Am 29. NoÂvemÂber 2016 hat SPD-BunÂdesÂarÂbeitsÂmiÂnisÂteÂrin AnÂdrea NahÂles in BerÂlin unÂter dem Logo „ArÂbeit weiÂter denÂken“ das o.g. Weißbuch als ErÂgebÂnis und DoÂkuÂment eiÂnes anÂdertÂhalbjähriÂgen „geÂsellÂschaftÂliÂchen DiaÂlogs“ vorÂgeÂstellt. In ihÂrem VorÂwort stellt sie u. a. dazu fest: DaÂmit soll ein „ImÂpuls zurÂgeÂsellÂschaftÂliÂchen GeÂstalÂtung der ZuÂkunft der ArÂbeit“ geÂgeÂben werÂden. Ihre DiaÂlogÂpartÂner beim ImÂpulÂseÂgeÂben waÂren hierÂbei „ExÂperÂtinÂnen und ExÂperÂten der SoÂziÂalÂpartÂner“, der „Verbände, UnÂterÂnehÂmen unÂd WisÂsenÂschaft“. Sie haÂben sich zu 30 FraÂgen, die DiÂgiÂtaÂliÂsieÂrung und ihre AusÂwirÂkunÂgen auf die GeÂsellÂschaft und die „ArÂbeitsÂwelt von morÂgen“ geäußert, die im April 2015 im vom BunÂdesÂarÂbeitsÂmiÂnisÂteÂriÂum herÂausÂgeÂgeÂbeÂnen „Grünbuch ArÂbeiÂten 4.0“ veröffentÂlicht wurÂden.
Die darÂan BeÂteiÂligÂten „haÂben uns mit ihÂrem BeiÂtrag auf neue Wege geÂbracht“, hat NahÂles dazu erklärt. Ein Teil der entÂspreÂchenÂden AntÂworÂten und StelÂlungÂnahÂmen soÂwie die vom MiÂnisÂteÂriÂum darÂaus geÂzoÂgeÂnen SchlussÂfolÂgeÂrunÂgen sind jetzt im als „DisÂkusÂsiÂonsÂentÂwurf“ und bisÂher ohne geÂsetzÂliÂche BinÂdunÂgen beÂzeichÂneÂten Weißbuch nachÂzuÂleÂsen (mit GlosÂsar und sonsÂtiÂgen Anhängen 234 SeiÂten, abÂrufÂbar unÂter www.arÂbeiÂtenÂvierÂnull.de). DaÂbei bleiÂben die „neuÂen Wege“ auch in der für die ArÂbeit am Weißbuch geÂmachÂten StuÂdie, „WerÂteÂwelÂten ArÂbeiÂten 4.0“ alÂlerÂdings die alÂten. Die KlasÂsenÂspalÂtung, der unÂversöhnÂliÂche WiÂderÂspruch zwiÂschen ArÂbeit und KaÂpiÂtal, die geÂsellÂschaftÂliÂche ReaÂlität im kaÂpiÂtaÂlisÂtiÂschen AusÂbeuÂtungsÂsysÂtem wird ausÂgeÂblenÂdet. PoeÂtisch ausÂgeÂdrückt verÂschwinÂdet sie hinÂter eiÂnem bunÂten Strauß von geÂsellÂschaftÂliÂchem und kulÂtuÂrelÂlem WanÂdel, von LeitÂbilÂdern selbstÂbeÂstimmÂter LeÂbensÂentwürfe, guÂter diÂgiÂtaÂler und siÂcheÂrer ArÂbeit mit der von vieÂlen gewünschÂten selbstÂbeÂstimmÂten „ArÂbeitsÂzeitÂsouÂveränität“ usw. usf.
DaÂbei wird im „erÂgebÂnisÂofÂfeÂnen geÂsellÂschaftÂliÂchen DiaÂlog“ durch partÂnerÂschaftÂliÂche VerÂeinÂbaÂrunÂgen der SoÂziÂalÂpartÂner der SoÂziÂalÂstaat geÂstalÂtet und der InÂdusÂtrie- und WirtÂschaftsÂstandÂort DeutschÂland geÂsiÂchert. Das sind die WolÂkenÂkuÂckucksÂheiÂme, mit deÂnen den LohnÂabhängiÂgen unÂter dem OberÂbeÂgriff „InÂdusÂtrie 4.0“ die HirÂne zuÂgeÂkleisÂtert werÂden. Sie sind dazu geÂdacht, sie von der täglich erÂlebÂten WirkÂlichÂkeit in BeÂtrieb, Büros und VerÂwalÂtunÂgen abÂzuÂlenÂken. DaÂbei wird ihÂnen und natürlich uns alÂlen das kaÂpiÂtaÂlisÂtiÂsche SysÂtem auch als weiÂterÂhin alÂterÂnaÂtivÂloÂser und über den KlasÂsen steÂhenÂder SoÂziÂalÂstaat mit dem Ziel seiÂner VerÂewiÂgung verÂkauft und aufs Auge gedrückt. Und alÂles, das ArÂbeiÂten, der ArÂbeitsÂschutz, die ArÂbeitsÂzeit, das ArÂbeitsÂrecht – einÂschÂließlich „SoÂziÂalÂstaat“ u.a. – wird hierÂbei zum „4.0“-BeÂreich erklärt. Das kommt eiÂner MarÂkieÂrung gleich, die deutÂlich maÂchen soll, dass als unÂabÂdingÂbaÂre VorÂausÂsetÂzung für die „GeÂstalÂtung der diÂgiÂtaÂlen ArÂbeitsÂwelt“ von morÂgen, in alÂlen „4.0“-BeÂreiÂchen mit der AbÂweiÂchung und/oder StreiÂchung von bisÂheÂriÂgen RechÂten zu rechÂnen ist – oder anÂders ausÂgeÂdrückt: dafür zwangsläufig OpÂfer geÂbracht werÂden müssen. Dass hierÂbei ArÂbeitsÂrecht und insÂbeÂsonÂdeÂre die ArÂbeitsÂzeit im ViÂsier der KaÂpiÂtaÂlisÂten steht, ist daÂbei nichts NeuÂes. Die auch als „vierÂte inÂdusÂtriÂelÂle ReÂvoÂluÂtiÂon“ beÂzeichÂneÂte DiÂgiÂtaÂliÂsieÂrung dient ihÂnen – wie der techÂniÂsche FortÂschritt, AuÂtoÂmaÂtiÂsieÂrung – und vor alÂlem in der VerÂganÂgenÂheit dazu als VeÂhiÂkel, um über das ArÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz herÂzuÂfalÂlen.
