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NAYPYIDAW/BERLIN (11.04.2011) - Nach den Wahlen in Myanmar schlagen westliche Regierungsberater eine neue Einflusspolitik in dem strategisch wichtigen Land vor. Mehrere Jahre lang hatte Berlin in Übereinstimmung mit den anderen westlichen Metropolen eine harte Konfrontationspolitik gegenüber Myanmar betrieben, um dort die prowestliche Opposition zu stärken. Die Wahlen vom November 2010 haben nun der "Union Solidarity and Development Association" (USDA) einen hohen Sieg gebracht. Die USDA wird als politischer Arm der bislang herrschenden Militärregierung eingeordnet. Westliche Think-Tanks, darunter die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und die International Crisis Group, plädieren nun dafür, Widersprüche in der herrschenden Schicht Myanmars auszunutzen und durch Spaltung der Eliten einen stärkeren westlichen Einfluss zu erreichen. Den Rahmen dafür soll eine Politik der Annäherung bilden. EU-Delegierte verhandeln zur Zeit über die Aufhebung der Sanktionen gegen Myanmar.

Ein "Fenster von Einflussmöglichkeiten"

Wie es in einer kürzlich erschienenen Myanmar-Analyse der International Crisis Group, eines einflussreichen westlichen Think-Tanks, heißt, sei es falsch, aus dem Wahlergebnis in Myanmar zu folgern, "dass sich nichts geändert hätte". Zwar habe die Wahl keinesfalls der fünfzigjährigen "Isolation und autoritären Militärherrschaft" den Boden entzogen. Dennoch müsse festgehalten werden, dass das herrschende Machtgefüge in einer gründlichen Umstrukturierung begriffen sei: "Mit der Machtübergabe des Generals Than Shwe an eine neue Generation von Führungspersönlichkeiten" ergebe sich "ein Fenster von Einflussmöglichkeiten" mit Blick auf die Zukunft des Landes.1 Eine neue Verfassung sei in Kraft, die "die politische Landschaft gründlich ändert, wenn auch in einer Art und Weise, die den ungebrochenen Einfluss des Militärs sicherstellt". Auch sei "eine Anzahl Technokraten" ins Kabinett gelangt, "und die lokalen ethnischen Gruppen haben wenigstens etwas Mitspracherecht in der Behandlung ihrer Angelegenheiten" erhalten.2 Die Einschätzung kann als Absage an die bisherige knallharte Konfrontationspolitik des Westens gegenüber Myanmar verstanden werden.

Morgenluft

Eine ähnliche Absage an die Konfrontationspolitik hatte bereits kurz vor der Wahl in Myanmar die deutsche Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erteilt. Sie urteilte damals, "nach wie vor" werde das "enorme ökonomische Potential dieses Landes größtenteils vergeudet und nicht systematisch ausgeschöpft". Um eine engere wirtschaftliche Anbindung Myanmars an die Interessensphäre Deutschlands zu erreichen, müsse die bisherige Sanktionspolitik geändert werden.3 Ergänzend schlug die SWP Pläne zur Spaltung der Eliten Myanmars vor (german-foreign-policy.com berichtete4). Man dürfe, schrieb der vom Bundeskanzleramt finanzierte Think-Tank, "das Regime in Birma nicht länger allein als einen monolithischen Block von Machthabern" wahrnehmen, "dem die unterdrückten Volksmassen gegenüberstehen". Vielmehr müssten Anstrengungen unternommen werden, um innerhalb der herrschenden Schicht "die wirtschaftlichen Akteure zu identifizieren, die ein vitales Interesse haben, innovative Entwicklungen anzustoßen, weil sie dadurch ein höheres Maß an Unabhängigkeit von den bestehenden Machtstrukturen erlangen". Diese Fraktionen der Militärregierung "sollten ohne weitere politische Konditionierungen als Partner europäischer Entwicklungspolitik gestärkt werden", schlug die SWP vor.

Hebel Entwicklungshilfe

Die Konzeptionen der International Crisis Group zum Umgang mit den neuen Herrschern Myanmars gehen von ähnlichen Ansätzen aus. "Westliche Mächte müssen mit einer großen Spannbreite von Maßnahmen robust an die neue Regierung von Myanmar herantreten und demonstrieren, dass sie bereit sind, ihren politischen Kurs zu korrigieren", heißt es in ihrer neuen Analyse. Dazu schlägt die International Crisis Group in erster Linie den ausgedehnten Einsatz von Entwicklungshilfe vor. "Merkbare Fortschritte" sollten "begleitet werden durch Lockerung der Restriktionen für Entwicklungshilfe", heißt es.5 Robert Templer, Asien-Programmdirektor der Organisation, warnt: "Wenn die neue Regierung zu der Einschätzung gelangen sollte, dass die 'Megaphon-Diplomatie' und Sanktionspolitik des Westens unverändert fortgesetzt wird, wird es für sie keinen Anreiz geben, einen Ausbau der Beziehungen zu wagen".6 In ähnlicher Weise hatte auch die SWP auf die politischen und ökonomischen Einflussmöglichkeiten der Entwicklungshilfe hingewiesen: "Die EU und andere internationale Akteure" könnten "wichtige Beiträge leisten", hieß es, "wenn sie ihre Unterstützung Birmas nicht länger von politischen Vorgaben abhängig machen, sondern nach dem Grundsatz agieren, dass wirtschaftliche Konsolidierung eine wesentliche Voraussetzung politischer Transformation sein kann".7

