Die bayerische Staatsregierung hat einen Entwurf zu einem sogenannten Integrationsgesetz vorgelegt. Es ist ein Entwurf, der nicht Gesetz werden darf. Der Gesetzentwurf ist ein Angriff auf uns alle.
Ginge es um das, was hierzulande in der Regel unter Integrationsförderung verstanden wird, dann bräuchte es dieses Gesetz nicht. Denn die wenigen Angebote, wie Sprachkurse, besondere Fördermaßnahmen zum Erlernen der Sprache in Schulen und Kindertagesstätten, die in diesem Gesetz benannt werden, gibt es bereits. Es gibt viel zu wenige Sprachkurse, doch daran würde sich durch dieses Gesetz nichts ändern. Denn dieser Gesetzentwurf sieht keinerlei einklagbare Rechte für Einwanderer vor. „Subjektive Rechte und klagbare Rechtspositionen“ werden ausdrücklich ausgeschlossen. Was in welchem Umfang bezahlt wird, erfolgt „nach Maßgabe des Staatshaushalts“ (Artikel 17 dieses Gesetzes1).
Worum es nicht geht: Uns allen das Leben zu erleichtern
Schon gar keine Rede ist in diesem Entwurf von Verpflichtungen des Staates oder der Kommunen, die das Leben von uns allen, die wir nicht über Reichtümer verfügen, erleichtern würden: Kein Schimmer einer Verpflichtung von Staat und Kommunen zum Bau ausreichender Sozialwohnungen, zur Einstellung zusätzlicher Lehrkräfte und von mehr Personal in Kindertagesstätten; keine Rede von der Sicherstellung einer umfassenden medizinischen Versorgung für alle oder vom Schutz vor Lohn-Dumping oder gar unbezahlter Arbeit auf sog. Praktikumsstellen. Um all das geht es in diesem Gesetz nicht.
Stattdessen: Sanktionen, Bußgelder und Einschränkung der Grundrechte
Stattdessen werden alle Einwanderer als Bedrohung für die bayerische Gesellschaft betrachtet, als Menschen, denen man erst einmal „Kultur“ beibringen muss, damit sie hier „im Rahmen ihres Gastrechts“ (Art. 1) leben dürfen. Menschen, denen man Sanktionen androhen muss, damit sie sich auch daran halten und deren Grundrechte man meint, einschränken zu dürfen. So lautet der vorletzte Artikel: „ Auf Grund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf Freiheit der Person, Versammlungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung und Eigentum … eingeschränkt werden.“ (Art. 18) Der Rechtsanspruch auf Asyl taucht in diesem Gesetz schon gar nicht mehr auf. Er wird zur Gnade, zum „Gastrecht“ umdefiniert.
Die Beherrschung der deutschen Sprache wird zur Sollvorschrift (Art. 4). Doch Kindern wird ihr Recht auf Bildung verwehrt, solange sie in Asylunterkünften leben müssen. Für sie soll die Schulpflicht nicht gelten (Art. 17a, Abs. 5). Wer einen Sprachkurs nicht „erwartbar“ bewältigt, wird nachträglich zur Erstattung der Kosten verpflichtet. Die Kosten für einen Dolmetscher, den die Behörden hinzuziehen, müssen selbst bezahlt werden (Art. 4).
Der Halb- und Vierteleinwanderer
Dabei geht es nicht nur um Flüchtlinge, sondern um alle „Ausländerinnen und Ausländer“, auch wenn sie schon seit Jahrzehnten hier leben, den Reichtum der Kapitalisten mehren und Steuern zahlen. Es nutzt auch nichts, wenn man bereits die deutsche Staatsbürgerschaft hat. Denn ist man „in besonderer Weise integrationsbedürftig“, außerhalb der BRD geboren und „nach 1955 zugewandert“ oder hat man „einen Eltern- oder Großelternteil, der diese Bedingungen … erfüllt“, so gelten die Regelungen dieses Gesetzes über die Integrationsförderung ebenfalls (Art. 3). Wir gehen davon aus, dass die bayerische Staatsregierung die Geschichte kennt. Dass sie weiß, dass während des Faschismus deutsche Staatsbürger nachweisen mussten, dass sie keine Juden sind und auch kein Eltern- oder Großelternteil Jude war. Und doch soll es wieder deutsche Staatsbürger geben, die keine richtigen deutschen Staatsbürger sind, weil sie entweder Halb-, Viertel- oder Achteleinwanderer sind.