Um daÂbei mit AnÂdrea NahÂles zu spreÂchen, verÂsuÂchen sie, die „ArÂbeitsÂzeit“ weiÂter – hin zu mehr FleÂxiÂbiÂliÂsieÂrung – zu „denÂken“, und geÂsetzÂliÂche GrenÂzen aus dem Weg zu räumen. HierÂbei soll dann endgültig Schluss geÂmacht werÂden mit dem Acht-StunÂden-Tag und ebenÂfalls mit der nach § 5 ArÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz gelÂtenÂden RuÂheÂzeit von 11 StunÂden zwiÂschen 2 ArÂbeitsÂtaÂgen. Auf dieÂsen MitÂte 2015 neuÂerÂlich geÂstarÂteÂten AnÂgriff des KaÂpiÂtals machÂte die IGM-Führung am 24.07.2015 in eiÂner MitÂteiÂlung aufÂmerkÂsam, in der es heißt: „ArÂbeitÂgeÂberÂverÂtreÂter haÂben die BunÂdesÂreÂgieÂrung aufÂgeÂforÂdert, den Acht-StunÂden-Tag aus dem ArÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz zu streiÂchen und durch eine wöchentÂliÂche HöchstÂarÂbeitsÂzeit zu erÂsetÂzen.“ Der VorÂsÂtoß kam vom KaÂpiÂtaÂlisÂtenÂverÂband BDA, dem „Bund DeutÂscher ArÂbeitÂgeÂber“. EtÂwas später im Jahr, am 19.12.2015 erklärte BDA-PräsiÂdent Ingo KraÂmer im InÂterÂview mit der RheiÂniÂschen Post: „Der starÂre Acht-StunÂden-Tag passt nicht mehr ins diÂgiÂtaÂle ZeitÂalÂter, wir wolÂlen mehr BeÂwegÂlichÂkeit“. Und dazu gehört nach seiÂner MeiÂnung „auch mal 12 StunÂden arÂbeiÂten“.
Die Türöffner – „Grün- und Weißbuch Arbeiten 4.0“„Selbstausbeutung“
UnÂter dieÂser ÃœberÂschrift wird in der meÂtallÂzeiÂtung von JaÂnuÂar 2016 auf den SeiÂten 6 und 7 festÂgeÂstellt: „BeschäftigÂte, die ihre ArÂbeitsÂzeit selbst beÂstimÂmen können, arÂbeiÂten länger als anÂdeÂre.“
„Geregelt oder selbst gesteuert“
„40 ProÂzent der männÂliÂchen (und 33 ProÂzent der weibÂliÂchen) BeschäftigÂten können ihre ArÂbeitsÂzeit zuÂminÂdest in geÂwisÂsem RahÂmen selbst beÂstimÂmen. SoÂziÂalÂwisÂsenÂschaftÂleÂrin VaÂniÂta MatÂta, UniÂverÂsität Zürich hat in eiÂner StuÂdie erÂmitÂtelt, dass 53 ProÂzent der Männer mit stark selbstÂgeÂsteuÂerÂter ArÂbeitsÂzeit mehr als 53 StunÂden pro WoÂche arÂbeiÂten, bei deÂnen mit fesÂten ArÂbeitsÂzeiÂten sind es nur 19 ProÂzent. 41 ProÂzent der SelbstÂentÂscheiÂder arÂbeiÂten jede WoÂche zehn StunÂden länger, als sie möchÂten. Bei fesÂten ZeiÂten trifft das nur auf 17 ProÂzent zu.“
Zum gleiÂchen TheÂma heißt es bei der Hans-BöckÂler-StifÂtung im BöckÂler ImÂpuls 15/2015 auf SeiÂte 6: „FesÂte ArÂbeitsÂzeiÂten: Bei fesÂten ArÂbeitsÂzeiÂten arÂbeiÂten 81 ProÂzent bis zu 45 StunÂden in der WoÂche, 12 ProÂzent zwiÂschen 45 und 50 StunÂden und 7 ProÂzent über 50 StunÂden wöchentÂlich.Selbst geÂsteuÂerÂte ArÂbeitsÂzeiÂten: 47 ProÂzent bis 45 StunÂden, 12 ProÂzent 45-50 StunÂden und 25 ProÂzent über 50 StunÂden in der WoÂche.“
Und auf S. 7: „Der Stress nimmt zu“
‚DGB-InÂdex Gute ArÂbeit‘ unÂterÂsucht BeÂlasÂtunÂgen:
„Kaum eine PauÂse, imÂmer am RenÂnen: Mehr als die Hälfte der BeschäftigÂten, exÂakt 52 ProÂzent, steÂhen bei der ArÂbeit sehr häufig oder oft unÂter ZeitÂdruck oder fühlen sich geÂhetzt. Das ist ein ErÂgebÂnis der UmÂfraÂge ‚DGB-InÂdex Gute ArÂbeit‘. Für die rund 4.900 MenÂschen beÂfragt wurÂden. Die ForÂscher konÂzenÂtrierÂten sich auf die ArÂbeitsÂinÂtenÂsität der BeschäftigÂten, sie wollÂten herÂausÂfinÂden, was die Gründe für Stress sind und wie sich dieÂser ausÂwirkt. Die BeÂfunÂde sind einÂdeuÂtig: 65 ProÂzent derÂjeÂniÂgen, die sich oft geÂhetzt fühlen, saÂgen, dass sie zu vieÂle AufÂgaÂben gleichÂzeiÂtig bewältiÂgen müssen, 63 ProÂzent der BeÂfragÂten geÂben an, dass bei ihÂnen zu weÂnig PerÂsoÂnal für die anÂsteÂhenÂden AufÂgaÂben vorÂhanÂden ist. Das führt rasch zu geÂsundÂheitÂliÂchen ProÂbleÂmen. 56 ProÂzent derÂjeÂniÂgen, die unÂter ZeitÂdruck steÂhen, geÂben an, sehr häufig oder oft auch in der arÂbeitsÂfreiÂen Zeit nicht richÂtig abÂschalÂten zu können.“ |
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DaÂmit ist die SPD-BunÂdesÂarÂbeitsÂmiÂnisÂteÂrin den KaÂpiÂtaÂlisÂten auf dem Wege für „mehr BeÂwegÂlichÂkeit“ ein guÂtes Stück entÂgeÂgenÂgeÂkomÂmen. Im Grünbuch wird so z.B. sinnÂgemäß ausÂgeführt, man dürfe die mit der „DiÂgiÂtaÂliÂsieÂrung der ArÂbeit“ verÂbunÂdeÂnen enorÂmen „ChanÂcen für UnÂterÂnehÂmen, BeschäftigÂte und den WirtÂschaftsÂstandÂort DeutschÂland“ nicht durch FestÂhalÂten am akÂtuÂelÂlen ArÂbeitsÂzeitÂreÂgime gefährÂden. NahÂles hat daÂbei gleichÂzeiÂtig erklärt: „Wir brauÂchen eiÂnen neuÂen soÂziaÂlen KomÂproÂmiss“ und sich mit der ForÂdeÂrung an die „SoÂziÂalÂpartÂner“ geÂsteiÂgert, sich auf eiÂnen „neuÂenÂFleÂxiÂbiÂlitätsÂkomÂproÂmiss“ (Grünbuch S. 51) zu eiÂniÂgen, der „dieInÂterÂesÂsen von UnÂterÂnehÂmen und BeschäftigÂten ausÂtaÂrieÂren“ soll.
