DE
       
 
0
unofficial world wide web avantgarde
Diesen Artikel mal ganz analog lesen drucken
Artikel:   versendendruckenkommentieren

Am 29. No­vem­ber 2016 hat SPD-Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­rin An­drea Nah­les in Ber­lin un­ter dem Logo „Ar­beit wei­ter den­ken“ das o.g. Weißbuch als Er­geb­nis und Do­ku­ment ei­nes an­dert­halbjähri­gen „ge­sell­schaft­li­chen Dia­logs“ vor­ge­stellt. In ih­rem Vor­wort stellt sie u. a. dazu fest: Da­mit soll ein „Im­puls zur­ge­sell­schaft­li­chen Ge­stal­tung der Zu­kunft der Ar­beit“ ge­ge­ben wer­den. Ihre Dia­log­part­ner beim Im­pul­se­ge­ben wa­ren hier­bei „Ex­per­tin­nen und Ex­per­ten der So­zi­al­part­ner“, der „Verbände, Un­ter­neh­men un­d­ Wis­sen­schaft“. Sie ha­ben sich zu 30 Fra­gen, die Di­gi­ta­li­sie­rung und ihre Aus­wir­kun­gen auf die Ge­sell­schaft und die „Ar­beits­welt von mor­gen“ geäußert, die im April 2015 im vom Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­ri­um her­aus­ge­ge­be­nen „Grünbuch Ar­bei­ten 4.0“ veröffent­licht wur­den.

Die dar­an Be­tei­lig­ten „ha­ben uns mit ih­rem Bei­trag auf neue Wege ge­bracht“, hat Nah­les dazu erklärt. Ein Teil der ent­spre­chen­den Ant­wor­ten und Stel­lung­nah­men so­wie die vom Mi­nis­te­ri­um dar­aus ge­zo­ge­nen Schluss­fol­ge­run­gen sind jetzt im als „Dis­kus­si­ons­ent­wurf“ und bis­her ohne ge­setz­li­che Bin­dun­gen be­zeich­ne­ten Weißbuch nach­zu­le­sen (mit Glos­sar und sons­ti­gen Anhängen 234 Sei­ten, ab­ruf­bar un­ter www.ar­bei­ten­vier­null.de). Da­bei blei­ben die „neu­en Wege“ auch in der für die Ar­beit am Weißbuch ge­mach­ten Stu­die, „Wer­te­wel­ten Ar­bei­ten 4.0“ al­ler­dings die al­ten. Die Klas­sen­spal­tung, der un­versöhn­li­che Wi­der­spruch zwi­schen Ar­beit und Ka­pi­tal, die ge­sell­schaft­li­che Rea­lität im ka­pi­ta­lis­ti­schen Aus­beu­tungs­sys­tem wird aus­ge­blen­det. Poe­tisch aus­ge­drückt ver­schwin­det sie hin­ter ei­nem bun­ten Strauß von ge­sell­schaft­li­chem und kul­tu­rel­lem Wan­del, von Leit­bil­dern selbst­be­stimm­ter Le­bens­entwürfe, gu­ter di­gi­ta­ler und si­che­rer Ar­beit mit der von vie­len gewünsch­ten selbst­be­stimm­ten „Ar­beits­zeit­sou­veränität“ usw. usf.

Da­bei wird im „er­geb­nis­of­fe­nen ge­sell­schaft­li­chen Dia­log“ durch part­ner­schaft­li­che Ver­ein­ba­run­gen der So­zi­al­part­ner der So­zi­al­staat ge­stal­tet und der In­dus­trie- und Wirt­schafts­stand­ort Deutsch­land ge­si­chert. Das sind die Wol­ken­ku­ckucks­hei­me, mit de­nen den Lohn­abhängi­gen un­ter dem Ober­be­griff „In­dus­trie 4.0“ die Hir­ne zu­ge­kleis­tert wer­den. Sie sind dazu ge­dacht, sie von der täglich er­leb­ten Wirk­lich­keit in Be­trieb, Büros und Ver­wal­tun­gen ab­zu­len­ken. Da­bei wird ih­nen und natürlich uns al­len das ka­pi­ta­lis­ti­sche Sys­tem auch als wei­ter­hin al­ter­na­tiv­lo­ser und über den Klas­sen ste­hen­der So­zi­al­staat mit dem Ziel sei­ner Ver­ewi­gung ver­kauft und aufs Auge gedrückt. Und al­les, das Ar­bei­ten, der Ar­beits­schutz, die Ar­beits­zeit, das Ar­beits­recht – ein­sch­ließlich „So­zi­al­staat“ u.a. – wird hier­bei zum „4.0“-Be­reich erklärt. Das kommt ei­ner Mar­kie­rung gleich, die deut­lich ma­chen soll, dass als un­ab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung für die „Ge­stal­tung der di­gi­ta­len Ar­beits­welt“ von mor­gen, in al­len „4.0“-Be­rei­chen mit der Ab­wei­chung und/​oder Strei­chung von bis­he­ri­gen Rech­ten zu rech­nen ist – oder an­ders aus­ge­drückt: dafür zwangsläufig Op­fer ge­bracht wer­den müssen. Dass hier­bei Ar­beits­recht und ins­be­son­de­re die Ar­beits­zeit im Vi­sier der Ka­pi­ta­lis­ten steht, ist da­bei nichts Neu­es. Die auch als „vier­te in­dus­tri­el­le Re­vo­lu­ti­on“ be­zeich­ne­te Di­gi­ta­li­sie­rung dient ih­nen – wie der tech­ni­sche Fort­schritt, Au­to­ma­ti­sie­rung – und vor al­lem in der Ver­gan­gen­heit dazu als Ve­hi­kel, um über das Ar­beits­zeit­ge­setz her­zu­fal­len.

