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Derzeit geistert eine ganze Reihe von Debatten durch den deutschen Blätterwald: "Karikaturen-Streit", "der Iran und die Bombe", und so fort. Und konträr sind in dieser Frage auch die eingenommenen Positionen: vom Verständnis für beleidigte, unterdrückte Muslime und ihrem Interesse an nuklearer Forschung bis hin zur Furcht vor einem atomar bewaffneten Mullah-Staat und religiös-intoleranter Meinungsdiktatur, die harmlose Comiczeichner mit einer Fatwa belegt und Kopfgelder aussetzt.

Natürlich geht es nicht wirklich um 12 Comicbilder; das dämmert mittlerweile auch dem Dümmsten. Und die iranische Frage, also das für und wider der atomaren Forschung mit Waffenoption, geht in ihrer ganzen Dimension viel weiter - das ausländische Interesse an den Vorgängen (im Kontrast zum auffälligen Desinteresse an vielen anderen, nicht minder wichtigen Dingen) beweist die Relevanz für die Weltpolitik.

Zu zwei zu differenzierenden Fragen möchte ich kurz einige Randnotizen loswerden, nämlich...
- zu imperialistischen Zugriffsinteressen auf der einen Seite und
- den Vorgängen in den nahöstlichen Ländern selbst auf der Anderen,
...nicht ohne mir der zwangsläufigen Unzulänglichkeit dieses kurzen Abrisses von nicht immer voll zu durchschauenden Vorgängen bewußt zu sein.

I. deutsche Imperialistische Interessen im Nahen Osten

Der Iran ist ein reiches - und ein sehr armes Land. Reich an Öl und reich an Möglichkeiten; Arm hingegen ist nach wie vor ein Großteil der Bevölkerung. Der Rohstoffreichtum ist eine große Chance für das Land, aber auch eine große Bürde: denn wo es viel zu holen gibt, sind die Geier nie fern. Über dem Iran kreisen sie schon lange; hin und wieder kommt einer zum Zuge. Der deutsche Geier schwingt sich zu einer größeren Attacke auf.
Der deutsche Imperialismus leidet Zeit seiner Geschichte am Mangel an Zugriff auf ölreiche Gebiete: bis nach Stalingrad wurden die Armeen getrieben, um diesem Mißstand abzuhelfen; in zwei Weltkriegen erfolglos und mit dramatischsten Konsequenzen. Mag die militärische Option Deutschlands auch für 40 Jahre gebrochen gewesen sein - nach Wiedervereinigung, Konsolidierung des europäischen Machtraumes und wiedererwachter Interessen in der Welt ist die Schonzeit endgültig Teil der Geschichte.
In einer mehr oder weniger abgesteckten, in Interessensphären eingeteilten Welt kann die neue Gloria nur auf Kosten anderer, bereits positionierter Konkurrenten gehen. Im Nahen Osten sind dies insb. die USA.

Was die deutschen imperialistischen Interessen im Nahen Osten angeht, kann ich mir derzeit kein abschließendes Bild erlauben; zu undurchsichtig sind m.E. die Monopolgruppierungen insb. in der BRD derzeit. Wir haben den stärker werden deutschen Imperialismus, der nach Öl und strategischen Positionen giert - und sich dabei in einem derzeitigen (brüchigen, aber vorhandenen) Kräftegleichgewicht nicht eindeutig festlegen kann.
Die knappen Wahlergebnisse, die Vorgänge in CDU-CSU (Merkel als Kompromißkandidatin, weil sich keine Monopolgruppe eindeutig durchsetzen konnte) sowie die latent zutage getretene Brüchigkeit der deutsch-französischen wie der deutsch-russischen "Achse" sowie das Lavieren zwischen BRD-dominierter EU-Option und stärkerer US-Anlehnung beweisen, wie knapp die Bruchlinien durch die deutsche Bourgeoisie verlaufen.

Die Interessen am ölreichen und strategisch wichtigen Nahen Osten sind dabei nichts Neues; die arabische Fixierung des dt. Imperialismus bilden seit dem Kaiserreich ("Deutschland - Freund aller Muslime", so Kaiser Wilhelm Zwo) eine historische Konstante (Stichwort "Bagdad-Bahn") mit immer wieder ähnlichen Versuchen, dort Einfluß und Dominanz zu erringen. Der derzeitige Hauptgegner heißt heute allerdings nicht mehr Großbritannien oder Frankreich, sondern USA - der potentielle Verbündete in der Aufteilung der Interessensphären allerdings auch. Und dazwischen bewegt es sich, im Groben gesprochen: Front gegen die USA (mit verschiedenen Verbündeten, Frankreich und/oder Rußland) oder Allianz mit den USA, um im Nahen Osten mitreden zu können. Verschiedene Monopolgruppen haben in dieser Frage verschiedene Interessen, die sich allerdings auch sehr schnell wieder ändern können.

