Unter dem Hoffnung erweckenden Motto "Erklär mir die Welt - Die Grundlagen der Wirtschaft - einfach erklärt" präsentiert die Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine elfteilige Spezialserie - herausgebracht mit dem Ziel, einfachen Leuten wie dir und mir verschiedenste Erscheinungen der immer komplexer werdenden Wirtschaft zu erläutern. Durchaus ein Thema, bei dem man sich ein wenig auskennen sollte, und insofern ein höchst lobenswerter Ansatz der FAZ. Die aktuellen elf Einzelartikel wollen wir uns nun einmal näher ansehen und das Gelingen dieses netten Vorhabens begutachten.- Teil I -
Der erste Artikel beschäftigt sich mit dem Phänomen der Konjunktur, und weil man zu einfachen Leuten spricht und diese nicht unnötig mit Fremdwörtern abschrecken will, heißt der Text schlicht und naiv "
Warum geht die Wirtschaft mal rauf und mal runter?". Und da hat sich auch schon die erste Ungenauigkeit eingeschlichen, denn es ist nicht unbedingt Wirtschaft im allgemeinen, die da mal rauf und mal runter geht, sondern eher die typisch bürgerlich-kapitalistische Wirtschaft - wer einen Blick gen China riskiert, wird seine Mühen haben, bei der dortigen Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahrzehnte das "runter" zu entdecken.
Unser Text legt ungeniert los und stellt die ebenso wagemutige wie sinnlose Behauptung auf, dieses Phänomen liege an den Sonnenflecken, da diese ja die Ernte negativ beeinflussen. Zum Begründer der eben genannten These wird ein gewisser Herrn Jevons, einer der "
bedeutendsten Ökonomen des 19. Jahrhunderts", erklärt. Marx zumindest, der in seinem Hauptwerk "das Kapital" alle wesentlichen Ökonomen des 18. und 19. Jahrhunderts untersuchte, kannte diesen Herrn nicht - oder hat ihn nicht als erwähnenswert befunden. Fix bei Wikipedia nachgeschlagen, erfahren wir allerdings auch nicht mehr, als dass der Herr Jevons u.a. das "klassische Wertparadoxon" (aufgeplusterter Ausdruck dafür, dass es Gebrauchs- und Tauschwert nebst Preisen einer Ware gibt) gelöst haben will und mit 47 Jahren unrühmlicherweise in einem Kanal ertrank.
Nachdem so die schwächsten Teile klassischer englischer Spekulativökonomie mit den oberflächlichsten Seiten französisch-feudaler Physiokratenscholastik verquickt sind, ohne allerdings irgendetwas klarzustellen, wird das Thema prompt beiseite geschoben und ein Abstecher gemacht ins alte Ägypten, wo Ökonomie noch mit Hilfe pharaonischer Prophezeiungen betrieben worden sein soll. Alles irgendwie noch sehr nebulös, was uns die FAZ da erklären möchte, aber wir kraxeln munter weiter über den Buchstabenberg.
Jetzt kommt eine "Definitionsfrage" ins Spiel. Ja klar, als müsste man bei der Problematik des "mal rauf und mal runter"-Schwankens erst definieren, was denn nun oben und unten zu sein hat. Erst einmal wird uns das alte Schulbuch vorgehalten, in welchem völlig realitätsfern geschrieben steht, die Konjunktur habe sich doch bitte sinuskurvig zu verhalten. Das merken natürlich unsere Studierten von der FAZ und können guten Muts einwenden, dass in Wirklichkeit eigentlich eher ein recht unberechenbares Verhalten der Normalfall sei, was sich ihrer Ansicht nach in der "Theorie realer Konjunkturzyklen", die ihrer Interpretation nach eine (kapitalistische) Wirtschaft ohne Geld darstellt, welche ohne Geld natürlich und folgerichtig unberechenbar werden muss, bestätigt.
Weiter geht es, unter einem völlig überraschend und unpassend eingeschobenen Bild des Stimmungsökonomen Keynes, von dem noch eine Weile garnicht die Rede sein wird, mit dem sowjetischen Ökonomen Kondratjew. Dieser entdeckte, dass sich langfristige Konjunkturzyklen etwa im Rhythmus eines halben Jahrhunderts abzeichnen.
Plötzlich wird der gegen die eben erwähnte "Theorie realer Konjunkturzyklen" geradezu revolutionäre Gedanke eingeschoben, die Wirtschaft könnte vielleicht doch etwas mit Geld zu tun haben, nämlich mit dessen Nichtvorhandensein! Verstehe einer diese Logik. Hier wird nun endlich der oben bereits vorgeschossene Keynes eingelöst, dessen Theorien übrigens "rein wissenschaftlich" an den "Neigungen" der Menschen zum Sparen, zum Investieren etc. anknüpfen. Nun gut, Hunger ist ja auch irgendwie eine "Neigung" zum Essen. Der Artikel bemerkt nun, dass noch keine allgemeingültige Theorie zur Konjunktur entstanden sei, und hört einfach auf.
Das ist allerdings garnicht der Fall, wir brauchen nur bei Marx & Engels nachschauen und das ganze Ratespiel findet ein recht offensichtliches und leicht verständliches Ende.