Was beim bisÂheÂriÂgen „AusÂtaÂrieÂren“ und „FleÂxiÂbiÂliÂsieÂren“ für die KaÂpiÂtaÂlisÂten insÂbeÂsonÂdeÂre bei der WoÂchenÂarÂbeitsÂzeit rausÂgeÂsprunÂgen ist, ist beÂkannt. Die hält sich nämlich trotz alÂler taÂrifÂliÂchen ArÂbeitsÂzeitÂverkürzunÂgen seit vieÂlen JahÂren mit eiÂnem MilÂliÂarÂdenÂberg entÂlohnÂter und unÂentÂlohnÂter ÃœberÂstunÂden konÂstant auf dem NiÂveau von 41 bis 42 StunÂden. „Laut eiÂner StuÂdie zum DGB-InÂdex Gute ArÂbeit arÂbeiÂtet hierÂbei jeÂder dritÂte VollÂzeitÂbeschäftigÂte 45 StunÂden pro WoÂche und mehr. Etwa jeÂder sechsÂte arÂbeiÂte soÂgar mehr als 48 StunÂden pro WoÂche ... InsÂgeÂsamt 60 ProÂzent alÂler BeschäftigÂten arÂbeiÂten reÂgelmäßig länger, als es im VerÂtrag steht und keiÂnesÂwegs imÂmer wird dieÂse ArÂbeit beÂzahlt. Die StuÂdie zeigt: Je länger die tatsächliÂche ArÂbeitsÂzeit ausÂgeÂdehnt wird, desÂto häufiÂger arÂbeiÂten die BeschäftigÂten zum NullÂtaÂrif“ (meÂtallÂzeiÂtung April 2016). In dem ZuÂsamÂmenÂhang melÂdeÂte das staÂtisÂtiÂsche BunÂdesÂamt 2016 eine durchÂschnittÂliÂche WoÂchenÂarÂbeitsÂzeit von 42 StunÂden für 2014 für alle vollÂzeitÂbeschäftigÂten LohnÂabhängiÂgen.
JeÂder in der GeÂsamtÂwirtÂschaft BeschäftigÂte war darÂan nach AusÂsaÂge der BunÂdesÂagenÂtur für ArÂbeit mit im Schnitt 48,9 ÃœberÂstunÂden beÂteiÂligt – daÂvon 27,8 StunÂden unÂbeÂzahlt. Nach eiÂner MelÂdung des IGM-VorÂstands haÂben die 3,7 MilÂlioÂnen in der MeÂtall- und ElekÂtroÂinÂdusÂtrie ArÂbeiÂtenÂden dem KaÂpiÂtal daÂbei „ArÂbeitsÂzeit im Wert von 1,72 MilÂliÂarÂden Euro geÂschenkt“. Ganz ähnÂlich in 2015. Die meÂtallÂzeiÂtung von AuÂgust 2016 beÂrichÂtet auf SeiÂte 15 von eiÂner „MilÂliÂarÂde unÂbeÂzahlÂter ÃœberÂstunÂden“. ÄhnÂlich in eiÂnem bei der Rosa LuÂxemÂburg StifÂtung zum „Weißbuch“ erÂschieÂneÂnen ArÂtiÂkel. DarÂin beÂrichÂtet der JourÂnaÂlist und AuÂtor Jörn Boewe am 7. DeÂzemÂber 2016 u.a.: „Nach ErÂheÂbunÂgen des InÂstiÂtuts für ArÂbeitsÂmarkt- und BeÂrufsÂforÂschung (IAB) der BunÂdesÂagenÂtur für ArÂbeit hat 2015 jeÂder und jede abhängig BeschäftigÂte im Schnitt 46,8 StunÂden länger geÂarÂbeiÂtet als verÂtragÂlich verÂeinÂbart. Mehr als die Hälfte dieÂser ÃœberÂstunÂden wurÂde nicht beÂzahlt: Laut IAB haÂben die BeschäftigÂten 2015 den UnÂterÂnehÂmern ein ArÂbeitsÂvoÂluÂmen von 997,1 MilÂlioÂnen StunÂden geÂschenkt. (IAB-KurzÂbeÂricht 06/2016) Dies entÂspricht eiÂner LohnÂsumÂme von rund 15 MilÂliÂarÂden Euro.“
Die 35-Stunden-Woche – „Kalter Kaffee“Mit dieÂser AntÂwort hat die eheÂmaÂliÂge Juso-VorÂsitÂzenÂde NahÂles auf die FraÂge der ZeiÂtung junÂge Welt (jW) reÂagiert, was sie im ZuÂsamÂmenÂhang mit der durch die DiÂgiÂtaÂliÂsieÂrung zu befürchÂtenÂde ArÂbeitsÂplatzÂverÂnichÂtung von ForÂdeÂrunÂgen nach Einführung eiÂner 35-StunÂden-WoÂche halÂte ( jW 28.9.2016). ArÂbeitsÂzeitÂverkürzung kommt auch vor dem HinÂterÂgrund der o.g. FakÂtenÂlaÂge bei der ArÂbeitsÂzeit weÂder im „Grün“- noch im „Weißbuch“ vor. StattÂdesÂsen hat die MiÂnisÂteÂrin in eiÂnem GastÂbeiÂtrag für die FAZ am 21.06.2016 erklärt: „Nicht imÂmer entÂspricht das KorÂsett des ArÂbeitsÂzeitÂrechts den speÂziÂfiÂschen BedürfÂnisÂsen beÂstimmÂter BeÂtrieÂbe oder BeschäftigÂter. Hier könnte der geÂsetzÂliÂche RahÂmen etÂwas erÂweiÂtert werÂden, unÂter der VorÂausÂsetÂzung ‚ausÂgeÂhanÂdelÂter FleÂxiÂbiÂlität‘, die eiÂnen TaÂrifÂverÂtrag und eine BeÂtriebsÂverÂeinÂbaÂrung vorÂausÂsetzt.“ In dieÂsem SinÂne heißt es jetzt im Weißbuch auf SeiÂte 11: „Das BMAS wird daÂher auch künfÂtig bei GeÂsetÂzesÂvorÂhaÂben ein Mehr an ReÂguÂlieÂrungsmöglichÂkeiÂten an das BeÂsteÂhen von TaÂrifÂverträgen knüpfen.“