Um da­bei mit An­drea Nah­les zu spre­chen, ver­su­chen sie, die „Ar­beits­zeit“ wei­ter – hin zu mehr Fle­xi­bi­li­sie­rung – zu „den­ken“, und ge­setz­li­che Gren­zen aus dem Weg zu räumen. Hier­bei soll dann endgültig Schluss ge­macht wer­den mit dem Acht-Stun­den-Tag und eben­falls mit der nach § 5 Ar­beits­zeit­ge­setz gel­ten­den Ru­he­zeit von 11 Stun­den zwi­schen 2 Ar­beits­ta­gen. Auf die­sen Mit­te 2015 neu­er­lich ge­star­te­ten An­griff des Ka­pi­tals mach­te die IGM-Führung am 24.07.2015 in ei­ner Mit­tei­lung auf­merk­sam, in der es heißt: „Ar­beit­ge­ber­ver­tre­ter ha­ben die Bun­des­re­gie­rung auf­ge­for­dert, den Acht-Stun­den-Tag aus dem Ar­beits­zeit­ge­setz zu strei­chen und durch eine wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit zu er­set­zen.“ Der Vor­s­toß kam vom Ka­pi­ta­lis­ten­ver­band BDA, dem „Bund Deut­scher Ar­beit­ge­ber“. Et­was später im Jahr, am 19.12.2015 erklärte BDA-Präsi­dent Ingo Kra­mer im In­ter­view mit der Rhei­ni­schen Post: „Der star­re Acht-Stun­den-Tag passt nicht mehr ins di­gi­ta­le Zeit­al­ter, wir wol­len mehr Be­weg­lich­keit“. Und dazu gehört nach sei­ner Mei­nung „auch mal 12 Stun­den ar­bei­ten“.

Die Türöffner – „Grün- und Weißbuch Arbeiten 4.0“

„Selbstausbeutung“

Un­ter die­ser Über­schrift wird in der me­tall­zei­tung von Ja­nu­ar 2016 auf den Sei­ten 6 und 7 fest­ge­stellt: „Beschäftig­te, die ihre Ar­beits­zeit selbst be­stim­men können, ar­bei­ten länger als an­de­re.“

„Geregelt oder selbst gesteuert“

„40 Pro­zent der männ­li­chen (und 33 Pro­zent der weib­li­chen) Beschäftig­ten können ihre Ar­beits­zeit zu­min­dest in ge­wis­sem Rah­men selbst be­stim­men. So­zi­al­wis­sen­schaft­le­rin Va­ni­ta Mat­ta, Uni­ver­sität Zürich hat in ei­ner Stu­die er­mit­telt, dass 53 Pro­zent der Männer mit stark selbst­ge­steu­er­ter Ar­beits­zeit mehr als 53 Stun­den pro Wo­che ar­bei­ten, bei de­nen mit fes­ten Ar­beits­zei­ten sind es nur 19 Pro­zent. 41 Pro­zent der Selbst­ent­schei­der ar­bei­ten jede Wo­che zehn Stun­den länger, als sie möch­ten. Bei fes­ten Zei­ten trifft das nur auf 17 Pro­zent zu.“

Zum glei­chen The­ma heißt es bei der Hans-Böck­ler-Stif­tung im Böck­ler Im­puls 15/​2015 auf Sei­te 6: „Fes­te Ar­beits­zei­ten: Bei fes­ten Ar­beits­zei­ten ar­bei­ten 81 Pro­zent bis zu 45 Stun­den in der Wo­che, 12 Pro­zent zwi­schen 45 und 50 Stun­den und 7 Pro­zent über 50 Stun­den wöchent­lich.Selbst ge­steu­er­te Ar­beits­zei­ten: 47 Pro­zent bis 45 Stun­den, 12 Pro­zent 45-50 Stun­den und 25 Pro­zent über 50 Stun­den in der Wo­che.“

Und auf S. 7: „Der Stress nimmt zu“

‚DGB-In­dex Gute Ar­beit‘ un­ter­sucht Be­las­tun­gen:

„Kaum eine Pau­se, im­mer am Ren­nen: Mehr als die Hälfte der Beschäftig­ten, ex­akt 52 Pro­zent, ste­hen bei der Ar­beit sehr häufig oder oft un­ter Zeit­druck oder fühlen sich ge­hetzt. Das ist ein Er­geb­nis der Um­fra­ge ‚DGB-In­dex Gute Ar­beit‘. Für die rund 4.900 Men­schen be­fragt wur­den. Die For­scher kon­zen­trier­ten sich auf die Ar­beits­in­ten­sität der Beschäftig­ten, sie woll­ten her­aus­fin­den, was die Gründe für Stress sind und wie sich die­ser aus­wirkt. Die Be­fun­de sind ein­deu­tig: 65 Pro­zent der­je­ni­gen, die sich oft ge­hetzt fühlen, sa­gen, dass sie zu vie­le Auf­ga­ben gleich­zei­tig bewälti­gen müssen, 63 Pro­zent der Be­frag­ten ge­ben an, dass bei ih­nen zu we­nig Per­so­nal für die an­ste­hen­den Auf­ga­ben vor­han­den ist. Das führt rasch zu ge­sund­heit­li­chen Pro­ble­men. 56 Pro­zent der­je­ni­gen, die un­ter Zeit­druck ste­hen, ge­ben an, sehr häufig oder oft auch in der ar­beits­frei­en Zeit nicht rich­tig ab­schal­ten zu können.“
Da­mit ist die SPD-Bun­des­ar­beits­mi­nis­te­rin den Ka­pi­ta­lis­ten auf dem Wege für „mehr Be­weg­lich­keit“ ein gu­tes Stück ent­ge­gen­ge­kom­men. Im Grünbuch wird so z.B. sinn­gemäß aus­geführt, man dürfe die mit der „Di­gi­ta­li­sie­rung der Ar­beit“ ver­bun­de­nen enor­men „Chan­cen für Un­ter­neh­men, Beschäftig­te und den Wirt­schafts­stand­ort Deutsch­land“ nicht durch Fest­hal­ten am ak­tu­el­len Ar­beits­zeit­re­gime gefähr­den. Nah­les hat da­bei gleich­zei­tig erklärt: „Wir brau­chen ei­nen neu­en so­zia­len Kom­pro­miss“ und sich mit der For­de­rung an die „So­zi­al­part­ner“ ge­stei­gert, sich auf ei­nen „neu­en­Fle­xi­bi­litäts­kom­pro­miss“ (Grünbuch S. 51) zu ei­ni­gen, der „dieIn­ter­es­sen von Un­ter­neh­men und Beschäftig­ten aus­ta­rie­ren“ soll.

