Der Vortrag gab Anlass zu mehrfacher Freude: zum einen wegen der sehr berechtigten Frage nach den politischen Folgen der jetzigen Krise und der rückhaltlosen Anprangerung der bereits weit fortgeschrittenen Demontage der bürgerlich-demokratischen Verhältnisse, sodann ob der klaren Aussage über den Kapitalismus als dem Mutterboden des Faschismus, vor allem aber wegen der Persönlichkeit, die diesen Vortrag hielt: es hat schon einen extremen Seltenheitswert, derartiges von Leuten seiner, der Schauspieler-Zunft, zu hören und zu lesen. Allerdings vermag ich als Historiker nicht allen Aspekten der Sicht auf den Faschismus, die Rolf Becker vortrug, zuzustimmen.
Bündnispolitik gegen den FaschismusGedanken zum Vortrag von Rolf Becker auf der Ossietzky-Konferenz (3. Oktober 2008) So, wenn er meint, die Brechtsche Kennzeichnung des Faschismus als die richtigere der bekannten Aussage von Dimitroff entgegenstellen zu können oder zu müssen:
Anders als Georgi Dimitroff, der im gleichen Jahr 1935 erklärte, der Faschismus sei die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals, definierte Brecht den Faschismus als eine historische Phase, in die der Kapitalismus eingetreten ist, und er könne nur bekämpft werden als Kapitalismus, als nacktester, frechster, erdrückendster und betrügerischster Kapitalismus. ... Dass Brecht damit die Begründung der Volksfrontpolitik in Frage stellte, die auf Widersprüche im bürgerlichen Lager setzte, bedarf der Erörterung an anderer Stelle. Wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest hebt er die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.
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Rolf Becker unterstützt die Freilassung Mumia Abu-Jamals und hielt im Mai 2001 die Laudatio bei der Verleihung des Erich-Mühsam-Preises an den zum Tode verurteilten Kämpfer und Journalisten. Im September 2009 besuchte er Mumia Abu-Jamal in der Todeszelle. |
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Rolf Becker sieht den Unterschied in der Kennzeichnung des Faschismus bei Dimitroff und Brecht darin, dass Dimitroff den Faschismus als die Diktatur nur eines Teiles der Kapitalisten- Klasse definiert, Brecht dagegen im Faschismus die Herrschaftsform des Kapitalismus in einer neuen historischen Phase, in die er nunmehr eingetreten ist, sieht.
Brecht zieht daraus die Schlussfolgerung, dass der Faschismus nur als Kapitalismus bekämpft werden kann, also mit dem Ziel der Beseitigung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, d. h. des Sturzes des Kapitalismus.
Dimitroff dagegen stellt fest, dass für den Sturz des Faschismus die Kräfte, die den Kapitalismus überwinden wollen, also im Wesentlichen die Kommunisten und die linken Sozialdemokraten, alleine nicht ausreichen, sondern dass dies nur gelingen kann, wenn sich alle Gegner des Faschismus zusammenfinden und gemeinsam den Kampf gegen den gemeinsamen Feind Faschismus aufnehmen.
Das Vorbild dafür war die 1934 in Frankreich gebildete Volksfront, die den faschistischen Feuerkreuzlern eine vernichtende Niederlage beibrachte. Rolf Becker verweist darauf, dass Brecht ... die Begründung der Volksfrontpolitik in Frage stellte; er lässt dabei keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er die Position von Brecht für richtig, jene von Dimitroff für falsch hält. Das allerdings hat meine Freude über seinen Vortrag erheblich gemindert, denn ich musste mich fragen, ob Rolf Becker sich nicht sagen musste, dass, wer die Volksfrontpolitik ablehnt, erst recht die Anti-Hitlerkoalition der Sowjetunion mit den imperialistischen Großmächten USA und Great Britain ablehnen muss wie das ja der von ihm geschätzte August Thalheimer in der Tat auch getan hat.
Wie teuer aber hätten das die vom Faschismus unterdrückten Völker und die ganze Menschheit bezahlen müssen?!