Man kann die Absetzung der (ansonsten imperialistisch gesehenen durchaus erfolgreichen) Rot-Grünen Regierung als eine Umgewichtung in dieser Frage sehen. Entschieden ist dies m.E. allerdings noch nicht - die Brüche in der dt. Bourgeoisie verlaufen zu sehr in Richtung einer Patt-Situation. Insofern ist es durchaus erklärlich, dass einerseits aus allen politischen Lagern der BRD Stimmen nach a) militärischer Forcierung und b) stärkerem politisch-administrativen Vorgehen laut werden und andererseits mit der französischen nuklearen Option gespielt wird, nicht ohne sie gleichzeitig auch demonstrativ zu verwerfen.

Es wird marschiert werden. Mit welchen Methoden, welchen Gegnern und welchen Verbündeten, ist noch lange nicht entschieden.

II. die Lage im Nahen Osten

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Paradigmatisch für die heutigen Geschehnisse sind im Übrigen die Ereignisse des Umsturzes im Iran 1979:

Das persische Schach-Regime wurde durch ein islamistisches Regime ersetzt. Begleitet wurde dieser revolutionäre Züge tragende Vorgang durch breite Hoffungen (auch der marxistischen) Linken (in der BRD maßgeblich kanalisiert durch Bahman Nirumands Buch "Persien - Modell eines Entwicklungslandes"); der durchweg rückwärtsgewandte, reaktionäre Charakter des neuen Regimes trat jedoch alsbald offen zutage. Die am Umsturz beteiligte kommunistische Tudeh-Partei wurde noch grausamer und brutaler verfolgt als unter dem Schach; Frauen verloren alle marginalen Rechte; reaktionär-religiöse Fanatiker übernahmen das Szepter.

Bemerkenswert und von Relevanz für die heutigen Vorgänge ist dabei zweierlei:

1) Trotz teilweise blinder Unterstützung und Idealisierung des islamistischen Umsturzes dachten die Islamisten nicht eine Minute daran, kommunistische, sekuläre und linke Gruppen oder Interessen gelten zu lassen, die am Umsturz maßgeblich beteiligt waren. Die Unterdrückung unter dem klerikal-feudalen System des heutigen Iran steht der Unterdrückung durch das halbkolonialisierte, sekuläre Schach-Regime in nichts nach.

2) Der antiimperialistisch gewandete Umsturz, der schnell durch islamistische Kräfte dominiert werden konnte, hat den Iran weder modernisiert noch vor dem Zugriff neokolonialer Interessen befreit. Zurückgedrängt wurde für einige Zeit der US-Einfluß; über indirekte Kanäle haben die BRD und Frankreich profitiert. Im Iran gibt es, freilich gut kaschiert unter religiösen Deckmäntelchen, damals wie heute eine breite, noch spätfeudale Merkmale tragende ländlich-agrarische Gesellschaft sowie wenige kapitalisierte urbane Zentren. Weder der westliche Einfluß, noch der Feudalismus, noch gar der Kapitalismus wurden überwunden.

Wir haben auf der einen Seite die islamistische Radikalisierung als unmittelbaren reaktionären Reflex auf die wachsende Kolonialisierung des arabisch-persischen Raumes. Über diese Schiene versuchen die rückständigsten Teile der nationalen Bourgeoisie; aber auch Teile der sog. "Kompradoren"-Bourgeoisie (also von imperialistischen Mächten abhängige oder profitierende Bourgeoisie) des Irans, des Iraks, und anderer Länder sowie Palästinas, die eine Befreiung von neokolonialen Zugriffen oder auch eine engere Anlehnung an andere imperialistische Nationen suchen, das Kräfteverhältnis zu ändern.
Und wir haben die Interessen der armen bäuerlichen Bevölkerung und des Proletariats dieser Länder, deren objektive Interessen sicher nicht in die Richtung eines klerikal-reaktionären Systems, unter dem sie auch der winzigsten Rechte zugunsten einer religiös verbrämten Ausbeutung feudalen Charakters vollauf beraubt würden, gehen.

Diese beiden Interessen sind streckenweise gleich, streckenweise verschieden. Streckenweise gleich, was die Befreiung von ausländischen Kolonialisationsversuchen angeht; verschieden, was die Richtung betrifft: Die arme bäuerliche Bevölkerung und das Proletariat kann nur ein - objektives - Interesse an der positiven Überwindung der derzeitigen Verhältnisse haben; die federführenden rückständigen Teile der nationalen und Kompradoren-Bourgeoisie hingegen suchen ihr Heil in einer historischen Rückwärtsentwicklung - und nutzen dafür, dank medialer, patriarchalischer, gesellschaftlicher und religiöser Macht, die Ressentiments und Rückständigkeiten der Bevölkerung gnadenlos aus.

