Transnistrien oder die Pridnjestrovskaya Moldavskaya Respublika (PMR) ist als Republik offiziell nicht anerkannt, obwohl sie eine Nationalbank und eine eigene Regierung hat. Über Geschichte und Lage eines Landes mit besonderer Entwicklung.
von Matthias Obermüller, erschienen in Rotcrowd
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Die PMR hat eine Fläche von ca. 4000km2 und ist damit nicht größer als das Burgenland. Es leben dort ca. 630.000 Menschen, vornehmlich RussInnen (28,8%), UkrainerInnen (30%) und MoldawierInnen (33,8%). Dass Transnistrien also eine Republik slawischer Minderheiten in Moldau sei, ist so nicht richtig. Seit wann gibt es also dieses Transnistrien? Erst 1990 wurde die PMR gegründet und ist damit die jüngste Republik auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion. Allerdings gab es schon davor historisch begründete Unterschiede zur jetzigen Republik Moldau. Während Moldau 1918 von Rumänien erobert und eingegliedert wurde, verblieb das Gebiet östlich des Dnestr in sowjetischer Hand. Dieser schmale Streifen wurde zur Moldawischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (MASSR) erklärt und gehörte zur Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Schon damals bzw. eigentlich schon immer galt, dass östlich des Dnestr die MoldawierInnen nicht die Mehrheit stellten – im Gegensatz zum Westen, genannt Bessarabien.
Nach der Befreiung durch die Sowjetunion von der dreijährigen Besetzung durch die deutsche faschistische Wehrmacht von 1941 bis 1944 wurden Bessarabien und Transnistrien diesmal zur neuen Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik (MSSR) zusammengeschlossen.
Schicksalsjahr 19891989 war für die Gegend dann ein besonderes Jahr, denn am 16. August 1989 rief die kurz davor gegründete „Union der Arbeiterkollektive“ zum Streik auf, der in der gesamten transnistrischen Industrie, dem Herzstück der moldawischen Wirtschaft Folge geleistet wurde; ab 21. August standen die Räder in den Fabriken von Tiraspol, Benderi, Dubossary und Rybniza still, selbst in Chisinau (der Hauptstadt von Moldawien), das damals noch Kischinjow hieß, zeigten die ArbeiterInnen ihre Macht. Es war ein politischer Streik. Nicht um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen ging es, denn das transnistrische Proletariat protestierte mit der Arbeitsniederlegung gegen die Forderungen der sogenannten „Volksfront“. Diese rumänisch-nationale Organisation war gerade im Begriff, die Trennung Moldawiens von der Sowjetunion zu bewerkstelligen. Denn am 27. August 1989 versammelten sich im Zentrum von Kischinjow über eine halbe Million MoldawierInnen und forderten die Trennung der kleinen Republik Moldawien von der UdSSR. Neben rumänisch-nationalen Losungen waren auch erste russInnenfeindliche Slogans zu hören. Später sollten die Sprüche immer hasserfüllter werden: „Die Russen über den Dnjestr, die Juden in den Dnjestr“, war unter anderem zu hören.
Nationale Bedrohung[file-periodicals#4.pdf]In Tiraspol (der jetzigen Hauptstadt von Transnistrien) ging in jenen Tagen die Angst um. Anders als in Moldawien, wo 65 Prozent der Bevölkerung rumänischstämmig sind, leben östlich des Dnjestr ja mehrheitlich SlawInnen.
Diese fürchteten nun die geplante und dann auch durchgeführte Rumänisierung. Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung war ein neues Sprachengesetz, das Moldawisch zur alleinigen Amtssprache erklärte. Die gleichzeitig gesetzlich verabschiedete Latinisierung der Schreibweise machte de facto Rumänisch daraus. In zwei rasch organisierten Volksabstimmungen in Rybniza und Tiraspol sprachen sich zur Jahreswende 1989/90 über 90 Prozent der transnistrischen TeilnehmerInnen für eine unabhängige „Sowjetrepublik Transnistrien“ aus. Ein Jahr später, am 17. März 1991, nutzten die TransnistrierInnen erneut die Chance, im Zuge des von Michail Gorbatschow betriebenen Unionsreferendums ihre Solidarität mit der Sowjetunion zum Ausdruck zu bringen. Die russischsprachige bzw. die russifizierte Bevölkerung jenseits des Dnjestr war offensichtlich bereit, sich gegen den Zusammenbruch der Sowjetunion zu stellen, der für viele nicht nur eine soziale Katastrophe bedeutete, sondern auch – über die Frage der Rumänisierung Moldawiens – eine nationale Bedrohung darstellte, die die bisherige persönliche Lebensweise in Frage stellte.
