Ankündigung
Der »Unentdecktes Land« e.V. wird anlässlich des Jahrestags der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts am 9.1.2016 mit einem Infostand auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz und am 10.1.2016 mit einem Infostand an der Gedenkstätte der Sozialisten Friedrichsfelde präsent sein.1Marx beÂmerkÂte irÂgendÂwo, dass die LumÂpenÂbanÂde des LouÂis NaÂpoÂleÂon, die „GeÂsellÂschaft des 10. DeÂzemÂber”, die ihm nützÂliÂches Volk schauÂspieÂlerÂte und poÂliÂtiÂsche GegÂner vermöbelÂte, mit Schnaps und Wurst zuÂsamÂmenÂgeÂkitÂtet werÂden mussÂte. Marx hat verÂgesÂsen, hinÂzuÂzufügen, dass eine französiÂsche FarÂce imÂmer noch durch eine bunÂdesÂdeutÂsche GroÂtesÂke zu steiÂgern geht. Bund und Länder müssen nämlich auch, wie Marx es ausÂdrückte, „stets von neuÂem mit der Wurst werÂfen”: nach der „GeÂsellÂschaft des 3. OkÂtoÂber 1990”, die sie gern hätten und insÂbeÂsonÂdeÂre in BerÂlin doch nicht wirkÂlich und vor alÂlem nicht wiÂderÂspruchsÂlos zuÂsamÂmenÂgeÂtromÂmelt krieÂgen.
Doch mit dem alljährÂliÂchen GeÂblaÂse zum AufÂmarsch der AnÂneÂxioÂnisÂten, kaum verÂhohÂlen als BratÂwurstÂfest für biedÂre BürgersÂleut, hat sich die bunÂdesÂdeutÂsche StaatsÂmaÂschiÂne allmählich jene bunÂte ManövrierÂmasÂse zuÂrechtÂgeÂkitÂtet, die als „GeÂsellÂschaft des 3.OkÂtoÂber” leÂbenÂdig beÂweiÂsen soll, welch Pracht und EiÂerÂkuÂchen-EinÂtracht im LanÂde herrscht. Wie bemüht und kosÂtenÂinÂtenÂsiv und wiÂdersprüchlich auch imÂmer – sie lässt sich schon vorführen, moÂbiÂliÂsieÂren, abÂruÂfen mit KaÂserÂnenÂhof-PünktÂlichÂkeit, die gute StimÂmung, die es auch für die nächsÂte AnÂneÂxiÂon und den nächsÂten Krieg brauÂchen wird. Ein Nur-BratÂwurstÂfest kann es im ImÂpeÂriaÂlisÂmus auch gar nicht geÂben, und naÂmentÂlich die deutÂsche BratÂwurstÂstimÂmung ist weltÂbeÂkannt dafür, imÂmer nur der ankündiÂgenÂde ZipÂfel zu sein – vom FleischÂberg des WeltÂkriegsÂschlachÂtens.
Während nun eine SekÂtiÂon der „GeÂsellÂschaft des 3. OkÂtoÂber” durch die soÂgeÂnannÂten BunÂdesländer tourt und etwa dieÂses Jahr FrankÂfurt am Main mit ReÂgieÂrungsÂstafÂfaÂge und entÂspreÂchenÂden SonnÂtagsÂdroÂhunÂgen heimÂsuchÂte, lässt sich die BerÂliÂner SekÂtiÂon nicht lumÂpen, sich jeÂdes Jahr veÂriÂtaÂbel herÂzuÂzeiÂgen. Und man lässt es sich was kosÂten, gibt nebst UmÂtrunk eiÂnen KultürliÂchen aufs VolÂkesÂwohl aus. Udo LinÂdenÂberg etwa kosÂtet doch sonst 75 Eus die KarÂte! Und ist am 3. OkÂtoÂber für die schlanÂke GraÂtis-Null zu haÂben, die der ganÂze EinÂheits-BarÂdenÂhain wert ist, dem er anÂgehört?! Und auch sonst einÂfach noch mal BoÂckiÂBautÂzeÂBemÂmeÂBierÂchen in die letzÂten SomÂmerÂsonÂnenÂstrahÂlen zu heÂben, ist eine gute FaÂmiÂliÂenÂgeÂleÂgenÂheit – DeutschÂlandÂwimÂpel nu hin oder her.