Gestrichen: Grundrechte auf Wahl des Wohnortes und die Unverletzlichkeit der Wohnung
Selbst anerkannten Asylberechtigten soll der Wohnort vorgeschrieben werden können (Art. 11). Bei jeder einzelnen, öffentlich geförderten Wohnung soll das Innenministerium das Recht erhalten, darüber zu bestimmen, wer diese Wohnung erhält, um „einseitige Bewohnerstrukturen“ zu verhindern (Art. 17a, Abs. 7). Eine Klage dagegen kann man sich sparen, denn sie hat keine aufschiebende Wirkung – die Wohnung ist weg. An die einseitige Bewohnerstruktur des Bonzenviertels Grünwald ist dabei aber wohl nicht gedacht. Darüber hinaus werden Sicherheitskräfte ermächtigt, ohne richterlichen Beschluss und ohne Gefahr im Verzug in Asylbewerberunterkünften jederzeit Personenkontrollen durchzuführen oder Wohnungen zu durchsuchen (Änderungen des Polizeiaufgabengesetzes nach Art. 17 a dieses Entwurfs).
Willkür statt Recht
[file-ebooks#135]Auch wer keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat, sondern durch „demonstrative Regelverstöße“ oder „Verunglimpfen“ auffällt oder durch „offenkundig rechtswidriges Verhalten“ erkennen lässt, dass ihm „die Rechts- und Werteordnung … unbekannt oder gleichgültig ist“ (Art. 13), soll durch die Sicherheitsbehörden verfolgt und zu einem „Grundkurs über die Werte der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ verpflichtet werden. Wer daran nicht teilnimmt oder aber dort seinen Unmut kundtut, wird mit einer Geldbuße bestraft. Das soll, wie in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf nachzulesen ist, ausdrücklich für uns alle gelten2. Doch was ist das für ein Verhalten, das nicht strafbar ist, aber trotzdem verfolgt werden soll? Wer bestimmt das? Die Polizei, der bei einer Demonstration wegen all der alltäglichen Einschränkungen des Demonstrationsrechtes erkennbar wütende Demonstranten gegenüber stehen? Der Sachbearbeiter eines Jobcenters, der wegen einer Hartz-IV-Kürzung samt der ganzen Hartz-Gesetze zum Teufel gewünscht wird? Hier wird der Willkür Tür und Tor geöffnet. Mit der viel beschworenen „freiheitlich demokratischen Grundordnung“ hat dies nichts mehr zu tun.
Der Zugang zu Schwimmbädern oder Bibliotheken kann bei „nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern“ von einer vorherigen Belehrung über die geltenden Vorschriften abhängig gemacht werden (Änderung der Gemeindeordnung nach Art. 17a). Da man nicht erkennt, ob jemand „freizügigkeitsberechtigt“ ist oder nicht, wird das dazu führen, dass die Angestellten bei ausländisch aussehenden Menschen erst einmal den Ausweis verlangen. Was ist das anderes als eine rassistische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft?
Es geht uns alle an!
Doch dieser Gesetzentwurf ist nicht nur rassistisch. Er sprengt insgesamt den Rahmen einer bürgerlich demokratischen Ordnung und ebnet den Weg hin zu einer faschistischen Gesinnungsschnüffelei. Denn er will zu einer bestimmten Haltung verpflichten, einer Haltung, die mit bayerischer „Leitkultur“ umschrieben wird. Nicht nur Einwanderer werden zur „unabdingbaren Achtung der Leitkultur verpflichtet“ (Art. 1), sondern auch Rundfunk und Medien sollen diese Leitkultur vermitteln (Art. 10). Erzieherinnen und Lehrkräfte werden verpflichtet, die Kinder in diesem Sinne zu erziehen und zu bilden. Wo bleibt da die Rundfunk- und Pressefreiheit? Wo die Meinungsfreiheit? Wo die Freiheit auf eine Weltanschauung, die nicht die der bayerischen Staatsregierung ist? Doch dem noch nicht genug. „Jeder Einzelne“, so ist in der Präambel dieses Gesetzentwurfes zu lesen, „ist … zur Loyalität gegenüber Volk und Verfassung, Staat und Gesetzen verpflichtet“. Wir sollen also gesetzlich dazu verpflichtet werden, diesem Staat und all seinen bestehenden und kommenden Gesetzen treu ergeben zu sein. Denn das heißt Loyalität. Dieser Gesetzentwurf ist ein Angriff auf uns alle. Verhindern wir, dass er Gesetz wird!
Anmerkungen: 1 Dieser Gesetzentwurf ist abrufbar unter: http://www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/02/160223_BayIntG_FassungMinisterrat.pdf 2 „Die Regelung ist dabei - schon um nicht diskriminierend zu sein - nicht auf Ausländer oder Migranten beschränkt. Auch wer als Einheimischer durch entsprechendes Verhalten auffällt, kann daher zu einer entsprechenden Belehrung vorgeladen werden. Auch bei ihm besteht in diesem Falle ja im Zweifel Integrationsbedarf hinsichtlich der geltenden Rechts- und Werteordnung“.
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