|
© by DPA |
|
|
Seit dem Mordversuch, der in Potsdam von Neofaschisten gegen einen Ingenieur mit schwarzer Hautfarbe verübt wurde und seit dem Überfall auf einen Berliner Linkspartei-Politiker, der ebenfalls mit eindeutig rechtem Hintergrund begangen wurde, kochen sie wieder, die Deutschland-Spalten, Politik-Ressorts und Randglossen in deutschen Medien.
Die (zwar massiv geschönte, dennoch aber dramatische) Statistik gibt den Berufsgutmenschen dieses Landes, die mit alljahrzehntlicher Verlässlichkeit das Thema "Rechtsextremismus" für sich entdecken (und schnell wieder vergessen) Recht:
Im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht sieht es so aus: die Zahl der Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund stieg insgesamt von 12.051 im Jahr 2004 auf 15.361 im vergangenen Jahr (und damit um 27 Prozent). Die Zahl der Körperverletzungen mit rechtem Hintergrund erhöhte von 640 auf 816 - auch das entspricht 27 Prozent. Und dabei geht es nur um Niedersachsen; mithin einem Bundesland, wo niemand in seiner Jugend "totalitär indoktriniert" oder gar "antidemokratisch erzogen" werden konnte. Der Westen holt auf.
Ein ehemaliger Regierungssprecher, der von diesen Zuständen zur vorschnellen Reisewarnung hingerissen wurde, mahnte ausländische Gäste beim Besuch der WM, sie mögen doch bestimmte Gebiete im Osten Deutschlands lieber meiden. Der Parteivorstand der SPD beschließt einen "Aktionsplan gegen rechts". Und die Polizei fordert mehr Personal, um der Krise Herr zu werden.
Der ehemalige Regierungssprecher bekam übrigens kollektiv einen auf den Deckel, weil er vor bestimmten Gebieten Deutschlands warnte. Fairerweise müsste man feststellen: wer sich weigert, dies auszusprechen, macht sich unterlassener Hilfeleistung schuldig.
Wirklich neu ist das alles nicht: bereits um die Jahrtausendwende rief der damalige Kanzler Schröder zum "Aufstand der Anständigen" auf, nachdem einige ebenfalls besonders prestigeramponierende Taten Deutschland erschütterten. Der "Aufstand" sollte im großen Verbotsfinale für die NPD münden; wie das Schauspiel ausging und was sich bis heute getan hat, ist offenkundig. Nun droht der braune Mob den Burgfrieden während der WM zu stören - und wieder sind sie da, die Quartalsantifaschisten aus Bundestag und Regierung.
Die "Welt zu Gast bei Freunden" - das passt nicht zu den Realitäten im Lande. Freunde, die auf offener Straße zusammengeschlagen werden; antisemitische, rassistische und neofaschistische Ausfälle in dem Lande, das sich weltweit (leider nicht ohne Erfolg) als "geläutert" verkauft, drohen mehr als nur die Bilanz während der WM-Tage zu versauen.
Und so forderte Vizekanzler Müntefering sogar, die Bevölkerung möge
während der WM gegen NPD-Versammlungen demonstrieren - die Demokraten sollen zeigen, dass in Deutschland auch noch Menschen vorhanden sind, die gegen rechte Schläger Gesicht zeigen.
Eine besondere Pikanterie bekommt das Ansinnen Münteferings im Kontrast zum sonst üblichen staatlichen Vorgehen gegen Antifaschisten: gerade vor einer Woche, als sich z. B. die NPD mal wieder in meiner schönen Heimatstadt Göttingen austoben wollte, mussten 6800 Polizisten die 150 Faschisten vor über 6000 Gegendemonstranten schützen. Vonnöten dafür: schweres Gerät, Räumpanzer, Wasserwerfer, Polizeikräfte aus 11 Bundesländern. Fazit: die Nazis durften zwei Stunden reden, die Bevölkerung Göttingens wurde von der Polizei im Belagerungszustand gehalten, Antifaschisten und Demokraten mit Personalienkontrollen, willkührlichen Ingewahrsamnahmen und Brachialrethorik schikaniert. Ein Einzelfall, sicher. Aber mit wöchentlicher Wiederholungsfrenquenz.