In dieÂsem Fall solÂlen die „SoÂziÂalÂpartÂner“, die TaÂrifÂverÂtragsÂparÂteiÂen je nach SiÂtuaÂtiÂon aufÂeinÂanÂder losÂgeÂhen oder partÂnerÂschaftÂlich den KaÂpiÂtalÂbedürfÂnisÂsen entÂspreÂchend, geÂsetzÂliÂche MinÂdestÂrechÂte durch TaÂrifÂverträge unÂterÂlauÂfen. Die ReÂgieÂrung kann daÂbei ihre Hände in UnÂschuld waÂschen und wie z. B. 2016 geÂscheÂhen, die ÄndeÂrung des ArÂbeitÂnehÂmerüberÂlasÂsungsÂgeÂsetÂzes auch noch als Stärkung der MitÂbeÂstimÂmung und TaÂrifÂauÂtoÂnoÂmie verÂkauÂfen. In den vorÂanÂgeÂganÂgeÂnen AusÂgaÂben der KAZ haÂben wir öfter darüber beÂrichÂtet, wie die „SoÂziÂalÂpartÂner“ hierÂbei den im GeÂsetz für die von LeihÂarÂbeit BeÂtrofÂfeÂnen verÂwirkÂlichÂten RechtsÂanÂspruch auf „equal pay“ – gleiÂcher Lohn für gleiÂche ArÂbeit – jahÂreÂlang durch TaÂrifÂverträge ausÂgeÂheÂbelt haÂben. Jetzt soll es dem ArÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz, dem Acht-StunÂden-Tag auf gleiÂche oder ähnÂliÂche WeiÂse ans Fell geÂhen. Das wird jetzt seit BeÂginn dieÂses JahÂres in eiÂner zweijähriÂgen ExÂpeÂriÂmenÂtierÂphaÂse – „wisÂsenÂschaftÂlich beÂgleiÂtet und taÂrifÂverÂtragÂlich abÂgeÂsiÂchert“ – als VerÂsuch geÂstarÂtet. Um dem ArÂbeitsÂzeitÂrecht daÂbei das „KorÂsett“ ausÂzuÂzieÂhen, hat AnÂdrea NahÂles mit der folÂgenÂden AusÂsaÂge ihr schönsÂtes troÂjaÂniÂsches Pferd aus dem Stall geÂlasÂsen: „Mein VorÂschlag dafür ist ein WahlÂarÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz, das eiÂnen neuÂen RahÂmen dafür setzt. Mit RechÂten für BeschäftigÂte, ihre ArÂbeitsÂzeit der LeÂbensÂphaÂse anÂzuÂpasÂsen, oder Lage der ArÂbeitsÂzeit und Ort der ArÂbeit mit dem ArÂbeitÂgeÂber erörtern zu können.“
Na, wenn das kein AnÂgeÂbot ist, ein „WahlÂarÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz“, woÂbei jeÂder bei der ArÂbeitsÂzeit-erörteÂrung mit dem KaÂpiÂtaÂlisÂten nach „LeÂbensÂphaÂsen“ oriÂenÂtiert und „selbstÂbeÂstimmt“ auswählen kann, welÂches jahÂreÂlang erkämpfÂte ArÂbeiÂter-schutzÂrecht abÂgeräumt wird. Das ist gleichÂbeÂdeuÂtend mit der AufÂforÂdeÂrung an die ArÂbeiÂteÂrinÂnen und ArÂbeiÂter, die ArÂbeitsÂschutzÂkleiÂdung in der FaÂbrik, SchutzÂbrilÂle, Schweißschirm, SiÂcherÂheitsÂschuÂhe und alÂles anÂdeÂre, was dazu gehört, einÂfach mal für zwei JahÂre an den NaÂgel zu hängen, um zu tesÂten, wie das ausÂgeht. (sieÂhe dazu: Das „atÂmenÂde ArÂbeitsÂzeitÂkonÂto“)
Das „atmende Arbeitszeitkonto“
YasÂmin FaÂhiÂmi, SPD-StaatsÂseÂkretärin im ArÂbeitsÂmiÂnisÂteÂriÂum und EheÂfrau des IGBCE-VorÂsitÂzenÂden VasÂsiÂliaÂdis (VorÂsitÂzenÂder der „StifÂtung neue VerÂantÂworÂtung“), hat auf eiÂnem KonÂgress von ver.di im OkÂtoÂber 2016 zum beÂabÂsichÂtigÂten „WahlÂarÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz“ beÂklagt, die ArÂbeitÂgeÂber hätten ihr VerÂspreÂchen, dass mit der geÂforÂderÂten FleÂxiÂbiÂlität „die FreiÂheit des EinÂzelÂnen wächst“, nicht einÂgeÂhalÂten. DarÂum wäre es Zeit, „ein Stück VerÂeinÂbaÂrungsÂkulÂtur in den FleÂxiÂbiÂlitätsÂrahÂmen zurückÂzuÂhoÂlen“, um der ÃœberÂforÂdeÂrung des EinÂzelÂnen entÂgeÂgenÂzuÂwirÂken. Als Lösung hat sie daÂbei ein „atÂmenÂdes ArÂbeitsÂzeitÂkonÂto“ vorÂgeÂschlaÂgen, über das jeÂder selbst beÂstimmt und dazu festÂgeÂstellt: „Das nenÂnen wir FleÂxiÂbiÂlitätsÂkomÂproÂmiss“ (heiÂse onÂline 30.11.2016).