Was beim bis­he­ri­gen „Aus­ta­rie­ren“ und „Fle­xi­bi­li­sie­ren“ für die Ka­pi­ta­lis­ten ins­be­son­de­re bei der Wo­chen­ar­beits­zeit raus­ge­sprun­gen ist, ist be­kannt. Die hält sich nämlich trotz al­ler ta­rif­li­chen Ar­beits­zeit­verkürzun­gen seit vie­len Jah­ren mit ei­nem Mil­li­ar­den­berg ent­lohn­ter und un­ent­lohn­ter Über­stun­den kon­stant auf dem Ni­veau von 41 bis 42 Stun­den. „Laut ei­ner Stu­die zum DGB-In­dex Gute Ar­beit ar­bei­tet hier­bei je­der drit­te Voll­zeit­beschäftig­te 45 Stun­den pro Wo­che und mehr. Etwa je­der sechs­te ar­bei­te so­gar mehr als 48 Stun­den pro Wo­che ... Ins­ge­samt 60 Pro­zent al­ler Beschäftig­ten ar­bei­ten re­gelmäßig länger, als es im Ver­trag steht und kei­nes­wegs im­mer wird die­se Ar­beit be­zahlt. Die Stu­die zeigt: Je länger die tatsächli­che Ar­beits­zeit aus­ge­dehnt wird, des­to häufi­ger ar­bei­ten die Beschäftig­ten zum Null­ta­rif“ (me­tall­zei­tung April 2016). In dem Zu­sam­men­hang mel­de­te das sta­tis­ti­sche Bun­des­amt 2016 eine durch­schnitt­li­che Wo­chen­ar­beits­zeit von 42 Stun­den für 2014 für alle voll­zeit­beschäftig­ten Lohn­abhängi­gen.
Je­der in der Ge­samt­wirt­schaft Beschäftig­te war dar­an nach Aus­sa­ge der Bun­des­agen­tur für Ar­beit mit im Schnitt 48,9 Ãœber­stun­den be­tei­ligt – da­von 27,8 Stun­den un­be­zahlt. Nach ei­ner Mel­dung des IGM-Vor­stands ha­ben die 3,7 Mil­lio­nen in der Me­tall- und Elek­tro­in­dus­trie Ar­bei­ten­den dem Ka­pi­tal da­bei „Ar­beits­zeit im Wert von 1,72 Mil­li­ar­den Euro ge­schenkt“. Ganz ähn­lich in 2015. Die me­tall­zei­tung von Au­gust 2016 be­rich­tet auf Sei­te 15 von ei­ner „Mil­li­ar­de un­be­zahl­ter Ãœber­stun­den“. Ähn­lich in ei­nem bei der Rosa Lu­xem­burg Stif­tung zum „Weißbuch“ er­schie­ne­nen Ar­ti­kel. Dar­in be­rich­tet der Jour­na­list und Au­tor Jörn Boewe am 7. De­zem­ber 2016 u.a.: „Nach Er­he­bun­gen des In­sti­tuts für Ar­beits­markt- und Be­rufs­for­schung (IAB) der Bun­des­agen­tur für Ar­beit hat 2015 je­der und jede abhängig Beschäftig­te im Schnitt 46,8 Stun­den länger ge­ar­bei­tet als ver­trag­lich ver­ein­bart. Mehr als die Hälfte die­ser Ãœber­stun­den wur­de nicht be­zahlt: Laut IAB ha­ben die Beschäftig­ten 2015 den Un­ter­neh­mern ein Ar­beits­vo­lu­men von 997,1 Mil­lio­nen Stun­den ge­schenkt. (IAB-Kurz­be­richt 06/​2016) Dies ent­spricht ei­ner Lohn­sum­me von rund 15 Mil­li­ar­den Euro.“

Die 35-Stunden-Woche – „Kalter Kaffee“

Mit die­ser Ant­wort hat die ehe­ma­li­ge Juso-Vor­sit­zen­de Nah­les auf die Fra­ge der Zei­tung jun­ge Welt (jW) re­agiert, was sie im Zu­sam­men­hang mit der durch die Di­gi­ta­li­sie­rung zu befürch­ten­de Ar­beits­platz­ver­nich­tung von For­de­run­gen nach Einführung ei­ner 35-Stun­den-Wo­che hal­te ( jW 28.9.2016). Ar­beits­zeit­verkürzung kommt auch vor dem Hin­ter­grund der o.g. Fak­ten­la­ge bei der Ar­beits­zeit we­der im „Grün“- noch im „Weißbuch“ vor. Statt­des­sen hat die Mi­nis­te­rin in ei­nem Gast­bei­trag für die FAZ am 21.06.2016 erklärt: „Nicht im­mer ent­spricht das Kor­sett des Ar­beits­zeit­rechts den spe­zi­fi­schen Bedürf­nis­sen be­stimm­ter Be­trie­be oder Beschäftig­ter. Hier könnte der ge­setz­li­che Rah­men et­was er­wei­tert wer­den, un­ter der Vor­aus­set­zung ‚aus­ge­han­del­ter Fle­xi­bi­lität‘, die ei­nen Ta­rif­ver­trag und eine Be­triebs­ver­ein­ba­rung vor­aus­setzt.“ In die­sem Sin­ne heißt es jetzt im Weißbuch auf Sei­te 11: „Das BMAS wird da­her auch künf­tig bei Ge­set­zes­vor­ha­ben ein Mehr an Re­gu­lie­rungsmöglich­kei­ten an das Be­ste­hen von Ta­rif­verträgen knüpfen.“