Mir - als einem, der die endzwanziger und die dreißiger Jahre und die Auseinandersetzungen in der KPD und in ihrem Jugendverband um die richtige Linie im Kampf gegen den Faschismus als Jungkommunist miterlebt hat, - ist durch eine Formulierung gegen Ende des Vortrags von Rolf Becker aufgegangen, wo die Erklärung für seine - für mich zunächst unbegreifliche Ablehnung der Position Dimitroffs zu suchen ist. Dort findet sich ein Satz, der so beginnt:
Auch wenn das Kapital anders als 1933 nicht vor einem Entscheidungskampf mit seinem Proletariat steht ...
Der Faschismus als Vorbeugung gegen die proletarische Revolution?Rolf Becker meint also, 1933 habe der deutschen Bourgeoisie der Sturz durch die proletarische Revolution gedroht, und deshalb habe sie vorbeugend die faschistische Diktatur errichtet.
Er könnte sich dabei sogar auf Einschätzungen der KPD-Führung aus den Jahren 1930-1935 und auch auf das Referat von Georgi Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale (KI) stützen.
Je weiter sich die Krise verschärfte, je größere Massen der Werktätigen nach einem antikapitalistischen Ausweg aus der Krise suchten, desto mehr war die Führung der KPD und der Kommunistischen Internationale davon überzeugt, dass der Augenblick heranreifte, der es der KPD ermöglichen würde, diese Massen zum Sturmangriff auf den Kapitalismus zu führen. Daher hielt sie daran fest, dass das nächste Ziel ihres Kampfes Sowjetdeutschland, also die Erringung der Macht durch die Arbeiterklasse unter Führung der KPD, sein müsse.
Davon, dass die herrschende Klasse den Faschismus aus Furcht vor der Revolution an die Macht bringt, sprach auch Dimitroff in seinem Referat, als er ausführte:
Die imperialistischen Kreise ... suchen dem Anwachsen der Kräfte der Revolution durch Zerschlagung der revolutionären Bewegung der Arbeiter und Bauern und durch den militärischen Überfall auf die Sowjetunion, das Bollwerk des Weltproletariats, zuvorzukommen. Dazu brauchen sie den Faschismus.
Auch ich war damals fest davon überzeugt, dass Deutschland vor der Entscheidung: Sowjetdeutschland oder Faschismus stand, und dass der Faschismus die letzte Waffe der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution sei. Und wie die KPD und ihre Jugendorganisationen ich war damals Mitglied des Sozialistischen Schülerbundes (SSB), der kommunistischen Schülerorganisation, (nicht zu verwechseln mit der sozialdemokratischen Schülerorganisation SSG, der Sozialistischen Schülergemeinschaft), war ich voller Zuversicht, dass dieser Kampf mit der Errichtung Sowjetdeutschlands enden würde. Ich teilte also die Überschätzung der eigenen kommunistischen Kräfte, die damals in der Kommunistischen Internationale und ihren Parteien, besonders auch in der KPD, vorherrschte und zu sektiererischen Fehleinschätzungen, wie zur Sozialfaschismus-These in Bezug auf die Führung der Sozialdemokratie, führte. Die Fehleinschätzung des Klassenkräfteverhältnisses und ihre sektiererischen Folgen überdauerten den Machtantritt des deutschen Faschismus und konnten in den Jahren 1933 bis 1935 nur durch einen hartnäckigen Kampf innerhalb der KI und der KPD zurückgedrängt und schließlich auf dem VII. Weltkongress der KI und der Brüsseler Konferenz der KPD, beide 1935, überwunden werden.
Rolf Becker aber wiederholt mit seiner Formulierung, 1933 habe das Kapital in Deutschland vor einem Entscheidungskampf mit seinem Proletariat gestanden, die falsche Einschätzung des realen Kräfteverhältnisses 1932 durch die KPD.
Eine nüchterne Betrachtung der Wahlergebnisse von 1930 und 1932 macht indessen deutlich, dass das Kapital keinen Grund hatte, eine siegreiche proletarische Revolution zu fürchten, weil dafür die Voraussetzungen nicht gegeben waren.
Reichstagswahl | Sept. 1930 | Nov. 1932 |
Für den Faschismus (NSDAP und DNVP) | 8,8 Mill. | 14,7 Mill. |
Gegen den Faschismus (KPD,SPD, Zentrum, Dt.Dem.P.) | 19,5 Mill. | 18,8 Mill. |
Für Sowjetdeutschland (KPD) | 4,5 Mill. | 5,9 Mill. |
Gegen Sowjetdeutschland (Alle außer KPD) | rd. 30 Mill. | rd. 30 Mill. |
Nein, angesichts dieser Schwäche der revolutionären Kräfte und der Stärke der faschistischen Reserven der Monopolbourgeoisie zum Einsatz gegen sie konnte sie sich sogar einen Aufstandsversuch nur wünschen, würde er doch Gelegenheit geben zu einem vernichtenden Gegenschlag.