Ihr ist bei ihÂren AusführunÂgen ofÂfenÂsichtÂlich entÂganÂgen, dass die „TaÂrifÂpartÂner“ beim „FleÂxiÂbiÂlität AtÂmen“ – und hierÂbei die IGM-Führung an vorÂdersÂter StelÂle – nicht nur SchrittÂmaÂcherÂdiensÂte, sonÂdern ganÂze ArÂbeit geÂleisÂtet haÂben. VieÂle TaÂrifÂverträge wurÂden daÂbei durch ZuÂgeständÂnisÂse der soÂziÂalÂdeÂmoÂkraÂtiÂschen GeÂwerkÂschaftsführer zu „ÖffÂnungs-, DifÂfeÂrenÂzieÂrungs- u. a. KlauÂseln“ zum FliÂckenÂtepÂpich geÂmacht. DaÂmit wurÂde es dem KaÂpiÂtal über JahÂre hinÂweg ermöglicht, sich den „starÂren AchtÂstunÂdenÂtag“ über x-ArÂbeitsÂzeitÂmoÂdelÂle so zuÂrecht zu bieÂgen, wie es die ProÂdukÂtiÂonsÂbeÂdinÂgunÂgen und ProÂfitÂbedürfÂnisÂse geÂraÂde verÂlanÂgen. ZusätzÂlich haÂben TauÂsenÂde ArÂbeitsÂzeitÂkonÂten alÂler Art, zu deÂren AbÂschluss die BeÂtriebsräte aufÂgeÂforÂdert wurÂden, „ausÂgeÂatÂmet“ – und das tun sie imÂmer noch –, was an geÂsetzÂliÂchem oder taÂrifÂliÂchem Schutz der ReÂgelÂarÂbeitsÂzeit noch nicht auf der StreÂcke geÂblieÂben ist.
GleichÂzeiÂtig wurÂde und wird das im ArÂbeitsÂrecht imÂmer noch gelÂtenÂde „UnÂterÂnehÂmerÂriÂsiÂko“ auf die „FreiÂheit des EinÂzelÂnen“ nämlich der LohnÂabhängiÂgen abÂgewälzt. Wenn die ArÂbeit geÂraÂde mal nicht so dick ist, werÂden ArÂbeiÂter und AnÂgeÂstellÂte nach HauÂse oder in UrÂlaub geÂschickt. ArÂbeitsÂzeiÂten, für die der KaÂpiÂtaÂlist norÂmal Lohn zahÂlen müsste, werÂden jetzt aus dem KonÂto der BeÂlegÂschaft geÂzahlt. Was früher als beÂzahlÂte ArÂbeitsÂzeit abÂgeÂrechÂnet wurÂde – ArztÂbeÂsuÂche u.a.m. –, wird seit JahÂren vielÂfach als FreiÂzeitÂvergnügen der BeschäftigÂten beÂhanÂdelt. Wofür hast du denn ein ZeitÂkonÂto? Heißt das, darÂauf werÂden auch alle ÃœberÂstunÂden geÂschoÂben? Ãœber ZuÂschläge für den zusätzÂliÂchen VerÂschÂleiß an ArÂbeitsÂkraft wird in den meisÂten Fällen schon gar nicht mehr geÂsproÂchen. Es wird ja ausÂgeÂgliÂchen und daÂmit sind es keiÂne ÃœberÂstunÂden mehr. DaÂvon abÂgeÂseÂhen verÂfalÂlen in vieÂlen BeÂtrieÂben mit ArÂbeitsÂzeitÂkonÂten TeiÂle der anÂgeÂsamÂmelÂten ZeitÂgutÂhaÂben. Sie werÂden einÂfach geÂstriÂchen, weil sie die fürs KonÂto festÂgeÂlegÂte HöchstÂstunÂdenÂzahl überÂschreiÂten oder überÂschritÂten haÂben. Bei eiÂner BeÂfraÂgung von 3.000 BeÂtriebsräten hat der IGM-VorÂstand festÂgeÂstellt: „In den BeÂtrieÂbenÂeÂxisÂtieÂren geÂgenwärtig zahlÂreiÂche unÂterÂschiedÂliÂcheÂArÂbeitsÂzeitÂreÂgeÂlunÂgen. Zum EinÂsatz komÂmen eine VielÂzahl verÂschieÂdeÂner Zeit-, GleitÂzeit-, LangÂzeit-, MehrÂarÂbeits- oder FreiÂschichtÂkonÂten – zuÂmeist ohne eine geÂsetzÂliÂche oder taÂrifÂliÂche GrundÂlaÂge.“ (MeÂtall „diÂrekt“ 1/2017)
Wie schon anÂgeÂmerkt, bleibt hierÂbei nicht aus, dass sich das KaÂpiÂtal dieÂsen einÂmal in den BeÂtrieÂben durchÂgeÂsetzÂten „geÂsetzÂloÂsen ZuÂstand“ als norÂmal leÂgaÂliÂsiert unÂter die Nägel reißen will. |
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„Wir wisÂsen es noch nicht präzise und geÂnau“, hat NahÂles Ende NoÂvemÂber 2016 bei der WeißbuchÂvorÂstelÂlung in BerÂlin dazu festÂgeÂstellt. „Wir müssen es in der beÂtriebÂliÂchen WirkÂlichÂkeiÂterÂproÂben. Wir müssen geÂmeinÂsam lerÂnen: UnÂterÂnehÂmen, BeschäftigÂte, WisÂsenÂschaft und PoÂliÂtik.“
Was Frau NahÂles nicht weiß, das weiß RaiÂner DulÂger, PräsiÂdent vom KaÂpiÂtalÂverÂband GeÂsamtÂmeÂtall umso „präziÂser und geÂnauÂer“. Im Gespräch mit der DeutÂschen PresÂseÂagenÂtur (dpa) in BerÂlin hat er NahÂles wie folgt geÂlobt und festÂgeÂstellt, was beim „geÂmeinÂsaÂmen LerÂnen“ für die „WahlÂarÂbeitsÂzeit“ in der „beÂtriebÂliÂchen WirkÂlichÂkeit“ rausÂkomÂmen muss: „Ich halÂtees für eiÂnen muÂtiÂgen Schritt von Frau NahÂles zu saÂgen, lasst das doch mal die TaÂrifÂpartÂner maÂchen“.
