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Gestern habe ich mir die BILD-"Zeitung" gekauft. Es war das erste Mal für mich; dementsprechend groß war die Aufregung, an der Kasse, im Supermarkt. Aber es ging nicht anders, denn die Halbseiten-Hammerschlagzeile rief schon von Weitem:

"Deutschland sozialistischer als China!"

Da habe ich mich - wen wundert's - natürlich erstmal erschrocken: sollte ich etwas verpasst haben? Die Revolution! Und das passiert wieder gerade mir, so ein Ärger! Aber, mitnichten: Es handelt sich lediglich um einen "Schock-Bericht der Weltbank", der feststellt, dass unser Arbeitsmarkt "unflexibler und bürokratischer" als der "im sozialistischen China" sei.
Unflexibel = sozialistisch, scheint sich der leitende Somnambule in der BILD-Redaktion gedacht zu haben. Worauf das Ganze zielen soll, ist mir schleierhaft: das chinesische Lohnniveau in Deutschland einführen? Oder den Kapitalismus? Vielleicht die Bürokratie nach China exportieren, um den Boom zu stoppen? Oder Müntefering zum "Großen Vorsitzenden" ernennen, wie BILD gleich in einer Photomontage vorschlägt? Und was macht dann Genosse Beck? Soll er etwa hinausgesäubert werden, wegen Rechtsabweichlertum und erblicher pfälzischer Idiotie? Oder wird dieser unsägliche Vorschlag der Titanic etwa wieder ausgegraben??
Vielleicht sollte man sich auch einfach nur entspannt zurücklehnen und durch die BILD bestätigt wissen, was man als dialektisch denkender Materialist immer schon ahnte: Ob man's nun Kapitalismus, Sozialismus oder Ökofaschismus nennt, was in Deutschland läuft - gegenüber dem geplanten, zu gigantische Leistungen fähigen chinesischen Aufbauwerk sehen wir halt einfach alt aus.
[mehr dazu: BildBlog]



Ähnliche Themen scheinen den (In der BILD gleich querbeworbenen, weil auch im Boulevard-Gewerbe machenden) SPIEGEL-Autor Gabor Steingart umzutreiben:

"KAPITALISMUS: Profitgier geht über Leichen"

Steingart würde natürlich nie gegen die SPIEGEL-Richtlinie verstoßen und wissenschaftliches Vokabular verwenden, wenn er über Deutschland schriebe - natürlich meint er China. Und da kann man auch den Marx schon mal wieder rauskramen, den man in den 70ern ungelesen mit sich rumschleppte, um den Intellektuellen zu markieren und so die knackigen Soziologie-Studentinnen rumzukriegen: "Es ist, als habe Marx seine Erkenntnisse in China gewonnen"! Auf einmal gibt es auch keine "Arbeitnehmer" mehr, die heißen jetzt wieder "Arbeiter" - und die "Arbeitgeber" mutieren plötzlich zu "Kapitalisten", wenn sich Herr Steingart um die chinesischen Arbeiterrechte und die "die Kommunisten Chinas", die "keine Kommunisten mehr sind" sorgt . Schrecklich, aber wahr: "Eine Exportindustrie konnte entschlüpfen, welche die Welt das Fürchten lehrt."
Vielleicht, denke ich mir am Rande, sollte man Herrn Steingart höflichst bitten, die Chinesen einfach mal mit seinem schlecht kaschierten Erfolgsneid zu verschonen und seine apokalyptischen Phantasien für die Rituale vor dem Steingart-Altar im Keller aufzuheben - und stattdessen seine geballten ökonomischen Kenntnisse auf Deutschland anzuwenden, und sich ein wenig um die hiesigen "Arbeiter" zu sorgen. Ja, denn auch hier geht "Profitgier über Leichen"...
[der Original-Artikel: SPIEGEL Online]



Und nicht nur Profitgier, sondern auch viel profanere Zeitgenossen gehen über Leichen - in diesem Falle über die Leiche der Vernunft, die durch die Hand des "DDR-Experten" Hubertus Knabe im SPIEGEL-Online-Interview einen ganz sinnlosen und unverdienten Tod sterben musste:
Hubertus Knabe grämt sich ob der Ent-Dämonisierung des einstigen real existierenden Sozialismus - weil Merkel zu den Überlebenden des "SED-Unrechtsregimes" keinen genauso engen Kontakt pflegt wie zum Zentralrat der Juden. Viele Juden wurden ja bekanntlich zwischen '33 und '45 von der Gestapo bespitzelt; die DDR hingegen hat jedoch ca. 60 Millionen Menschen an der Mauer ("ein Monstrum, an dem die Menschen wie Hasen abgeschossen wurden") ermorden lassen und obendrein einen räuberischen Weltkrieg angezettelt. Warum also tut man für die einen was, und vergißt die anderen?

"Die Tradition des demokratischen Antikommunismus ist weitgehend verschwunden."

Ganz genau! Daran liegt es! Der "demokratische Antikommunismus", der in der BRD unter anderem dazu führte, das kommunistische Widerstandskämpfer gegen den Faschismus unter Adenauer wieder in die Knäste gesteckt wurden - zum Teil für Jahre, und zum Teil in die gleichen - ist "verschwunden"! Davon habe ich, bei der Lektüre des SPIEGEL zum Beispiel, zwar noch nicht viel gemerkt, aber es ist ein großer Jammer... Doch wenigstens mit Namensvetter Hubertus Heil, Generalsekretär der SPD, weiß sich Knabe einig: "Herr Heil [..] hat sich ausdrücklich als Antikommunist bezeichnet."
Heil Hubi, alte Socke! Man sieht sich immer zweimal im Leben!
[der Original-Artikel: SPIEGEL Online]


 
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  Kommentar zum Artikel von 127778:
Sonntag, 17.09.2006 - 19:11

bevor ich mir die bild kaufe laufe ich lieber durch die innenstadt und durchwühle mülleimer um meinen wissensdurst, bzw. verdummungsdrang zu befriedigen.....

hab den spiegel hier rumliegen, der artikel ist bestimmt ganz informativ, werde ihn mir morgen mal durchlesen....


  Kommentar zum Artikel von paulina:
Samstag, 16.09.2006 - 16:38

ja, DIE hätte ich mir auch fast gekauft und eingerahmt... habs dann aber doch nicht fertiggebracht! schade eigentlich!