Was das Monopolkapital wirklich fürchtete, war etwas ganz anderes.
Bei den November-Reichstagswahlen 1932 hatte die NSDAP gegenüber den letzten Reichstagswahlen zuvor am 31. Juli 1932 nicht mehr zugenommen, sondern 2 Millionen Stimmen weniger erhalten und war von 13,7 Millionen auf 11,7 Millionen Stimmen, und von 230 Abgeordneten auf 196 zurückgefallen.
Es bestand also die Gefahr, dass, wenn es zu einer nochmaligen Reichstagsauflösung und zu nochmaligen Neuwahlen kommen würde, diese Tendenz sich fortsetzen könnte. Damit würde aber der strategische Plan der entscheidenden Kreise der Monopolbourgeoisie, das lange vergeblich angestrebte Ziel der Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und ihre Ersetzung durch ein vom Parlament unabhängiges Regime auf legale Weise mit einer parlamentarischen Mehrheit dank der Stimmen der NSDAP zu erreichen, hinfällig werden.
Deutsche Monopolbourgeoisie und FaschismusDie deutsche Monopolbourgeoisie hat seit der Novemberrevolution und der Unterzeichnung des Versailler Vertrages als Fernziel die Revanche für die Niederlage im Kriege an den Feindmächten und für die Revolution an der Weimarer Republik nie aus den Augen verloren. Der erste Versuch wurde schon 1920 mit dem Kapp-Putsch unternommen. Sein Scheitern durch den massenhaften bewaffneten Widerstand der Arbeiterschaft hat die Mehrheit der Entscheidungsträger der herrschenden Klasse zu dem Schluss gebracht, das erstrebte Ziel dürfe nicht mehr auf dem Wege eines gewaltsamen Putsches, sondern müsse auf legalem, parlamentarischen Wege zu erreichen gesucht werden. Dafür brauchte man aber eine Mehrheit im Parlament, und die versprach die Hitlerpartei zu beschaffen. Als nun im November 1932 die NSDAP statt weiterer Gewinne einen solch heftigen Stimmenverlust einfuhr, gerieten ihre monopolistischen Hintermänner in Panik.
Einer von ihnen war der Bankier Kurt Freiherr von Schröder. Bei seiner Vernehmung im Nürnberger IG-Farben Prozess gab er am 21. Juli 1947 für seine und seiner Komplizen Motive für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler folgende Erklärung ab:
Als die Lage in Deutschland sich unter Schleicher als Kanzler in den letzten Monaten des Jahres 1932 weiter verschlechterte, sahen Hitler und Papen ein, dass es vielleicht am günstigsten wäre, wenn sie zu einer Zusammenarbeit kommen könnten. Als ich Papen im Dezember sah, sagte er mir: Ich glaube, dass es jetzt vielleicht möglich wäre, eine Zusammenkunft herbeizuführen, um die strittigen Punkte aufzuklären. Wir müssen eine Möglichkeit zur Zusammenarbeit der Rechtsparteien finden
Dies ist die Vorgeschichte der Zusammenkunft Hitlers und Papens in meinem Hause. Am 4. Januar 1933 trafen Hitler, von Papen, Heß, Himmler und Keppler in meinem Hause in Köln ein. ...
Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde. Als die NSDAP am 6. November 1932 ihren ersten Rückschlag erlitt, und somit also ihren Höhepunkt überschritten hatte, wurde eine Unterstützung durch die deutsche Wirtschaft besonders dringend.
Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten einmal an der Macht eine beständige politische und wirtschaftliche Grundlage in Deutschland herstellen würden.
Ein weiteres gemeinsames Interesse war der Wunsch, Hitlers wirtschaftliches Programm in die Tat umzusetzen, wobei ein wesentlicher Punkt darin lag, dass die Wirtschaft sich selbst lenken sollte zur Lösung der von der politischen Führung gestellten Probleme. ... Weiterhin erwartete man, dass eine wirtschaftliche Konjunktur durch Vergeben von größeren Staatsaufträgen werden würde.