Nach seiÂnen VorÂstelÂlunÂgen könnte daÂbei ein GeÂsetz „so ausÂseÂhen, dass eine taÂrifÂliÂche ÖffÂnungsÂklauÂsel vorÂgeÂseÂhen und geÂsagt wird: Statt des AchtÂstunÂdenÂtaÂges gilt eine WoÂchenÂarÂbeitsÂzeit von x StunÂden.Wir müssen das fleÂxiÂbiÂliÂsieÂren. Der AchtÂstunÂdenÂtag kann nicht mehr so starr sein wie bisÂher. Es muss einÂfach möglich sein, dass ein MitÂarÂbeiÂter nachÂmitÂtags um vier heimÂgeht, das Kind aus der Kita abÂholt, abends um 21 Uhr ins Bett bringt und sich dann nochÂmal zwei StunÂden an die ArÂbeit setzt. Es geht darÂum, dass sie in beÂstimmÂten LeÂbensÂphaÂsen ein paar JahÂre 40 oder 42 StunÂden arÂbeiÂten können“. (News 23.12.2016)
Die Antwort des DGB-Vorsitzenden Reiner HoffmannDas Weißbuch setÂze die „richÂtiÂgen PrioÂritäten“ hat er geÂgenüber der PresÂse in BerÂlin erklärt. DaÂbei lässt sich an der oben aufÂgeÂzeigÂten ArÂbeitsÂzeitÂentÂwickÂlung leicht erÂkenÂnen, wer hier PrioÂritäten setzt. Beim „lasst das doch mal die TaÂrifÂpartÂner maÂchen“ sind die „LeÂbensÂphaÂsen“, die der KaÂpiÂtalÂverÂbandspräsiÂdent den LohnÂabhängiÂgen verÂordÂnen will, für MilÂlioÂnen längst jahÂreÂlanÂge beÂtriebÂliÂche und geÂsellÂschaftÂliÂche WirkÂlichÂkeit. DaÂbei ist die DifÂfeÂrenz zwiÂschen der für die westÂliÂchen BunÂdesländer im MeÂtall- und ElekÂtroÂbeÂreich soÂwie in der DruckÂinÂdusÂtrie taÂrifÂlich gelÂtenÂden 35-StunÂden-WoÂche imÂmerÂhin auf die KleiÂnigÂkeit von 7 StunÂden anÂgeÂwachÂsen. Und um 4,5 StunÂden im VerhältÂnis zur ebenÂfalls für die Westländer festÂgeÂstellÂten, durchÂschnittÂliÂchen taÂrifÂliÂchen ArÂbeitsÂzeit von 37,5 StunÂden (im OsÂten 38,7 Std., lt. WSI-TaÂrifÂarÂchiv). Da bleibt es nicht aus, dass die KaÂpiÂtaÂlisÂten verÂsuÂchen, dieÂsen einÂmal erÂreichÂten ZuÂstand als RechtsÂanÂspruch für sich zu reÂklaÂmieÂren und über GeÂsetz, TaÂrifÂverÂtrag, BeÂtriebs- o. a. VerÂeinÂbaÂrunÂgen leÂgaÂliÂsieÂren und abÂsiÂchern wolÂlen.
Noch als PräsiÂdent der KaÂpiÂtaÂlisÂtenÂverÂeiÂniÂgung SüdwestÂmeÂtall hat der heuÂtiÂge GeÂsamtÂmeÂtall-VorÂsitÂzenÂde DulÂger die LoÂsung ausÂgeÂgeÂben, die TaÂrifÂverträge geÂgen die GeÂwerkÂschafÂten zu wenÂden und sie mit eiÂgeÂnen ForÂdeÂrunÂgen anÂzuÂgreiÂfen. Die jetÂziÂgen ForÂdeÂrunÂgen nach weiÂteÂrer FleÂxiÂbiÂliÂsieÂrung und der daÂmit verÂbunÂdeÂne AnÂgrifÂfe auf den Acht-StunÂden-Tag dieÂnen keiÂnem anÂdeÂren Zweck. DaÂmit solÂlen vor alÂlem die soÂziÂalÂdeÂmoÂkraÂtiÂschen GeÂwerkÂschaftsführer unÂter Druck geÂsetzt und zu weiÂteÂren ZuÂgeständÂnisÂsen beim AbÂbau von ArÂbeiÂterÂschutzÂrechÂten, fürs „ArÂbeiÂten 4.0“, „WahlÂarÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz“ u.a. geÂpresst werÂden. Dem KaÂpiÂtal geht es hierÂbei heuÂte nach wie vor um die DurchÂsetÂzung der ZieÂle, die der FaÂbriÂkant BorÂsig 1924 forÂmuÂliert hat: JeÂdem BeÂtrieb den TaÂrifÂverÂtrag und die BeÂtriebsÂverÂeinÂbaÂrung, die das ProÂfitÂmaÂchen nicht beÂhinÂdern. (sieÂhe KasÂten „ArÂbeitsÂzeiÂten zum SeÂgen der WirtÂschaft)
Wir müssen endÂlich unÂseÂre „PrioÂritäten setÂzen“. Es geht nicht nur um unÂseÂre LeÂbensÂzeit, um unÂseÂre EntÂrechÂtung. Seit MoÂnaÂten kämpÂfen die französiÂschen ArÂbeiÂter mit ihÂren GeÂwerkÂschafÂten geÂgen den großen AnÂgriff auf die 35-StunÂden-WoÂche, geÂgen ihre EntÂrechÂtung. Wenn wir das „ArÂbeiÂten 4.0“ und die EilÂferÂtigÂkeit unÂseÂrer GeÂwerkÂschaftsführer dazu hinÂnehÂmen, schaÂden wir auch unÂseÂren KolÂleÂginÂnen und KolÂleÂgen in FrankÂreich. Und verÂwirkÂliÂchen so eiÂnen großen Traum der KaÂpiÂtaÂlisÂten: „Eine WoÂchenÂarÂbeitsÂzeit von x StunÂden“.
Anhang:In seiÂner InÂforÂmaÂtiÂonsÂschrift RAT & TAT 249 schreibt der HamÂburÂger ArÂbeitsÂrecht-AnÂwalt Rolf GeffÂken zum „Weißbuch ArÂbeiÂten 4.0“:
Arbeit 4.0 – Arbeitsrecht in Gefahr!
Aktuelle Bedrohung des Arbeitsrechts
„Die französiÂschen GeÂwerkÂschafÂten kämpÂfen seit MoÂnaÂten geÂgen die Zerstörung arÂbeitsÂrechtÂliÂcher ErÂrunÂgenÂschafÂten. In DeutschÂland konnÂten in den letzÂten 30 JahÂren zahlÂreiÂche StanÂdards des ArÂbeitsÂrechts ohne jeÂden WiÂderÂstand der GeÂwerkÂschafÂten abÂgeÂbaut werÂden. Nun schreiÂtet die BunÂdesÂreÂgieÂrung unÂter dem StichÂwort „ArÂbeit 4.0“ ofÂfenÂbar zu eiÂnem auch ideoÂloÂgisch beÂgleiÂteÂten GeÂneÂralÂanÂgriff auf das ArÂbeitsÂrecht. Dies gibt Anlaß, über die bisÂheÂriÂgen AnÂgrifÂfe auf das ArÂbeitsÂrecht hierÂzuÂlanÂde nachÂzuÂdenÂken und zu fraÂgen, ob und wenn ja wie sich dieÂses ProÂjekt von anÂdeÂren AkÂtiÂvitäten solÂcher Art unÂterÂscheiÂdet.