Zur WM soll dies nun alles ganz anders werden; der Burgfriede mit den Anständigen plakativ beweisen, dass Antifaschismus in der BRD noch lebendig ist: Unter Umständen wird sogar die Polizei ausnahmsweise nicht auf Antifaschisten eindreschen (dies käme gegenüber den "Freunden" vieleicht nicht so gut), NPD-Veranstaltungen könnten gar verboten werden! Vielleicht verlangt man da aber auch schlicht ein bißchen zu viel des Guten.
Denn wie wenig von den wirklichen Problemen tatsächlich verstanden wurde, beweisen jüngste Politikeräußerungen in diesem Lande: da stellt CSU-Beckstein fest, "ein Türke lebt in München im Zweifel sicherer als in Ankara oder Istanbul" (und das direkt nach einem schweren Angriff auf einen türkischstämmigen Politiker in Berlin!). Und CDU-Schäuble schwadroniert von irgendwelchen Gewalttaten fieser Ausländer-Gangster gegen "blonde und blauäugige" Kinder. In dieselbe Kerbe, mit täglicher Dosierung, hauen unsere Massenmedien, selbstverständlich die Bild-"Zeitung", aber beispielsweise auch der "Spiegel": In trauter Eintracht ist dort die erschröckliche Moritat von den "deutschen Verlierern" direkt neben einer Geschichte der "alltäglichen rechten Gewalt" zu lesen. Ob der Zusammenhang jemandem dämmert?
Mit unbewiesenen (und statistisch auch nicht beweisbaren), künstlich reinkonstruierten "Rassekonflikten" wird Schulhofpolitik gemacht: die "Deutschen", längst an den Rand gedrückt von Islam-Gangstern und Araber-Kids, kriegen eins auf die Nuß, weil sie "deutsch aussehen". Achtzig Prozent Ausländer-Anteil, raunen die Gazetten, weise so manche deutsche Schule auf. Nach dem Anteil der Eltern in Arbeitslosigkeit fragen sie vorsichtshalber nicht.
Und direkt darunter steht schwarz auf weiß zu lesen, was die "deutschen Verlierer" so anstellen, wenn sie nur oft genug eingeredet bekommen, dass sie Verlierer sind - und die Täter gleich mit geliefert werden: nicht soziale Kälte, Entzivilisierung ganzer Bundesländer oder Wegbrechen gesellschaftlicher Sicherungsnetze; nicht Arbeitslosigkeit und Kapitalismus sind schuld, sondern die Türken-Gangs, die was gegen "Blonde und Blauäugige" haben. Solange sich deutsche und türkische Verlierer untereinander kloppen, muss man sich um Hartz V und VI zumindest keine Sorgen machen.
Das alles ist mehr als traurig, es ist symptomatisch.
Längst leben wir in einem Lande, das man sicherheitshalber nicht mehr komplett bereisen sollte, wenn die Haare fünf Zentimeter zu lang sind oder die Haut 5 Prozent zu dunkel ist. Und auch diesmal wird das Geseiere der staatlich entlohnten Sesselplattsitzer wenig bis nichts daran ändern. Bleibt zu hoffen, dass sich die in den letzten Wochen als neue hunnische Invasionsarmee aufgebauschten "gewaltbereiten polnischen Hooligans" des Problems annehmen und das braune Pack von der Straße räumen, wo deutsche Institutionen dazu nicht willens oder in der Lage sind. Die Welt zu Gast bei Freunden? Helft uns, Freunde!
Glosse am Rande:Jüngst dieser Tage bereist Angela Merkel die Volksrepublik China. Und mahnt dort die "Achtung von Menschenrechten" an.