Eine wesentliche Rolle in diesem Konflikt spielt dabei Israel - die einzige bürgerlich-demokratische Insel in einem Meer spätfeudaler Staaten. Israel dient als Zielscheibe all der antimodernen Reflexe in den nahöstlichen muslimischen Ländern und ist einer mehr oder weniger totalen Umklammerung ausgeliefert, deren erklärtes Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates ist. Und, selbstverständlich, verfolgt Israel eigene kapitalistische Interessen - und versucht sich zu schützen vor einer feindlich gesonnen Umwelt. Israel als kapitalistisches Land ist deswegen noch lange nicht imperialistisch, wie manch ein deutscher Linker sich dies denken mag. Über die Frage, ob eine Nation als imperialistisch zu bezeichnen ist oder nicht, entscheidet weder singulär die Besatzungspolitik gegenüber anderen Territorien noch der Charakter als kapitalistische Nation.
Israel ist die ständig präsente Drohung der bürgerlich-demokratischen Moderne im Nahen Osten. Und aus diesem Grunde haben es die arabischen "Brudernationen" in all ihrer "muslimischen Gastfreundschaft" auch nach 40 Jahren nicht geschafft, palestinensische Flüchtlinge, die immerhin des Arabischen kundig sind und obendrein mit ihren "Gastländern" die gleiche Religion und Kultur teilen, in ihre Gesellschaften zu integrieren. Aufgehetzte, mittellose Flüchtlingsheere in Zeltlagern nutzen den patriarchal-halbfeudalen Anführern der arabischen Staaten mehr als vollintegrierte arabische "Brüder", die sich in ihrer neuen Heimat arrangiert haben und kein Interesse mehr an der Vernichtung Israels zeigen.

III. Schlußfolgerungen - auch für die deutsche Linke

Und augenfällig ist noch etwas, was die heutigen Geschehnisse rund um die Iran-Debatte sowie die Nahost-Debatte angeht: die Parallele der unkritischen Verbrüderung von Teilen der deutschen Linken mit islamistisch-reaktionären Kräften. Wie erstens jede ernstzunehmende marxistische Analyse und zweitens der Blick in die jüngere und jüngste Geschichte des nahen Ostens beweist, lässt man sich hier auf mehr als zweifelhafte "Verbündete" ein.
Warum gerade zu diesen reaktionären Kräften eine derartige Affinität in der sonst so kritischen Linken existiert, kann ich mir persönlich nur aus 1) mangelnder klassenanalytischen Kompetenz, 2) antiamerikanischen Reflexen - und, man wagt es kaum zu schreiben - 3) latentem strukturellem Antisemitismus erklären. Denn gegen die US-Dominanz im nahöstlichen Raum richteen sich schließlich die Interessen von Teilen der nationalen und Kompradoren-Bourgeosie der betroffenen Länder; im islamistischen Antisemitismus findet sich so manche verkorkste "Kapitalismus-Kritik" von Teilen der deutschen Linken gut aufgehoben.

Eine gefährliche Mischung, die vor allem eine symbolhafte Revolutionsromantik und Phantastereien von "antiimperialistischem Kampf" von Teilen der deutschen Linken sowie indirekt die Versuche interessierter Kreise, die reaktionäre Rolle rückwärts als "revolutionär" an das eigene Volk zu verkaufen, unterstützt und gleichzeitig der eigenen dt. Bourgeoisie Schützenhilfe in der Verbrämung ihrer imperialistischen Interessen angedeihen lässt.
Außen vor bleibt die arme bäuerliche und proletarische Bevölkerung der nahöstlichen Länder und ihre objektives Interesse an einer Zukunft jenseits von imperialistischer Dominanz und religiösem Eiferertum.

Wie weit soll, darf man sich einlassen auf Unterstützung des "irakischen Widerstandes", der "iranischen Interessen", und so weiter? Welche Verbündeten soll man dabei erwählen und unterstützen?
Es ist eine klassische Frage, auf die es eine klassische Antwort gibt: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
Wirklich helfen kann den nahöstlichen Ländern kein islamistisch-reaktionär verbrämter "Widerstand" - er führt in neue Unterdrückung, durch andere Teile der eigenen Bourgeoisie und durch andere imperialistische Länder.
Helfen kann hingegen nur ein Bündnis aus bäuerlicher und proletarischer sowie den fortschrittlichsten, sekulären Teilen der nationalen Bourgeoisie, um zunächst einmal die feudalen Fesseln abzustreifen. Und die beste Unterstützung kann die Linke in den imperialistischen Zentren - also auch und gerade in der BRD - durch Bekämpfung der eigenen Monopolbourgeoisie geben, die immenses Interesse an weiterer Rückständigkeit und Unfreiheit der nahöstlichen Länder hat.

"10 Euro an den irakischen Widerstand", unkritisch verteilt an irgendwelche Mudschahiddins; unreflektierte Solidarität mit reaktionären Regimes; Gemeinmachung mit antisemitischen Zielen - diese zahnlose, wachsweiche Taktik nutzt vor allem der eigenen, imperialistischen Bourgeoisie und den reaktionären Fanatikern, die ihre eigene Bevölkerung in mittelalterlicher Unmündigkeit halten.
Kampf der kommunistischen und fortschrittlichen Linken in den imperialistischen Zentren gegen die eigene Monopolbourgeoisie; Unterstützung des Kampfes der unterjochten arbeitenden Bevölkerung im Bündnis mit fortschrittlichen Teilen der nationalen Bourgeoisie der nahöstlichen Länder gegen imperialistische Zugriffsversuche und reaktionäre Mullahs - das nützt der deutschen Arbeiterklasse und den Ländern des Nahen Ostens.




 
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