(Â…)
Als wäre all dieÂses noch nicht geÂnug, hat die BunÂdesÂreÂgieÂrung nun in ihÂrer InÂitiaÂtiÂve ArÂbeit 4.0 eiÂnen ideoÂloÂgiÂschen GeÂneÂralÂanÂgriff auf das klasÂsiÂsche VerständÂnis vom ArÂbeitsÂrecht als eiÂnem SchutzÂrecht für ArÂbeitÂnehÂmer geÂstarÂtet. UnÂter dem VorÂwand eiÂner anÂgebÂlich vierÂten inÂdusÂtriÂelÂlen ReÂvoÂluÂtiÂon („diÂgiÂtaÂle ReÂvoÂluÂtiÂon“) wird übeÂrÂall dort, wo es diÂgiÂtaÂliÂsierÂte ArÂbeitsplätze gibt, nicht nur das bisÂheÂriÂge ArÂbeitsÂrechtsÂsysÂtem sonÂdern auch – soÂweit noch vorÂhanÂden – das bisÂheÂriÂge ArÂbeitsÂzeitÂreÂgime in FraÂge geÂstellt. ZuÂgleich wird die toÂtaÂle VerfügbarÂkeit des ArÂbeitÂnehÂmers auch außerÂhalb seiÂnes bisÂheÂriÂgen ArÂbeitsÂplatÂzes anÂgeÂstrebt. DaÂbei werÂden die in eiÂner solÂchen VerfügbarÂkeit lieÂgenÂden und längst beÂkannÂten geÂsundÂheitÂliÂchen GeÂfahÂren als anÂgebÂliÂcher VorÂteil für die BeschäftigÂten anÂgeÂprieÂsen („ArÂbeitsÂzeitÂsouÂveränität“, „SelbstÂbeÂstimÂmung“ usw.). Tatsächlich forÂdern die ArÂbeitÂgeÂberÂverbände beÂreits die sysÂteÂmaÂtiÂsche „DeÂreÂguÂlieÂrung der ArÂbeitsÂwelt“ und parÂalÂlel dazu preist das BunÂdesÂmiÂnisÂteÂriÂum für ArÂbeit und SoÂziaÂles die von ihr anÂgeÂdachÂte neue „WahlÂarÂbeitsÂzeit“ als eiÂnen anÂgebÂliÂchen FortÂschritt. Ermöglicht werÂden soll dies durch ÄndeÂrunÂgen des ArÂbeitsÂzeitÂgeÂsetÂzes und – wieÂder einÂmal – durch TaÂrifÂverträge, die bisÂher – noch – exisÂtieÂrenÂde StanÂdards (wie z.B. RuÂheÂpauÂsen, RuÂheÂzeiÂten usw.) auflösen. Der vom EuÂropäischen GeÂrichtsÂhof und von der EG-RichtÂliÂnie zur ArÂbeitsÂzeit verÂlangÂte VorÂrang des GeÂsundÂheitsÂschutÂzes im ArÂbeitsÂzeitÂrecht wird zuÂgunsÂten anÂgebÂlich neu erÂworÂbeÂner inÂdiÂviÂduÂelÂler FreiÂheit der BeschäftigÂten zur DisÂpoÂsiÂtiÂon geÂstellt. DaÂbei wird bewußt der zenÂtraÂle GeÂdanÂke des ArÂbeitsÂrechts in FraÂge geÂstellt, nämlich dass der ArÂbeitsÂschutz auch und geÂraÂde nicht zur DisÂpoÂsiÂtiÂon des einÂzelÂnen ArÂbeitÂnehÂmers steht. Das ArÂbeitsÂrecht beÂsteht nämlich auch und geÂraÂde zum SchutÂze des ArÂbeitÂnehÂmers vor sich selbst, denn der „alte GeÂsetzÂgeÂber“ wußte noch, dass weÂgen der AbhängigÂkeit des BeschäftigÂten im LohnÂarÂbeitsÂverhältÂnis seiÂne verÂmeintÂliÂche „FreiÂheit“ weÂnig BeÂdeuÂtung hat: Es gibt sie nicht. HinÂter all den WortÂspieÂlen wie „InÂdusÂtrie 4.0“, „ArÂbeit 4.0“ usw. verÂbirgt sich nur das ProÂjekt eiÂner noch größeren VerfügbarÂkeit und an die BedürfÂnisÂse der UnÂterÂnehÂmen anÂgeÂpaßten EinÂsetzÂbarÂkeit menschÂliÂcher ArÂbeitsÂkraft.“
Arbeitszeiten zum Segen der Wirtschaft
1924 stellÂte der MaÂschiÂnenÂbau- und LoÂkoÂmoÂtiÂvenÂfaÂbriÂkant BorÂsig (BorÂsigÂwerÂke BerÂlin) in der Schrift „InÂdusÂtrie und SoÂziÂalÂpoÂliÂtik“ im AufÂtrag der SchwerÂinÂdusÂtrie fest: „Es ist falsch, den ArÂbeitÂgeÂbern vorÂzuÂwerÂfen, sie wollÂten den scheÂmaÂtiÂschen 10-StunÂden-Tag einführen. Die VerÂeiÂniÂgung der DeutÂschen ArÂbeitÂgeÂberÂverbände hat wieÂderÂholt darÂauf hinÂgeÂwieÂsen, dass ein scheÂmaÂtiÂscher ZehnÂstunÂdenÂtag ebenÂso falsch wäre, wie ein scheÂmaÂtiÂscher AchtÂstunÂdenÂtag. Eine scheÂmaÂtiÂsche ReÂgeÂlung der ArÂbeitsÂzeit ist nicht zum SeÂgen für die WirtÂschaft. DesÂhalb verÂlanÂgen wir nichts weiÂter, als dass in den TaÂrifÂverträgen oder BeÂtriebsÂverÂeinÂbaÂrunÂgen für jeÂden BeÂtrieb dieÂjeÂniÂge ArÂbeitsÂzeit zuÂgeÂlasÂsen wird, die nach den geÂgeÂbeÂnen VerhältÂnisÂsen den höchsÂten NutzÂefÂfekt in der ProÂdukÂtiÂon gewährÂleisÂtet.“
Und das ist die Antwort der IG-Metall-Führung:
Jahrelange Arbeitszeitkampagnen, Mitglieder, Betriebsräte und Belegschaftsbefragungen – statt Organisierung von Widerstand
