Buchempfehlung: Moshe Zuckermann macht das, was schon lange nötig war: Er legt eine Analyse des Totschlag-„Arguments“ Antisemitismus vor, die an Solidität und Klarheit kaum zu wünschen übrig lässt.
Zuckermann, Professor für Geschichte und Philosophie an der Uni Tel Aviv, geht in seinem Buch dem Anti-Semitismus-Vorwurf als Herrschaftsinstrument nach – gegliedert in einen Teil über Israel und einen über Deutschland, der mutatis mutandis auch auf Österreich anzuwenden ist.
So lohnt sich die Lektüre des zweiteren besonders, da es ja auch hierzulande einen antinationalen Rabauken-Haufen gibt, der „Israel, Judentum und Zionismus, mithin Antisemitismus, Antizionismus und Israelkritik wahllos in (s)einen deutschen Eintopf“ wirft und sich anmaßt, „Juden ihr Judentum und Kindern von Shoah-Überlebenden ihre Lebenstragödie deutsch-vorlaut zu bescheinigen.“ Als Machwerk eines vermeintlichen „jüdischen Selbsthasses“ werden es die „antideutschen“ Damen und v.a. Herren punzieren – natürlich ohne es gelesen zu haben. Genau sie erweisen sich dadurch als Handlanger der bislang rassistischsten und reaktionärsten aller Regierungen Israels und desavouieren die israelische Linke und Friedensbewegung.
Dass bei der Buchpräsentation am Institut für Zeitgeschichte der Uni Wien am 10. Jänner von ihnen Radau geschlagen wurde, bestätigt Zuckermanns Thesen in der Probe aufs Exempel. Quod erat demonstrandum also.
Kleine Kritikpunkte sind das etwas mangelhafte Lektorat und Zuckermanns professoraler Sprachhabitus – etwas als Idiosynkrasie zu apostrophieren statt es als Eigentümlichkeit zu bezeichnen, ist der Lesbarkeit dieses so wichtigen Buches für breitere Kreise leider wenig zuträglich.
Moshe Zuckermann: „Antisemit!“ Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument. Wien (Promedia) 2010. 208 Seiten, 15,90 Euro
Inhalt (Text, keine Bilder und Medien) als Creative Commons lizensiert (Namensnennung [Link] - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen), Verbreitung erwünscht. Weitere Infos.
Genau deshalb, weil exakt solche Diskussionen immer wieder geführt werden, empfiehlt sich die Lektüre des Buches, gleichgültig "wer Zuckermann immer mal gerne zu Wort kommen lässt"... Viele gute Bücher wurden schon von kruden VerschwörungstheoretikerInnen missbraucht, was aber nichts an deren Qualität zu ändern vermochte. Wenn man das Buch nicht lesen will, ist mir das wurscht. Wenn man seine eigene Meinung nicht hinterfragen will, ist das legitim. Und bezeichnend.
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Mittwoch, 19.01.2011 - 01:00
Ein Video-Mitschnitt des Vortrags von Moshe Zuckermann auf der RL-Konferenz 2011 findet sich hier.
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Montag, 17.01.2011 - 13:52
@ Corvalan:
"Es gibt hier keine Zeiten in der Wachsamkeit und Kampfbereitschaft runter gefahren werden darf. Andere Felder wie z.B. die Hetze gegen Muslime und vom System in Armut Getriebene sind dagegen nicht aufzurechnen."
1. Runtergefahren wird nichts. Ich habe nur versucht aufzuzeigen, welches Pferd Teile der herrschenden Klasse derzeit primär reiten, nämlich antimuslimische Hetze und Sozialdarwinismus.
2. Aufgerechnet wird nichts. Es wird nur aufgezeigt, wo derzeit die Angriffe erfolgen und wo eine marxistische Linke nicht wegsehen darf, sondern - Hand in Hand mit den Betroffenen - intervenieren muss.
Ob die selbsternannten "Antideutschen" sich nun auf den Mars schießen oder auf die Bahamas, ist mir ehrlich gesagt ziemlich wumpe. Mit linker Politik haben diese Grüppchen schon lange nichts mehr zu tun - und wollen sie ja auch im Grunde selbst nicht mehr zu tun haben. Außer als potentielle Bündnispartner_innen in antifaschistischen Protesten stehen die mittlerweile im anderen Lager, siehe Rassismus, siehe Militarismus, siehe platter Proamerikanismus.
