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BERLIN/WARSZAWA (29.03.2012) - Die quasistaatliche "Vertriebenen"-Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung" kündigt für den kommenden Monat ihren ersten öffentlichen Auftritt an. Am 27. April wird sie im Berliner "Deutschlandhaus" eine Sonderausstellung eröffnen; dort sollen "Objekte" gezeigt werden, "die an erzwungenen Heimatverlust erinnern". Aktuell rufen deutsche "Vertriebenen"-Verbände ihre Mitglieder auf, der Stiftung "Erinnerungsstücke" für die Ausstellung zu übergeben. Das Projekt bereitet die künftige Dauerausstellung vor, die - ganz wie die aktuell im Berliner Kronprinzenpalais gezeigte BdV-Präsentation "Heimatweh" - der "Vertreibung" nach dem Zweiten Weltkrieg einen prominenten Platz in der deutschen Erinnerungspolitik sichern soll. Unter Wissenschaftlern aus den östlichen Nachbarstaaten stößt das Vorhaben auf Kritik. Zwar habe sich die Stiftung offiziell "Versöhnung und Dialog" mit den von Nazideutschland überfallenen Ländern auf die Fahnen geschrieben; zugleich seien ihre Ziele aber längst festgelegt worden - entsprechend deutschen Vorstellungen, die von polnischen oder von tschechischen deutlich abwichen, erklärt der stellvertretende Direktor des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Dr. Robert Żurek, im Gespräch mit german-foreign-policy.com. Die politische Debatte in Berlin, die in die Stiftungsgründung mündete, hat revisionistischen Anschauungen neue Breitenwirkung verschafft, die in Ost- und Südosteuropa ernste Sorgen wecken. Beteiligt hat sich auch der neue Bundespräsident.

Erinnerungsstücke

Wie die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" mitteilt, wird sie vom 27. April bis zum 1. Juli im Berliner "Deutschlandhaus" eine erste öffentliche Ausstellung durchführen. Gezeigt werden sollen "Objekte" unterschiedlichster Art, "die an erzwungenen Heimatverlust erinnern". Man wolle "Flucht und Vertreibung der Deutschen sowie die gesamte Geschichte der Zwangsmigrationen in Europa im 20. Jahrhundert" beleuchten, teilt die Stiftung mit.1 In den deutschen "Vertriebenen"-Verbänden kursieren gegenwärtig Aufrufe, "Erinnerungsstücke" zur Verfügung zu stellen - so etwa Fotos von deutschen Flüchtlingstrecks oder Tagebücher, in denen die Umsiedlung geschildert wird. Die Ausstellungsankündigung bestätigt Befürchtungen, die schon lange geäußert werden - dass das Projekt einerseits die "Vertreibung" von ihren historischen Ursachen (deutscher Vernichtungskrieg, Shoah) trennt und sie kontextlos emotionalisiert, dass es andererseits die Umsiedlung mit anderen Vorgängen auch verbrecherischen Charakters (Vertreibungen in den Kriegen im Jugoslawien der 1990er Jahre) gleichsetzt. Kooperationspartnerin für die aktuelle Sonderausstellung ist die "Berlin Biennale", die dem Projekt zusätzliche Aufmerksamkeit verschafft.

Mitgliederschwund

Die politische Funktion der Stiftung, die vom staatlichen Deutschen Historischen Museum getragen wird, lässt sich unmittelbar aus ihrer Entstehungsgeschichte ableiten. Sie ist aus der Debatte um das "Zentrum gegen Vertreibungen" hervorgegangen, das der Bund der Vertriebenen (BdV) seit Ende der 1990er Jahre errichten wollte. Offiziell hieß es stets, man müsse den "Vertriebenen" endlich mit der Errichtung eines zentralen Mahnmals Genugtuung widerfahren lassen. Tatsächlich wurde das "Zentrum gegen Vertreibungen" zu einem Zeitpunkt gefordert, als einerseits neue Mahnmale in der deutschen Hauptstadt geplant wurden (so etwa das Denkmal für die ermordeten Juden Europas), als andererseits sich aber immer deutlicher abzeichnete, dass die "Vertriebenen"-Verbände wegen ihrer Überalterung einem dramatischen Mitgliederverlust entgegensahen. Tatsächlich behauptet der BdV, der noch Anfang 2010 angab, zwei Millionen Mitglieder zu haben, ihm gehörten immer noch rund 1,3 Millionen Menschen an; Medienrecherchen gehen jedoch von allenfalls 550.000 aus, und einige Beobachter halten selbst diese Zahl für deutlich überhöht.2 Hält zur Zeit der BdV revisionistische Rechtspositionen der Bundesrepublik etwa über das angebliche "Unrecht der Vertreibung" (german-foreign-policy.com berichtete3) in der öffentlichen Debatte, so ist dies bei dem zu erwartenden weiteren Mitgliederschwund des Verbandes nicht dauerhaft gewährleistet. Eine Erinnerungsstätte an zentraler Stelle in der deutschen Hauptstadt, wie sie mit dem "Zentrum gegen Vertreibungen" Ende der 1990er Jahre ins Gespräch kam - Revisions-PR -, könnte Abhilfe schaffen.