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Das Transparent zum 3. Oktober 2015 auf dem Potsdamer Platz auf der Grenze zwischen Ost- und Westberlin – zwischen „DeutscheBahn-Tower” (mittig), dem nach dem Altnazi Otto Beisheim benannten „Beisheim Center” (die zwei Gebäude rechts), Polizeifahrzeugen und „Mauer”-Gedenksteinen recht eingequetscht |
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So finÂdet ein jeÂdes MenÂschenÂkind und kaum etwa nur der BilÂderÂbuchÂnaÂzi bessÂre oder mieÂseÂre Gründe, den 3. OkÂtoÂber doch „auf der Straße” zu feiÂern, die freiÂlich zum SchauÂfensÂter neuÂgÂroßdeutÂscher HerrÂlichÂkeit deÂkoÂriert ist: mit InÂfoständen solch verÂtrauÂensÂstifÂtenÂder BunÂdes- und LanÂdesÂbehörden wie BunÂdesÂwehr, PoÂliÂzeiÂen, BunÂdesÂtag, neuÂerÂdings soÂgar BunÂdesÂnachÂrichÂtenÂdienst per „Bürgernähen”-OfÂfenÂsiÂve.
Die manÂnigÂfalÂtiÂge PuÂbliÂkumsÂmasÂse dieÂses StaatsÂspekÂtaÂkels – kaum naÂzisÂtisch, aber doch kaum anÂtiÂfaÂschisÂtisch; vieÂle OsÂsis, aber auch vieÂle WesÂsis; vieÂle TouÂris, vieÂle WestÂdeutÂsche, vieÂle LumÂpen; irÂgendÂwie alÂles und nichts – galt es zu agiÂtieÂren, geÂgen den VolksÂgeÂmeinÂschaftsÂweihÂrauch weÂnigsÂtens siÂgnalÂweiÂse zerÂsetÂzend anÂzuÂblaÂsen, dem EinÂheitsÂduÂsel eiÂnen konÂzenÂtrierÂten WiÂderÂspruchsÂpunkt aufÂzunötiÂgen.
UnÂseÂre HauptÂloÂsung zum 3. OkÂtoÂber leisÂteÂte nicht mehr und nicht weÂniÂger als das. Sie erÂgibt sich aus dem KräfteÂverhältÂnis, dass die Kräfte für ein deÂziÂdierÂtes GeÂgen-VolksÂfest etwa zum 7. OkÂtoÂber, zur Gründung der DeutÂschen DeÂmoÂkraÂtiÂschen ReÂpuÂblik, noch nicht wieÂder genügend erÂstarkt sind, als dass eine DDR-BeÂflagÂgung und eine ofÂfenÂsiÂveÂre DDR-LoÂsung der finsÂteÂren ReaÂlität in beiÂden Ländern RechÂnung traÂgen könnte. In dieÂsem SinÂne ist es eine geÂsamtÂdeutÂsche LoÂsung, die soÂwohl OsÂsis als auch WesÂsis – alÂlerÂdings als OsÂsis und WesÂsis – vor der falÂschen EinÂheit warnt, in die sie der westÂdeutÂschen MoÂnoÂpolÂbourÂgeoiÂsie trotz manÂcher NörgeÂlei an dieÂsem und jeÂnem doch hinÂterÂherÂtauÂmeln.
