, streng in sich abgeschlossen und absolut unfähig, irgendeine Belehrung aus der Außenwelt anzunehmen. Durch seine Eigenschaften wie durch seine Funktion als eine Art mikroskopischer Uhr, die zwischen DNS und Protein wie auch zwischen Organismus und Umwelt Beziehungen ausschließlich in eine Richtung herstellt, wiedersetzt sich dieses System jeder dialektischen Beschreibung. Es ist von Natur aus kartesianisch und nicht hegelianisch: Die Zelle ist sehr wohl eine Maschine”.
Einer der bedeutendsten Molekularbiologen, Sydney Brenner, äußerte einmal vor einer Gruppe von Kollegen, dass er, hätte er die komplette DNA Sequenz eines Organismus und einen ausreichend leistungsstarken Computer zur Verfügung, den entsprechenden Organismus berechnen könnte.6

Dies erinnert an die Präformationstheorie des 18. Jahrhunderts, die davon ausging der Organismus sei bereits im befruchteten Ei vorgeformt und müsse nurmehr auswachsen.
Diese Sichtweise ist falsch in Bezug auf die tief greifenden Änderungen, die der Embryo während seiner Entwicklung erfährt (siehe dazu weiter unten) und auch in Bezug auf sein Verhältnis zum mütterlichen Organismus, das sich als Kampf der Gegensätze beschreiben lässt: „Es ist nicht so, dass die Natur in kluger Vorsaussicht der gemeinsamen Interessen ein Optimum bei der Verteilung der Nährsstoffe zwischen Mutter und Embryo gefunden hätte. Tatsächlich sondert der Embryo Enzyme und Zellen ab, die ohne Rücksicht auf die Gesundheit der Mutter die Nährstoffversorgung der Plazenta vergrößern. Der Körper der Mutter wiederum reagiert mit chemischen Gegenmaßnahmen. Im Ergebnis wird das Blut der Mutter mit zahlreichen gegensätzlich wirkenden Substanzen überschwemmt, jeweils in Überdosis. Diese gegeneinander gerichteten Aktionen treiben die Gesamtaufwendungen für Mutter und Kind „unnötig” in die Höhe und verhindern eine ideale Gesamt-Effizienz”.7 Die Form, in der sich die Widersprüche bewegen, entspricht halt nicht unbedingt der Buchführung einer „weisen Natur”.

Der Homunculus

Moderne Biologiebücher zeigen gerne als Kuriosität eine Zeichnung von Nicolaas Hartsoeker, der sich im 17. Jahrhundert mit Mikroskopie beschäftigte. Man sieht darauf ein Spermium mit einem winzigen Kind in embryonaler Haltung. Angenommen wurde, dass dieses Kind während der fötalen Entwicklung nur noch wächst, wozu es vom mütterlichen Ei mit den notwendigen Nährstoffen versorgt wird (dazu siehe oben).
Bis auf die Tatsache, dass die Mutter auch „Informationen” zur „Blaupause” beitragen darf, ist die in diesen Büchern vertretene Theorie der komplette Plan eines Organismus sowie alle zu seiner Entstehung notwendigen Informationen seien in der DNA enthalten von dem als Kuriosität hingestellten Homunculus im Spermienkopf nicht wesentlich verschieden.

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Die heute die Entwicklungsbiologie dominierende Präformationstheorie greift lediglich auf flott und modern klingende Metaphern aus der Computerwelt zurück: wenn alle zur Entwicklung eines Lebewesens notwendige Information schon in der DNA der befruchteten Eizelle enthalten ist, stellt das Genom praktisch die Software des Lebens dar, die im „Zellcomputer” nurmehr abgespielt werden muss, um zu einem bei Kenntnis des Programmes vorhersehbaren Ergebnis zu führen.8 Dass, wie immer klarer wird, die Kenntnis der „Programmzeilen” nur wenig über den resultierenden Organismus aussagt, liegt nicht nur daran, dass man noch zu wenig über die Programmiersprache und den Compiler weiß (der den Primärcode übersetzt), sondern auch daran, dass das Programm mit der Hardware, der Zelle (und den Einflüssen, denen sie ausgesetzt ist) interagiert. Anders als im Konzept der Programmierung kann man bei der Entwicklung eines Organismus Plan und Ausführung nicht streng trennen. Ob es in Gestalt von Hartsoekers Homunculus oder als „genetisches Programm” daherkommt, das Problem des Erklärungsmusters, das von einer präformierten Entwicklung ausgeht „besteht darin, dass es schlicht schlechte Biologie ist” (Lewontin, a.a.O. S.16).

DNA und Chromosomen

Seit Gregor Mendel 1865 entdeckt hatte, dass Merkmale nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten vererbt werden, hatte sich die Frage nach dem materiellen Träger der Vererbung, der „Erbsubstanz” gestellt. Lange Zeit waren die Proteine der aussichtsreichste Kandidat, 1944 konnte Oswald T. Avery beweisen, dass bestimmte Nukleinsäuren (abgekürzt DNS oder engl. DNA) die Träger der Erbanlagen sind. Jede dieser Nukleinsäuren (Nuklein nach dem Zellkern, dem Nukleus, wo sie in hoher Konzentration gefunden werden) enthält unter anderem je eine von vier Stickstoffbasen (abgekürzt A,T,G und C). Je 2 dieser Basen (A und T sowie C und G) nennt man „komplementär”: Sie ziehen sich im wässrigen Milieu über sog. Wasserstoffbrücken an. Je drei dieser Basen, so genannte Tripletts, haben eine besondere Affinität zu einer der 20 Aminosäuren (woraus ja die Proteine bestehen s.o.). Da sich mit 4 Basen 64 verschiedene Tripletts bilden lassen kann jeder der 20 Aminosäuren mehr als ein Triplett (oder Codon) zugeordnet werden, man sagt der Code, der den Aminosäuren Basen zuordnet ist redundant.

Wie sich gezeigt hat, ist dieser Code universell, für alle Lebewesen gleich. Dies verweist auf einen gemeinsamen Ursprung allen Lebens.