In diesem Zusammenhang sind zu erwähnen: eine von Hitler projektierte Erhöhung der deutschen Wehrmacht von 100.000 auf 300.000 Mann, das Bauen von Reichsautobahnen, ... Aufträge zur Verbesserung des Verkehrswesens, insbesondere der Reichsbahn, und Förderung solcher Industrien wie Automobil- und Flugzeugbau und der damit verbundenen Industrien. Es war allgemein bekannt, dass einer der wichtigsten Programmpunkte Hitlers die Abschaffung des Vertrages von Versailles darstellte und die Wiederherstellung eines sowohl in militärischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht starken Deutschlands ...
Das wirtschaftliche Programm Hitlers war der Wirtschaft allgemein bekannt und wurde von ihr begrüßt. (Zitiert nach: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 4, Berlin 1966, S.604-607)
Mit aller Klarheit hat Schröder ausgesprochen, dass sie befürchteten, bei einem Zerfall der NSDAP würde die Verwirklichung des Programms Hitlers, das nichts anderes als ihr eigenes Revancheprogramm nach innen und außen war, eine Verwirklichung, die sie schon zum Greifen nahe sahen, für lange Zeit, wenn nicht für immer, unmöglich werden. In diesem Falle drohte ein Rückfall in die verhasste parlamentarische Republik und die Wiederkehr des unter der Präsidialdiktatur der Kanzler Brüning und Papen bereits überwundenen Zwanges zu Tarifverhandlungen mit den Gewerkschaften anstelle des bereits erreichten vom Staat sanktionierten unternehmerischen Lohndiktats.
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Blick in den Säulensaal des ÂHauses der Gewerkschaften in Moskau während der Eröffnung des VII. Weltkongresses. Am Rednerpult: Wilhelm Pieck |
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Dies und nicht eine Revolution war es, was die Monopolbourgeoisie fürchtete und auf jeden Fall nicht zuzulassen entschlossen war. Schröders Floskel von der Furcht vor dem Bolschewismus war lediglich berechnet auf Sympathie für eine antikommunistische, antisowjetische Grundhaltung bei ihren us-amerikanischen Anklägern. Von einer Furcht vor einer bolschewistischen Machtergreifung in Deutschland brauchte und konnte, wie gezeigt, bei der deutschen herrschenden Klasse 1932/33 nicht die Rede sein, wohl aber von der Besorgnis, die von Hitler schon in seinem Buch Mein Kampf vorgezeichnete Eroberung von Lebensraum im Osten, in Polen und vor allem in der Sowjetunion, müsste ebenfalls abgeschrieben werden.
Nicht die Furcht vor der Revolution, sondern der Heißhunger nach Revanchekrieg, nach dem zweiten Griff nach der Weltmacht, nach dem Eroberungs- und Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, ließ die deutsche Monopolbourgeoisie 1933 zur Errichtung der faschistischen Diktatur greifen.
Diesen Faktor das sei hier eingeschaltet , hat aber Dimitroff in seinem Referat nicht übersehen, sagte er doch, (wie oben, S.3 zitiert), dass die imperialistische Bourgeoisie den Faschismus auch zur Vorbereitung des militärischen Überfalles auf die Sowjetunion braucht.
Voraussetzung dafür war aber, dass alle Interessenkämpfe der verschiedenen Gruppen der Monopolbourgeoisie schnellstens zurückgestellt wurden und eine rasche Einigung zur Übertragung der Macht an die Hitlerpartei herbeigeführt wurde. Das geschah bei dem Treffen bei Schröder am 4. Januar sowie einigen weiteren Treffen vor dem 30. Januar 1933.
Soviel zur Richtigstellung der noch immer weit verbreiteten Ansicht, die Becker in die Worte gefasst hat, in Deutschland habe das Kapital 1933 vor dem Entscheidungskampf mit seinem Proletariat gestanden, und habe deshalb vorbeugend die faschistische Diktatur errichtet.
Richtig ist und bleibt natürlich, dass eine Wurzel des Faschismus als einer neuen Herrschaftsform des Kapitals im 20. Jahrhundert dessen Streben war, den mit dem Sieg der Oktoberrevolution entstandenen ersten sozialistischen Staat schnellstens wieder aus der Welt zu schaffen und alle kommunistischen Organisat{Î