Statt KaÂpiÂtal und ReÂgieÂrung mit der ForÂdeÂrung nach längst fälliÂger ArÂbeitsÂzeitÂverkürzung, z. B. der VerÂanÂkeÂrung der 35-StunÂden-WoÂche als GeÂsetz, anÂzuÂgreiÂfen, werÂden MitÂglieÂder, BeÂtriebsräte und BeÂlegÂschafÂten, so als ob das nicht längst beÂkannt wäre, mit FraÂgen nach der ArÂbeitsÂzeit im BeÂtrieb beschäftigt. Eine entÂspreÂchenÂde KamÂpaÂgne hat der IGM-VorÂstand im AuÂgust 2016 anÂgekündigt. Dort heißt es: „Mit ihÂrer ArÂbeitsÂzeitÂkamÂpaÂgne ‚Mein LeÂben MeiÂne Zeit: ArÂbeit neu denÂken!‘ will die IG MeÂtall BeschäftigÂte unÂterstützen, ihre LeÂbensÂpläne zu verÂwirkÂliÂchen und ihre Zeit für eiÂgeÂne BedürfÂnisÂse zu haÂben. Das ist kein HeÂxenÂwerk, wie die BeiÂspieÂle aus den BeÂtrieÂben zeiÂgen.“
Ãœber das „HeÂxenÂwerk“ in den BeÂtrieÂben haÂben die MeÂtalÂleÂrinÂnen und MeÂtalÂler zuÂletzt beim IGM-GeÂwerkÂschaftsÂtag im OkÂtoÂber 2015 in zahlÂreiÂchen Anträgen ausführÂlich beÂrichÂtet. AbÂgeÂseÂhen daÂvon gibt es zwiÂschenÂdurch imÂmer wieÂder BeÂrichÂte in der meÂtallÂzeiÂtung, die von der IGM-Führung selÂber veröffentÂlicht werÂden. Dazu gehören ebenÂso die VeröffentÂliÂchunÂgen der Hans-BöckÂler-StifÂtung oder unÂter v. a. der DGB-InÂdex Gute ArÂbeit. Das hierÂbei verÂmitÂtelÂte WisÂsen über das „HeÂxenÂwerk“ in den BeÂtrieÂben reicht der IGM-Führung ganz ofÂfenÂsichtÂlich nicht aus. So wurÂde nach eiÂner beÂreits 2013 durchÂgeführÂten MitÂglieÂderÂbeÂfraÂgung ab AnÂfang 2017 mit HinÂweis auf die o. e. KamÂpaÂgne eine NeuÂaufÂlaÂge, „Die BeÂfraÂgung 2017“, vom IGM-VorÂstand mit der FraÂge geÂstarÂtet. „Sag uns, was Dich beÂwegt: ÃœberÂstunÂden, SchichtÂpläne, VerÂeinÂbarÂkeit – wo drückt der Schuh?“ DarÂauf konnÂten MitÂglieÂder und NichtÂmitÂglieÂder bis zum 26. FeÂbruÂar antÂworÂten. U.a., ob sie „auch in ZuÂkunft ein ArÂbeitsÂzeitÂgeÂsetz“ wolÂlen „das der ArÂbeitsÂzeit GrenÂzen setzt“, wozu „auch das Recht auf AbÂschalÂten (RuÂheÂzeit) gehört.“
Was die LaufÂzeit der ArÂbeitsÂzeitÂkamÂpaÂgne anÂgeht, hat IGM-VorÂsitÂzenÂder HofÂmann in eiÂnem Gespräch mit der dpa erklärt, dass die IGM das „komÂpleÂxe TheÂma über JahÂre hinÂweg beÂarÂbeiÂten und daÂbei eine ganz neue KulÂtur schafÂfen“ will. Dafür hat er eiÂnen lanÂgen Atem, weit über die TaÂrifÂrunÂde Ende 2017 anÂgekündigt und festÂgeÂstellt: „Es ist kein KamÂpaÂgnenÂproÂjekt für die nächsÂten 15 MoÂnaÂte und daÂnach ist alÂles geÂreÂgelt, sonÂdern es ist eine lang dauÂernÂde FoÂkusÂsieÂrung der IG MeÂtall auf das TheÂma. Da wird der nächsÂte GeÂwerkÂschaftsÂtag 2019 verÂmutÂlich erstÂmal eine ZwiÂschenÂbiÂlanz zieÂhen können.“ (bei heiÂse onÂline 23.12.2016)
Bei dieÂser AnkündiÂgung können sich die KaÂpiÂtaÂlisÂten beÂruÂhigt schlaÂfen leÂgen und ohne ForÂdeÂrunÂgen nach ArÂbeitsÂzeitÂverkürzunÂgen befürchÂten zu müssen ihre Pläne fürs ProÂfitÂmaÂchen „neu denÂken“. Es sei denn, BeÂtriebsräte und BeÂlegÂschafÂten nutÂzen die KamÂpaÂgne u. a. dafür, die vom IGM-VorÂstand anÂgeÂstrebÂte neue „ArÂbeitsÂzeitÂkulÂtur“ mit eiÂgeÂnen ForÂdeÂrunÂgen nach ArÂbeitsÂzeitÂverkürzung zu beÂreiÂchern, ohne sich jahÂreÂlang darÂauf vertrösten zu lasÂsen. SoÂweit es hierÂbei um geÂmeinÂsaÂmes LerÂnen geht, müssen vor alÂlen DinÂgen BeÂtriebsräte und BeÂlegÂschafÂten, die LohnÂabhängiÂgen, die ArÂbeiÂterÂklasÂse wieÂder lerÂnen, was jahÂreÂlang in GeÂwerkÂschaftsÂseÂmiÂnaÂren geÂlehrt und geÂlernt wurÂde: Die InÂterÂesÂsen von ArÂbeit und KaÂpiÂtal steÂhen sich unÂversöhnÂlich geÂgenüber. DarÂan ändert sich auch nichts durch das GeÂschwaÂfel von SoÂziÂalÂstaat, SoÂziÂalÂpartÂnern und SoÂziÂalÂpartÂnerÂschaft, das von den opÂporÂtuÂnisÂtiÂschen soÂziÂalÂdeÂmoÂkraÂtiÂschen GeÂwerkÂschaftsführern imÂmer wieÂder aufs Neue zur HirnÂverÂneÂbeÂlung verÂbreiÂtet wird.
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Aus Kommunistische Arbeiterzeitung - KAZ #358, März 2017: Mit Weißbuch „Arbeiten 4.0“ gegen Arbeitsrecht und Arbeitszeit, KAZ-online.de