1953 konnten Crick und Watson erstmals die räumliche Struktur der DNA beschreiben: Einem langen DNA-Strang, einer Kette, die sich durch die Reihenfolge der vier Basen (die so genannte Basensequenz) beschreiben lässt, ist ein zweiter dazu komplementärer (s.o.) Strang zugeordnet und die beiden Stränge sind in Form der berühmten Doppelhelix angeordnet, einer Art Wendeltreppe, bei der die komplementären über Wasserstoffbrücken verbundenen Basen die innenliegenden vom Rest des Moleküls geschützten Treppen bilden.
Bei der Replikation (Verdoppelung) werden die Wasserstoffbrücken der Basenpaare durch Enzyme (also bestimmte Eiweiße) wie ein Reißverschluss in der Mitte getrennt und an jedem Einzelstrang wird durch Anlagerung einzelner Nukleinsäuren ein komplementärer Strang neu synthetisiert. Dadurch entstehen 2 identische DNA Doppelketten, wobei jeweils eine von der alten DNA stammt und eine neu gebildet ist. Mit diesem Mechanismus kann bei der Zellteilung (Mitose) die Basensequenz identisch an die Tochterzelle weitergegeben werden.

Bevor die DNA gefunden wurde, hatte man schon die Chromosomen910

Gene und Eiweiße

Das Wort Gen ist 1909 aufgekommen, um den „Erbelementen” von Mendel einen Namen zu geben. Dann wurde gefunden, dass sie einen Ort in der Zelle haben, wo sie aufbewahrt werden: die Chromosomen. Mit der Entdeckung der Doppelhelix und dem genetische Code schien dann alles klar: Die DNA war nicht nur in der Lage sich identisch zu replizieren (s.o.), sondern enthielt auch den Code für die Produktion der für die Zelle so notwendigen Eiweiße: Je 3 Basen (Tripletts oder Codons) sind einer Aminosäure zugeordnet. Einer DNA-Kette mit einer bestimmten Basensequenz entspricht demnach eine Aminosäurenkette mit einer bestimmten Reihenfolge von Aminosäuren, also die Primärstruktur eines bestimmten Proteins. Die Information über die Sequenz wird dabei zunächst auf einen Boten übertragen, die so genannte Messenger-RNS. Dazu wird in der sog. Arbeitsphase der Chromsomen die Doppelhelix wieder aufgetrennt und an den freiliegenden Strang lagert sich ein komplementärer m-RNA Strang an. Dieser Vorgang heißt auch Transskription, er wird durch Enzyme katalysiert und ist reversibel.11 Die m-RNA verlässt dann den Zellkern und trifft in den „Proteinfabriken” der Zelle, den Ribsomen auf kürzere, komplementäre Transport (t-)RNA, welche die Aminosäure heranschleppen. Jede t-RNA hat eine Bindungstelle für eine bestimmte Aminosäuren und ein zur m-RNA komplementäres sog. Anticodon, mit dem es sich am komplementären Codon der m-RNA anlagert. Sog. Start-und Stoppcodons steuern den Anfang bzw. das Ende der Proteinsynthese, die auch Translation heißt.

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Damit hatte man das Gen ja wirklich zu fassen gekriegt. Es war die Sequenz der Basenpaare zwischen einem Start- und einem Stoppcodon und in dieser Sequenz war die Information zur Produktion eines Eiweißes kodiert, das dann praktisch als Exekutive das ausführen durfte, was die Legislative, die DNA, festgelegt hatte.
Doch die Vorstellung „Ein-Gen-ein Protein” hatte auch ihre Probleme: Zur Immunabwehr steht dem Organismus eine solche Vielfalt von abwehrenden Proteinen (Antikörpern) zur Verfügung, dass unklar war, wie die alle in der DNA kodiert sein sollten. Es stellte sich heraus, dass der Organismus das Problem durchaus dialektisch löst: Teile des Erbmaterials werden fortwährend umgebaut und neu kombiniert, um diese Vielfalt zu schaffen.
Bereits in den 70er Jahren hatte der Brite Fred Sanger festgestellt, dass dem von ihm untersuchten Virus X 174 mehr Proteinprodukte (mindestens 9) zur Verfügung standen, als mit seiner DNA eigentlich zu codieren wären (es fehlten rund 700 Basen). Es zeigte sich, dass in einem Chromsom ein Gen nicht notwendig neben dem anderen liegt, dass sich Gene nicht nur überlappen, sondern vollständig ineinander enthalten sein können. Dazu wird das Genom neu arrangiert, insbesondere durch die Verschiebung von Start- und Stopcodons.

Bei vielen Arten, z.B. den Menschen sind die ein Eiweiß codierenden Sequenzen scheinbar regellos in kleine Stücke über das Genom verteilt und diese Stücke können noch auf verschiedene Weise zu unterschiedlichen Proteinen zusammengesetzt werden. Durch diese Mosaikstruktur, die auf vielfältige Weise gelesen werden kann, kann ein Gen mehr Proteine bereitstellen, die dann auch mehr Funktionen übernehmen und eine Zelle reaktionsfähiger machen können.
Auf der anderen Seite scheinen weite Teile des humanen Genoms nur „sinnlose Verdoppelungen” anderer Abschnitte zu sein und keine aktiven Aufgaben zu übernehmen. Weil unterschiedliche Organismen die DNA unterschiedlich nutzen, von den ganz „Sparsamen” (kurze DNA Abschnitten, die mehrere verschiedene Eiweiße codieren) zu den „Verschwendern”, die nutzlosen (?) „junk” über die Generationen schleppen, spricht man vom „genetischen Stil” eines Organismus. Dieser Stil, also die unterschiedliche Nutzung von Genen charakterisiert einen Organismus ebenso wie die verfügbare Genmenge, im Laufe der Evolution haben sich nicht nur die Gene, sondern auch deren Regulationsmuster verändert.

Die amerikanische Genetikerin Barbara Mc Clinton, die wesentlich mitentdeckt hat wie ein Gen verschiedene Proteine codieren kann und 1983 den Nobelpreis für Medizin erhielt, schlägt deshalb vor das Genom als ein hochsensibles Zellorgan zu bezeichnen, das ungewohnte und unerwartete Ereignisse registriert und darauf reagiert. So „in die Funktionale gerutscht”, wie Brecht hätte sagen können12, ist es keine passive Aneinanderreihung von Buchstaben, kein altes „ehernes Gesetz” mehr, sondern ein aktives, in der Auseinandersetzung mit der Umwelt stehendes Organ.

Genom und Umwelt

Das heute zumindest „populärwissenschaftlich” vorherrschende Verständnis von Entwicklung als Entfaltung eines vorherbestimmten genetischen Programmes hätte umfangreiche Folgen für die Erklärung der offensichtlichen Unterschiede zwischen Organismen einer Art – wenn es denn richtig wäre.

