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Dossier: Hände weg von China! // Die VR China und die Einflußversuche des dt. Imperialismus
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BERLIN/BEIJING (20.01.2011) - Die rasch zunehmenden Investitionen Chinas in der EU rufen Widersprüche in Berlin und Brüssel hervor. Neben Stützkäufen von Staatsanleihen krisengeschüttelter europäischer Staaten durch Beijing treiben nun auch Unternehmen aus China ihre Wirtschaftsexpansion voran. Zuletzt kündigte zu Wochenbeginn die Großbank ICBC (Industrial and Commercial Bank of China) die Ausweitung ihrer Europageschäfte an. Der chinesische Kapitalexport stellt Berlin vor ein Dilemma: Zwar stärkt die Volksrepublik mit ihrer weiterhin boomenden Wirtschaft deutsch-europäische Exportunternehmen und darf daher nicht verprellt werden. Zugleich jedoch wirkt Beijing beispielsweise mit Stützkäufen griechischer Staatsanleihen der deutschen Dominanz in der EU entgegen und schafft damit Spielräume für zentrifugale Tendenzen, die der deutschen Politik diametral entgegenwirken. Berlin und Brüssel sind gespalten: Wirtschaftskreise drängen auf eine enge Kooperation mit Beijing, manche Politiker verlangen eine schärfere Konfrontation.

Chinas Auslandsinvestitionen

Die Stützkäufe und die Auslandsinvestitionen der Volksrepublik China ruhen auf einem überaus soliden Fundament - den enormen chinesischen Devisenreserven. Diese sind das Resultat hoher chinesischer Exportüberschüsse in den vergangenen Jahrzehnten; sie betragen derzeit mehr als 2,8 Billionen US-Dollar und sind überwiegend in US-Assets angelegt. Sie befinden sich in staatlicher Hand und können somit für politische Ziele strategisch eingesetzt werden. Die amerikanische Inflationspolitik droht sie nun schrittweise zu entwerten. Eine Umschichtung muss planvoll erfolgen, um den Export chinesischer Waren in die USA nicht zu gefährden. Neben verstärkten Ankäufen aus der Yen- und der Euro-Sphäre gehören vor allem Investitionen im Ausland zum chinesischen Diversifizierungsprogramm. Gegenüber einem Ranking auf Platz 12 der Kapitalexporteure im Jahr 2008 ist die Volksrepublik 2009 mit 56,5 Milliarden US-Dollar schon auf Platz fünf vorgerückt.1

Konzentrisches Wachstum

Mehr als 71 Prozent der chinesischen Investitionen gingen dabei nach Asien, 13 Prozent nach Lateinamerika. In der EU wurden immerhin rund 6,6 Prozent des Gesamtvolumens investiert, in den USA und Kanada lediglich 2,7 Prozent.2 Diese Zahlen spiegeln ungefähr die Dauer und Intensität des chinesischen Investments wider: Richteten sich die ersten Ansätze, chinesisches Kapital im Ausland zu investieren, auf Asien - zunächst auf Hongkong, Singapur und Taiwan -, erweiterte der chinesische Staat nach und nach seinen Investitionsradius. Neben den starken Aktivitäten in Lateinamerika zählt Afrika zu den bevorzugten Zielen, wobei der Kontinent mit insgesamt 2,6 Prozent der chinesischen Investitionen noch auf dem letzten Platz unter den Zielregionen rangiert. Dies ist allerdings dem geringen Industrialisierungs- und Kapitalisierungsgrad Afrikas geschuldet. Prinzipiell ist China dort längst zum Hauptrivalen des Westens geworden.3

Eintritt in die Metropolen

Zu den jüngsten Zielen chinesischer Aktivitäten gehören die hoch kapitalisierten und ökonomisch schlagkräftigen Volkswirtschaften der USA und der stärksten EU-Länder, die vor allem im eigenen Land verschuldet und damit vor außenpolitischem Druck weitgehend geschützt sind. Das chinesische Vorgehen erstreckt sich hier auf mehrere Etappen. Wurde zunächst in vielerlei europäische und US-amerikanische Firmen investiert, die in Krisen oder Notlagen geraten waren, setzen mittlerweile chinesische Firmen selbst zur Expansion in die Metropolen an. erst vor wenigen Tagen gab mit der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) die - nach der Bank of China (BoC) - zweite mehrheitlich in staatlichem Besitz befindliche chinesische Großbank bekannt, ihr Filialnetz in Europa ausbauen zu wollen. Nach den schon bestehenden Filialen in Moskau, Frankfurt, London und Luxemburg sollen fünf neue Niederlassungen in Amsterdam, Brüssel, Paris, Madrid und Mailand entstehen. Sitz der neuen ICBC Europe sei Luxemburg, teilte ICBC-Chef Jiang Jianqing mit.4 Wie es in der deutschen Wirtschaftspresse heißt, werde den Chinesen in den USA die Expansion noch politisch erschwert: Dort äußerten "die Behörden regelmäßig Bedenken", Chinas Banken seien "möglicherweise nicht in der Lage", ihre Institute "angemessen zu beaufsichtigen". Dies sei, heißt es weiter, "angesichts der Entwicklungen im amerikanischen Finanzsektor seit 2008 wohl eher ein Witz".5