In die­sem Fall sol­len die „So­zi­al­part­ner“, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en je nach Si­tua­ti­on auf­ein­an­der los­ge­hen oder part­ner­schaft­lich den Ka­pi­tal­bedürf­nis­sen ent­spre­chend, ge­setz­li­che Min­dest­rech­te durch Ta­rif­verträge un­ter­lau­fen. Die Re­gie­rung kann da­bei ihre Hände in Un­schuld wa­schen und wie z. B. 2016 ge­sche­hen, die Ände­rung des Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ge­set­zes auch noch als Stärkung der Mit­be­stim­mung und Ta­rif­au­to­no­mie ver­kau­fen. In den vor­an­ge­gan­ge­nen Aus­ga­ben der KAZ ha­ben wir öfter darüber be­rich­tet, wie die „So­zi­al­part­ner“ hier­bei den im Ge­setz für die von Leih­ar­beit Be­trof­fe­nen ver­wirk­lich­ten Rechts­an­spruch auf „equal pay“ – glei­cher Lohn für glei­che Ar­beit – jah­re­lang durch Ta­rif­verträge aus­ge­he­belt ha­ben. Jetzt soll es dem Ar­beits­zeit­ge­setz, dem Acht-Stun­den-Tag auf glei­che oder ähn­li­che Wei­se ans Fell ge­hen. Das wird jetzt seit Be­ginn die­ses Jah­res in ei­ner zweijähri­gen Ex­pe­ri­men­tier­pha­se – „wis­sen­schaft­lich be­glei­tet und ta­rif­ver­trag­lich ab­ge­si­chert“ – als Ver­such ge­star­tet. Um dem Ar­beits­zeit­recht da­bei das „Kor­sett“ aus­zu­zie­hen, hat An­drea Nah­les mit der fol­gen­den Aus­sa­ge ihr schöns­tes tro­ja­ni­sches Pferd aus dem Stall ge­las­sen: „Mein Vor­schlag dafür ist ein Wahl­ar­beits­zeit­ge­setz, das ei­nen neu­en Rah­men dafür setzt. Mit Rech­ten für Beschäftig­te, ihre Ar­beits­zeit der Le­bens­pha­se an­zu­pas­sen, oder Lage der Ar­beits­zeit und Ort der Ar­beit mit dem Ar­beit­ge­ber erörtern zu können.“

Na, wenn das kein An­ge­bot ist, ein „Wahl­ar­beits­zeit­ge­setz“, wo­bei je­der bei der Ar­beits­zeit-erörte­rung mit dem Ka­pi­ta­lis­ten nach „Le­bens­pha­sen“ ori­en­tiert und „selbst­be­stimmt“ auswählen kann, wel­ches jah­re­lang erkämpf­te Ar­bei­ter-schutz­recht ab­geräumt wird. Das ist gleich­be­deu­tend mit der Auf­for­de­rung an die Ar­bei­te­rin­nen und Ar­bei­ter, die Ar­beits­schutz­klei­dung in der Fa­brik, Schutz­bril­le, Schweißschirm, Si­cher­heits­schu­he und al­les an­de­re, was dazu gehört, ein­fach mal für zwei Jah­re an den Na­gel zu hängen, um zu tes­ten, wie das aus­geht. (sie­he dazu: Das „at­men­de Ar­beits­zeit­kon­to“)

Das „atmende Arbeitszeitkonto“

Yas­min Fa­hi­mi, SPD-Staats­se­kretärin im Ar­beits­mi­nis­te­ri­um und Ehe­frau des IGBCE-Vor­sit­zen­den Vas­si­lia­dis (Vor­sit­zen­der der „Stif­tung neue Ver­ant­wor­tung“), hat auf ei­nem Kon­gress von ver.di im Ok­to­ber 2016 zum be­ab­sich­tig­ten „Wahl­ar­beits­zeit­ge­setz“ be­klagt, die Ar­beit­ge­ber hätten ihr Ver­spre­chen, dass mit der ge­for­der­ten Fle­xi­bi­lität „die Frei­heit des Ein­zel­nen wächst“, nicht ein­ge­hal­ten. Dar­um wäre es Zeit, „ein Stück Ver­ein­ba­rungs­kul­tur in den Fle­xi­bi­litäts­rah­men zurück­zu­ho­len“, um der Über­for­de­rung des Ein­zel­nen ent­ge­gen­zu­wir­ken. Als Lösung hat sie da­bei ein „at­men­des Ar­beits­zeit­kon­to“ vor­ge­schla­gen, über das je­der selbst be­stimmt und dazu fest­ge­stellt: „Das nen­nen wir Fle­xi­bi­litäts­kom­pro­miss“ (hei­se on­line 30.11.2016).