Schauen wir zur Verdeutlichung einmal an, wie das „genetische Programm” in Form eines Spermiums, auf seine zweite Hälfte, die DNA der Eizelle, zurauscht. Da ist zunächst einmal die Eizelle. Die sie umgebende Membran ist schon da und mit ihrer Hilfe wird im Zellinneren ein Milieu aufrechterhalten, das den Stoffwechsel überhaupt erst ermöglicht und natürlich beeeinflusst. Bestimmte Marker auf dieser Membran sind in der DNA codiert, die Grundstuktur nicht. Weiter: Die Eizelle lässt nur bestimmte Spermien an sich ran und welche das sind, steht auch nicht nur in der DNA geschrieben. Gehört das befruchtete Ei dann z.B. einem Rettichblattkäfer, hat die Ernährungsweise der Weibchen im Reifestadium der befruchteten Eier beträchtlichen Einfluss auf die Wahl der Nahrung durch die jungen Larven. Welche Stoffe aus dem Mutterorganismus in das befruchtete Ei überwechseln und dann die Wahl des Futters durch die Larve entscheidend bestimmen, weiss man nicht genau13.

Hat sich das befruchtete Ei dann eingenistet, folgt der oben beschriebene Kampf mit dem mütterlichen Organismus und damit auch die zahlreichen Abhängigkeiten von den Bedingungen, in denen die Mutter lebt.14
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menschlicher Embryo
Bei Tieren mit einem zentralen Nervensystem werden im Laufe der Entwiccklung zahlreiche Synapsen (Verbindungen) zwischen Nervenzellen gebildet, von denen die gestärkt werden, die auch genutzt werden, d.h. entsprechende Reize aus der Umwelt erhalten. Auf dieser Grundlage erfolgt vermutlich auch der Spracherwerb. Auf jeden Fall lernt jeder Mensch, wo immer er geboren wurde, jede auf der Erde gesprochene Sprache und insbesondere die zugehörige spezielle Lautbildung – wenn er als Kind damit aufwächst. Es gibt keinen Hinweis auf eine angeborene Fähigkeit z.B. die schwierigen Klicklaute afrikanischer Sprachen zu erlernen. Umgekehrt kann ein isoliert aufwachsender Mensch (wie die sog. Kaspar-Hauser-Kinder) später das Sprechen nicht mehr richtig erlernen. Menschen können sprechen, weil sie über die richtigen Gene UND das ensprechende soziale Umfeld verfügen.

Zum Verhältnis „Genom und Umwelt” zitiert der Harvard Professor R. Lewontin ein interesssantes Experiment (a.a.O., S. 18): Dabei werden sieben verschiedene Pflanzen in jeweils 3 (genetisch identische) Teile gebrochen und je ein Teil in unterschiedlicher Höhenlage ausgepflanzt. Im Ergebnis zeigt sich, dass aus dem Wuchsverhalten, das z.B. die Pflanze A bei einer bestimmten Höhenlage zeigt, nicht auf ihr Wuchsverhalten in den anderen Höhenlagen geschlossen werden kann. Vielmehr ergibt sich ein regelloses Bild. Wie bestimmt also die genetische Ausstattung den Wuchs der Pflanze? Man kann dies ohne Kenntnis der Höhenlage nicht angeben, jede erreicht ihr Maxima bei einer anderen Höhenlage. Auch die Metapher vom „leeren Eimer” (die genetische Ausstattung stellt unterschiedlich große Eimer zur Verfügung, die die Umwelt dann mehr oder weniger füllen kann) sowie die Suche nach einer „Tendenz” führt nicht weiter: Welches soll die idealtypische Umgebung sein, in welcher die Eimer gefüllt oder in dem die Tendenz beobachtet werden soll?

Es sind nicht die Umwelt oder die Gene, die zu einem bestimmten Ergebnis führen, sondern die Interaktionen von Umwelt und Genen.
Dabei ist die Umwelt schon vom Begriff her keineswegs, wie Monod meint (s.o.), nur in einer Richtung mit dem Organismus verbunden. So wie kein Organismus ohne Umwelt existieren kann, kann auch keine Umwelt ohne Organismus existieren. Natürlich dreht sich die Erde weiter auch ohne Lebewesen, brechen Vulkane aus, gibt es Regen und Schnee. Aber all das bedeutet noch nicht Umwelt. Es sind physikalische Voraussetzungen, unter denen sich eine Umwelt überhaupt erst bilden kann. Eine Umwelt ist etwas, das umgibt oder umschließt. Dazu muss allerdings auch etwas im Zentrum stehen, das umhüllt werden kann. „Die Umwelt eines Organismus ist so etwas wie der Halbschatten der äußeren Bedingungen, die deshalb für den Organismus relevant sind, weil es effektiv interagiert mit diesen Aspekten der äußeren Welt” (Lewontin S. 47). Ohne Organismus keine Umwelt, keine „ökologische Nische”. Die Nische kann nicht ohne Organismus bestehen und der Organismus nicht ohne Nische. Da ein Organismus seine Nische selbst mit konstruiert, lässt sich die Frage, warum der Organismus so ausieht wie er aussieht, nicht allein durch die Beschreibung der Nische, durch die Anpassung an äußere Bedingungen, an „die Umwelt” erklären. Dieses Problem wird auch im Folgenden, wenn es um die Evolution geht, noch eine Rolle spielen. Wie soll die Richtung der Evolution durch ständig verbesserte Anpassung an die Umwelt erklärt werden, wenn die Umwelt nicht als ein von außen gegebener fester Faktor existiert?

Evolution

Der Nachweis, dass alle lebenden Zellen ihr Eiweiße nach dem gleichen genetischen Code produzieren, verweist zwingend auf einen gemeinsamen Ursprung allen Lebens auf der Erde, eine Theorie, für die auch viele andere Fakten sprechen. Wie hat sich das abgespielt? Die Erde entstand vor ca. 4,6 Milliarden Jahren aus einer Scheibe aus Staub und Gas, die die Sonne umkreiste. Vor etwa 3,8 Milliarden Jahren kühlte die Erde so weit ab, dass sich eine harte Kruste bilden konnte. Vulkanausbrüche sorgten dann dafür, dass die Oberfläche das gebundene Wasser freigab und sich Ozeane bilden konnten. In dieser „Ursuppe” (s.o.) entstanden komplexe organische Verbindungen, die sich reproduzieren konnten und eine Art Stoffwechsel ausbildeten. Auch Stoffe, die Membranen bilden können, waren in dieser „Suppe” reichlich vorhanden. 300 Millionen Jahre nach Beginn der Abkühlung, also vor ca. 3,5 Milliarden Jahren gab es dann die ersten durch zahlreiche Fossilienfunde nachweisbaren Lebensformen: Bakterien. Dies sind Einzeller mit einer Hülle (Zellwand), aber ohne Zellkern, d.h. die DNA schwimmt bei ihnen frei im Zellinnneren. Bakterien vermehren sich durch Zellteilung, der Tochterzelle wird eine Kopie der DNA mitgegeben.15

