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DAMASKUS/BERLIN (29.03.2011) - Trotz der Gewalteskalation in Syrien setzt Berlin ein Abkommen mit Damaskus zur Abschiebung unerwünschter Flüchtlinge nicht aus. Dies berichten Menschenrechtsorganisationen. Während die aktuellen Unruhen in Syrien Dutzende Todesopfer fordern, sitzen in Deutschland Menschen in Abschiebehaft und warten auf ihre Deportation in das Krisengebiet. In der Vergangenheit wurden aus der Bundesrepublik abgeschobene Personen, unter ihnen auch Minderjährige, in mehreren Fällen sofort nach der Ankunft in Syrien von den dortigen Repressionsbehörden inhaftiert. Mit den syrischen Repressionsbehörden arbeitet Berlin schon seit geraumer Zeit teilweise eng zusammen. Bekannt ist vor allem die Folterkooperation im Falle des Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar, der im November 2002 in Damaskus von deutschen Polizisten und Geheimdienstlern verhört wurde - in einem Foltergefängnis. Vorausgegangen war ein Ausbau der deutsch-syrischen Geheimdienstkooperation, der unter anderem dem Kampf gegen Migranten diente. Die Zusammenarbeit im Bereich der Repression findet ungeachtet der Tatsache statt, dass Syrien sich nach wie vor einer einseitigen Anbindung an den Westen verweigert und deshalb immer wieder im Kreuzfeuer westlicher Attacken steht.

Ins Gefängnis abgeschoben

Trotz der Gewalteskalation in Syrien setzt Berlin sein Abkommen mit Damaskus zur Abschiebung unerwünschter Flüchtlinge nicht aus. Bei den aktuellen Unruhen in Syrien sind in den vergangenen Tagen Dutzende Menschen zu Tode gekommen, vor allem durch staatliche Gewalt. Es könne nicht angehen, dass die Bundesregierung weiterhin Menschen in das Krisengebiet deportieren lasse, beschweren sich Menschenrechtsorganisationen, darunter der Flüchtlingsrat Niedersachsen. Der Flüchtlingsrat verweist - abgesehen von prinzipiellen Erwägungen - darauf, dass aus Deutschland zwangsweise nach Syrien verbrachte Flüchtlinge immer wieder inhaftiert und misshandelt werden. Zuletzt widerfuhr das einem 15-jährigen Jugendlichen, der nach seiner Ankunft in Damaskus mehr als vier Wochen in Incommunicadohaft verbringen musste.1 Von den 73 Personen, die zwischen dem Inkrafttreten des deutsch-syrischen "Rückübernahmeabkommens" am 3. Januar 20092 und Oktober 2010 nach Syrien abgeschoben wurden, wurden 14 - fast ein Fünftel - unmittelbar nach ihrer Ankunft in Syrien in Haft genommen und blieben dort bis zu dreieinhalb Monate. Dies bestätigt ausdrücklich die Bundesregierung.3

In Abschiebehaft

Von der Abschiebung nach Syrien sind, wie der Flüchtlingsrat Niedersachsen berichtet, derzeit gut 300 Flüchtlinge akut bedroht. Demnach wurden letztes Jahr deutschlandweit 897 Syrer sowie 314 Staatenlose oder Drittstaatsangehörige zur Abschiebung nach Syrien angemeldet. Die syrischen Behörden stellten für 321 Syrer sowie 49 Staatenlose oder Drittstaatsangehörige Passersatzpapiere aus; das ist die Voraussetzung für die Abschiebung. 65 Syrer sowie zwei Staatenlose wurden 2010 bereits abgeschoben; "daraus folgt", heißt es beim Flüchtlingsrat, "dass für bundesweit rund 300 Flüchtlinge aus Syrien" die "Abschiebung (...) jederzeit erfolgen kann".4 Wie der Flüchtlingsrat gegenüber dieser Redaktion bestätigt, wird zur Zeit mindestens ein Flüchtling aus Syrien sogar in Abschiebehaft gehalten, um jederzeit für seine "Rückführung" verfügbar zu sein. Auch ihm drohe in Syrien Haft; dazu genüge schon der Vorwurf, das "Ansehen Syriens im Ausland beschmutzt" zu haben - nach syrischem Recht eine Straftat, die bereits begangen haben kann, wer im Ausland einen Asylantrag gestellt hat.

Willkür und Folter

Über die Haftbedingungen und die staatliche Repression in Syrien ist in einem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu lesen: "Die Sicherheitsdienste des Landes sind weder parlamentarischen noch gerichtlichen Kontrollmechanismen unterworfen. Sie sind verantwortlich für willkürliche Verhaftungen, Folter und Isolationshaft. (...) Schon im normalen Polizeigewahrsam sind körperliche Misshandlungen an der Tagesordnung. Insbesondere bei Fällen mit politischem Bezug wird physische und psychische Gewalt in erheblichem Ausmaß eingesetzt. In den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste ist die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung noch größer. Hier haben weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang zu den Inhaftierten, deren Aufenthaltsort oft unbekannt ist."5 An Abschiebungen fühlt sich Berlin dadurch nicht gehindert.