Es kommt zum KriegTransnistrien bildete daraufhin seine eigene Polizei und Armee; nach und nach wurden die moldawische Exekutive, zum Teil mit Gewalt, aus dem Gebiet vertrieben. 1992 spitzte sich die Lage zu und der schwelende Konflikt entwickelte sich zum Krieg. Im März erklärte Moldau den landesweiten Notzustand. Die Waffen für den Konflikt kamen von der russischen 14. Armee, welche auf Seiten der PMR stand und in diesem Gebiet stationiert war. In Bendery am Westufer eskalierte die Lage – auch dort haben sich ArbeiterInnenkollektive von Moldawien losgesagt und sich Transnistrien angeschlossen – die moldawische Polizei wurde angegriffen und bat die Hauptstadt Chisinau um Hilfe. Moldawische Truppen nahmen die Stadt dann am 20. Juni 1992 ein, allerdings nicht für lange, denn der kurz darauf folgende transnistrische Gegenagriff (mit Hilfe von PartisanInnen) war nach mehreren Anläufen und heftigen Gefechten dann doch erfolgreich. Grund dafür war unter anderem, dass die moldawische Armee trotz Artillerie und Kampfflugzeugen es nicht schaffte, die einzige Brücke über den Dnestr zu zerstören. Auch in Dubasari kam es zu Scharmützeln. Angaben über Opfer sind sehr unterschiedlich und reichen von 500 bis 1000 Toten.
Nach dem kurzen Krieg blieb die 14. Armee, um Stabilität zu garantieren. Mittlerweile scheint sie jedoch weg zu sein – die großen Kasernen der Armee in Tiraspol sind leer. Allerdings wachen russische Friedenstruppen noch über die Waffenruhe. Transnistrien verabschiedete schließlich im Jahre 1995 eine eigene Verfassung, die unter anderem Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert. Der Präsident wird alle 5 Jahre neu gewählt – seit 1991 ist es Igor Smirnov – und steht dem Sowjet vor.
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Staatswappen der TMR |
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Heute machen wilde Spekulationen die Runde, hauptsächlich gestreut von der Republik Moldawien. Transnistrien sei eine Mafiarepublik, man betreibt Menschenhandel, Wegelagerei, transnistrische WissenschaftlerInnen arbeiten im Irak, man leistet Militärhilfe in Südossetien usw.. Was immer davon zu halten ist, Tatsache bleibt, dass die EU und eine immer stärker unter westlicher Dominanz stehende OSZE im Gleichklang mit der Republik Moldawien, Tiraspols Legitimität nicht anerkennen bzw. untergraben. So werden Transnistrien unter anderem Exportlizenzen verweigert, um die transnistrische Industrie, die zu einem hohen Anteil außenhandelsabhängig ist (Das Exportvolumen von Industrieprodukten von Transnistrien ist größer als das der Republik Moldawien), vom Weltmarkt abzuschneiden bzw. ins Schmugglereck zu treiben. Als Gegenreaktion übt Russland in rhythmischen Abständen wirtschaftlichen Druck auf Chisinau aus. So erhöhte Moskau unmittelbar nach den moldawischen Parlamentswahlen im März 2005 die Preise für Öl und Gas auf Weltmarktniveau und verfügte kurz darauf einen Importstopp für moldawische Landwirtschaftsprodukte (außer Alkohol).
Nichtsdestotrotz darf man auf die Zukunft gespannt sein. Neueren Untersuchungen zufolge möchten die BewohnerInnen Transnistriens weiter unabhängig bleiben. Den Konflikt militärisch zu lösen kann sich Moldau nicht leisten. Doch dass die PMR jemals anerkannt wird, ist zu bezweifeln. Dort hofft man immer noch auf eine Neugründung der Sowjetunion – auf den neuen Pässen der EinwohnerInnen steht zum Beispiel wieder „CCCP“.