Kommentar zum Artikel von paulina:
Sonntag, 16.01.2011 - 17:51
"Der Antisemitismus ist in Deutschland eine Frage des Absoluten, keine des Relativen. Es gibt hier keine Zeiten in der Wachsamkeit und Kampfbereitschaft runter gefahren werden darf. " !!!
ich teile diese Einschätzung und Festlegung von "Prioritäten" überhaupt nicht. Nur weil derzeit eine Regierung am Start ist, die für jene Kapitalfraktion steht, die keinen Bock auf Ärger mit den USA steht und öffentliche antisemitische Angriffe und Skandale zurück fährt, heißt das doch nicht das wir uns jetzt erst mal um die Bassisten kümmern!
Nicht zum ersten mal lese ich das Saranzins beißender Antisemitismus wohl nicht so ins Gewicht fällt, auch die gesamte bürgerliche Medienwelt hat Sarazin immer nur bezüglich seiner rassistischen und anti arabischen Ausfälle behandelt, sein Ergüsse in Sachen „Judengene“ wurden anfänglich unter ferne liefen genannt, dann gar nicht mehr.
Der Antisemitismus ist in Deutschland eine Frage des Absoluten, keine des Relativen. Es gibt hier keine Zeiten in der Wachsamkeit und Kampfbereitschaft runter gefahren werden darf. Andere Felder wie z.B. die Hetze gegen Muslime und vom System in Armut Getriebene sind dagegen nicht aufzurechnen. Genau darum sehe ich keinen Zweck für dieses Buch in unserer heutigen politischen Arbeit. Dies habe ich ja schon in den Beiträgen davor aufgeführt.
Ich kenne den Diskurs um Zuckermann und ich kennen seine, übrigens zu früheren Publikation sehr gewandelten Veröffentlichungen. Mir drängt sich das Gefühl auf das Zuckermann gerade in den Kreisen herumgereicht werden, die es sich zur Religion gemacht haben die so genannte "antideutsche" Bedrohung bis zum Mars zu verfolgen, welche ermüdende Zeitverschwendung.
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Donnerstag, 13.01.2011 - 22:59
@ Corvalan: Auch hier empfehle ich, das Buch vielleicht vorher zu lesen, bevor es irgendwo eingeordnet wird. Das Problem bei der Buchempfehlung von hw war ja gerade, dass über den Inhalt und die eigentliche Stoßrichtung nichts ausgesagt wurde.
"die Frage kommt auf, warum solch ein Buch zu dieser Zeit": Die Frage ließe sich bei den allermeisten Büchern stellen, gäbe aber meist auch wenig Erhellung. Worum diese Frage gerade bei Zuckermanns Buch so einen Stellenwert haben soll, erschließt sich mir daher nicht.
"Der "Vorwurf" jedoch der derzeit in deutschen Chefetagen, Seitenstraßen, Stammkneipen, Politikerddebatten, Bestsellern eines Sarazins usw. deutschen Interessen dienlich ist und immer unverhohlener und lauter hervor quillt, ist der Vorwurf dies oder jenes sei ach so jüdisch. " Die aktuelle reaktionäre Kampagne geht wohl viel eher gehen Ausländer_innen und Moslems. Was Sarrazin da auf den Tisch knallt ist knallharter, hausbackener Rassismus, und das sogar auf einer unverhohlen biologistischen Grundlage. (Gepaart mit dem Sarrazin eigenen Sozialdarwinismus, den er ja als Berliner Senator zur Genüge zur Schau getragen hat.)
Die Reaktion setzt in der BRD (und in vielen kapitalistischen Nachbarländern) derzeit primär auf die rassistische und antimuslimische Karte und nicht primär auf Antisemitismus. Das kann sich durchaus irgendwann wieder ändern, aber derzeit sollte das Hauptaugenmerk einer marxistischen Linken darauf gerichtet sein, gegen die völkisch-rassistische Ideologie und die antimuslimische Hetze Stellung zu beziehen.
Kommentar zum Artikel von corvalan2:
Donnerstag, 13.01.2011 - 21:41
Guten Tag,
die Frage kommt auf, warum solch ein Buch zu dieser Zeit, in diesem Land. Eine Frage wird hier behandelt, die im Moment aber so was von überhaupt nicht auf der Tagesordnung steht. Auch wenn es sich vielleicht im Kleinsten konstruieren lässt, die Situation das die herrschenden Klasse dieses Staates unter dem Mantel ihres Vorwurfs Antisemit ihre Interessen verfolgt kann ich in relevanter Quanti- und Qualität nirgends ausmachen.
Der "Vorwurf" jedoch der derzeit in deutschen Chefetagen, Seitenstraßen, Stammkneipen, Politikerddebatten, Bestsellern eines Sarazins usw. deutschen Interessen dienlich ist und immer unverhohlener und lauter hervor quillt, ist der Vorwurf dies oder jenes sei ach so jüdisch.