Folterkooperation

Fundierte Kenntnisse über die syrische Repressionspraxis können dem Auswärtigen Amt mit Recht unterstellt werden - nicht nur, weil dem Berliner Außenministerium selbstverständlich die aktuellen Berichte von Menschenrechtsorganisationen zugänglich sind, sondern auch, weil Berlin zeitweise über beste Kontakte zu den syrischen Repressionsbehörden verfügte. Aufsehen erregt hat vor allem die Folterkooperation im Falle des Deutsch-Syrers Mohammed Haydar Zammar (german-foreign-policy.com berichtete6). Zammar war Ende 2001 in Marokko aufgegriffen und nach Damaskus verschleppt worden - im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Krieges. In Damaskus saß Zammar in einem berüchtigten Foltergefängnis ein und wurde dort von Polizisten und Geheimdienstlern aus Deutschland verhört. Der Fall ist eine von mehreren Folterkooperationen, die ihren Bezugspunkt in Syrien oder im damals noch syrisch dominierten Libanon hatten und das Bundeskriminalamt sowie den Bundesnachrichtendienst und den Verfassungsschutz einbezogen (german-foreign-policy.com berichtete7).

In vollem Bewusstsein

Dabei waren die Folterkooperationen Teil einer deutsch-syrischen Annäherung im Bereich der Repressionsapparate, die Anfang 2002 in die Wege geleitet wurde - mit dem Ziel, im sogenannten Anti-Terror-Krieg, aber auch beim Kampf gegen unerwünschte Migration zusammenzuarbeiten.8 Die Zusammenarbeit war selbst in den Regierungsbehörden nicht unumstritten. So berichtet Guido Steinberg, damals Referent für "Internationalen Terrorismus" im Bundeskanzleramt, mittlerweile Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), er habe vor einer Kooperation mit Syrien "wegen der dort praktizierten Menschenrechtsverletzungen gewarnt".9 Das Kanzleramt und sein Amtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) entschieden sich dennoch für die Zusammenarbeit mit den syrischen Repressionsbehörden - in vollem Bewusstsein über deren Praktiken. Dasselbe trifft auf das deutsch-syrische Abschiebeabkommen zu, das am 3. Januar 2009 in Kraft getreten ist: Die Abschiebebehörden sind sich über seine repressiven Folgen durchaus im Klaren. Deren Bedeutung tritt jedoch aus Berliner Sicht hinter den Nutzen für die deutsche Flüchtlingsabwehr zurück.

Kein Widerspruch

Die deutsch-syrische Repressionskooperation, die in den letzten Jahren etwas vermindert worden ist, steht der Tatsache nicht entgegen, dass trotz jüngster Annäherungen immer noch Spannungen zwischen dem Westen und Syrien bestehen - weil Damaskus sich einer einseitigen Unterordnung nach wie vor verweigert. Tatsächlich ist die Repressionskooperation der gemeinsame Nenner, den beide Seiten trotz sonstiger Differenzen teilen. Zudem reicht sie lange zurück - bis in die Frühzeit der Bundesrepublik, als einstige Wehrmachtssoldaten das syrische Militär aufzubauen halfen, um, ganz wie gleichzeitig in Ägypten10, in Kooperation mit den USA den Einfluss des Westens in den führenden arabischen Staaten zu sichern. Wie diese frühe Zusammenarbeit sich gestaltete, wie sie unterbrochen und schließlich wieder aufgenommen wurde, um bis heute fortzudauern, berichtet german-foreign-policy.com am Mittwoch.*


Anmerkungen:
1 Landesregierung verharmlost Terrorregime in Syrien im Interesse guter Geschäfte. Anuar Naso am Freitag nach Hasseke verlegt; www.nds-fluerat.org 28.02.2011
2 s. dazu Im Hungerstreik
3 Deutscher Bundestag Drucksache 17/3365, 22.10.2010
4 Massaker auch in Syrien - 300 Flüchtlinge akut von Abschiebung bedroht; www.nds-fluerat.org 25.03.2011
5 Landesregierung verharmlost Terrorregime in Syrien im Interesse guter Geschäfte. Anuar Naso am Freitag nach Hasseke verlegt; www.nds-fluerat.org 28.02.2011
6 s. dazu Oktober 2001 und Deutsch-syrischer Herbst
7 s. dazu Täuschen und lügen, Die Folterer und Und warten noch immer
8 s. dazu Deutsch-syrischer Herbst
9 Zeuge warnte vor Zusammenarbeit mit Syrien; heute im bundestag 13.12.2007
10 s. dazu Garant der Stabilität (I) und Garant der Stabilität (II)

Redaktioneller Hinweis:
* Artikel erscheint am Samstag, 2.4.2011 auf www.secarts.org. Die Red.


 
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