In den ersten 1,5 Milliarden Jahren bestand das Leben auf der Erde ausschließlich aus Bakterien, sie sind bis heute praktisch das „Erfolgsmodell” der Evolution. Vor ca. 2 Milliarden Jahren versteinerten dann die ersten komplexeren Organismen, die so genannten Eukaryonten. Diese Zellen, die sich dann bei allen Vielzellern finden, enthalten einen abgegrenzten Zellkern und sog. Organellen.16
Die frühesten, vereinzelten Fossilien (meist nur Spuren grabender Würmer) von mehrzelligen Lebewesen sind ca. 600 Millionen Jahre alt, im Kambrium, einer geologischen Zeitperiode, die etwa von 530 bis 500 Mio Jahre dauerte, entwickelte sich dann plötzlich eine so große Zahl verschiedener Lebensformen, dass Forscher gerne von einer „kambrischen Explosion” sprechen. Die ersten echsenähnlichen Tiere tauchten vor ca. 300 Millionen Jahren auf, die frühesten Säugetierfossileien sind ca. 200 Millionen Jahre alt. Nach allem, was man weiß spielten sie auf der Erde eine untergeordnete Rolle. Die meisten waren nicht größer als Frettchen, man spricht von den „Ratten des Dinosaurierzeitalters”. Ihre Chancen verbesserten sich, nachdem die Dinosaurier vor ca. 65 Millionen Jahren ausstarben, vermutlich im Gefolge eines Zusammenstoßes der Erde mit einem Asteroiden (insgesamt sind bis heute mehr als 99% aller je lebenden Arten ausgestorben, die Anpassung war also nie perfekt).

Der Mensch stammt nicht vom Affen ab

Wie man mittlerweile weiß, stammt der Mensch nicht vom Affen ab (wie Darwin meinte), sondern hat nur gemeinsame Vorfahren mit ihm. Vor ca. 5 Mio Jahren verzweigten sich die Entwicklungslinien von Mensch und Affe.
Die ersten Mitglieder der Gruppe Homo heißen Homo habilis. Sie gingen aufrecht, benutzten Werkzeuge, ihr Gehirn war in etwas so groß wie das eines Schimpansen, wie sie sich artikulieren konnten lässt sich nicht nachweisen.
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die Entwicklung des Menschen
Aus ihnen oder aus einer Linie von ihnen ging vor ca. 1,6 Millionen Jahren der Homo erectus hervor. Er war der Erste, der in Höhlen lebte und Feuer benutzte. Sein Gehirnvolumen betrug ca. 1.000 Kubikzentimeter gegenüber den 600 des Homo habilis. Fossilien von Vertretern dieser Gruppe wurden in verschiedenen Erdteilen gefunden, z.B. in Australien der Java Mensch, der ca. 500.000 Jahre alte Pekingmensch und der von ca. 100.000 bis vor 35.000 Jahre lebende Neandertaler.
Der Homo erectus unterscheidet sich deutlich von dem vor ca. 250.000 Jahren auftretenden heute alllein mehr existierenden modernen Homo sapiens. Dieser Art gehören alle heuten lebenden Menschen an.
Lange Zeit wurde angenommen, dass sich die Frühmenschen (Homo erectus) in verschiedenen Teilen der Welt unabhängig voneinander zum modernen Homo sapiens weiterentwickelt hätten17. Heute weiß man, dass das nicht der Fall ist. Der Frühmensch hat sich mit großer Wahrscheinlichkeit nur in Afrika zum modernen Homo sapiens weiterentwickelt und Teile dieser Population sind dann in andere Teile der Welt gewandert. Ankömmlinge dieser Art waren z.B. die vor 40.000 Jahren in Höhlen an der Dordogne lebenden Cro Magnon Menschen (das sind die mit den berühmten Höhlenmalereien von Lascaux). Diese „modernen” Menschen lebten einige zehntausend Jahre parallel mit dem Neandertaler. Vermischungen der eingewanderten modernen Menschen mit den archaischen Vorbewohneren sind nicht ganz auszuschließen, gelten aber als unwahrscheinlich. Auf jeden Fall ist der Neandertaler dann vor ca. 35.000 Jahren ausgestorben. Zwischenformen zwischen dem Neandertaler und den Cro Magnon Menschen wurden in Europa nicht gefunden.18

Nach dem heute anerkannten „Out of Africa Modell “ (s.u.) war der Mensch, wie wir ihn heute überall finden, vor ca. 200.000 Jahren biologisch „fertig”.
Die Population, von der wir alle abstammen, war nicht sehr groß (Forscher gehen von ca. 20.000 Menschen aus) und lebte in der Savanne Ostafrikas. Ein kleiner Teil von ihnen, vermutlich nur wenige Familien verließen vor ca. 100.000 Jahren Afrika Richtung Osten. 100.000 Jahre alte Fossilien aus Israel bezeigen seine Ankunft dort. Vor 70.000 Jahren erreichte er Südchina, vor 50.000 Jahren (das damals noch mit einer Landbrücke angeschlossene) Australien, vor 40.000 Europa, vor 14.000 Jahren (über die Behringstraße) Amerika und erst vor 8.000 Jahren die pazifischen Inseln.
Wenn die Entwicklung des modernen Menschen weitgehend abgeschlossen war, bevor er vor gerade 7.500 Generationen (also einer in evolutionären Zeiträumen lächerlichen Zeitspanne) auszog die Welt zu besiedeln, wenn jeder Mensch der heute lebt, Afrikaner ist oder von Afrikanern abstammt, wenn verschiedene Kontinente keine unterschiedlichen Evolutionsgeschichten besitzen – wo ist da Platz für die Differenzierung verschiedener „ Menschenrassen”?

