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In der anhaltenden Debatte um die braune Vergangenheit des Auswärtigen Amtes sieht die Bundestagsfraktion der Partei "Die Linke" auf breiterer Front Chancen zur Zurücknahme geschichtlicher Relativierungen und zur Entschädigung von Opfern des Faschismus.

Gegen heftigen Widerstand brachte die Linksfraktion mittlerweile eine Reihe parlamentarischer Initiativen auf den Weg. Beantragt sind dabei unter anderem die Aufarbeitung der Geschichte des BND und die Offenlegung der Akten zum Fall Eichmann. Und die Bundesregierung sieht sich genötigt, eine detaillierte, von der Fraktion eingebrachte große Anfrage zu beantworten, die insgesamt den offiziellen Umgang mit der Nazi-Vergangenheit thematisiert. Gleichwohl müsste damit die Abkehr von Entnazifizierungs-Normen entsprechend dem Potsdamer Abkommen in den Blick kommen, die aus Gründen antikommunistischer Staatsräson im Kalten Krieg relativiert oder missachtet wurden.
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Einer von Vielen: Hans Filbinger, CDU-Ministerpräsident und ehemaliger NS-Richter, der noch nach dem 8. Mai 1945 Nazigesetze umzusetzen suchte: "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein". Die Bezeichnung "furchtbarer Jurist" für Filbinger ist im Übrigen legal.
Gegenläufig zu den gewährten Renten- und Pensionsansprüchen reaktivierter Täter versandeten in der Bundesrepublik berechtigte Entschädigungsansprüche für Opfer des Faschismus, die Kriminalisierung der Wehrmachtsflüchtlinge hielt an, Kommunisten wurden wieder verfolgt. Nach 1990 wurden in der DDR anerkannte, doch nachträglich als "staatsnah" eingestufte Opfer des Faschismus willkürlich mit aberkanntem Status, gekürzten oder gar gestrichenen Ehrenrenten bestraft. Bundesgerichte verurteilten im Osten ehemalige DDR-Staatsanwälte und Richter aufgrund ihrer Mitwirkung in frühen Prozessen gegen Nazikriegsverbrecher, die durch Bestimmungen des Alliierten Kontrollrats geprägt waren. An indirekten Folgen dieser späten Rache gingen so Beschuldigte zugrunde. Nicht weniger problematisch ist der Umgang mit Orten der Erinnerung an Faschismus und antifaschistische Gegenwehr.

Wenn jetzt endlich der Zeitpunkt gekommen scheint, dass sich auch zentrale Institutionen politischer Macht den dunkelsten Kapiteln ihrer Geschichte widmen, dann sollen "wissenschaftliche Desiderate" nicht vergessen werden. Der Arbeitskreis "Bürgerrechte und Demokratie" der Linksfraktion sieht sie unter anderem im wenig erforschten Umfeld des historischen Übergangs zur Bundesrepublik.

Für diesen Arbeitskreis und unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung initiierte MdB Jan Korte in Berlin ein öffentliches Fachgespräch, das am 3. Dezember in einer Presselobby des Bundestags stattfand: "... und plötzlich gab es nur noch Demokraten. Zu den braunen Wurzeln bundesdeutscher Ministerien, Behörden und Justiz". Der Geschichtsprofessor Patrick Wagner (Halle) thematisierte Bedingungen zur Vergangenheitserforschung in institutionellem Eigenauftrag, wie sie dem von ihm betreuten Projekt zur Geschichte des BKA 1949-1981 zugrunde liegen. Notwendig gehörten dazu: die Unabhängigkeit von Weisungen, als Experten einzubeziehende heutige Mitarbeiter und ein öffentlich ungehinderter Quellenzugang. Da für die politische Kultur der BRD die Tatsache mit zu bewerten ist, dass etwa 40 Prozent der Beamten im Bonner Innenministerium der 60er Jahre als NS-belastet gelten mussten, schlug Wagner differenzierende Abstufungskriterien hinsichtlich möglicher Auswirkungen auf den bundesdeutschen Berufsalltag vor. Scheinbar soll das darauf hinauslaufen, ob z. B. ein unter Adenauer wieder illegalisierter Kommunist oder ein 1937 ausgeraubter jüdischer Intellektueller bei amtlichen Verweigerungen auf die politisch unerträgliche Personalunion des alten und neuen Gegenübers trafen. Kritischen Nachfragen aus dem Forum gegenüber beharrte Wagner auf dem Standpunkt, auch die historische Forschung habe den Schutz möglicher Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse zu respektieren. Die Ergebnisse der BKA-Studie selbst sind erst für Frühjahr 2011 zu erwarten; der Auftraggeber brauche diese Zeit zur Einsichtnahme.