Ihr ist bei ih­ren Ausführun­gen of­fen­sicht­lich ent­gan­gen, dass die „Ta­rif­part­ner“ beim „Fle­xi­bi­lität At­men“ – und hier­bei die IGM-Führung an vor­ders­ter Stel­le – nicht nur Schritt­ma­cher­diens­te, son­dern gan­ze Ar­beit ge­leis­tet ha­ben. Vie­le Ta­rif­verträge wur­den da­bei durch Zu­geständ­nis­se der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ge­werk­schaftsführer zu „Öff­nungs-, Dif­fe­ren­zie­rungs- u. a. Klau­seln“ zum Fli­cken­tep­pich ge­macht. Da­mit wur­de es dem Ka­pi­tal über Jah­re hin­weg ermöglicht, sich den „star­ren Acht­stun­den­tag“ über x-Ar­beits­zeit­mo­del­le so zu­recht zu bie­gen, wie es die Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen und Pro­fit­bedürf­nis­se ge­ra­de ver­lan­gen. Zusätz­lich ha­ben Tau­sen­de Ar­beits­zeit­kon­ten al­ler Art, zu de­ren Ab­schluss die Be­triebsräte auf­ge­for­dert wur­den, „aus­ge­at­met“ – und das tun sie im­mer noch –, was an ge­setz­li­chem oder ta­rif­li­chem Schutz der Re­gel­ar­beits­zeit noch nicht auf der Stre­cke ge­blie­ben ist.

Gleich­zei­tig wur­de und wird das im Ar­beits­recht im­mer noch gel­ten­de „Un­ter­neh­mer­ri­si­ko“ auf die „Frei­heit des Ein­zel­nen“ nämlich der Lohn­abhängi­gen ab­gewälzt. Wenn die Ar­beit ge­ra­de mal nicht so dick ist, wer­den Ar­bei­ter und An­ge­stell­te nach Hau­se oder in Ur­laub ge­schickt. Ar­beits­zei­ten, für die der Ka­pi­ta­list nor­mal Lohn zah­len müsste, wer­den jetzt aus dem Kon­to der Be­leg­schaft ge­zahlt. Was früher als be­zahl­te Ar­beits­zeit ab­ge­rech­net wur­de – Arzt­be­su­che u.a.m. –, wird seit Jah­ren viel­fach als Frei­zeit­vergnügen der Beschäftig­ten be­han­delt. Wofür hast du denn ein Zeit­kon­to? Heißt das, dar­auf wer­den auch alle Ãœber­stun­den ge­scho­ben? Ãœber Zu­schläge für den zusätz­li­chen Ver­sch­leiß an Ar­beits­kraft wird in den meis­ten Fällen schon gar nicht mehr ge­spro­chen. Es wird ja aus­ge­gli­chen und da­mit sind es kei­ne Ãœber­stun­den mehr. Da­von ab­ge­se­hen ver­fal­len in vie­len Be­trie­ben mit Ar­beits­zeit­kon­ten Tei­le der an­ge­sam­mel­ten Zeit­gut­ha­ben. Sie wer­den ein­fach ge­stri­chen, weil sie die fürs Kon­to fest­ge­leg­te Höchst­stun­den­zahl über­schrei­ten oder über­schrit­ten ha­ben. Bei ei­ner Be­fra­gung von 3.000 Be­triebsräten hat der IGM-Vor­stand fest­ge­stellt: „In den Be­trie­ben­e­xis­tie­ren ge­genwärtig zahl­rei­che un­ter­schied­li­che­Ar­beits­zeit­re­ge­lun­gen. Zum Ein­satz kom­men eine Viel­zahl ver­schie­de­ner Zeit-, Gleit­zeit-, Lang­zeit-, Mehr­ar­beits- oder Frei­schicht­kon­ten – zu­meist ohne eine ge­setz­li­che oder ta­rif­li­che Grund­la­ge.“ (Me­tall „di­rekt“ 1/​2017)

Wie schon an­ge­merkt, bleibt hier­bei nicht aus, dass sich das Ka­pi­tal die­sen ein­mal in den Be­trie­ben durch­ge­setz­ten „ge­setz­lo­sen Zu­stand“ als nor­mal le­ga­li­siert un­ter die Nägel reißen will.
„Wir wis­sen es noch nicht präzise und ge­nau“, hat Nah­les Ende No­vem­ber 2016 bei der Weißbuch­vor­stel­lung in Ber­lin dazu fest­ge­stellt. „Wir müssen es in der be­trieb­li­chen Wirk­lich­kei­ter­pro­ben. Wir müssen ge­mein­sam ler­nen: Un­ter­neh­men, Beschäftig­te, Wis­sen­schaft und Po­li­tik.“

Was Frau Nah­les nicht weiß, das weiß Rai­ner Dul­ger, Präsi­dent vom Ka­pi­tal­ver­band Ge­samt­me­tall umso „präzi­ser und ge­nau­er“. Im Gespräch mit der Deut­schen Pres­se­agen­tur (dpa) in Ber­lin hat er Nah­les wie folgt ge­lobt und fest­ge­stellt, was beim „ge­mein­sa­men Ler­nen“ für die „Wahl­ar­beits­zeit“ in der „be­trieb­li­chen Wirk­lich­keit“ raus­kom­men muss: „Ich hal­tees für ei­nen mu­ti­gen Schritt von Frau Nah­les zu sa­gen, lasst das doch mal die Ta­rif­part­ner ma­chen“.
Nach sei­nen Vor­stel­lun­gen könnte da­bei ein Ge­setz „so aus­se­hen, dass eine ta­rif­li­che Öff­nungs­klau­sel vor­ge­se­hen und ge­sagt wird: Statt des Acht­stun­den­ta­ges gilt eine Wo­chen­ar­beits­zeit von x Stun­den.Wir müssen das fle­xi­bi­li­sie­ren. Der Acht­stun­den­tag kann nicht mehr so starr sein wie bis­her. Es muss ein­fach möglich sein, dass ein Mit­ar­bei­ter nach­mit­tags um vier heim­geht, das Kind aus der Kita ab­holt, abends um 21 Uhr ins Bett bringt und sich dann noch­mal zwei Stun­den an die Ar­beit setzt. Es geht dar­um, dass sie in be­stimm­ten Le­bens­pha­sen ein paar Jah­re 40 oder 42 Stun­den ar­bei­ten können“. (News 23.12.2016)