Rassismus hat keinerlei wissenschaftliche Basis

Die Menschheitsgeschichte hätte nicht so verlaufen müssen, wie sie es getan hat. Angenommen eine PíB8™UPíB8™U@" 8™U ´n8™U¸íB8™UpíB8™U@píB8™Urig lag, fest in Amerika etabliert. Als der Meeresspiegel stieg, hätten die modernen Menschen die Alte Welt nicht mehr verlassen können oder wollen. In diesem Fall hätte Kolumbus, als er die Küste der Westindischen Inseln erreichte, nicht Menschen vorgefunden, die sich erst in jüngster Vergangenheit von seinen eigenen Vorfahren getrennt haben, sondern eventuell Menschen, die sich vom modernen Menschen deutlich unterscheiden: mit primitiver Sprache, fliehender Stirn und einer Gehirnkapazität, die nur zwei Drittel der unseren beträgt. In einem solchen Fall wäre es zumindest möglich gewesen Menschen in klar unterschiedene Gruppen einzuteilen.
Dass eben dies nicht möglich ist, hat „Wissenschaftler” nie daran gehindert, Menschenrassen oder gar Untermenschen zu postulieren. Anderen ihr Menschsein abzusprechen war eben schon immer ein Weg, ihre Unterdrückung und Ausrottung zu rechtfertigen.
So findet sich Ende des 19. Jahrhunderts in Deutsch-Südwestafrika auf einer Liste, die alle von Siedlern und Polizisten innerhalb eines Jahres erschossenen Tiere aufführte (Tierschutz!), unter der Rubrik „Säugetiere” der Eintrag: „weibliche Buschmänner”: 400.19

Wie unterscheiden sich Buschmänner von „normalen” Menschen Zunächst erkennt man sie auf Anhieb. Sie sind klein, drahtig (vermutlich von der pflanzlichen Ernährung und der vielen Bewegung) und haben eine rötlich braune bis nahezu gelbe Hautfarbe. Ihr Haar wächst in dicken Lockenbüscheln und ist so spröde, dass es von selbst abbricht. Unter dem Mikroskop ist ihre äußerste Hautschicht nicht von jener anderer Menschen auf der Welt zu unterscheiden. Unter dieser transparenten Schicht befinden sich die so genannten Melanocyten, melaninhaltige Zellen, die der Haut ihre Farbe verleihen. Bei den Buschmännern enthalten diese Zellen etwas mehr Pigment als bei Europäern und Asiaten, aber weniger als bei Afrikanern, die näher am Äquator leben. Unterhalb der Melanocyten verschwinden die Unterschiede zwischen Buschmännern und anderen Menschen wieder. Jeder andere Zelltyp ihres Körpers unterscheidet sich durch nichts von den entsprechenden Zellen anderer Menschen.
Doch halt, da ist ja noch die Erbsubstanz, in der das „Geheimnis des Lebens” verborgen ist. Hier müssen doch Unterschiede sein? Die Out of Africa Theorie wurde doch gerade auch durch DNA Untersuchungen bewiesen.20 Hat man da kein „Rasse Gen” gefunden?

Was findet man, wenn man die DNA der „Buschmänner” (also vereinfacht gesagt, derer, die in Afrika geblieben sind) mit der von „Auswanderern” vergleicht?21 Bei diesen Untersuchungen kommt ein bestimmtes Maß an Übereinstimmung innerhalb einer Gruppe und eine bestimmte Variabilität innerhalb einer Gruppe zu Tage, die man auch als genetischen Abstand bezeichnet. Wie immer man es anstellt, kann man aus diesen Variabilitäten keine Rassen ableiten. Es gibt kein Gen, das nur bei einer „Rasse” vorkommt, die genetische Variabilität innerhalb einer Population ist größer als der genetische Abstand verschiedener Gruppen. Natürlich kommen gewisse Gene (z.B. für die Blutgruppe A) bei der Population mancher Erdteile häufiger vor als in anderen Populationen. Dies kann daran liegen, dass die kleine in eine bestimmte Richtung ausgewanderte Population vornehmlich eine bestimmte Blutgruppe hatte oder auch an einem Vorteil, den ein bestimmtes Gen in einer bestimmten Umgebung brachte bzw. der in einer anderen Umgebung nicht mehr benötigt wurde. (z.B. Schutz vor Sonneneinstrahlung oder eine erhöhte Resistenz gegen die Malaria).

Der kurze zeitliche Abstand vom gemeinsamen Ursprung (eben nur ca. 7500 Generationen) und die fehlende „genetische Isolation” (durch die nachgewiesenen fortlaufenden Vermischungen des sehr wanderfreudigen Menschen) haben aber dafür gesorgt, dass der genetische Abstand zweier niederbayrischer Hasenpopulationen tatsächlich bedeutend größer ist als der zwischen Niederbayern und Buschmännern.
Das gerade in Deutschland verbreitete „jus sanguis” (Recht des Blutes), das z.B. die Staatsangehörigkeit „am Blut”, an der Herkunft festmacht, wird absurd, wenn man nur einige Generationen zurückgeht. Das exponentielle Wachstum der Zahl unserer Vorfahren verknüpft uns eng mit der Vergangenheit. Geht man nur 40 Generationen zurück, so hatte jeder von uns mehrere Millionen Vorfahren. Das sind so viele, wie damals auf einem Erdteil lebten. Stammt nur einer von unseren Millionen Vorfahren von einem anderen Kontinent (womit praktisch sicher zu rechnen ist), sind wir mit fast allen Erwachsenen verwandt, die damals auf diesem Kontinent lebten. Die Untersuchung der sog. „Erbkreise” zeigt nicht nur, dass jeder von uns seine Herkunft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von einer prominenten Figur der Weltgeschichte ableiten kann (wenn sie nur vor ca. 1.600 Jahren lebte und Kinder hatte, die wiederum Kinder hatten), sondern auch dass die Welt „zu klein” für verschiedene Rassen ist.22

Kann die Marktwirtschaft von Darwin lernen?

1859 erschien Darwins „On the Origin of Species by means of Natural Selection”. Es nimmt keinen Bezug auf die 1865 von Mendel publizierten Untersuchungen zur Vererbung. Sie waren in der Versenkung verschwunden und somit auch Darwin nicht bekannt. Erst 1900 wurden sie von drei europäischen Biologen unabhängig voneinander wieder ausgegraben. 1903 kam dann das Wort Gen auf und entwickelte sich die Wissenschaft der Genetik. In den folgenden Jahrzehnten vereinten Biologen und Genetiker ihre Theorien zur so genannten „Neodarwinistischen Synthese”: Danach unterscheiden sich die Individuen einer Population in ihren Genen. Diese Unterschiede bestehen z.T. schon bei der Entstehung der Art, sie werden geschaffen durch die Rekombination des Erbgutes bei der Fortpflanzung und durch zufällige, z.B durch Strahlen ausgelöste Änderungen, den so genannten Mutationen. Viele dieser genetischen Differenzen zwischen den Individuen sind gar nicht sichtbar (an ihnen kann also die Selektion gar nicht angreifen), manche wirken sich auf das Erscheinungsbild und die physischen Charakteristiken (den sog. Phänotyp) aus. Gelingt es einem bestimmten Phänotyp sich in einer bestimmten Umgebung schneller zu vermehren als andere23, so werden seine Gene sich im Laufe der Zeit in der Population ausbreiten, die der Konkurrenten verschwinden eher. Durch diese Selektion soll die Evolution eine Richtung erhalten, die Organismen werden immer besser an die Umwelt angepasst. Als „Kampf ums Dasein” eignet sich dieses Modell dann gut, um zu beweisen, dass nur die Marktwirtschaft die Welt retten kann: Nur der Druck der Konkurrenz erzwingt Neues und erhält die Stabilität, konkurrierende Verhältnisse tragen die Gesellschaft. Und für den Schwachen bleibt ja noch die Heilsarmee ...