Abwehrhaltung

Dabei formiert sich mittlerweile auch in der EU Widerstand gegen die "Ausverkaufspolitik". Der EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie, Antonio Tajani, fordert die Einrichtung einer EU-"Kommission für ausländische Investitionen", die zu überprüfen habe, ob "der Kauf (einer Firma) mit europäischem Know-How durch eine private oder öffentliche ausländische Firma eine Gefahr darstellt oder nicht".6 Über die Herkunft der ausländischen Firmen sagt der EU-Kommissar: "Chinesische Firmen hegen das Ansinnen, mehr und mehr europäische Unternehmen mit Schlüsseltechnologien in wichtigen Sektoren zu kaufen"; dahinter stecke "auch eine politische Strategie, auf die Europa politisch antworten sollte". Tajanis Kommissionskollege Karel De Gucht schlug bereits vor, die EU-Kommission solle selbst intervenieren, um politische Einflussnahme auf einzelne EU-Staaten durch die Volksrepublik China auszuschalten: "In Brüssel beobachtet die EU-Kommission schon ganz konkret, dass Peking Druck auf Mitgliedstaaten ausübt, damit sie gegen Strafzölle auf chinesische Dumpingware stimmen." Laut De Gucht habe die Kommission "mit Verwunderung (...) festgestellt, dass sich bestimmte Staaten systematisch auf die Seite der Chinesen schlagen".7

Keine gemeinsame Antwort

Angesichts der Krise in der EU ist ein abgestimmtes Vorgehen gegen die chinesische Wirtschaftsexpansion allerdings gegenwärtig kaum zu erreichen. Die drohende Zahlungsunfähigkeit mehrerer EU-Staaten verleiht den chinesischen Angeboten, massiv in Staatsanleihen dieser Länder zu investieren, erhebliche Anziehungskraft, zumal die europäischen Umschuldungsvorhaben mit drastischen politischen Eingriffen einhergehen. So tritt ein, was deutsche Politiker am meisten fürchten: Die Staaten der Europäischen Union drohen beim eigenständigen Buhlen um chinesisches Kapital auseinanderzudriften. In der deutschen Presse heißt es etwa, der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao habe "in Athen vor dem Parlament sprechen" dürfen und sei dort "reichlich mit Applaus bedacht" worden; in Rom habe Silvio Berlusconi Wen zu Ehren "das Kolosseum rot anstrahlen" lassen: "Alle wollen sie die solventen Investoren bei Laune halten."8 Auf diese Weise erzeugt der von Deutschland selbst etablierte innereuropäische Verschuldungsmechanismus (german-foreign-policy.com berichtete9) nun Risse in der Union: Chinas Investitionsoffensive stärkt zwar den Euro, unterminiert aber gleichzeitig tendenziell den deutschen Hegemonialanspruch in der EU.

Ein lukratives Angebot

Erschwert wird eine europäische "Gegenwehr" auch durch einen weiteren Umstand: Die Volksrepublik China tritt keineswegs nur als Kapitalexporteur auf, sondern rettet durch ihre weiterhin boomende Wirtschaftskraft ganze Zweige der europäischen Exportindustrie vor dem Bankrott. Parallel zu den Ankündigungen, massiv in EU-Staaten investieren zu wollen, stellte der chinesische Vize-Premier Li Keqiang Anfang Januar auf einer Reise durch Europa in Gesprächen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) eine stärkere Vernetzung der deutschen und chinesischen Wirtschaft in Aussicht - für die besonders exportabhängigen deutschen Konzerne wohl ein Angebot, das sie nicht ausschlagen können. China stört zwar auf lange Sicht die deutsche Europastrategie, darf aber kurzfristig nicht verprellt werden - ein Dilemma, das den deutschen EU-Kommissar Günther zu dramatischen Warnungen treibt: "China übernimmt die EU, und wir Europäer verkaufen unsere Seele."10


Anmerkungen:
1 Handelsministerium: China wird weltweit fünftgrößter Auslandsinvestor; german.china.org.cn 06.09.2010
2 China Annual Outbound Direct Investment; Ministry of Commerce, People's Republic of China
3 s. dazu Nicht China überlassen und Kampf um Rohstoffe (II)
4 Chinesische ICBC will Europas neue Hausbank werden; Das Handelsblatt 17.01.2011
5 Chinas Banken kommen nach Europa; WirtschaftsWoche 17.01.2011
6 EU industry chief voices need to block Chinese takeovers; www.euobserver.com 28.12.2010
7, 8 China nutzt die Euro-Krise; www.zeit.de 28.11.2010
9 s. dazu Die deutsche Transferunion
10 China nutzt die Euro-Krise; www.zeit.de 28.11.2010



 
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