Die Antwort des DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann

Das Weißbuch set­ze die „rich­ti­gen Prio­ritäten“ hat er ge­genüber der Pres­se in Ber­lin erklärt. Da­bei lässt sich an der oben auf­ge­zeig­ten Ar­beits­zeit­ent­wick­lung leicht er­ken­nen, wer hier Prio­ritäten setzt. Beim „lasst das doch mal die Ta­rif­part­ner ma­chen“ sind die „Le­bens­pha­sen“, die der Ka­pi­tal­ver­bandspräsi­dent den Lohn­abhängi­gen ver­ord­nen will, für Mil­lio­nen längst jah­re­lan­ge be­trieb­li­che und ge­sell­schaft­li­che Wirk­lich­keit. Da­bei ist die Dif­fe­renz zwi­schen der für die west­li­chen Bun­desländer im Me­tall- und Elek­tro­be­reich so­wie in der Druck­in­dus­trie ta­rif­lich gel­ten­den 35-Stun­den-Wo­che im­mer­hin auf die Klei­nig­keit von 7 Stun­den an­ge­wach­sen. Und um 4,5 Stun­den im Verhält­nis zur eben­falls für die Westländer fest­ge­stell­ten, durch­schnitt­li­chen ta­rif­li­chen Ar­beits­zeit von 37,5 Stun­den (im Os­ten 38,7 Std., lt. WSI-Ta­rif­ar­chiv). Da bleibt es nicht aus, dass die Ka­pi­ta­lis­ten ver­su­chen, die­sen ein­mal er­reich­ten Zu­stand als Rechts­an­spruch für sich zu re­kla­mie­ren und über Ge­setz, Ta­rif­ver­trag, Be­triebs- o. a. Ver­ein­ba­run­gen le­ga­li­sie­ren und ab­si­chern wol­len.
Noch als Präsi­dent der Ka­pi­ta­lis­ten­ver­ei­ni­gung Südwest­me­tall hat der heu­ti­ge Ge­samt­me­tall-Vor­sit­zen­de Dul­ger die Lo­sung aus­ge­ge­ben, die Ta­rif­verträge ge­gen die Ge­werk­schaf­ten zu wen­den und sie mit ei­ge­nen For­de­run­gen an­zu­grei­fen. Die jet­zi­gen For­de­run­gen nach wei­te­rer Fle­xi­bi­li­sie­rung und der da­mit ver­bun­de­ne An­grif­fe auf den Acht-Stun­den-Tag die­nen kei­nem an­de­ren Zweck. Da­mit sol­len vor al­lem die so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ge­werk­schaftsführer un­ter Druck ge­setzt und zu wei­te­ren Zu­geständ­nis­sen beim Ab­bau von Ar­bei­ter­schutz­rech­ten, fürs „Ar­bei­ten 4.0“, „Wahl­ar­beits­zeit­ge­setz“ u.a. ge­presst wer­den. Dem Ka­pi­tal geht es hier­bei heu­te nach wie vor um die Durch­set­zung der Zie­le, die der Fa­bri­kant Bor­sig 1924 for­mu­liert hat: Je­dem Be­trieb den Ta­rif­ver­trag und die Be­triebs­ver­ein­ba­rung, die das Pro­fit­ma­chen nicht be­hin­dern. (sie­he Kas­ten „Ar­beits­zei­ten zum Se­gen der Wirt­schaft)

Wir müssen end­lich un­se­re „Prio­ritäten set­zen“. Es geht nicht nur um un­se­re Le­bens­zeit, um un­se­re Ent­rech­tung. Seit Mo­na­ten kämp­fen die französi­schen Ar­bei­ter mit ih­ren Ge­werk­schaf­ten ge­gen den großen An­griff auf die 35-Stun­den-Wo­che, ge­gen ihre Ent­rech­tung. Wenn wir das „Ar­bei­ten 4.0“ und die Eil­fer­tig­keit un­se­rer Ge­werk­schaftsführer dazu hin­neh­men, scha­den wir auch un­se­ren Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in Frank­reich. Und ver­wirk­li­chen so ei­nen großen Traum der Ka­pi­ta­lis­ten: „Eine Wo­chen­ar­beits­zeit von x Stun­den“.


Anhang:

In sei­ner In­for­ma­ti­ons­schrift RAT & TAT 249 schreibt der Ham­bur­ger Ar­beits­recht-An­walt Rolf Geff­ken zum „Weißbuch Ar­bei­ten 4.0“:

Arbeit 4.0 – Arbeitsrecht in Gefahr!

Aktuelle Bedrohung des Arbeitsrechts

„Die französi­schen Ge­werk­schaf­ten kämp­fen seit Mo­na­ten ge­gen die Zerstörung ar­beits­recht­li­cher Er­run­gen­schaf­ten. In Deutsch­land konn­ten in den letz­ten 30 Jah­ren zahl­rei­che Stan­dards des Ar­beits­rechts ohne je­den Wi­der­stand der Ge­werk­schaf­ten ab­ge­baut wer­den. Nun schrei­tet die Bun­des­re­gie­rung un­ter dem Stich­wort „Ar­beit 4.0“ of­fen­bar zu ei­nem auch ideo­lo­gisch be­glei­te­ten Ge­ne­ral­an­griff auf das Ar­beits­recht. Dies gibt Anlaß, über die bis­he­ri­gen An­grif­fe auf das Ar­beits­recht hier­zu­lan­de nach­zu­den­ken und zu fra­gen, ob und wenn ja wie sich die­ses Pro­jekt von an­de­ren Ak­ti­vitäten sol­cher Art un­ter­schei­det.