Differenziert und fundiert widmete sich der emeritierte Rechtsprofessor Joachim Perels (Hannover) der Frage: Inwieweit gelang es dem Alliierten Kontrollrat nach der bedingungslosen Kapitulation des Hitlerregimes, auf dem Feld des neu zu ordnenden Rechts und der Justiz einen strukturellen Bruch mit dem System faschistischer Ausrottungspolitik herbeizuführen? Bei der Antwort orientierte er sich sowohl an den prägnanten Widerstands-Forderungen des Kreisauer Kreises zur "Bestrafung der Rechtsschänder" (1943) als auch am zugrunde gelegten Normgefüge der Alliierten (Erklärung vom 6. 7. 1945): Sanktionen gegen die vormaligen Machtträger, personelle Ausschaltung des Justizapparats. "Tatsächlich stand die Auswechslung der NS-Juristenschicht - bis auf die Nichtkorrumpierten - in allen deutschen Besatzungszonen und nicht nur in der SBZ im Vordergrund. In der Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. 3. 1946 heißt es, dass politisch zuverlässige und möglicherweise sachlich weniger geeignete Bewerber für die Justiz eher herangezogen werden sollen." Perels würdigte den damit zunächst verbundenen breiten und tiefen Bruch als Neuansatz zu einer antifaschistisch-demokratischen Rechtspflege. Absichtsvoll wurde darin die Aufhebung der ungerechtfertigten Verurteilungen von politisch, rassistisch und religiös Verfolgten eingeschlossen. "Die später in der Justiz der BRD oft gestellte Frage nach der politischen Übereinstimmung zwischen den Nazi-Befehlen und den Tätern wurde zu dieser Zeit noch angemessen verhandelt." Eigentlich hätten die amtsenthobenen, an den Strafmethoden des Hitlerregimes direkt beteiligten Richter und Staatsanwälte später nicht wieder zugelassen werden dürfen (Von 307 Juristen im Bereich des Oberlandsgerichts Bamberg beließ die US-amerikanische Verwaltung damals nur sieben). Doch sehr bald häuften sich Ausnahmen von der Kontrollrats-Gesetzgebung zugunsten von blutigen "Fachleuten" der Militärgerichtsbarkeit. Vor allem in Churchills antikommunistisch beeinflusster britischer Besatzungszone, wo quasi das Ende der westlichen Entnazifizierung eingeleitet wurde.

Mitte 1946 hatten NSDAP-Mitglieder ein grundsätzliches Rückkehrrecht in die Justiz. Zwei Jahre später waren bereits 30 Prozent der leitenden Posten im Justizapparat vor allem mit ehemaligen Wehrmachtsrichtern besetzt; bei Landgerichtsdirektoren und ähnlicher Klassifizierung betrug der Anteil 80 bis 90 Prozent. Die juristische Machtordnung der NS-Justiz hat Perels zufolge die nur kurzzeitig unterbrochenen Kontinuitäten "erneut zur Geltung" gebracht, bevor überhaupt das Grundgesetz der Bundesrepublik ausgearbeitet und verabschiedet war. Mittels umgedeuteter juristischer Kategorien begann danach die Einstufung von "großen Mördern als bloße Gehilfen". Auf 90 Prozent der Täter aus Einsatzgruppen im Dienst des faschistischen Völkermords wurde die strafmildernde Definition angewendet.

Unter anderem darin sieht Perels eine Neulegitimation der "NS-Gesetzgebung".

 
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