Der gesellschaftliche Reichtum entsteht durch Arbeit, hauptsächlich durch gesellschaftliche Arbeit. Diese findet in der derzeitigen bürgerlichen Gesellschaft in der Form statt, dass die Kapitalisten, als Besitzer der Produktionsmittel, gegen Geld die Arbeitskraft der Arbeiter eintauschen. Nun gibt der Kapitalist dem Arbeiter durchschnittlich ein Äquivalent nicht des Gebrauchwerts, sondern des Tauschwerts seiner Arbeitskraft; die Differenz behält er, nachdem Ware produziert und verkauft ist, als Mehrwert ein. Und ist es auch nicht er selbst, der den Mehrwert komplett einheimst, so doch generell andere Teile der Kapitalistenklasse, z.B. Banken, Versicherungen und nicht zuletzt der Handel. So kommt es, dass der gesellschaftliche Reichtum zwar wächst, sich aber immer ungünstiger für die Arbeiterklasse in der Gesellschaft verteilt.
Mancher wird nun einwenden, dass der heutige Arbeiter doch so hart garnicht mehr zu ackern hat; im Gegenteil reduziert sich ein Großteil der heutigen Industrieproduktion auf das Bedienen irgendwelcher riesiger Maschinen. Werden da nicht die Maschinen statt der Arbeiter ausgebeutet? Leisten die nicht die ganze Arbeit, während unser Lohnabhängiger nur davorhockt und Knöpfchen drückt?
Was beweist denn das? Im Prinzip nur, dass mit Hilfe der modernen Technik die meiste physische Arbeit durch geschickt kontrollierte Naturkräfte bewältigt wird. Dass wenige Arbeiter die Produktion gigantischer Warenmassen leisten wird dadurch nur bestätigt. Und wenn sich diese gigantischen Warenmassen nun auf dem gesamten Weltmarkt verteilen und dafür wahnsinnige Geldsummen zurückströmen, bekommen die Arbeiter trotzdem kaum mehr als genug um ein einigermaßen erträgliches Leben davon zu fristen, was wohl kaum ihrem eminenten Anteil am Gesamtgewinn gerecht wird. Die Arbeiterklasse schafft also mit Hilfe der Maschinen Unmengen an Waren, die Mehrwert enthalten, der zu Geld gemacht werden muss.
Nun stehen die Warenbesitzer, die Kapitalisten, jedoch in schärfster Konkurrenz zueinander, versuchen sich nach Möglichkeit auszustechen und jeder des anderen Marktstellung zu erobern, sodass sie nach Möglichkeit ihre Produktion extensivieren und intensivieren, um mehr Waren billiger herstellen zu können. Dabei wissen sie nie, ob ihre neuen Waren denn überhaupt gebraucht werden; sie können nur anhand der Preislage abschätzen, ja raten, was zu tun ist. Jedoch gehen sie lieber Risiken ein als potenzielle Marktstandpunkte aufzugeben, denn immerhin bedeuten geringere Mengen nicht verkaufter Waren nicht unbedingt Verlust, sondern nur nicht realisierten Mehrwert. Sprich, sie produzieren tendenziell zuviel und in der Regel blindlings drauflos.
Die gesamtwirtschaftliche Folge davon ist, dass bei jeder noch so kleinen positiven Perspektive Unmengen freier Kapitale und Produktivkräfte in Gang gesetzt werden, um möglichst schnell den jeweiligen Markt versorgen, ja vollstopfen zu können; ein Kopf-an-Kopf-Rennen beginnt, in dem nicht langfristiges Kalkül, sondern kurzfristige Maximalprofite entscheiden. Für die Arbeiter ist diese Phase erträglich; ihre Arbeitskraft wird im größeren Maß verlangt, weil die Nachfrage danach steigt - sie bekommen höhere Löhne und können selber auch mal ihre eigene Bedarfspalette zu gewissen Teilen ausreizen. Doch der Spaß hat irgendwann ein Ende; schließlich verstopfen die ganzen anfließenden Waren den Markt, dem völlig übersättigt die ganzen Produktenmassen schwer verdaulich im Magen liegen und unweigerlich zu Aufstößen führen, bei denen beträchtliche Teile der Warenwerte vernichtet und getilgt werden, ganz zum Nachteil ihrer jeweiligen Besitzer. Die schwächsten unter jenen können dann meist gleich dicht machen und ihr übriges Kapital billig an andere verkaufen; wer einen solchen Rückschlag übersteht muss seine Produktion zumindest drosseln, Arbeiter entlassen, Löhne kürzen, Arbeitszeiten verlängern oder sonstwie die bröckelnden Profite zusammenhalten. Nachdem sich das gesellschaftliche Kapital nach einer solch ungemütlichen Diätphase wieder einigermaßen gesundgefastet hat, beginnt auch schon die nächste Appetitphase, in welcher natürlich die Kapitalisten schon die nächsten Riesenprofite wittern und in gewohnter Manier den nächsten Wettlauf vorbereiten.
So geht der Wirtschaftkreislauf seinen unsicher wankenden Gang wie ein Alkoholiker; den ganzen Tag dümpelt er vor sich hin, bis er abends wieder an der Theke sitzt, um den nächsten Tag von einem grauenhaften Brummschädel begrüßt zu werden; dann bei gelegentlichem Brechreiz den ganzen Tag wieder dumpf verlebt um den nächsten Abend einen von vielen weiteren Exzessen zu verbrechen. Dass dabei Langzeitschäden unausweichlich sein müssen, wird resignativ hingenommen bis zum finalen Zusammenbruch. Gegenüber den Sonnenflecken als Erntevernichtern ist das Alkoholiker-Modell zumindest bei weitem realistischer.
der nächste Artikel der elfteiligen Serie "Verklär' mir die Welt - von Dummies für Dummies: die FAZ erklärt die Wirtschaft" erscheint am Freitag, den 01.09.2006, auf www.secarts.org.