(Â…)

Als wäre all die­ses noch nicht ge­nug, hat die Bun­des­re­gie­rung nun in ih­rer In­itia­ti­ve Ar­beit 4.0 ei­nen ideo­lo­gi­schen Ge­ne­ral­an­griff auf das klas­si­sche Verständ­nis vom Ar­beits­recht als ei­nem Schutz­recht für Ar­beit­neh­mer ge­star­tet. Un­ter dem Vor­wand ei­ner an­geb­lich vier­ten in­dus­tri­el­len Re­vo­lu­ti­on („di­gi­ta­le Re­vo­lu­ti­on“) wird übe­r­all dort, wo es di­gi­ta­li­sier­te Ar­beitsplätze gibt, nicht nur das bis­he­ri­ge Ar­beits­rechts­sys­tem son­dern auch – so­weit noch vor­han­den – das bis­he­ri­ge Ar­beits­zeit­re­gime in Fra­ge ge­stellt. Zu­gleich wird die to­ta­le Verfügbar­keit des Ar­beit­neh­mers auch außer­halb sei­nes bis­he­ri­gen Ar­beits­plat­zes an­ge­strebt. Da­bei wer­den die in ei­ner sol­chen Verfügbar­keit lie­gen­den und längst be­kann­ten ge­sund­heit­li­chen Ge­fah­ren als an­geb­li­cher Vor­teil für die Beschäftig­ten an­ge­prie­sen („Ar­beits­zeit­sou­veränität“, „Selbst­be­stim­mung“ usw.). Tatsächlich for­dern die Ar­beit­ge­ber­verbände be­reits die sys­te­ma­ti­sche „De­re­gu­lie­rung der Ar­beits­welt“ und par­al­lel dazu preist das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les die von ihr an­ge­dach­te neue „Wahl­ar­beits­zeit“ als ei­nen an­geb­li­chen Fort­schritt. Ermöglicht wer­den soll dies durch Ände­run­gen des Ar­beits­zeit­ge­set­zes und – wie­der ein­mal – durch Ta­rif­verträge, die bis­her – noch – exis­tie­ren­de Stan­dards (wie z.B. Ru­he­pau­sen, Ru­he­zei­ten usw.) auflösen. Der vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof und von der EG-Richt­li­nie zur Ar­beits­zeit ver­lang­te Vor­rang des Ge­sund­heits­schut­zes im Ar­beits­zeit­recht wird zu­guns­ten an­geb­lich neu er­wor­be­ner in­di­vi­du­el­ler Frei­heit der Beschäftig­ten zur Dis­po­si­ti­on ge­stellt. Da­bei wird bewußt der zen­tra­le Ge­dan­ke des Ar­beits­rechts in Fra­ge ge­stellt, nämlich dass der Ar­beits­schutz auch und ge­ra­de nicht zur Dis­po­si­ti­on des ein­zel­nen Ar­beit­neh­mers steht. Das Ar­beits­recht be­steht nämlich auch und ge­ra­de zum Schut­ze des Ar­beit­neh­mers vor sich selbst, denn der „alte Ge­setz­ge­ber“ wußte noch, dass we­gen der Abhängig­keit des Beschäftig­ten im Lohn­ar­beits­verhält­nis sei­ne ver­meint­li­che „Frei­heit“ we­nig Be­deu­tung hat: Es gibt sie nicht. Hin­ter all den Wort­spie­len wie „In­dus­trie 4.0“, „Ar­beit 4.0“ usw. ver­birgt sich nur das Pro­jekt ei­ner noch größeren Verfügbar­keit und an die Bedürf­nis­se der Un­ter­neh­men an­ge­paßten Ein­setz­bar­keit mensch­li­cher Ar­beits­kraft.“

Arbeitszeiten zum Segen der Wirtschaft

1924 stell­te der Ma­schi­nen­bau- und Lo­ko­mo­ti­ven­fa­bri­kant Bor­sig (Bor­sig­wer­ke Ber­lin) in der Schrift „In­dus­trie und So­zi­al­po­li­tik“ im Auf­trag der Schwer­in­dus­trie fest: „Es ist falsch, den Ar­beit­ge­bern vor­zu­wer­fen, sie woll­ten den sche­ma­ti­schen 10-Stun­den-Tag einführen. Die Ver­ei­ni­gung der Deut­schen Ar­beit­ge­ber­verbände hat wie­der­holt dar­auf hin­ge­wie­sen, dass ein sche­ma­ti­scher Zehn­stun­den­tag eben­so falsch wäre, wie ein sche­ma­ti­scher Acht­stun­den­tag. Eine sche­ma­ti­sche Re­ge­lung der Ar­beits­zeit ist nicht zum Se­gen für die Wirt­schaft. Des­halb ver­lan­gen wir nichts wei­ter, als dass in den Ta­rif­verträgen oder Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen für je­den Be­trieb die­je­ni­ge Ar­beits­zeit zu­ge­las­sen wird, die nach den ge­ge­be­nen Verhält­nis­sen den höchs­ten Nutz­ef­fekt in der Pro­duk­ti­on gewähr­leis­tet.“

Und das ist die Antwort der IG-Metall-Führung:

Jahrelange Arbeitszeitkampagnen, Mitglieder, Betriebsräte und Belegschaftsbefragungen – statt Organisierung von Widerstand