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Charles Darwin, Entdecker der Gesetzmäßigkeiten der Evolution
Ein Problem an diesem Bild ist, dass es schon für die Evolution im Tierreich nicht gilt.
Wie oben ausgeführt ist im Stoffwechsel jeder Akt der Konsumption auch ein Akt der Produktion, schafft der Organismus seine Umwelt selbst und beinflusst die der anderen. Aus dieser Wechselwirkung, die sowohl Harmonie einschließt (mit jedem Atemzug mache ich eine Blume glücklich, die das von mir ausgeatmete Kohlendioxid brauchen kann) als auch Kollision (der Löwe frisst die Antilope) einseitig den Kampf herauszunehmen gibt ein falsches Bild, erklärt nichts.24

Ein schönes Beispiel, wie evolutionäre Fortschritte (wobei man sich über den Begriff „Fortschritt” natürlich streiten kann) ohne „den erbarmungslosen Druck der Selektion” entstehen können, geben der Harvard Zoologe Richard Lewontin und sein weltberühmter Harvard Kollege (Zoologe und Geologe) Stephan Jay Gould mit ihrem Bild von den „Spandrillen”:25 ihr amüsant zu lesender Artikel, der die „Fachwelt” seit 1979 gehörig aufmischt, beginnt mit einer Beschreibung des zentralen Turms der Kirche San Marco in Venedig. Gestützt wird dieser Turm von zwei im rechten Winkel zueinander stehenden Bogen. Die Bogen teilen den Turm in vier spitz zulaufende dreieckige Abschnitte. Gould und Lewontin wiesen darauf hin, dass diese Abschnitte ein Nebenprodukt des Turmbaus auf zwei Rundbogen sind; die Bogen konnten den Raum nicht anders aufteilen. In diesen Abschnitten – Spandrillen (oder „Gewölbezwickel” genannt) – sind Mosaike der vier Evangelisten und Abbildungen der Flüsse Tigris, Euphrat, Nil und Indus zu finden. Die Spandrillen wurden aber nicht geschaffen, um Mosaike aufbringen zu können, sondern sind Nebeneffekte der gewählten architektonischen Konstruktion: Wenn der Turm von zwei Bögen getragen werde, so müssen die Spandrillen verwendet werden und können dann auch ausgemalt werden.
Nach Gould und Lewontin geschieht in der Evolution etwas sehr ähnliches. Es existiert eine Reihe von Eigenschaften, die nicht durch die natürliche Selektion entstanden sind. Diese Eigenschaften sind Nebenprodukte von etwas anderem (was nicht bedeutet, dass sie keinen Zweck erfüllen). Sobald eine Spandrille entstanden ist, kann die natürliche Selektion dafür sorgen, dass sie eine Funktion bekommt: genau so wie die Baumeister von SanMarco erkannten, dass man die Gewölbezwickel aussschmücken kann.
Gould zieht die menschliche Eigenschaft zu lesen und zu schreiben als Beispiel für eine Spandrille heran. Er sagt, das menschliche Gehirn ist deshalb so groß geworden, „weil es ein paar gute Gründe dafür im Leben in der afrikanischen Savanne gab”. Als es aber groß geworden war, hatte das Gehirn eine Reihe von Fähigkeiten, die mit den ursprünglichen Gründen für das Wachstum gar nichts zu tun hatten.

Sind wesentliche Eigenschaften der Lebewesen als „Spandrillen” entstanden, kann man Lebewesen nicht als Sammlung von Eigenschaften betrachten, die aus Strukturen bestehen, die von der natürlichen Selektion optimal für ihre Funktion entwickelt wurden. Die Evolution kann nicht auf den „Kampf ums Dasein” reduziert werden, wer es unbedingt so sehen will, hat Gründe dafür, die nicht „in der Natur der Sache” liegen.26 Welche das sind, hat schon Engels in der Dialektik der Natur (S.382) geschildert: „Die ganze Darwin’sche Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfach die Übertragung der Hobbeschen Lehre vom „Krieg aller gegen Alle” und der bürgerlichen ökonomischen von der Konkurrenz, sowie der Malthusschen Bevölkerungstheorie aus der Gesellschaft in die belebte Natur. Nachdem man dieses Kunststück fertig gebracht ... ist es sehr leicht, diese Lehren aus der Naturgeschichte wieder in die Geschichte der Gesellschaft zurückzuübertragen, und eine starke Naivität, zu behaupten, man habe damit diese Behauptungen als ewige Naturgesetze der Gesellschaft nachgewiesen.” Ist es schon falsch den „Kampf ums Dasein” und die dadurch bewirkte Anpassung als „Motor” der Evolution Tierreich zu sehen, gilt dies erst recht für den Menschen.

Wieder Engels (S.382): „... der Mensch produziert, er stellt Lebensmittel im weitesten Sinn des Wortes dar, die die Natur ohne ihn nicht produziert hätte. Damit jede Übertragung von Lebensgesetzen der tierischen Gesellschaften so ohne weiteres auf menschliche unmöglich genmacht. Die Produktion bringt es bald darin, dass der sog. ,Kampf ums Dasein’ sich nicht mehr um reine Existenzmittel, sondern um Genuss- und Entwicklungsmittel dreht. Hier schon – bei gesellschaftlich produzierten Entwicklungsmitteln – die Kategorien aus dem Tierreich total unanwendbar. Endlich erreicht unter der kapitalistischen Produktionsweise die Produktion eine solche Höhe, dass die Gesellschaft die produzierten Lebens-, Genuss- und Entwicklungsmittel nicht mehr verzehren kann, weil der großen Masse der Produzenten der Zugang zu diesen Mitteln künstlich und gewaltsam versperrt wird; dass also alle 10 Jahre eine Krisis das Gleichgewicht wieder herstellt durch Vernichtung nicht allein der produzierten Lebens- Genuss- und Entwicklungsmöglichkeiten, sondern auch eines großen Teils der Produktivkräfte selbst – dass der sog. Kampf ums Dasein also die Form annimmt: die von der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft produzierten Produkte und Produktivkräfte gegen die vernichtende, zerstörende Wirkung dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu schützen, indem die Leitung der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung der dazu unfähig gewordenen herrschenden Kapitalistenklasse abgenommen und der produzierenden Masse übertragen wird – und das ist die sozialistische Revolution.”