Die AnÂmelÂdung eiÂner ganztägiÂgen KundÂgeÂbung am PaÂriÂser Platz (ostÂseiÂtig des BranÂdenÂburÂger Tors) mit GroßtransÂpaÂrent und InÂfoÂtaÂfeln wurÂde zwei WoÂchen vor dem 3.OkÂtoÂber von der PoÂliÂzeiÂdiÂrekÂtiÂon unÂter BeÂruÂfung auf eine „AllÂgeÂmeinÂverfügung”, die den Platz ab 14 Uhr für jegÂliÂche ÖffentÂlichÂkeit sperrÂte, auf „bis 14 Uhr” einÂgeÂschränkt. Die mündÂliÂche Begründung lauÂteÂte unÂter anÂdeÂrem daÂhin, dass die zu erÂwarÂtenÂden MasÂsenÂströme besÂser kaÂnaÂliÂsiert werÂden müssÂten als die letzÂten JahÂre, und dass die NotÂstandsÂfahrÂzeuÂge besÂser aufÂrolÂlen können, um die sich amüsieÂrenÂden FestÂtags-EinÂheits-DeutÂschen daÂvon abÂzuÂhalÂten, sich zu erÂschlaÂgen oder totÂzuÂsauÂfen oder beiÂdes (so hieß es sinnÂgemäß – nicht exÂpliÂzit, aber auch nichts AnÂdeÂres!). DieÂse „AllÂgeÂmeinÂverfügung” wurÂde beÂwusst erst 7 Tage vor dem 3.OkÂtoÂber veröffentÂlicht, um das EinÂleÂgen von RechtsÂmitÂteln geÂgen sie zu erÂschweÂren, während die PoÂliÂzeibüttel schon mal unÂter BeÂruÂfung auf sie hanÂdelÂten. Als wir erÂfuhÂren, was das AnÂschieÂben eiÂner VerÂfasÂsungsÂbeÂschwerÂde mit wirkÂsaÂmem AufÂschub geÂgen das VerÂsammÂlungsÂverÂbot kosÂten würde, nahÂmen wir daÂvon AbÂstand. Und als am MorÂgen des 3. OkÂtoÂber auch noch techÂniÂsche ProÂbleÂme hinÂzuÂkaÂmen, wiÂchen wir schließlich vollÂends auf den PotsÂdaÂmer Platz aus, der nur noch in mitÂtelÂbaÂrer Nähe zur übliÂchen DeutschÂlandÂfestÂmeiÂle (auf der „Straße des 17.Juni 1953” natürlich) liegt.
Das GroßtransÂpaÂrent war verÂseÂhen mit 9 InÂfoÂtaÂfeln „Aus der ChroÂnik des deutÂschen MiÂliÂtaÂrisÂmus nach 1989”, verÂziert mit 9 ÃœberÂsetÂzunÂgen der HauptÂloÂsung. DaÂneÂben bauÂten wir mit den BerÂliÂner GeÂwerkÂschafÂtern bei Secarts.org eiÂnen “BRD-PranÂger” bzw. eine “WestÂside GalÂleÂry”: drei TaÂfeln mit eiÂner SammÂlung von 250 reÂakÂtiÂonären ZiÂtaÂten aus 60 JahÂren bunÂdesÂdeutÂscher PoÂliÂtik, WisÂsenÂschaft und KulÂtur. Die ChroÂnik und eine ZiÂtatÂausÂwahl waÂren InÂfoÂbeiÂgaÂben zum AufÂrufÂtext, eiÂner FlugÂschrift, die im LauÂfe des 3.OkÂtoÂber von über 1000 LeuÂten von den InÂfoÂaufÂstelÂlern geÂnomÂmen wurÂde. Rund 150 ZiÂtatÂhefÂte wurÂden geÂgen SpenÂde ausÂgeÂgeÂben.
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Auch an den Zitatetafeln steht bis zum späten Abend regelmäßig Publikum – teils sehr geduldig lesend und mehrheitlich entsetzt und angewidert |
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Das TransÂpaÂrent war zweiÂfelÂlos trotz der geÂwisÂsen Enge des PotsÂdaÂmer PlatÂzes der weÂsentÂliÂche BlickÂfang der GeÂgend. ReÂgelmäßig bilÂdeÂten sich TrauÂben von PasÂsanÂten an den InÂfoÂtaÂfeln und der ZiÂtatÂsammÂlung. Von eiÂniÂgen sehr weÂniÂgen Pöblern abÂgeÂseÂhen nahÂmen die PasÂsanÂten die LoÂsung und das FakÂtenÂmaÂteÂriÂal nachÂdenkÂlich bis wohlÂwolÂlend auf, teils auf dem Weg zum oder vom DeutschÂlandÂfest “auch mal kriÂtiÂsche WorÂte anÂerÂkenÂnend”, teils anÂgeÂekelt von der außenÂpoÂliÂtiÂschen EntÂwickÂlung, zu eiÂnem kleiÂnen, aber merkÂliÂchen Teil auch aus eiÂner durch PeÂgiÂda und Co. vorÂgeÂbilÂdeÂten “BRD-KriÂtik”, die die BRD nur als “unÂsouÂveränen VaÂsall der USA” imaÂgiÂniert. VieÂle fragÂten zagÂhaft verÂwunÂdert bis naiv empört nach, ob wir denn zum Krieg aufÂrieÂfen oder zu den reÂakÂtiÂonären ZiÂtaÂten stünden, und zeigÂten sich erÂleichÂtert, wenn wir die kriÂtiÂsche NeÂgaÂtiÂvität des MaÂteÂriÂals erläuterÂten. VieÂle TouÂrisÂten und nicht weÂniÂge OsÂsis und WesÂsis dankÂten uns mit WorÂten und SpenÂden für das SetÂzen eiÂnes KonÂterÂpunkÂtes zu all der tieÂrisch paÂtrioÂtiÂschen SelbstÂherrÂlichÂkeit.