Statt Ka­pi­tal und Re­gie­rung mit der For­de­rung nach längst fälli­ger Ar­beits­zeit­verkürzung, z. B. der Ver­an­ke­rung der 35-Stun­den-Wo­che als Ge­setz, an­zu­grei­fen, wer­den Mit­glie­der, Be­triebsräte und Be­leg­schaf­ten, so als ob das nicht längst be­kannt wäre, mit Fra­gen nach der Ar­beits­zeit im Be­trieb beschäftigt. Eine ent­spre­chen­de Kam­pa­gne hat der IGM-Vor­stand im Au­gust 2016 an­gekündigt. Dort heißt es: „Mit ih­rer Ar­beits­zeit­kam­pa­gne ‚Mein Le­ben Mei­ne Zeit: Ar­beit neu den­ken!‘ will die IG Me­tall Beschäftig­te un­terstützen, ihre Le­bens­pläne zu ver­wirk­li­chen und ihre Zeit für ei­ge­ne Bedürf­nis­se zu ha­ben. Das ist kein He­xen­werk, wie die Bei­spie­le aus den Be­trie­ben zei­gen.“

Über das „He­xen­werk“ in den Be­trie­ben ha­ben die Me­tal­le­rin­nen und Me­tal­ler zu­letzt beim IGM-Ge­werk­schafts­tag im Ok­to­ber 2015 in zahl­rei­chen Anträgen ausführ­lich be­rich­tet. Ab­ge­se­hen da­von gibt es zwi­schen­durch im­mer wie­der Be­rich­te in der me­tall­zei­tung, die von der IGM-Führung sel­ber veröffent­licht wer­den. Dazu gehören eben­so die Veröffent­li­chun­gen der Hans-Böck­ler-Stif­tung oder un­ter v. a. der DGB-In­dex Gute Ar­beit. Das hier­bei ver­mit­tel­te Wis­sen über das „He­xen­werk“ in den Be­trie­ben reicht der IGM-Führung ganz of­fen­sicht­lich nicht aus. So wur­de nach ei­ner be­reits 2013 durch­geführ­ten Mit­glie­der­be­fra­gung ab An­fang 2017 mit Hin­weis auf die o. e. Kam­pa­gne eine Neu­auf­la­ge, „Die Be­fra­gung 2017“, vom IGM-Vor­stand mit der Fra­ge ge­star­tet. „Sag uns, was Dich be­wegt: Über­stun­den, Schicht­pläne, Ver­ein­bar­keit – wo drückt der Schuh?“ Dar­auf konn­ten Mit­glie­der und Nicht­mit­glie­der bis zum 26. Fe­bru­ar ant­wor­ten. U.a., ob sie „auch in Zu­kunft ein Ar­beits­zeit­ge­setz“ wol­len „das der Ar­beits­zeit Gren­zen setzt“, wozu „auch das Recht auf Ab­schal­ten (Ru­he­zeit) gehört.“

Was die Lauf­zeit der Ar­beits­zeit­kam­pa­gne an­geht, hat IGM-Vor­sit­zen­der Hof­mann in ei­nem Gespräch mit der dpa erklärt, dass die IGM das „kom­ple­xe The­ma über Jah­re hin­weg be­ar­bei­ten und da­bei eine ganz neue Kul­tur schaf­fen“ will. Dafür hat er ei­nen lan­gen Atem, weit über die Ta­rif­run­de Ende 2017 an­gekündigt und fest­ge­stellt: „Es ist kein Kam­pa­gnen­pro­jekt für die nächs­ten 15 Mo­na­te und da­nach ist al­les ge­re­gelt, son­dern es ist eine lang dau­ern­de Fo­kus­sie­rung der IG Me­tall auf das The­ma. Da wird der nächs­te Ge­werk­schafts­tag 2019 ver­mut­lich erst­mal eine Zwi­schen­bi­lanz zie­hen können.“ (bei hei­se on­line 23.12.2016)

Bei die­ser Ankündi­gung können sich die Ka­pi­ta­lis­ten be­ru­higt schla­fen le­gen und ohne For­de­run­gen nach Ar­beits­zeit­verkürzun­gen befürch­ten zu müssen ihre Pläne fürs Pro­fit­ma­chen „neu den­ken“. Es sei denn, Be­triebsräte und Be­leg­schaf­ten nut­zen die Kam­pa­gne u. a. dafür, die vom IGM-Vor­stand an­ge­streb­te neue „Ar­beits­zeit­kul­tur“ mit ei­ge­nen For­de­run­gen nach Ar­beits­zeit­verkürzung zu be­rei­chern, ohne sich jah­re­lang dar­auf vertrösten zu las­sen. So­weit es hier­bei um ge­mein­sa­mes Ler­nen geht, müssen vor al­len Din­gen Be­triebsräte und Be­leg­schaf­ten, die Lohn­abhängi­gen, die Ar­bei­ter­klas­se wie­der ler­nen, was jah­re­lang in Ge­werk­schafts­se­mi­na­ren ge­lehrt und ge­lernt wur­de: Die In­ter­es­sen von Ar­beit und Ka­pi­tal ste­hen sich un­versöhn­lich ge­genüber. Dar­an ändert sich auch nichts durch das Ge­schwa­fel von So­zi­al­staat, So­zi­al­part­nern und So­zi­al­part­ner­schaft, das von den op­por­tu­nis­ti­schen so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Ge­werk­schaftsführern im­mer wie­der aufs Neue zur Hirn­ver­ne­be­lung ver­brei­tet wird.

- - -

Aus Kommunistische Arbeiterzeitung - KAZ #358, März 2017: Mit Weißbuch „Arbeiten 4.0“ gegen Arbeitsrecht und Arbeitszeit, KAZ-online.de

 
Creative Commons CC BY-NC-ND 4.0
Inhalt (Text, keine Bilder und Medien) als Creative Commons lizensiert (Namensnennung [Link] - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen), Verbreitung erwünscht. Weitere Infos.