Flo/Arbeitsgruppe Gentechnik


Anmerkungen:
1
Friedrich Engels „Die Dialektik der Natur”, geschrieben 1875, hier zitiert nach der Ausgabe des Volksverlages Peking, 1976, S.369 ff.
2 Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass die „Wörter”, die bilogisch aktiven Proteinen entsprechen meist sehr lang sind. So ist z.B. das Stoffwechselhormon Insulin, das die Aufnahme von Zucker in die Zellen steuert mit seiner 51 Aminosäuren langen Kette für biologische Verhältnisse ein „kurzes Wort”( deshalb war es auch eines der ersten Eiweisse, deren Primärstruktur bekannt ist, „entziffert” wurde.)
3 „Falsch“ gefaltete Eiweiße sind vermutlich an vielen Krankheiten beteiligt. So greift z.B. bei den sog. „Autoimunkrankheiten” (wie jugendlicher Diabetes, viele Rheumaformen, multiple Sklerose) das Immunssytem des Körpers fälschlicherweise eigene Zellen (insulinproduzierende Zellen, Knorpelzelle etc. ) an. Ein raffinierter Auswahlmechanismus beseitigt eigentlich Abwehrzellen, die aufgrund ihres genetischen Programmes für den Köper gefährliche Antikörper herstellen. Neuere Forschungen zeigen, dass bei Autoimmunkrankheiten der eigentlich von der Primärstruktur her „richtige” Antikörper zum „falschen” wird ,indem er seine Faltung ändert, „umklappt”. Bei BSE wird angenommen, dass ein „falsch” gefaltetes Eiweiß (ein sog. Prion) andere Eiweiße dazu veranlasst ebenfalls eine „falsche” Teritärstruktur anzunehmen (wodurch sie sich an ungünstiger Stelle ablagern).
4 Das Projekt der Sequenzierung des humanen Genoms wird von Molekularbiologen gerne als „Suche nach dem Gral” bezeichnet, so z.B. Walter Gilbert, A vision of the Grail, zitiert nach R. Lewontin, Die Dreifachhelix, Gen, Organismus und Umwelt, Springer 2002, S. 10
5 J. Monod, Zufall und Notwendigkeit, Philosophische Fragen der moderen Biologie, Münschen 1975, S.50 und S.104
6 zitiert nach Lewontin, a.a.o. S.9
7 Winkler in „Was ist der Mensch?” Hrsg: H.L. Schreiber, Göttingen 2002
8 Wobei die „Programmzeilen” dieser Software mit der „Entschlüsselung des Genoms” jetzt prizipiell bekannt wären. (vgl. Artikel zum HGP).
9 Das Wort stammt aus dem 19. Jahrhundert und heißt „farbiges Körperchen”. Wenn man Zellen anfärbt, kann man die Chromsomen bei der Zellteilung und der Keimzellbildung mit dem Lichtmikroskop sehen. Anzahl und Form der Chromosomen sind artspezifisch. So enthalten menschliche Körperzellen 46 Chromosomen.
10 Vor der Zellteilung (Mitose) bestehen die Chromosomen aus 2 Längshälften (Chromatiden), die am Zentromer zusammenhängen. Nach der Zellteilung enthält das Chromsom einen DNA-Strang (Ein-Chromatid-Chromsom). Anschließend wird das DNA-Molekül identisch verdoppelt, ein Zwei-Chromatid-Chromosom mit zwei genetisch identischen Chromatiden (Schwesterchromatiden) entsteht.
Die (im Idealbild) identische Replikation, wie sie bei der Zellteilung erfolgt, kann nicht die bei der sexuellen Fortpflanzung beobachtete Erscheinung erklären, dass die Folgegeneration oft deutlich von der Elterngeneration abweicht. Mendel hatte bei Versuchen mit den Blütenfarben von Erbsen Gesetzmäßigkeiten aufgestellt, nach denen jedes Elternteil nur die Hälfte seiner Gene weitergibt. Zu dieser Vorstellung passen die Beobachtungen, die man bei der Bildung und Verschmelzung von Keimzellen (Eizellen, Samenzellen) gemacht hat. Die Keimzellbildung (Meiose) unterscheidet sich wesentlich von der Mitose, der Zellteilung von Körperzellen, weil bei ihr die homologen Chromosomen getrennt werden.
Homologe Chromosomen sind paarweise auftretende Chromosomen, die eine einander entsprechende Gestalt aufweisen. Je eines der beiden homologen Chromosomen stammt ursprünglich vom Vater bzw. der Mutter. Dies wird erreicht indem bei der Keimzellbildung (Meiose) im ersten Teilungsschritt nicht die Chromatiden auf die Tochterzellen verteilt werden, sondern jeweils die homologen Chromsoomen. Durch diese zufällige (wobei hinter „zufällig” ein Fragezeichen angebracht ist) Verteilung wird das Erbgut in den Keimzellen neu kombiniert. Zudem kann es durch den Bruch von Chromatidstücken bei zwei homologen Chromosomen von Nicht-Schwesterchromatiden zum Austausch zwischen mütterlichem und väterlichem Chromosom kommen (sog. Crossing over). Bei der anschließenden 2. Reifeteilung werden die Schwesterchromatiden, wie bei der mitotischen Teilung, getrennt, sodass aus den beiden Teilungsschritten vier Keimzellen mit dem jeweils einfachen Chromsomensatz (beim Menschen also 23) resultieren.
Erbmaterial kann auch durch parasexuelle Vorgänge ausgetauscht und rekombiniert werden. Bakterien können Teile durch Ausstülpungen in der Zellwand zu anderen Zellen „rüberschieben”, Viren ihr Material ins Erbmaterial anderer Zellen einschleusen. Im Verlauf der Evolution sind durch solch einen „horizontalen Gentransfer” Gene aus Bakterien ins menschliche Genom geraten (man vermutet ca. 400). Die parasexuellen Mechanismen werden auch in der Gentechnologie genutzt, um mit den sog. „Genfähren” Erbmaterial in eine Zelle einzubringen.
11 So wird bei der Aids-Erkrankung die DNA von Abwehrzellen durch Einbau der Virus-RNA verändert.
12 E.P. Fischer, Das Genom, Frankfurt 2002, S. 62