Auf dem PotsÂdaÂmer Platz war für den 3. OkÂtoÂber zunächst auch eine anÂtiÂrasÂsisÂtiÂsche KundÂgeÂbung anÂgekündigt geÂweÂsen, auf der der anÂtiÂfaÂschisÂtiÂsche SchutzÂwall mit dem heuÂtiÂgen imÂpeÂriaÂlisÂtiÂschen GrenzÂreÂgime via EU gleichÂgeÂstellt werÂden sollÂte. Eine kriÂtisch-soÂliÂdaÂriÂsche AusÂeinÂanÂderÂsetÂzung mit den DeÂmoÂkraÂten, die das deutÂsche GrenzÂreÂgime und AsylÂrecht bekämpÂfen und dafür beÂreit sind, in die Kostüme der verÂmeintÂlich freiÂheitsÂlieÂbenÂden MauÂerÂeinÂreißer von 1989 zu schlüpfen und soÂmit gleichÂsam die dopÂpelÂte Tragödie zur dopÂpelÂten FarÂce herÂunÂterÂzuÂspieÂlen, blieb an dem Tag dann aus, weil die KundÂgeÂbung kurzÂfrisÂtig abÂgeÂsagt wurÂde.
Dafür fand parÂalÂlel zu unÂseÂrer AkÂtiÂon eine AkÂtiÂon der GrupÂpe “OpÂfer der AgenÂda 2010” statt, die zwar auch durch ImiÂtaÂtiÂon der MauÂerÂopÂfer-KreuÂze mit unpräziÂsen VerÂgleichsÂbilÂdern opeÂrierÂte, im ÃœbriÂgen aber die staatÂliÂche VerÂelenÂdungsÂpoÂliÂtik durch die Hartz-GeÂsetÂze in all ihÂren braÂchiaÂlen FolÂgen für die BeÂtrofÂfeÂnen geißelte und auch mit eiÂner ZiÂtaÂteÂsammÂlung zu ArÂbeits- und ArÂbeitsÂloÂsenÂhetÂze aufÂwarÂteÂte. Es war eine gute sponÂtaÂne AkÂtiÂonsÂeinÂheit, in der wir eher die miÂlitärpoÂliÂtiÂschen FolÂgen und die FreunÂde von “OpÂfer der AgenÂda 2010” eher die soÂziÂalÂpoÂliÂtiÂschen FolÂgen der AnÂneÂxiÂon der DDR aufÂzeigÂten.
Durch das Abdrängen vom PaÂriÂser Platz auf den PotsÂdaÂmer Platz war es der Stadt BerÂlin geÂlunÂgen, ihr ImÂpeÂriaÂlisÂten-BierÂfest ziemÂlich zu paÂziÂfiÂzieÂren, aber vom RanÂde desÂselÂben her winkÂte ganztägig efÂfektÂvoll der WiÂderÂspruch zu eiÂner “deutÂschen EinÂheit” auf KosÂten und KnoÂchen erst der OsÂsis, dann der anÂdeÂren unÂterÂdrückÂten Völker und schließlich beÂkanntÂlich soÂgar der imÂpeÂriaÂlisÂtiÂschen KonÂkurÂrenÂten. Und der 3. OkÂtoÂber bleibt alÂler VorÂausÂsicht nach ein zenÂtraÂler unÂter den nicht weÂniÂgen TaÂgen, an deÂnen sich die neue deutsch-imÂpeÂriaÂlisÂtiÂsche GroßmannsÂsucht öffentÂlich beÂwursÂtet und beÂbiert und sonnt und sielt und brüstet und rüstet und – anÂgreifÂbar macht.
UnÂentÂdeckÂtes Land e.V.1 Bericht zur Aktion des Unentdecktes Land e.V. und der Berliner Gewerkschafter bei Secarts.org am 3.10.2015 in Berlin. Zu finden in: Kommunistische Arbeiterzeitung, Ausgabe 353 (www.kaz-online.de/artikel/diese-grenze-wurde-aufgehoben-damit-wir-gemeinsam-wieder-in-den-krieg-ziehen)