Bundespräsidenten

Die Debatte um das "Zentrum gegen Vertreibungen" hat revisionistischen Anschauungen eine neue Breitenwirkung verschafft - unter anderem mit Äußerungen prominenter Persönlichkeiten auch auf höchster staatlicher Ebene. Nicht nur der neue Bundespräsident hat sich damals einen Namen als Unterstützer des "Zentrums gegen Vertreibungen" gemacht (german-foreign-policy.com berichtete4). Auch einer seiner Amtsvorgänger äußerte sich exponiert zur Umsiedlung der Deutschen - mit Worten, die die verhängnisvolle Zustimmung Großbritanniens und Frankreichs zur Okkupation von Teilen der Tschechoslowakei durch das NS-Reich sowie die Potsdamer Umsiedlungsbeschlüsse mit den NS-Menschheitsverbrechen in eine Reihe stellten. Die Erkenntnis, dass NS-Deutschland sich "gesetzlose Brutalität" habe zuschulden kommen lassen, "zeichnet niemanden von der Verantwortung für eigenes Handeln frei", erklärte der Sozialdemokrat Johannes Rau bei einer Feier des BdV im September 2003 - "nicht die, die Hitler die Hand zum Münchener Abkommen reichten und nicht die Konferenzteilnehmer von Teheran, Jalta und Potsdam; nicht die, die in Mittel- und Osteuropa erst mit den Deutschen gemeinsam die Juden entrechteten, danach die Deutschen, und auch nicht jene, die schon im Exil jahrelang die Vertreibung planten. Hitlers verbrecherische Politik entlastet niemanden, der furchtbares Unrecht mit furchtbarem Unrecht beantwortet hat."5 Rau war zum Zeitpunkt dieser Äußerungen deutsches Staatsoberhaupt.

Geschichtsrevision

Die damalige Debatte hat Entwicklungen angestoßen, die mittlerweile in drei verschiedene Projekte gemündet sind. Das erste ist die Ausstellungstrilogie "Heimatweh", die die BdV-Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" letzte Woche in Berlin eröffnet hat - im Beisein der Bundeskanzlerin.6 Ein zweites Projekt ist das "Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität", das in Warschau seinen Sitz hat. Ursprünglich sollte es sich auf die Umsiedlungs-Thematik konzentrieren und die deutsche Sichtweise dazu europaweit verbreiten; dies ist der deutschen Seite jedoch nicht wirklich gelungen. Ein dritter Strang führte nach teils harten Auseinandersetzungen zur Gründung der quasistaatlichen "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung", die bereits mehrere handfeste Skandale hinter sich hat (german-foreign-policy.com berichtete7), nach einer Umbildung jetzt aber ruhigeres Fahrwasser erreicht zu haben scheint und für April ihre erste öffentliche Ausstellung ankündigt. Direktor der Stiftung ist nach wie vor der Geschichtswissenschaftler Manfred Kittel, über dessen Erstlingswerk aus dem Jahr 1993 eine bekannte Wochenzeitung urteilte, es handele sich um "ein neues Produkt jungkonservativer Geschichtsrevision" - der Autor hatte unter anderem die Auffassung vertreten, es rieche nach "falscher Volkspädagogik", wolle man nach der Shoah die "breite Masse des Volkes" in Sachen "Vergangenheitsbewältigung" in die Pflicht nehmen8. In Sachen "Vertreibung" gilt dies für Kittel offenbar nicht.

Staatsräson

In den östlichen Nachbarstaaten stoßen die Berliner Geschichtsprojekte, die letztlich einschlägigen Rechtspositionen der Bundesrepublik zum Thema Umsiedlung ("Unrecht der Vertreibung") eine massenwirksame Verbreitung sichern sollen, auf Skepsis und Kritik. Schon die Debatte gegen Ende der 1990er Jahre, aus der sich die Pläne für ein "Zentrum gegen Vertreibungen" entwickelten, habe in Polen wie "eine kalte Dusche" gewirkt, berichtet der stellvertretende Direktor des Zentrums für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Dr. Robert Żurek, im Gespräch mit german-foreign-policy.com. In Polen habe bereits zu Beginn der 1990er Jahre eine breite und "zum Teil sehr selbstkritische" Debatte über die Umsiedlung der Deutschen eingesetzt, die in der Bundesrepublik fast gar nicht wahrgenommen, dafür jedoch mit der Forderung quittiert worden sei, die Umsiedlung zum "Unrecht" zu erklären. Żurek weist darauf hin, dass in Polen bis heute die Befürchtung herrscht, in Deutschland gewinne ein Geschichtsbild Verbreitung, "das Täter und Opfer nivelliert" - eine, wie die Äußerungen des damaligen Bundespräsidenten Rau von 2003 zeigen, durchaus begründete Befürchtung. Auch die "Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung" ist demnach nicht geeignet, diese Sorgen zu zerstreuen: Sie schreibe sich "Versöhnung und Dialog auf die Fahnen", sei aber andererseits auf die deutsche Sichtweise zum Thema Umsiedlung festgelegt; diese "weicht aber nun einmal von der polnischen oder der tschechischen ab"9. Tatsächlich läuft auch die Arbeit der quasistaatlichen "Vertriebenen"-Stiftung darauf hinaus, die Umsiedlung zum "Unrecht" zu erklären - wie es die deutsche Staatsräson verlangt.


Anmerkungen:
1 Europa erinnert sich an Flucht, Vertreibung und Zwangsmigration. Erinnern sie mit! www.dhm.de/sfvv/
2 Erich Später: Massenflucht; konkret 3/2012
3 s. dazu Die Kanzlerin beim BdV
4 s. dazu Neben den Toten von Auschwitz
5 s. dazu "Furchtbares Unrecht"
6 s. dazu Neben den Toten von Auschwitz
7 s. dazu Eine Propagandaveranstaltung, Vertreibung aus dem Leben, Weichen für die Zukunft und Geschichte à la carte
8 Willi Jasper: Endlich wieder normal? Ein neues Produkt jungkonservativer Geschichtsrevision: Manfred Kittel über die angeblich geglückte "Vergangenheitsbewältigung" nach 1945; Die Zeit 40/1993
9 s. dazu Kein Dialog


 
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