13 Dass die Erbaanlagen nicht nur vom Zellkern und dessen Genen, sondern auch vom Zellplasma übertragen werden, hat schon der bekannte sowjetische Biologe T.D. Lyssenko festgestellt. Da das Zellplasma mit der Umwelt des Organismus in ständigem Stoffwechsel steht und sich den Umweltbedingungen entsprechend ändert, nahm er an, dass die Erbanlagen durch die Lebensbedingungen verändert werden können.
14 So werden z.B Eigenschaften wie die Fellmuster von mehrfarbigen Katzen oder auch die menschlichen Fingerabdrücke (also das Idenitätskennzeihen par excellence) erst im Mutterleib festgelegt. Eine amüsante Geschichte darüber, wie wenig Genkopien dem Orginal ähneln, findet sich im Spiegel 13/2003: Die im Auftrag des tiernärrischen Multimillinärs John Sperling geklonte Katze „Copycat” ähnelte eher einem Tierheimbewohner als ihrem Genzwilling. „Die Idee, dass Klone perfekte Kopien seien, ist falsch. Zwar haben Klone miteinander alle Gene in ihren Zellkernen gemeinsam, doch aus seinen Genen macht jedes Individuum etwas anderes.” (S. 192)
15 Bakterien können aber auch untereinander Erbsubstanz austauschen (s.o.) ein Mechanismus, der erklärt, warum sich Resistenzen so schnell ausbreiten können.
16 Wichtige Organellen sind die Mitochondrien in tierischen und Chloroplasten in pflanzlichen Zellen. Mitochondrien und Chloroplasten sind die „Kraftwerke” der Zellen, sie setzen die aufgenommene Energie (Sonnenlicht oder Nahrungstoffe) in eine Form um, die die Zelle verwerten kann. Diese Organellen sind aus Bakterien hervorgegangen, die als Symbionten in und mit den ersten eukaryonten Zellen lebten. Die Chloroplasten in eukaryotischen Zellen produzierten deutlich mehr Sauerstoff als die dazu fähigen Bakterien. Seit ca. 2 Milliarden Jahren gibt es nachweislich Sauerstoff auf der Erde, vor etwas 1,5 Milliarden Jahren war seine Konzentration fast so hoch wie heute. Für die meisten davor lebenden Organismen war Sauerstoff Gift, der Anstieg eine ökologische Katsastrophe.
17 Bei Gültigkeit diese sogenannten multiregionalen Modelles wären die Vorfahren der Europäer hauptsächlich die Neandertaler, die der Asiaten der Pekingmensch etc.
18 Die Fossilienfunde sind ein Baustein der sog.: “Out of Africa” Theorie (der Name geht auf den 1985 verfilmten Roman von Tania Blixen zurück), die das multiregionale Modell abgelöst hat. Die anderen sind gentische (siehe dazu weiter unten) und linguistische Untersuchungen (bei denen es um Unterschiede und Gemeinsamkeiten der verschiedenen Sprachen geht).
19 Steve Olson, Herkunft und Geschichte des Menschen, Berlin 2003.
20 Eine Gruppe um die amerikanische Genetikerin Rebecca Can hatte 1987 Erbsequenzen von heutigen Frauen verschiedener Weltregionen verglichen und aus den Gemeinsasmkeiten und Unterschieden die Wanderungsbewegungen des Homo sapiens rekonstuiert (und war zu demselben Ergebnis gekommen wie die Fossilienforscher und die Linguisten). Dabei ging es zuächst der Einfachheit halber nur um das Erbgut der Mitochondrien (der Kraftwerke der Zellen mit eigener DNA, s.o.), welche über die Eizelle an Söhne und Töchter vererbt jedoch nur von den Töchtern weitergegeben werden. Man kann deshalb die Spur der heutigen (Mitochondrien) DNA bis zu einer „Ureva” (auch Mitochondrieneva genannt) zurückverfolgen. Der Ausdruck Eva ist dabei irreführend, da es so klingt, als hätte sie allein auf der Welt gelebt. Dies ist natürlich nicht zutreffend, lediglich ihre Mitochondrien-DNA ist die einzige ihrer Zeit, die überlebt hat.
Bei den Chromosomen ist der Weg natürlich schwieriger zu verfolgen, da ein Mensch immer nur eine Hälfte davon weitergibt. Man nimmt an, dass die gesamte heute vorhandene menschliche DNA auf ca. 86.000 Individuen zurückgeht, von denen die mitochondriale Eva (und der Adam des Y-Chromsoms) nur zwei sind.
21 Dabei darf man sich nicht vorstellen, dass dieser Vergleich die ganze DNA umfasst. Diese wurde, mit allen Mängeln, bisher gerade für 4 Menschen kartiert (vgl. Artikel zum HGP). Vielmehr werden nur bestimmte Abschnitte oder einzelne Gene verglichen (z.B. für die gut untersuchten Blutgruppen oder die sog. HLA Gruppen)
22 Schöne Beispiele für die Erbkreise finden sich z.B. bei Olson, a.a.O. S.66
23 Der bevorzugte Phänotyp muss nicht unbedingt „praktisch” sein. So wird z.B. ein Pfau durch sein Rad eher gehindert. Die Theorie ist dann, dass ein Pfau mit einem großen Rad sich verstärkt vermehren kann, da Pfauenweibchen auf Männchen stehen, die ein möglichst großes Rad schlagen können. Dass das Rad unpraktisch ist, verhindert dann lediglich, dass die Räder immer größer werden.
24 Dazu Engels: „Aber ganz kindisch ist es, den ganzen mannigfaltigen Reichtum der geschichtlichen Ent- und Verwicklung unter die magere und einseitige Phrase ,Kampf ums Dasein’ zu subsumieren.” (Dialektik der Natur, S.382)
25 Der 1979 erschienene Artikel heisst „The Spandrells of San Marco and the Panglossian Paradigm: A critique of the Adaptionsit programme” vgl. auch R. Morris, Darwins Erbe, Hamburg 2002, S.91.
26 Zu finden, was man finden will; darauf bezieht sich auch der Ausdruck „Pangloss Paradigma” im Artikel von Lewontin und Gould. Dr. Pangloss ist eine Figur aus Voltaires Roman „Candide”, die immer eine Erklärung findet – und sei sie noch so an den Haaren herbeigezogen – warum wir in der besten aller Welten leben.


dieser Artikel wurde mit freundlicher Genehmigung aus der KAZ - Kommunistische Arbeiterzeitung - Nummer 304 / Mai 2003 übernommen.


 
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