Westliche Widersprüche

Obwohl Analysten aus den USA und der BRD bezüglich eines "Wandels durch Annäherung" zu ähnlichen, verhalten optimistischen Schlussfolgerungen gelangen, scheint es unsicher, ob eine gemeinsame westliche Linie im Umgang mit dem isolierten südostasiatischen Land gefunden werden kann. Längst wird der Einfluss der Volksrepublik China auf das Land als so gewaltig eingeschätzt, dass eine westliche Myanmar-Politik ohne angemessene Berücksichtigung dieser Kräfteverhältnisse mehr und mehr verworfen wird. Die SWP schlägt vor, ergänzend zum Start einer Kooperation mit Teilen der Eliten Myanmars "auf politischer Ebene eine Abstimmung mit Beijing" vorzunehmen; "eine Verschlechterung der chinesisch-burmesischen Beziehungen" sei "nicht unbedingt wünschenswert". Damit würde der real erstarkte chinesische Einfluss faktisch anerkannt. Zugleich identifiziert die SWP nicht nur die Volksrepublik China als direkte Konkurrentin Deutschlands im Kampf um Einfluss in Myanmar, sondern auch die Vereinigten Staaten: "China und die USA sind potentielle Konkurrenten um regionalen Einfluss, aber auch um Ressourcen".8 Die bislang enge deutsche Kooperation mit den USA in Myanmar würde damit erkennbar zurückgestuft.

Zwei Optionen

Damit spitzen sich Überlegungen deutscher Geostrategen über die grundsätzliche Ausrichtung in der Myanmar-Politik auf zwei Optionen zu: Neben den traditionellen Kurs, die prowestliche Opposition gemeinsam mit den USA zu unterstützen und gegen die - wirtschaftlich eng mit der Volksrepublik China kooperierende - Regierung Myanmars konfrontativ in Stellung zu bringen, treten Vorschläge wie derjenige der SWP, die bestehende Regierung zunächst zu akzeptieren und mit einer Annäherung auf politischen Wandel hinzuwirken. Diese Strategie der begrenzten Einflussnahme auf die herrschende Schicht des Landes könnte nicht funktionieren, wenn nicht gleichzeitig der Einfluss Beijings anerkannt und akzeptiert würde. In der Konsequenz ist dabei eine Eskalation der deutsch-amerikanischen Interessenwidersprüche in Südostasien nicht ausgeschlossen.

Ein "freundschaftliches Telefongespräch"

Neben den Überlegungen, auf Wandel durch Annäherung zu setzen und dabei die Eliten Myanmars mit ökonomischen Anreizen zu spalten, bedient Berlin allerdings auch weiterhin die konfrontative prowestliche Opposition. In einem "freundschaftlichen Gespräch" mit der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die im November aus dem Hausarrest entlassen worden war und eine Aufhebung der westlichen Sanktionen gegen Myanmar ablehnt, erneuerte Bundeskanzlerin Merkel ihre Forderungen an die neue Regierung: "Gefordert werden insbesondere die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Einleitung eines nationalen Versöhnungsprozesses und die vollständige Anerkennung politischer Parteien, einschließlich der von Frau Aung San Suu Kyi geleiteten Partei 'National League for Democracy'".9 Damit bleibt der Druck auf die myanmarische Regierung zunächst erhalten, obwohl auch Bundeskanzlerin Merkel eine Annäherung nicht prinzipiell ausschließt: Sie erklärte, Berlin wolle in Zukunft auch "den myanmarischen Demokratisierungsprozess (...) unterstützen".


Anmerkungen:
1 International Crisis Group - new briefing: Myanmar's Post-Election Landscape, 07.03.2011
2 Myanmar's Post-Election Landscape; International Crisis Group 07.03.2011
3 Christine Schuster, Gerhard Will: Birma jenseits der Wahlen; SWP-Aktuell Oktober 2010
4 s. dazu Erfolglose Sanktionen
5, 6 International Crisis Group - new briefing: Myanmar's Post-Election Landscape, 07.03.2011
7, 8 Christine Schuster, Gerhard Will: Birma jenseits der Wahlen; SWP-Aktuell Oktober 2010
9 Bundeskanzlerin Merkel telefonierte mit der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 31.03.2011


 
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