Auch ohne das Buch zu lesen weiß ich wo es nach vorne gestellt wird und wer Zuckermann immer mal gerne zu Wort kommen lässt. Gerade in der Jungen Welt in Sachen Pirker und anderen baut man das gerne ein.
Trotz den bekannten Schwachmaten, die nicht selten den Vorwurf Antisemit zu einem inflationären Wischiwaschi machen indem sie damit jeden und Alles bezeichnen der sie vor Widersprüche stellt - stelle ich aus den Vorbetrachtungen sehr wohl die These auf, das dieses Buch eher dafür "gebraucht" wird, Linken bei ihrem Hinweis auf Antisemitismus (der sein Haupt überall in Deutschland erhebt) vorzuwerfen sie würden sich eines "Herrschaftsinstruments" der herrschenden Klasse bedienen.
Kommentar zum Artikel von retmarut:
Donnerstag, 13.01.2011 - 14:33
Stimmt, war eine Buchempfehlung, keine -besprechung.
Konstruktive Kritik an die Redaktion: Vielleicht grundsätzlich keine Buchempfehlungen, sondern nur inhaltliche Rezensionen ins Journal stellen. Derartige Buchempfehlungen hingegen passen sicher am besten ins Diskussionsforum (z.B. Off-Topic oder Wirtschaft und Politik).
Kommentar zum Artikel von hw:
Donnerstag, 13.01.2011 - 10:28
Liebe Erika, LiebeR retmarut!
Vorab: Es ist bewusst keine Buchbesprechung, sondern eine -empfehlung. Ein Beispiel, warum der Antisemitismus-Vorwurf auch in Deutschland resp. Österreich als Herrschaftsinstrument dient: Wenn man im Zuge des Libanonkrieges die geplante Sendung von Deutschen Kriegsschiffen in den Raum kritisierte, die Merkel zu Schutze Israels (um Deutsche Interessen geht's ja nie...) angedacht hatte, wurde man ratz-fatz zum Antisemiten und Hisbollah-Bruder etc. gestempelt. Zumindest war das in Österreich so.
Ohne die Kommentare von Paulina und Erika hätte ich jetzt diesen Beitrag nicht gelesen. Die Aussagen von Zuckermann kenne ich, habe ihn in Berlin auf der RL-Konferenz sogar persönlich kennengelernt. So besonders, finde ich die jetzt auch gar nicht. Seine Analyse der israelischen und palästinensischen Politik ist recht treffend und seine Analyse der sog. "Antideutschen", vermeintlichen "Israelsolidarischen" und anderer selbsternannter Philosemit_innen, die mit kruden Antisemitismusvorwürfen gegen Linke vorgehen auch.
Das Buch selber habe ich nicht gelesen, kenne nur einige Vorträge zum Thema von ihm, die vermutlich auch Grundlage des Buches sein werden.
Unter einer Rezension hätte ich mir ehrlich gesagt, auch etwas mehr vorgestellt. Leser_innen, die Moishe Zuckermann überhaupt nicht kennen, werden aus der Rezension leider auch nicht schlauer. Worum es konkret in dem Buch geht, geht aus hws Text auch nicht hervor.
Vielleicht mag hw das inhaltlich im Kommentarbereich noch einmal ergänzen, schließlich hat er ja das Buch gelesen und kann darüber mehr berichten als diese etwas dürftige Rezension.
@ Erika: Ich vermute, hw meint nicht Herrschaftsinstrument im eigentlichen Sinne, sondern (mittelbares) Herrschaftsinstrument in politischen Diskursen. Statt (bzw. zur Vermeidung) einer sachlichen Auseinandersetzung wird dabei der Antisemitismusvorwurf gebracht, um den/die Diskussionspartner_in gezielt zu diskreditieren und sich selbst mit einem moralischen Nimbus zu umgeben. Ergebnis davon ist letztlich, dass der Antisemitismusbegriff in die Beliebkeit abdriftet und sich abnutzt. Die Shoa wird dabei bewusst instrumentalisiert, um sich selbst in Szene zu setzen. Wie schnell das Ganze in ganz klassischen Antikommunismus umschlägt, war letztes Jahr in Hamburg zu sehen, wo das linksradikale Zentrum B5 von "Antideutschen" als "Antisemitentreff" und die Genoss_innen als "Linksfaschisten" und "rote Nazis" diffamiert wurden, die "schlimmer als die Nazis" seien.